Liebe Studierende und Freunde des Längs-, Quer- und Diagonaldenkens,

würden wir Macht als etwas definieren, das einen Menschen dazu ermächtigt, andere zu unterdrücken, wäre das zu kurz gesprungen.

Es gib Macht, die einem Menschen verliehen wird. Im besten Fall anerkennt ihn eine Gruppe aus einem alle Gruppenmitglieder umfassenden Gemeinschaftswissen oder einer entsprechenden Überzeugung, als den Kompetensten, die Probleme zu lösen, vor denen die Gruppe steht.

Nicht ohne Grund geschieht ein derartiger automatischer Autoritätszuwachs vor allem in Krisenzeiten, in denen keine Zeit ist, der Autoritätsausübung die normalen und in der Demokratie sogar zwingenden Diskussionen über die Notwendigkeit, Richtigkeit, Rechtmäßigkeit und Verhältnismäßigkeit der Entscheidungen vorangehen zu lassen. Man vertraut darauf, dass die Autoritätsperson, die richtigen Entscheidungen fällt. Zumindest aber, dass – sollten diese Entscheidungen auch negative Folgen haben – diese geringer ausfallen, als die Folgen der Krise, die die Gruppe zu bewältigen hat.

Wer seine Mitwirkung in solchen Situationen versagt, wird nicht nur vom Anführer geächtet, sondern meist auch von der gesamten Gruppe.

Diesem an sich wertfreien Begriff Autorität, also der Führungseigenschaft, steht der Begriff „Macht“ gegenüber. Macht wird selten zugunsten des Wohlergehens der Gruppe ausgeübt, und wenn, so geschieht dies nur in einer kurzen Phase, die aber sehr schnell davon abgelöst wird, dass der Mächtige seine Macht missbraucht.

Er missbraucht sie, um Andersdenkende zu unterdrücken, und zwar nicht so sehr deshalb, weil ihre Ansichten das Wohlergehen der Gruppe schmälern, sondern weil sie seine persönliche Machtausübung in Frage stellen.

Mit jedem Machtzuwachs wird der Mächtige misstrauischer, denn er befürchtet, dass ihm andere die Macht nehmen könnten. Alle Machthaber dieser Welt haben immer eine Geheimorganisation, einen Geheimdienst an ihrer Seite, dessen Hauptaufgabe es ist, Putschversuche gegen den Machthaber im Keim zu ersticken. Institutionen, die den Machthaber kontrollieren sollen, werden möglich schnell zerschlagen oder zumindest mit Personen besetzt, die in gleiche Horn stoßen wie der Machthaber selbst.

Machthaber, ich möchte sie im Weiteren als Diktatoren bezeichnen, sind zwangsläufig einfallslos, veränderungsfeindlich, sie bestehen in der Regel auf der Fortführung bekannter Strukturen.

Denn hätten sie Fantasie, dann würden sie von Machtstufe zu Machtstufe einen zunehmenden herberen Verlust empfinden.

Je mächtiger der Diktator wird, desto weniger getrauen sich die von ihm Unterdrückten, Gedanken zu äußern, die außerhalb der Machtabsicherung des Tyrannen liegen. Denn immer mehr sind es nur noch diese, die den Diktator interessieren.

Es entwickelt sich dadurch eine Form des vorauseilenden Gehorsams, die alle Untergebenen dazu veranlasst, den Diktator niemals mit Gedanken zu konfrontieren, die denjenigen widersprechen, die der Diktator selbst geäußert hat. Sie werden also von Beratern oder Warnern zu bloßen Bestätigern.

Von Stufe zu Stufe erfährt der Diktator also weniger von dem, was die Gruppe voranbringen könnte. Vor Stufe zu Stufe schwindet damit auch die Anzahl deren, mit denen sich aus seiner Sicht eine Diskussion oder auch nur ein Gespräch lohnen würde.

Am Ende ist der Diktator auf dem Gipfelpunkt der Macht angelangt und damit auch zugleich auf dem Gipfelpunkt der Langeweile. Er befindet sich dann „lonely at the top“, alleine mit seinen eigenen Gedanken, die keine Befruchtung von außen mehr erfahren. Diese in ihrer Substanz immer mehr verarmenden Gedanken erfahren nur noch allseitige Bestätigung, was den Diktator zu dem Fehlschluss verleitet, sie für die einzig wichtigen und richtigen zu halten.

Dieses Stadium des Stillstands, das ja auch den Stillstand einer Gruppe, beziehungsweise einer Gesellschaft nach sich zieht, ist zugleich auch die Zeit der Revolutionen. Die Gesellschaft will den Stillstand abschütteln.

Zum Schluss sein angemerkt, dass auch Revolutionen eine Schwachpunkt haben. Ihnen liegt der Wunsch zugrunde, das was zur Zeit vorherrscht, zu beenden. Es mangelt aber fast immer ein Plan für das Neue, das dem Stillstand folgen muss.

Revolutionen zerstören also Überwindenswertes, schaffen aber selten Erstrebenswertes.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen den Mut, neuen Gedanken interessiert gegenüberzutreten, und niemals mit Angst vor eigenem Machtverlust.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.




© Peter Heinrichs


1 Lesern gefällt dieser Text.



Beschreibung des Autors zu "Über Autorität, Macht und Langeweile (Episode 25)"

Ein neuer Gedankengang von Prof. Anatol Schwurbel. Langsam werden mir dessen Vorträge zu ernsthaft, ich werde mit ihm in Verbindung treten und ihn um ein paar Ausfallschritte ins Reich des Absurden bitten.

Diesen Text als PDF downloaden




Kommentare zu "Über Autorität, Macht und Langeweile (Episode 25)"

Re: Über Autorität, Macht und Langeweile (Episode 25)

Autor: possum   Datum: 29.03.2020 3:25 Uhr

Kommentar: Gerne ... aufmerksam wieder eingelesen, lieben Gruß, ach ... lieber Peter es darf schon gerne ernsthaft sein, ist denn nicht Vieles im Sein ... absurd ... grins, wenn es um den Menschen geht!

lieben Gruß!

Kommentar schreiben zu "Über Autorität, Macht und Langeweile (Episode 25)"

Möchten Sie dem Autor einen Kommentar hinterlassen? Dann Loggen Sie sich ein oder Registrieren Sie sich in unserem Netzwerk.