Es mochte vor langer Zeit gewesen sein oder erst vor ein paar Tagen, als ich es traf – und ich muss sagen: sein Anblick war schockierend! Riesenhaft baute es sich vor mir auf. Es verdunkelte den Horizont und es reichte von dort aus (vom Horizont) bis an die Grenzen der Weisheit.

Es waberte, pulsierte, äußerte sich unverständlich, aber auch unmissverständlich. Es duldete keinen Widerspruch und die Eigendynamik seines gewaltigen Verdauungsapparates versetzte mich derart in Staunen, daß ich lange Zeit sprachlos blieb.

Ganz besonders beunruhigte mich seine Zunge. Damit fuhr es sich immer wieder über die Lippen und bekundete jedes Mal dabei wie schmackhaft ich aussähe. Sein Appetit sei unersättlich gestand es mir. Andauernd brauche es Nachschub für seine Masse, da es sonst in seinen Einzelteilen nicht funktionieren könne.

Aber ich ließ mich nicht so einfach einverleiben und fragte scheinheilig nach den näheren Umständen seines Befindens und seiner Befindlichkeiten. Und da ich jedes Mal, wenn es nach mir schnappen wollte, unerträglich zu stinken begann versuchte es mir schließlich zu erklären wie es um seine Ansprüche stehe.

„Du stirbst ja nicht wenn du dich von mir einverleiben lässt“ erklärte es mir. „Ich bin nur dem Anschein nach eine Gesamtheit. In Wirklichkeit bestehe ich aus Millionen Einzelwesen, die alle eine bestimmte Aufgabe haben. Du wirst nur ein Teil von einem Ganzen und du musst halt sehen wo du darin bleibst“.

„Was für Aufgaben versehe ich denn dann?“ frage ich um Zeit zu gewinnen.
„Kannst du dir das nicht vorstellen? Mein Hirn, der Steuerungsapparat, verlangt täglich nach Abgaben, er will verwalten, zuteilen und vor allem abkassieren“.

„Das erscheint mir ein wenig suspekt“ meinte ich trocken, während das seltsame Gebilde wieder einmal nach mir schnappte.
„Wo liegt denn da der Sinn?“ rief ich entsetzt aus und wich, mehr oder weniger geschickt, zurück.

„Der Sinn liegt darin, die Gemeinschaft auf eine ganz bestimmte Weise zu erhalten…“
„Auf welche Weise?“
„Die Arbeitskraft der einzelnen Einheit – sprich `Mensch´ - ist das oberste Gut. Davon profitieren alle und ganz besonders die ViPs. Die ViPs wiederum stimulieren die Organe dahingehend, eine bestimmte Richtung beizubehalten.

Daraus folgt ein scheinsoziales Verhalten, dessen Hintergrund darin besteht, daß keiner wirklich zu etwas kommen kann (außer denen die schon was haben). Selbstverständlich ist es auch nötig die Arbeitenden andauern zu täuschen und zu vertrösten.“

„Wie?“
„Man gibt ihnen zum Beispiel eine nette kleine Lohnerhöhung, erhöht aber gleichzeitig Steuern und Preise, so daß immer alles beim Alten bleibt. Das nennt man `Kontinuität`! Ich muss nur aufpassen daß keiner zu sehr übertreibt, denn gewissen Teilen meines funktionierenden Gesamtorganismus muss ich ja Narrenfreiheit einräumen.“

„Ach so?“
„Logisch, es gibt anerkannt-gültige Grundsätze, die für alle Wesen meiner Art gelten, die sozusagen auf alle übergreifend, global wirksam sind. Da muss ich mich nebulösen Mächten beugen, jenen, die unsere Glaubenssätze, wie den der sogenannten „Freien Marktwirtschaft“ verkörpern“.

„Wie soll ich mich, wenn du so verrückt bist, denn dann gerne deinen Ansprüchen unterordnen?“ protestierte ich lautstark.
„Du hast doch keine Wahl!“ dieser Ausspruch kam mir, mit einem Schwall heißer, verbrauchter Luft, wie aus einem Drachenmaul entgegen. „Andernfalls wirst du verhaftet, interniert, exekutiert. Allen die sich mir (und der Gesamtverschwörung der Herrschenden) verweigern geht es mit der Zeit so“.

„Dann werde ich dich, dann werde ich euch schmähen und jedem verkünden, daß ich das niemals freiwillig tun werde, was man von mir verlangt, denn eines Tages – fern oder nah – wirst du dich und deinesgleichen (die ganze Brut), wie alle deine Vorgänger, selbst ad absurdum führen. Dann möchte ich nicht in der Reihe derer genannt sein die verführt wurden“.

„Das gilt für irgendwann. `Nach mir die Sintflut` heißt der Sinn des Augenblicks und seiner prosperierenden Protagonisten. Ich bin nicht umsonst deine oberste Instanz, sieh das endlich ein!“
„Schwer verdauliche Sätze“ dachte ich bei mir.

Dunkel und schwer war die Luft. In weiter Ferne, an einem unbestimmbaren Erdenrand, sehe ich einen gewaltigen Engel. Er hat eine Feder in der Hand und ein Tintenfass vor sich auf seinem Pult, an dem er von rosa Schwaden umwölkt steht. Er schreibt alles mit. Sein kindliches Antlitz leuchtet verschmitzt, von einem inneren Licht erhellt, das ihn unbeschreiblich liebenswert aussehen lässt.

Ich schmelze, vor lauter Hingabe und Verehrung, bei so viel Anmut und passe einen Augenblick lang nicht auf. Da kommt es über mich. Das Staatswesen hat mich geschnappt, es hat mich einem Moloch einverleibt und ich taste mich im Dunkel seines morbiden Inneren nach vorn.

Wo aber vorne und hinten ist kann ich nicht mehr ermitteln. Meine Sinne sind betäubt und meine Absichten unterliegen plötzlich einer ganz bestimmten Zielrichtung. Nur ein Gedanke prägt noch meine arme Seele. Er wiederholt sich in zahllosen Echos und lautet schlicht und ergreifend: zahlen, zahlen, zahlen…


© Alf Glocker


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Kommentare zu "Eine Begegnung der inakzeptablen Art"

Re: Eine Begegnung der inakzeptablen Art

Autor: humbalum   Datum: 25.03.2019 15:49 Uhr

Kommentar: Du hast eine gute Sprache! Ein nüchterner erfrischender Stil! Klaus

Re: Eine Begegnung der inakzeptablen Art

Autor: possum   Datum: 25.03.2019 22:42 Uhr

Kommentar: Wie wahr du die Dinge erkennst und großartig in deine Werke bindest, liebe Grüße an dich lieber Alf!

Re: Eine Begegnung der inakzeptablen Art

Autor: Alf Glocker   Datum: 26.03.2019 12:21 Uhr

Kommentar: Vielen Dank liebe Freunde!

Liebe Grüße, Alf

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