Ich bin weggelaufen.
Wieso, weiß ich auch nicht.
Wahrscheinlich habe ich es einfach nicht mehr ausgehalten.
Den Zwang.
Den Drill.
Die Unterdrückung.
Mir ist das einfach furchtbar auf die Nerven gegangen.
Irgendwann wollte ich nur noch weg.
Egal wohin.
Doch sie haben mich eingefangen und zurückgebracht.
Gefoltert haben sie mich.
Mir ist schwarz geworden.
Als ich wieder aufwachte, war ich hier.
In einer Einzelzelle.
Alleine.
Ohne Bett. Ohne Toilette. Ohne Fenster.
Abgeschieden von der Außenwelt.
Hin und wieder war ein Erzieher hier unten.
Er hat mir Essen gebracht.
Kalte Suppe und stinkendes Wasser.
Wer es war, weiß ich nicht.
Letztendlich ist es aber auch egal.
Hier unten ist fast alles egal.
Du sitzt hier und wartest.
Worauf, weißt du genau so wenig wie die Erzieher.
Dann verlierst du jegliches Zeitgefühl, fängst fast an durchzudrehen.
Am Ende drehst du dann doch nicht durch.
Schließlich weißt du, dass sie nur das wollen.
Deshalb drehst du nicht durch.
Weil du nie tust, was sie wollen!
Weil du das noch nie getan hast!
Weil du es feige findest!
So zeigst du ihnen nur, dass sie dich beherrschen.
Wenn du durchdrehst, denken sie noch, sie hätten die Macht über dich.
Aber das haben sie nicht.
Sonst wärst du nicht hier.
Eingesperrt bist du nur, weil sie Angst vor dir haben!
Irgendwann ist diese Angst vorbei.
Irgendwann holen sie dich wieder raus.
Sie können dich schließlich nicht ewig wegsperren.
Wenn du lange genug hier gesessen hast, kommst du wieder raus.
Schließlich fängt der ganze Alltagstrott wieder an.
Dein Leben ist wieder wie damals.
Der Zwang.
Der Drill.
Die Unterdrückung.
Lange hält man das nichts aus.
Erst recht ich komme damit nicht klar.
Alles fängt wieder von vorne an:
Ich haue ab, sie fangen mich ein, ich sitze im Arrest.


KAPITEL 1

„Jennifer – der Direktor will dich sehen!“
Mit diesen Worten kommt Herr Dolden in die Zelle.
Schon merkwürdig wie sehr das normale Tageslicht einen so heftig blenden kann!
Ach, auch egal...
Jedenfalls stehe ich auf, recke mich einmal kurz und folge der Aufforderung gähnend.
Herr Dolden schließt die Zelle ab.
Fast wehmütig blicke ich in die Zelle hinein.
Einen Moment lang wünsche ich mir sogar, noch länger hier unten zu bleiben.
Denn das Eingesperrtsein hat auch eine positive Seite: Du hast deine Ruhe!
Mit kleinen, langsamen Schritten latsche ich Herrn Dolden hinterher.
Er sieht mich mit einem merkwürdigem Grinsen an.
„Jetzt hör schön hin, was der Direktor dir zu sagen hat!“, zischt er mir ins Ohr.
Dann öffnet er die Tür und schiebt mich in das Büro hinein.

