Isaac wurde grob durch den langen, grau betonierten Flur gedrängt. Die beiden bulligen Typen an seiner Seite blickten stur geradeaus und ignorierten die weiß lackierten Stahltüren neben ihnen während sie ihn unaufhaltsam weiter nach vorne schubsten.
Er stolperte und schlug hart mit dem Gesicht auf dem Boden auf. Sofort wurde er wieder hochgezogen und nach vorne gestoßen, immer weiter auf die letzte Tür am Ende des Ganges zu. Blut tropfte aus seiner Nase auf das weiß-blaue Hemd, das er so mochte.
Seine Gedanken rasten. Gerade hatte er noch seine Mittagspause begonnen, wollte in die Cafeteria gehen und das Tagesmenü, Hähnchen Cordon-bleu in Estragonsauce mit Bratkartoffeln und einem kleinen gemischten Salat dazu, auf das er sich schon den ganzen Tag gefreut hatte, essen; Da standen diese Hünen plötzlich vor ihm und bedeuteten ihm, ohne auch nur ein Wort zu sagen, dass er mitkommen sollte.
Und nun so etwas. Klar, nach unten in den Keller zu gehen war schon komisch gewesen, dort war sonst ja auch nichts, die Räume standen leer, aber dass so etwas passieren würde? Immerhin waren die Beiden vom firmeneigenen Sicherheitsdienst.
Schöne Sicherheit war das.
Fast hätte er bei dem Gedanken lachen müssen, wenn er sich nicht im selben Moment verschluckt hätte und bemerkte, dass er vor der letzten Tür angelangt war. Der Kerl links von ihm, er beschloss ihn Pitbull 1 zu nennen, streckte seinen massigen Arm aus und öffnete die Tür. Dahinter kam ein mittelgroßes Büro zum Vorschein. Keine Fenster, wie auch mitten im Keller, dafür mit Bildern des frühen Expressionismus an den Wänden verziert. Den meisten Platz nahm ein gewaltiger, massiv aussehender Schreibtisch ein, auf dem sauber ein paar Bögen Papier und Stifte platziert waren.
Zwei Stühle, damit man sich am Schreibtisch gegenüber setzen konnte, ein Aktenschrank sowie eine erstaunlich frisch aussehende Topfpflanze rundeten das Bild ab.
Erst jetzt merkte er, dass links in der Wand noch eine Tür war. Zunächst war sie kaum aufgefallen, hatte sie doch im Gegensatz zu der Tür durch die er herein gekommen war die selbe Farbe wie die Wände.
Mit diesmal fast schon sanfter Gewalt wurde er auf den einen Stuhl gedrückt und seine Bewacher nahmen wieder schräg hinter ihm Stellung ein. Er blickte sich ein wenig um, bis er die Geräusche einer Tür hörte, die beim Schließen knallte. Das Geräusch musste hinter der zweiten Tür gewesen sein, und es hallte als wäre dort eine Kathedrale verborgen. Kurz darauf ertönten Schritte, ebenso hallend und langsam lauter werdend. Die Tür schwang auf und herein kam...
Isaac rang einen Moment nach Fassung, er konnte nicht glauben was er da sah.
Da stand er selbst und lächelte ihn an. Ein höhnisches, bösartiges Lächeln, aber ohne Zweifel sah dieser Mann ganz genau so aus wie er. Er trug sogar die gleiche Kleidung.
Vorsichtig schloss der Neuankömmling die Tür und umrundete, die Mundwinkel immer noch zu einem verschmitzen Grinsen verzogen, den Schreibtisch, um gegenüber von Isaac Platz zu nehmen.
„Hallo, Isaac. Du scheinst ein wenig überrascht zu sein mich zu sehen.“
Wie zur Hölle sollte das möglich sein? Sogar die Stimme klang gleich.
„Isaac. Kannst du dir denken, wer ich bin?“
„Nein.“ Nicht mehr als ein klägliches Flüstern, aber immerhin ein ganzes Wort.
„Ich bin du, Isaac. Dein neues Ich.“
„Ich verstehe nicht?!“
„Unsere Gesellschaft steht vor einem Wandel, Isaac. Die Krawalle in den Straßen der Großstädte nehmen nun schon seit Monaten kein richtiges Ende, egal wie stark dagegen vorgegangen wird. Immer wieder bäumen sich die revolutionären Kräfte auf, ohne auch nur zu merken, dass es keinen Sinn macht. Sie haben längst verloren, nicht nur die Schlacht, nein, der ganze Krieg ist längst entschieden. Die Armen und Unterdrückten werden weiterhin arm und unterdrückt bleiben, und die Reichen und Mächtigen bleiben weiterhin reich und mächtig. Und du, Isaac, auch du hast einen Platz in dieser Gesellschaft an dem es nichts zu rütteln gibt. Auch du bist ein Zahnrad, das sich im stetigen Mahlstrom der Geschichte dreht, bereit seinen kleinen Dienst zu erfüllen. Aber das Risiko das von dir ausgeht Isaac, das Risiko wird immer größer. Immer näher rutscht auch deine Kaste auf den Bodensatz unserer Gesellschaft zu, immer höher wird die Wahrscheinlichkeit, dass eines Tages auch du randalierend auf der Straße stehen wirst. Das auch du nach einen Machtwechsel begehrst. Verstehst du was ich damit sagen will, Isaac?“
