Ende Dezember fiel sie an einer Bushaltestelle mit einem Schrei in Ohnmacht. Vielleicht war ihr Herz durch das Kettenrauchen zu schwach,
ihre Leber streikte vielleicht auch schon. Die Aufregungen durch den Rausschmiß aus der Arbeitslosenversicherung waren für sie stark gewesen. "Sie sind draußen!" hatte die Sachbearbeiterin zum Schluß gesagt. Der Harz-4-Inspektor hatte sie des öfteren nicht zu Hause angetroffen und nachdem er sich Einlaß verschafft hatte, meinte er,
vermutlich zufrieden schmunzelnd, feststellen zu können, das sie da nicht andauernd wohne.
Denn sie hatte sich vor Schupsern, Doppelgängerinnin und Einbrechern vor ihrer Wohnung in Sicherheit gebracht, so gut sie es vermochte, schlupfte bei Freunden unter.
Niemand wollte dann ein Jahr lang ihre Krankenkasse bezahlen. Einer meinte, sie solle sich dort anmelden, wo sie sich versteckt halte. Vielleicht drohte man ihr für ein solches Verhalten auch dort mit Schupsen, Einbrechern und Gewaltsprache.
Dafür trank sie öfter mal zur Beruhigung ein Fläschchen Sekt,"ein altes rheinisches Hausmittel".
Nachdem sie aus dem Krankenhaus entlassen worden war, übernahm jemand die überraschend niedrigen Krankenkassenkosten. Sie aber war fußlahm und reiznervig geworden, brauchte einen Rollator und trank gurgelnd zur Nacht. Im Krankenhaus hatte man wohl eine Alkoholkrankheit, Tablettenabhängigkeit, eine entzündete Leber und ein schwaches Herz diagnostiziert. Sie rauchte weiter Kette.
Man schmiß sie deswegen aus dem Krankenhaus heraus, nach einer Fisteloperation bei den untersten Wirbeln.
Fast bewegungsunfähig saß sie zu Hause. Sie schimpfte über Krankenhausleute. Jemand hatte, aus der Luft, gesagt: " Macht die Alte besoffen!" Sie selbst schaffte noch Sekt und Zigaretten herbei, stand am Marktplatz, bat eine Mitbürgerinnin um Feuer, stand schütter und rauchte.

Eine niedergelassene Ärztin wollte sie nicht behandeln.Sie empfahl einen Besuch in einem Krankenhaus. Aus zwei dieser Häuser schickte man sie fort, sie solle sich von Fachärzten behandeln lassen.

Den Notarzt allerdings meidet sie. Vielleicht wegen der Kippen, vielleicht wegen der leeren Flaschen, vielleicht wegen einer Unordnung in ihrem mir unbekanntem Quartier.
Ihr Körper ist schwächer geworden, das Aufstehen fällt ihr schwer, das Sprechen am Telefon. Jemand dachte: " Das hält sie noch den nächsten Winter über durch". Die Flecken und Wunden an ihrem Körper wachsen.
Ihren Körper scheint niemand zu schützen.

Hat sie Verbündete beim Sprechen der Trink- und Rauschwünsche?
" Komm wir berauschen uns" hört sie vielleicht, vielleicht von sich selbst, obwohl sie stolz darauf ist, keine innere Sprache zu benutzen. Ich schaudere dann, weil ich mich an diese Zeit in mir erinnere. Ich hörte damals vor allem Pornographie, fast unwidersprochen, dreißig Jahre lang und hielt mein Inneres für leer.


© hartmut


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Kommentare zu "Koma"

Re: Koma

Autor: noé   Datum: 16.12.2013 17:34 Uhr

Kommentar: Ich sitze stumm und lasse nachklingen.
Was ist aus ihr geworden?
noé

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