Hinter dem Schreibtisch sitzt Herr Glas.
Als er mich erblickt, schlägt er seine Aktenordner zu.
Aber er sagt nichts. Schweigend sieht er mich an.
Provozierend glotze ich zurück.
„Wer zuletzt lacht, lacht am besten...“, rutscht es mir beim Anblick des Direktors heraus.
Sofort merke ich, dass ich einen furchtbaren Fehler gemacht habe.
„Du hast eine große Klappe, Jennifer!“, entgegnet Herr Glas. „Das ist nicht fördernd für die Gesellschaft hier. Verstehst du das?“
Ich nicke zur Antwort.
Am liebsten hätte ich jetzt noch einen Spruch gebracht, doch ich lasse es lieber.
Zu heftige Provokation könnte jetzt wirklich schädlich sein!
„Nun, Jennifer – du bist abgehauen. Ehrlich gesagt, das hat mich enttäuscht. Aber ich denke, das wirst du nicht wieder machen. Habe ich recht?“, sagt er mit einem freundlichen Lächeln.
Doch ich höre die unterschwellige Drohung genau.
Trotzdem kann ich jetzt nicht lügen.
Wieso, weiß ich selbst auch nicht.
Aber irgendwie bringe ich es nicht über die Lippen, „JA“ zu sagen.
Also schüttele ich stattdessen den Kopf.
Währenddessen grinse ich selbstbewusst und herausfordernd, frei nach dem Motto „FLUCHT NACH VORNE“!

Gebannt sieht Herr Glas mir in die Augen.
Trotzig, wie ein kleines Kind halte ich seinem Blick stand.
„Gut!“, brummt Herr Glas „Das können wir hier leider nicht akzeptieren. Aber damit hast du sicher auch nicht gerechnet. Also müssen wir uns etwas einfallen lassen. TORGAU wäre zum Beispiel eine Option!“
Prüfend mustert er mich.
Dieses Wort hat eine unglaubliche Wirkung.
Schweiß bildet sich auf meiner Stirn.
Sofort setzte ich meine „Maske“ auf.
Mein Blick ist starr nach vorne gerichtet.
Ein inneres Zittern übernimmt die Macht über meinen Körper.
Doch das darf der Direktor nicht merken.
Jetzt muss ich standfest bleiben.
Ich muss zu dem stehen, was ich grade gesagt habe.
Notfalls muss ich auch die Konsequenzen tragen.

„Jennifer – Willst du wirklich abhauen? Nicht wirklich, ODER?“, höre ich Herrn Glas sagen.
Hypnotisiert stehe ich im Büro.
Stocksteif ist mein Körper geformt.
Ich spüre nichts, bin ganz die brave Genossin – ein grausames Gefühl.
Nur eines kann mich aus dieser Situation retten: FLUCHT NACH VORNE!
„Doch, ich will abhauen und ich werde abhauen! Nach Torgau schickt ihr mich so oder so nicht. Dafür seid ihr zu feige!“
So, das hat jetzt aber gesessen.
Das war gleich doppelt unverschämt – erst die Duzerei, dann das „FEIGE“!
Sicherlich wird das Folgen haben.
Im Moment ist mir aber alles egal.
Hauptsache ICH bleibe ICH, lasse mich nicht unterkriegen und zeige ihnen, dass ich gewonnen habe!
Auf keinen Fall widerrufe ich meine Worte.
Nicht mal Herr Glas´ böser Blick kann da etwas dran ändern...

“Jennifer, du scheinst zu vergessen, welche Möglichkeiten wir dir hier bieten. Du kannst eine Ausbildung machen. Ein wenig Wertschätzung diesem Heim gegenüber wäre schon angebracht. Außerdem hilft Flucht auch nicht weiter. Nach Torgau können wir dich allerdings schicken....
Aber das wollen wir nicht, wir wollen dir schließlich helfen. Doch deine Worte grade, die waren leider so staatsfeindlich, dass wir dich eigentlich nach Torgau schicken müssten. Ich will dir aber helfen. Deshalb schlage ich vor: Wir lassen das ganze fallen und du überdenkst deine Worte noch mal im Arrest. Bestimmt kommst du dann zur Vernunft und siehst ein, dass du das gar nicht so gemeinst hast!”
Der Redeschwall fließt an mir vorbei.
Solche Lügen brauch ich mir nicht anzuhören.
Aber jetzt noch etwas sagen?
Gefährlich könnte das schon sein.
Alternative wäre Maske aufsetzen, Arrest und “brave Genossin” spielen.

