Es war einmal… Diese Floskel wird immer wieder benutzt um eine Geschichte einzuleiten, die bereits abgeschlossen ist. Doch was ist mit den Geschichten, die zwar erzählt sind, aber deren Ereignisse Dinge in Bewegung gesetzt haben, Wellen geschlagen haben, die bis ins Jetzt und darüber hinaus Auswirkungen haben. Doch darum geht es dabei doch gar nicht. Es geht um die Geschichte selbst. Um die Emotionen, die Tränen und das Lachen der Wesen in den Worten. Drum lasst mich euch eine solche Geschichte erzählen. Also schenkt mir ein kleines Bisschen eurer Zeit und hört mir zu. Denn diese Geschichte will erzählt und gehört werden.

Einst gab es drei Freunde. Einen Mann und zwei Jünglinge, ein junger Mann mit einer Güte und Freundlichkeit, die selbst das kälteste Eis zum Schmelzen bringen konnte, und eine junge Dame die ein großes Herz hatte, das von einem Schatten verfinstert wurde. Der Mann war eine Art Beschützer der anderen Beiden, aber auch ihr Freund. Dem Zufall war es zu verdanken, dass sich diese drei eines Tages trafen. Oder vielleicht war es Schicksal. Auf jeden Fall waren sie immer füreinander da. Halfen sich, lachten und weinten zusammen, und gingen gemeinsam ihren Weg voran. Sie waren eine Familie.

Doch das Glück wollte nicht ewig halten. Eines Tages entdeckte das junge Mädchen die Wahrheit über ihre Existenz. Und dass sie Schuld sein würde am Verschwinden eines ihrer Freunde, wenn sie noch länger bei ihnen bleiben würde. Zu Beginn wollte sie es nicht wahrhaben. Und so setzten die Freunde ihre Reisen fort. Leider lässt sich die Wahrheit selten verdrängen. Immer wieder wird sie versuchen hervorzubrechen, solange bis man sie nicht mehr wegsperren und vergessen kann. Der junge Mann wurde plötzlich immer schwächer, bis er unfähig wurde die Reise mit seinen Freunden fortzusetzen. Das Versprechen zu halten, welches sie sich am Anfang der gemeinsamen Reise gaben. Einmal das Meer zu sehen.

Aus Angst ihn vollständig zu verlieren wandte sich das Mädchen an den Mann. Ihren Freund und Beschützer. Und sie erzählte ihm von der Wahrheit, die sie in ihrem Herzen verschlossen hielt. Jedoch wusste der Mann bereits von der Wahrheit. Aber aus Liebe und Zuneigung zu seiner Freundin konnte er ihr nicht sagen, was sie tun sollte. Den er wusste, was sie tun würde. Und so gab er ihr ein Versprechen. Halb aus Liebe, halb aus Angst seine Freunde zu verlieren. Er würde seine Freunde unter allen umständen wieder zurückbringen, egal was es kostet.

Am Ende entschied sich das Mädchen ihre Freunde zu verlassen. Sie war weg ohne ein Wort zu sagen. Als der junge Mann seinen Freund fragte, warum sie gegangen war, erhielt er von ihm keine Antwort. Der Mann wollte, dass sie ihren Weg fortsetzten. Ohne das Mädchen. Doch der Verlust wiegte schwer auf ihren Herzen. Mit der Zeit verschloss sich der Mann immer mehr vor seinem Schützling, der nicht verstand, warum sein Freund das Mädchen zurückgelassen hatte. Warum er nicht nach ihr suchte. Die beiden Entfremdeten sich. Irgendwann erfuhr der Jüngling die Wahrheit über seine Freundin. Und auch dem Mann wurde die ganze Wahrheit offenbart. Ihre Freundin war eine Hülle. Angefüllt mit den Gefühlen und den Erinnerungen an jemand anderen. Sie war nicht wirklich da. Sie existiert nur als Echo an jemanden der nicht da ist.

Trauer und Verzweiflung erfüllten den Jüngling. Sein Herz wollte nicht hören was man ihm sagte. Erneut suchte er Antworten von seinem Freund und Beschützer. Aber als Antwort erhielt er nur Schweigen und den Rat, sie zu vergessen. Wut flammte in ihm auf. Er wollte, dass alles wieder so war wie früher. Also traf er die einzige Entscheidung, die sein Herz zuließ. Er verließ seinen Freund um nach seiner Freundin zu suchen. Er war bereit alles hinter sich zu lassen. Ein letztes Mal versuchte der Mann ihn aufzuhalten. Doch er ging hinaus in den Regen der unaufhörlich fiel. Er verließ sein Zuhause. Den einzigen Ort, den er bisher gekannt hatte.

