Es war einmal ein König, der glaubte, er sei ungeheuer wichtig für sein Volk, für sein Land, für die Welt, für das Universum und für alles Übrige.

„Wer sollte wohl die geringsten Zweifel an meiner Wichtigkeit haben, wenn ich nur ein Wort zu sprechen brauche, und alles tanzt nach meiner Pfeife? Und wer sollte mich nicht für den bedeutendsten Menschen halten, der je auf dieser Erde geboren wurde, wenn jeder die Knie beugt, falls ich ihm gestatte, das Wort an mich zu richten?“ So dachte der König.

Der König hatte einen Kreis von Beratern und Ministern um sich, weil das seit Bestand seines Reiches schon immer so gewesen war. Dieser Kreis bestand aus den erfahrensten und klügsten Köpfen des Landes. Das bedeutete jedoch nicht, dass der König auf den Rat dieser klugen Leute gehört hätte. Er sagte und befahl das, was ihm gerade einfiel, wie undurchdacht und dumm es auch war. Man hatte manchmal den Eindruck, dass die Dinge ihm so schnell und unüberlegt durch den Kopf gingen, weil in diesem Kopf sehr wenig war, was sich seinen unbedachten Äußerungen hätte entgegenstellen können.

„Wie kann ich jedem, auch dem dümmsten Bauern in meinem Reich sofort klar machen, wie wichtig ich bin, wie ungeheuer bedeutend meine Person für die Weltgeschichte ist?“ Dieser Gedanke bewegt den König unausgesetzt. Und dann kam ihm eine Idee: „Das erste, was man sieht, wenn man mir gegenübersteht, sind meine Kleider, also müssen diese sofort Pracht und Wichtigkeit vermitteln. Deshalb sollen sie mit dem teuersten geschmückt werden, das es gibt. Mit echtem, hochkarätigem, massivem Gold“.

Und er erließ umgehend ein Gesetz, dass er hinfort „REX AURARIUS“ genannt werden sollte, was auf Lateinisch „Goldkönig“ bedeutete, und dass sein Name ausschließlich in mir Goldfarbe ausgemalten Großbuchstaben geschrieben werden musste.

Dann ließ er Goldschmiede und Schneider kommen und befahl ihnen, neue Kleider für ihn zu entwerfen. „Es müssen großflächige Kleidungsstücke sein, damit viel Gold Platz auf ihnen hat, befahl er den Schneidern. Und die Goldschmiede mussten die herrlichsten Dinge entwerfen, die sich vor allem besonders gut dazu eigneten, an Kleidungsstücken befestigt zu werden. Schon am ersten Tag heftete er sich die herrlichsten Goldkreationen an seinen Purpurmantel und befahl den Goldschmieden augenblicklich, noch schönere Objekte zu gestalten.

Und so ging es weiter. Jeden Morgen defilierten die begabtesten Goldschmiede an seinem Thron vorbei und offerierten ihm auf schwarzen Samtkissen kleine und größere güldene Kreationen.

Künstliche Vögel waren dabei, die ihre goldenen Flügel flattern lassen konnten, wenn sie durch die Körperbewegungen des Königs auch nur leicht angerührt wurden. Blumen aus Gold, die ihre Blütenkronen entfalteten, wenn sie ein Windhauch berührte. Schmetterlinge und Libellen mit hauchdünnen fast durchsichtigen Flügeln, seltene Tiere mit beweglichen Köpfen und Gliedmaßen und noch vieles, vieles mehr, eines schöner und kunstvoller als das andere und alles aus hochkarätigem Gold.

Doch der König jagte neun von zehn der Schmiedekünstler davon und rief ihnen nach, dass sie sich nie wieder sehen lassen sollten, wenn sie es wagten, noch einmal solchen Schund zu präsentieren. Die kleine Anzahl von Schmiedekünstlern, die vor seinen Augen Gnade fanden, waren aber nicht diejenigen, die die herrlichsten Dinge schufen, sondern vor allem diejenigen, die die schwersten und auffälligsten Goldapplikationen entworfen hatten. Die heftete sich der König an seine Kleider und paradierte damit stolz durch die Räume des Palastes.