Er verstand gar nichts. Was sollte das alles? Warum wurde er hier in dieses Kellerbüro gezerrt und musste sich einen Vortrag über die sozial-politische Situation der Weltunion anhören, von einem Kerl, der ihm bis aufs letzte Haar glich?
„Ich sehe schon Isaac, du verstehst nicht was ich dir sagen will.
Dieses System braucht einen effektiven Schutz gegen Individuen die den Bürgerkrieg immer weiter anheizen, immer größere Teile der Gesellschaft mit hineinziehen, auf der einen oder anderen Seite. Das System kann es sich nicht mehr leisten auf den Straßen gegen diese Kräfte vorzugehen. Die Polizei, die Geheimdienste und das Militär kommen bei dieser Aufgabe nicht mehr hinterher. Und darum müssen nun präventive Maßnahmen angewendet werden. Es muss sicher gestellt werden, dass die Bevölkerung zur Ruhe kommt. Und das geht langfristig nur, indem man selbst die Bevölkerung ist.“
„Wer bist du?“, versuchte er es nochmal.
Er hatte immer noch keine Ahnung was das alles sollte. Die Bevölkerung sein? Was wollte er ihm damit sagen?
„Isaac, ich habe dir schon gesagt wer ich bin. Ich bin du, dein neues Ich. Ich werde dich ersetzen.“
„Mich ersetzen?!“
„Ja, ich bin ein korrekter Teil dieses Systems. Ich berge kein Risiko in mir, ich bin berechenbar.“
„Bist du mein Klon?“
Jetzt lachte der Mann laut los.
„Nein; Nein ich bin kein Klon. Ich bin ein Roboter Isaac. Ich habe dich studiert, seit Wochen schon, mit all den Kameras die für Sicherheit sorgen und durch Auswertung aller deiner Tätigkeiten, deiner Arbeiten, deiner Freizeitaktivitäten. Ich habe dein Leben kennen gelernt und nun bin ich bereit du zu sein.“
„Das wird niemals klappen. Das kann nicht funktionieren! Ein Roboter kann einen Menschen nicht ersetzen!“
„Du glaubst das geht nicht? Du meinst du bist der Erste, den wir austauschen? Hat sich Susan bei eurem letzten Date etwa nicht genau so verhalten wie sonst auch?“
„Susan?“
„Ja, Isaac. Susan ist eine von uns. Auch Margaret wurde schon vor einiger Zeit ersetzt.“
Isaac's Mund klappte auf, das Blut sickerte immer noch langsam aus seiner Nase und tropfte von seiner Oberlippe. Susan ein Roboter? Und seine Mitarbeiterin Margaret auch? Das konnte nicht sein. Auf keinen Fall konnte das stimmen.
„Niemals!“
Das brüllte er heraus und richtete sich dabei kerzengerade auf, sprang auf.
„Ich glaube dir nicht! Du lügst!“
Die beiden Hünen drückten ihn zurück in den Stuhl und hielten ihn an seinen Schultern fest.
„Siehst du Isaac.“ Das Lächeln von vorhin war einem berechnenden Blick gewichen, aus dem man Ekel und Missgunst lesen konnte. „Siehst du was für eine Gefahr du für die Gesellschaft bist? Wie du ausrastest, obwohl ich so nett war dir alles zu erklären und dich nicht einfach nur verschwinden zu lassen?“
Jetzt blickte der neue Isaac auf die Uhr an seinem linken Handgelenk.
„Es ist spät, ich muss nach oben, meine Mittagspause ist gleich vorbei."
Er stand auf, ging zur Tür durch die Isaac vorhin hereingekommen war, öffnete sie und drehte sich noch einmal um, wieder mit einem Lächeln auf dem Gesicht. "Jetzt hab ich es gar nicht geschafft das Cordon-bleu zu essen, dabei hatte ich mich so darauf gefreut.“
Mit einem Krachen fiel die Tür hinter ihm ins Schloss.


© Lorenz H. P.


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Beschreibung des Autors zu "Isaac"

Eine dystopische Zukunftsvision die irgendwann in einer nicht näher spezifizierten Zukunft angesiedelt ist.




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