„Nun, hast du eine Entscheidung getroffen, Jennifer?“, reißt mich Herr Glas aus den Gedanken.
„Ja, Herr Glas. Ich werde meine Entscheidung überdenken“, erkläre ich steif.
Scheiße, das war ein Fehler.
Hochverrat an mir selbst habe ich begangen.
Scham und Pein ergreifen meinen Körper.
Herr Glas hat gesiegt.
Wie konnte das nur passieren...
Nachgeben, dem Arschloch – wie konnte ich nur...

„Sehr schön, Jennifer. Ich wusste doch, dass du ein vernünftiges Mädchen bist. Mit Glück wirst du einmal eine gute Genossin werden, wie? Ich habe schon gleich gemerkt, dass du das mit dem FEIGE nicht ernst gemeint haben kannst. Vermutlich hast du nur eine schwierige Phase, wie? Nun, ich bin glücklich, dass du deine Worte widerrufen hast!“, meint Herr Glas mit seinem gekünsteltem Lächeln.
Hass lodert in mir.
Schließlich bringt mich genau dieser Hass zum schreien:
„Ich widerrufe meine Worte nicht. Sie sind wahr. Eurem System beuge ich mich auch nicht. Ich werde nicht so feige werden wie ihr! Das ist auch keine ´schwierige Phase´, sondern Widerstand gegen Unrecht und Verbrechertum. Alle hier denken doch so. Nur keiner wagt es, euch das zu sagen. Steckt mich doch nach Torgau! Mir ist es egal, wo ich eingesperrt bin!“
Als ich fertig bin, spüre ich, wie meine Kehle ausgetrocknet ist.
Mein Stimme ist kratzig geworden.
Schweiß bildet sich auf meiner Stirn.
Was ich da gesagt habe, war gefährlich, mehr als das.
Es war lebensgefährlich.
Für so etwas kommt man hier in den Knast, vielleicht auch auf den Scheiterhaufen...
Plötzlich vernehme ich einen Knall.
Schmerz überfällt meine Wange.
Vor mir wird alles dunkel.

Wieder sitze ich in der Einzelzelle.
Ob es dieselbe ist wie vorhin?
Vielleicht.
Auf jeden Fall ist das Gefühl dasselbe.
Um mich herum ist Leere.
Nichts. Dunkelheit. Hoffnungslosigkeit.
An der Wand stehen Kritzeleien.
Schon viele Jugendliche waren hier eingesperrt.
Einer hat ein altes Volkslied in die Mauer geritzt:
„Die Gedanken sind frei.
Wer kann sie erraten.
Sie fliegen vorbei wie nächtliche Schatten.
Kein Mensch kann sie wissen, kein Jäger erschießen...
Es bleibet dabei: Die Gedanken sind frei!“
Langsam krame ich einen Bleistift aus meiner Hosentasche.
„Es lebe die Freiheit!“, schreibe ich in krakeligen Buchstaben unter das Lied.

Irgendwann fange ich an zu singen.
Erst leise, dann immer lauter.
Schließlich schreie ich nur noch:
„UND SPERRT MAN MICH EIN IM FINSTEREN KERKER
DAS ALLES SIND REIN VERGEBLICHE WERKE
DENN MEINE GEDANKEN ZERREIßEN DIE SCHRANKEN UND MAUERN ENTZWEI
DIE GEDANKEN SIND FREI!"

Schlagartig reißt jemand die Tür auf.
Es ist Herr Dolden, Herr Dolden mit dem fiesen Grinsen und dem großen Wohlstandbauch.
Im Grunde kann er sogar freundlich sein.
Einmal hat er mir ein Stück Schokolade geschenkt.
Aber jetzt sieht er keineswegs freundlich aus, eher genervt und ein wenig müde...

“Jennifer Lenz! Mitkommen! Sofort!“, befiehlt der Erzieher.
Gähnend recke ich mich.
Langsam – provozierend langsam – stehe ich auf.
„Wir haben nicht ewig Zeit. Mitkommen, Jennifer, ich meine es ernst!“, werde ich angebrüllt.
Doldens Tonfall ist scharf, ungewöhnlich scharf.
Gefährlich scharf.
Er duldet keine Wiederworte, fordert blanken Gehorsam.
Mein Körper will aber nicht aufstehen.
Dafür bin ich zu müde, viel zu kaputt.
Doch ich MUSS, sofort.
Also rappel ich mich auf und latsche Dick Dolden schlurfend hinterher.