Nach etwa einer Woche spürte der König einen kurzen stechenden Schmerz in den Knien, der aber durch eine Massage und Einreibungen mit kühlenden Essenzen von seinen Ärzten schnell behoben werden konnte. Dass einer der Ärzte leise den Satz „seine Kleider sind einfach zu schwer“ vor sich hin murmelte, überhörte er. Denn ihm war lediglich das wichtig, was er selbst sagte.

Nach einigen weiteren Wochen hatten die Höflinge den Eindruck, dass der König etwas kleiner geworden war. Sie schwiegen jedoch, denn es wagte am Hofe keiner, das zu sagen, was er wirklich dachte.

Es war aber wirklich so, der König war durch die Last seiner Kleider geschrumpft. Es dauerte auch nicht lange, bis sein Kopf kaum noch über den Pelzkragen hinausragte. Wenn der König einen Befehl erteilen wollte, musste er etwas in die Höhe springen, damit sein Kopf während er sprach für einen kurzen Augenblick aus den Kleidern auftauchte, Das sah ziemlich albern aus, und die Höflinge mussten ihr amüsiertes Grinsen sorgfältig hinter den vors Gesicht gehaltenen Händen verbergen.

Schließlich ließ sich der König Löcher in den Brustbereich seiner Gewänder schneidern, damit er überhaupt etwas sehen konnte, und im Palast nicht blind gegen Säulen und Wände lief.

„Das ist zwar ärgerlich“, dachte er sich, „aber es ist wichtiger, dass man meine Bedeutung sofort an meiner königlichen Bekleidung erkennen kann. Der Kopf ist ja nicht so wichtig. Natürlich haben die schweren Goldbesätze ja auch schon überall Löcher in den Samt und die Seide meiner Gewänder gerissen, aber das kann ja keiner sehen, denn es wird durch eine Schicht von goldenen Kunstwerken verdeckt. Und außerdem kriege ich so auch besser Luft. Hauptsache man sieht die Spitzen der Krone noch“.

Die waren aber nach kurzer Zeit auch nicht mehr zu sehen, deshalb ließ er die herrliche, mit Diamanten verzierte Krone oben auf der Lehne seines Thronsessels befestigen, und jeder mussten sich auch dann verbeugen, wenn der König selbst gar nicht auf dem Throne saß.

So ging es weiter. Der König wurde immer kleiner, und schließlich wusste keiner mehr, ob er überhaupt noch vorhanden war. Die Putzfrauen, die jeden Abend in den Palast strömten, um alle Ecken zu reinigen und die herrlichen Gemälde und den großen Thronsessel sauber zu wischen, bemerkten schnell, dass der König es gar nicht mehr merkte, wenn sie ihm hier und dort eine Goldapplikation von der Kleidung abrissen. Dass dabei die Gewänder noch mehr Löcher und Risse bekamen, war ihnen gleichgültig. Und da sie durchweg einen äußerst armseligen Lohn bekamen, reichte jeder von ihnen auch nur einer dieser kleinen Diebstähle, um für den Rest ihres Lebens wenigsten täglich etwas essen zu können.

Langsam verschwand so eine der Goldverzierungen nach der anderen. Die Kleider wurden längst nicht mehr durch die Gestalt des König aufrecht gehalten, sondern nur noch durch die letzten verbliebenen goldenen Besätze. Als aber auch diese nach und nach gestohlen wurden, sanken die mittlerweile gänzlich zerrissenen Kleider des Königs in sich zusammen, und glichen nun einem Haufen Lumpen, den irgend jemand achtlos in eine Ecke des Palastes geworfen hatte.

Der oberste Minister sah diesen Haufen und befahl den Putzfrauen, ihn auf den Müll zu werfen. Ob in dem Lumpenbündel noch Reste des so ungeheuer bedeutenden Königs vorhanden waren, überprüfte weder der Minister, noch interessierte es die Putzfrauen, von denen sich eine ganz zum Schluss die letzte vergessene goldene Blume vom Kragen der Königsrobe pflückte, bevor sie – und hier endet diese Geschichte – das Bündel im königlichen Müllbehälter versenkte.


© Peter Heinrichs


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