Liebe Studierende und Freunde des Längs-, Quer- und Diagonaldenkens,

der tiefgläubige Philosophieprofessor Robert Spaemann hat in einem Interview einmal gesagt: „Gott tut dem Menschen gut, er ist das Medikament, das wir brauchen, wir sollten es einnehmen“. Mir scheint diese Äußerung einem zweiten Satz sehr nahe zu stehen, nämlich dem Ausspruch von Karl Marx, dass Religion „Opium für’s Volk“ sei.

Auch Opium tut gut, aber eben nur einen kurzen Moment lang, nimmt man es über längere Zeit, dann zerstört es den Menschen.

Von Gott könnte man das Gleiche sagen: Im Moment des Gebetes, diesen Minuten der intensiven Hoffnung, dass er helfen möge, tut er gut. Spricht man der Droge Gott jedoch über längere Zeit zu, dann zerstört sie den Gläubigen. Warum ist das so?

Man wird süchtig und Süchtige sind besonders gut geeignete Zielgruppen für Machtmissbrauch. Drogenabhängige werden von kriminellen Banden missbraucht, und zwar nicht, weil sie diese Substanzen gelegentlich mal für einen Moment ausprobieren, sondern weil sie dauerhaft abhängig sind und ohne die ständige Versorgung mit der „guttuenden“ Droge nicht mehr auskommen.

Das ist bei allen Religionen genau so. Auch sie werden von kriminellen Banden missbraucht, um die, welche ihr anhängen, welche von ihr süchtig gemacht worden sind, zu Kriegen, Mord und Unterdrückung zu missbrauchen. Die Kreuzzüge, die Eroberung von indigenen Populationen unter dem Vorwand der Christianisierung, der Bombenterror in Irland, die islamistische Bedrohung – sie alle sind in Wirklichkeit Bandenkriege, bei denen Religionssüchtige missbraucht worden sind und dies immer noch werden.

Inzwischen existieren ja viele Gruppen, die sich zwar als Religion verstehen, jedoch die Existenz eines höheren Wesens namens Gott leugnen. Doch ob es nun einen Gott gibt oder nicht, dies ist nicht das eigentliche Problem, das Problem ist die Tendenz des Menschen, etwas, an das er glaubt, das ihm vielleicht einmal gutgetan hat, zur Dauerdroge werden zu lassen.

Die Evolution hat uns Egoismus mitgegeben, weil dieser dem Individuum eine höhere Überlebenschance gibt. Dies mag für umherschweifende Jäger und Sammler wichtig gewesen sein, heute jedoch, in einer Zeit, in der wir in Gesellschaften leben, sollten wir uns darauf besinnen, dass die Evolution uns auch den Trieb zur Kooperation, zur Akzeptanz des Anderen gegeben hat. Deshalb hat die Bedeutung dieses Verhaltens die höchste Priorität und muss den Egoismus verdrängen, denn es erhöht die Überlebenschance von Gemeinschaften, selbst wenn es den Einzelnen hin und wieder einschränkt.

Vieles, was in Urzeiten sinnvoll war, beispielsweise die Xenophobie und eben auch der Egoismus, ist in einer Zeit, in der es zur Kooperation innerhalb von Gesellschaften und letztlich innerhalb der Gemeinschaft „Menschheit“ ankommt, nicht mehr sinnvoll; sondern den ersten Platz auf der Bedeutungsskala nimmt heute vielmehr die Fähigkeit ein, diese Triebe durch Vernunft zu unterdrücken.

Alle Gesellschaften, in denen das noch nicht erkannt worden ist, werden letztlich daran zugrunde gehen, dass sie den Egoismus nicht im Griff haben. Ein gutes Beispiel sind die spätkapitalistischen Gesellschaften. In ihnen herrscht der Glaube, dass allgemeiner Egoismus sich sozusagen selbst kanalisiert und zu einem letztlich vernünftigen System des Zusammenlebens führt. Dabei könnte dieses Verhalten eigentlich am ehesten durch den dümmlichen Spruch „wenn jeder an sich selbst denkt, ist letztlich an alle gedacht“ beschrieben werden. Und der Kapitalismus, der den Egoismus zum Dauergebrauch empfiehlt, wird – wie zuletzt jede Ideologie – zu einer Ersatzreligion und entwickelt unweigerlich zerstörerische Tendenzen.

Was also ist Menschen zu empfehlen, die eine friedliche Welt anstreben?

Durchaus hin und wieder zu glauben und sei es an Gott, an Engel oder auch – wenn es unbedingt nötig erscheint – an den Beipackzettel der Religionsdroge, der sich Bibel nennt. Sie sollten durchaus auch an sich selbst denken, sollten auch Vorsicht vor Fremden und ganz generell vor Fremdem haben – aber die Vernunft dazu einzusetzen, den Gebrauch dieser Medikamente auf allerhöchstens gelegentliche Einnahmen zu beschränken und sie nicht zur Sucht werden zu lassen. Sonst nämlich gehen sie an ihnen zu Grunde.

Vielleicht gibt es ja einen Gott, ja, vielleicht ist sogar er eine Droge. Ich hoffe indes intensiv, dass diese Droge „Gott“ letztlich die Vernunft sein wird. Zumindest ist sie das einzige Medikament, das erwiesenermaßen auch bei Dauergebrauch nicht zur Sucht führt, da es sich ja ständig selbst kontrolliert.

In diesem Sinne danke ich Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen Gesundheit und sogar Gläubigkeit, sofern diese sich durch Glauben an die Vernunft auszeichnet.

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© Peter Heinrichs


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Beschreibung des Autors zu "Über Religion und deren Dauergebrauch (Episode 36)"

Ein neuer Vortrag des Querdenkers Professor Dr. Anatol Schwurbelzwirn, dessen Ideen durchaus nicht immer durch Absurdität gekennzeichnet sind, sondern hin und wieder sogar durch nicht uninteressante Erkenntnisse.

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Kommentare zu "Über Religion und deren Dauergebrauch (Episode 36)"

Re: Über Religion und deren Dauergebrauch (Episode 36)

Autor: possum   Datum: 30.07.2020 1:10 Uhr

Kommentar: Danke dir lieber Peter, wieder gerne in deinem Werk angehalten,

lieben Gruß!

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