Wow – er führt mich raus, auf den Parkplatz.
Direkt in die Richtung des schwarzen Wagens.
Unsanft schiebt er mich in das Auto hinein.
„Los geht’s!“, murrt er den Fahrer an.
Wohin, das erwähnt Dolden mit keinem Wort...

Kapitel 2

Merkwürdig.
Der Erzieher, der mit mir durch die Gegend tuckert, hat sich nicht mal vorgestellt.
Eigentlich wirkt er ziemlich freundlich.
Beim Einsteigen hat er mich angelächelt.
Es war das erste Lächeln seit mehreren Wochen.
Doch seinen Namen hat er mir nicht verraten.
Schweigen liegt zwischen uns.
Keiner redet, wir gucken uns nur an...

„Ach, ich bin übrigens Jennifer, Jennifer Lenz.
Naja, ich bin 15 Jahre alt...
Und wer sind Sie?“, versuche ich die Stille zu überwinden.
„Klaus Petersen, du kannst mich Klaus nennen, wenn du willst...“
Erfreut lächelt er mich an.
Scheinbar war ihm dieses ewige Schweigen auch unangenehm.
Wahrscheinlich hat er sich nur nicht getraut, das Gespräch anzufangen.
Ein wenig unsicher blickt der junge Erzieher mich an.
Er scheint, relativ neu zu sein, wirkt etwas naiv, so als würde er den Jugendwerkhof nicht kennen.
Mir kommt er vertrauenswürdig vor.
Deshalb beschließe ich, dass ich ihn mag...
„Klaus?“, quassel ich einfach drauf los.
„Weißt du, wohin wir fahren?
Ich meine, wir sind schon ´ne ganze Weile unterwegs.“
Irritiert guckt er mich an.
„Äh...“, beginnt er zu stottern, „haben sie dir das nicht gesagt?
Äh... das müssen sie doch eigentlich...
Weißt du … ähm … naja, weißt du wirklich gar nichts?“
Verwundert schüttele ich den Kopf.
Was soll ich denn wissen?
Nee, gesagt haben sie mir nichts – ziemlich sicher.
Wieso auch?
Mit ernster Miene guckt Klaus mich an:
„Also Jennifer, mach dir keine Sorgen.
Ich bin sicher, dass auch alles wieder gut wird.
So schlimm, wie alle sagen, wird es bestimmt nicht.
Ein paar Wochen, höchstens sechs Monate, dann ist es vorbei.
Also, ich hoffe wirklich, dass es nicht allzu furchtbar wird.
Mit Glück überstehst du es ja...“
Hä?
Wie?
Was überstehen?
Fragen über Fragen überfallen mich.
„Ich habe den Auftrag, dich nach … bitte bekomme keinen zu großen Schreck … es ist nur so, ich soll dich nach Torgau bringen!“

TORGAU?
In den KINDERKNAST?
Wie? Was? Warum?
Meine Stirn pocht.
Mir wird heiß.
Ich schwitze.
Um mich herum dreht sich alles.
Atemnot überfällt mich.
Wieso TORGAU?
Nein, das können sie nicht tun...
Ich war doch nie vor Gericht.
Wenn man ins Gefängnis kommt, muss man vorher verurteilt werden.
Klaus muss das doch wissen.
Er wirkt schlau, wie jemand, der sich mit Gerechtigkeit auskennt.
Vielleicht hat er nur vergessen, dass man mich nicht einsperren darf...
Wahrscheinlich ist das alles nur ein Fehler, ein riesengroßer Fehler...

„Klaus, das muss ein Fehler sein!
Ich kann nicht ins Kindergefängnis kommen.
Ich wurde nämlich gar nicht verurteilt.
Ohne Urteil kann man nicht eingesperrt werden...“,
versuche ich, ihn zu überzeugen.
Aber meine Worte gehen im Schluchzen unter.

Voller Mitleid antwortet der junge Erzieher:
„Doch, Jennifer, du kommst nach Torgau.
Leider, aber so schlimm ist es sicher nicht.
Die ganzen Gerüchte stimmen nicht, glaub mir!
Du brauchst keine Angst zu haben, wirklich nicht.
Torgau ist auch kein Gefängnis.
Deine Vorstellungen sind total falsch.
In Torgau lebst du mit anderen Jugendlichen zusammen.
Viele haben ähnliche Probleme wie du.
Es ist ein besonderes Heim.
Die Erzieher dort wollen euch helfen, indem sie sich ganz auf euch konzentrieren...“

Klaus ist nett.
Er versucht, mir zu helfen.
Er versucht, mir meine Angst zu nehmen.
Doch er lügt.
Torgau ist ein Knast, der dich verändert!
Der dir alles nimmt, dein ganzes ICH!
Weiß Klaus das?
Will er mich nur beruhigen?
Oder ist er zu feige, um die Wahrheit auszusprechen?

“Klaus, warum sagst du, Torgau ist nicht schlimm?
Warst du schon mal dort?
Oder hast du Angst, mir die Wahrheit zu sagen?”,
entgegne ich zitternd.
“Jennifer, um ehrlich zu sein...
ich fahr heute das erste Mal nach ... du weißt schon....
...und, was ich so gehört habe, geht es da nicht so ...äh... freundlich zu...
aber du bist stark und ... mutig. Du wirst das überstehen – da bin ich sicher...
Naja, und dass ich Angst habe, nimm mir das nicht übel.
Ich bin halt nicht so mutig wie du...”,
versucht Klaus sich zu entschuldigen.

Er ist gut, aber ein Feigling, ein lieber Feigling.
Ich spüre, dass er mir helfen möchte.
Aber er traut sich nicht, er ist wie die meisten Menschen.
Wenn es gefährlich wird, hält er die Klappe...
So funktioniert es hier, wenn man glücklich leben möchte.
Die Wahrheit hat in der Öffentlichkeit nichts zu suchen...
Die Wahrheit gehört nur in die eigenen vier Wände...
Jeder, der hier lebt, weiß das...
Nur manche checken es einfach nicht...
So wie ICH.
Solche Menschen landen im Knast – unabhängig vom Alter!

“Jennifer, sei bitte nicht böse auf mich!”,
meint Klaus mit erstickender Stimme.
Nein, ich bin nicht böse.
Wieso sollte ich?
Klaus macht nur seine Arbeit,
und er versucht, mir zu helfen.
Macht mir Mut.

Aber wieso lässt er mich nicht aussteigen?
Niemand würde davon erfahren...
“Klaus?”, bitte ich ihn flüsternd.
“Eine Frage: Kannst du mir helfen?
Ich werde es niemanden verraten...”
“Ich kann es versuchen...”
Schüchtern, ein wenig ängstlich, blickt er mir in die Augen.
“Kannst du mich nicht laufen lassen?
Die werden es niemals erfahren.
Glaub mir...
Aber Torgau – das halte ich nicht aus.
Das bringt mich um.
Ich ... ich werde sterben, wenn ich noch länger eingebunkert bin...”,
erkläre ich ihm die Dringlichkeit meines Wunsches.
Geschockt sieht er mich an.
Für ihn ist es ebenso gefährlich wie für mich.
Wenn ich ihn abhaue, wird auch er büßen müssen.
Es war dumm, sich Hoffnung zu machen.
Klaus mag noch so nett sein, er ist ein Freund des Systems.
Außerdem kennt er mich kaum...
Wieso sollte er mir vertrauen?
Doch er nickt – kaum wahrnehmbar.
Dann biegt er links ab – auf einen kleinen Parkplatz.
Er öffnet meine Tür.
Zögernd steige ich aus.
“Wohin willst du gehen?”, fragt er mit ernster Miene.
Verlegen zucke ich die Achseln.
Bisher habe ich mir keine Gedanken darüber gemacht.
Vielleicht nach Hause zu meinen Eltern.
Vielleicht zu meinem Onkel nach Leipzig.
Oder in den Westen – mitten in die Freiheit.
“Jennifer!”, holt Klaus mich in die Realität zurück.
“Zu deinen Eltern solltest du nicht gehen. Das wäre einfach zu riskant. Dann hätten sie dich blitzschnell wieder. Allgemein: Gehe zu niemanden, der mit dir verwandt ist! Sonst landest du am Ende doch in Torgau. Theoretisch könntest du bei mir wohnen. Aber wenn ich sage, dass du entwischt bist, gucken sie mein Haus wahrscheinlich durch – vor allem weil ich neu bin. Du kannst also nicht in meinem Haus wohnen. Aber ich habe eine Freundin.Sie wohnt in Leipzig. Bestimmt würdest du dich bei ihr wohlfühlen...”, zeigt Klaus mir alle Möglichkeiten, die er sieht.
Aber ich will nicht zu seiner Freundinin Leipzig.
Die ist bestimmt nett, aber ich säße dann immer noch hinter Mauern.
Ich will raus aus dem Land, ganz raus, nur weg.
Möglichst schnell in den Westen, egal wie...
“Klaus”, sage ich deshalb, “das ist echt nett. Ich habe aber eigentlich etwas anderes vor. Ich will nämlich rüber. Dann bin ich endlich frei. Verstehst du?”
Verständnissvoll nickt er.
“Wie willst du das machen?”, will er wissen.
“Einfach irgendwie. Erst nach Berlin und dann rüber. Ich finde schon ein Weg!”, entgegne ich ihm voller Zuversicht.
Doch meine Zweifel sind unüberhörbar.
So einfach ist das nicht.
Sonst würden das alle machen.
“Das ist gefährlich! Du weißt das! Doch ich kann dich nicht hindern. Wenn du es willst, dann versuch es einfach. Aber nimm das hier, du könntest es brauchen...”, nuschelt er kaum hörbar. Ganz nebenbei krammt er einen Hunderter aus dem Portmonaie. Entschlossen steckt er ihn in meine Jackentasche.
“Jetzt lauf los! Und mach schnell!”, verabschiedet er sich und nimmt mich in den Arm.
Er ist zärtlich und vorsichtig.
Liebevoll streichelt er mir über den Kopf.
So wie es Papa damals gemacht hat.
Langsam lehne ich meinen Kopf an seine Brust.
“Tschüss, Klaus!”, sage ich zum Abschied und laufe los.
Einen Moment winkt Klaus mir noch hinterher.
Aber ich sehe ihn schon bald nur noch aus der Ferne.
Freiheit - ich komme!!!


© Mia


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Beschreibung des Autors zu "Weggesperrt"

Die Geschichte spielt in einer Zelle in einem Erziehungsheim.
Die Gefangene/ der Gefangene wird aus politischen Gründen festgehalten.
Sie/ Er ist nicht angepasst.

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Kommentare zu "Weggesperrt"

Re: Weggesperrt

Autor: olga.kmetec   Datum: 20.10.2013 13:42 Uhr

Kommentar: Zwar kein reimendes Gedicht , aber trotzdem sehr gut geschrieben .
Beschreibst du dich , oder benutzt du die freie Fantasie als Dichter . Wie dem auch sei ,ich mag es !!!
Liebe Grüße

Re: Weggesperrt

Autor: olga.kmetec   Datum: 20.10.2013 13:44 Uhr

Kommentar: Oh sorry ,ist ja auch kein Gedicht ,ich war zu schnell ! Kannst du mir verzeihen ?

Re: Weggesperrt

Autor: Mia   Datum: 20.10.2013 15:13 Uhr

Kommentar: Ich benutze die frei Phantasie als Dichter. Zum Glück musste ich noch nicht unter solchen Bedingungen leben...

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