Der Junge lief solange ihn seine Füße tragen. Das eine suchend, ohne das sein Zuhause kein Zuhause mehr war. Für ihn war sie keine Hülle, für ihn war sie ein wichtiger Teil seines Lebens. Etwas ohne das er nicht weitermachen konnte. Sein Zuhause hatte ihn verraten. Als war er gegangen. Auf der Suche nach dem einen Ding, was sein Leben ausfüllen würde. Oder so hoffte er.

Der Mann blieb zurück. Tränen und Trauer in seinem Herzen. Am Ende wurde ihm aufgetragen die Hülle zurückzubringen. Schweren Herzens machte er sich auf den Weg um sie zu finden. Seine Pflicht tuend, wie so viele Male zuvor.

Er fand sie, bei den Mauern eines alten Anwesens. Eine weiße Frau lebte dort und hatte ihr nochmal bestätigt was sie schon lange wusste. Wenn sie blieb, würde ihr Freund verschwinden. Sie würde seinen Platz einnehmen und dadurch wirklich sein. Aber das wollte das Mädchen nicht. Sie wollte nicht auf den Kosten ihres Freundes sein. Sie wollte lieber selber verschwinden, als ihn zu verlieren. Und sie wollte, dass er es tut. Wissend, welche Last sie ihm auf die Schultern legte. Der Mann kam, als sie gerade das Anwesen verlassen wollte. Sein Herz war schwer und so brüllte er ihr seinen Frust entgegen. Seine Freunde waren gegangen, ohne auch nur an ihn zu denken. War weggelaufen, weil sie die Wahrheit hatten nicht verkraften können. Doch was war mit ihm, der zurückgeblieben war. Sollte er alleine mit ihren Entscheidungen leben. Sie waren seine Freunde und er würde alles tun um sie zurückzubringen. Immer wieder, egal wie oft es nötig wäre. Tränen stiegen dem Mädchen in die Augen. Dieser Akt der Freundschaft erfüllte ihr Herz. Doch ihr Entschluss stand fest.

Schweratmend lief der Mann über die Straßen. Er war schwach, aber er durfte nicht aufgeben. Auf seinen Schultern liegt bewusstlos seine Freundin. Er trägt sie nach Hause, so wie er es versprochen hatte. Der Weg bis hierhin war schwer gewesen. Seine Verletzungen schmerzten und er spürte, dass er mit jedem Schritt schwächer wurde. Sein Blick wird schwer, seine Schritte kürzer. Er konnte die Mauern seines Zuhauses bereits sehen. Nicht mehr weit, nur noch wenige Schritte. Doch dann verlässt ihn die Kraft und er sackt zusammen. Schwärze schiebt sich in seinen Blick. Mit letzter Kraft versucht er bei Bewusstsein zu bleiben. Er ruft nach Hilfe, unsicher ob ihn überhaupt jemand hörte. Da sieht er Schuhe auf sich zukommen. Die Schuhe gehen zu dem bewusstlosen Mädchen, heben sie auf. Eine Stimme spricht zu ihm, beglückwünscht ihn zum Abschluss seiner Aufgabe. In diesem Moment erkannte der Mann die Stimme und im gleichen Moment verfluchte er sich selbst. Dann verschwand sein Blick, während die Stimme das Mädchen wegträgt und ihn zurücklässt. Schwärze, er wusste nicht wie viel Zeit vergangen war, doch irgendwann war noch jemand gekommen und hatte ihn nach Hause getragen. Er wusste nicht wer oder warum. Aber in seinem Herzen lag Trauer. Nun hatte er sie endgültig verloren.

Das Mädchen erwachte. Um sie herum war es nass und kalt. Sie konnte nicht sehen, also tastete sie in der Dunkelheit. Da war Wasser und Glas. Und das Wasser strömte über sie hinweg. Sie konnte es spüren. Sie wusste wo sie war und Panik ergriff sie. Mit aller Kraft versuchte sie auszubrechen. Immer wieder schlug sie in der Finsternis gegen das Glas. Immer und immer wieder. Sich an Angst und Verzweiflung haltend. Irgendwie schaffte sie es, das Glas zersprang und das Wasser verteilte sich mit ihr auf dem kalten Boden. Sie stand auf. Nass und verzweifelt wanderte sie durch die Dunkelheit. Irgendwann fand sie den Ausgang und ging hindurch. Die Zeit lief ihr davon.

Der Junge saß am Rande des Turms und lächelte traurig. Er war nicht wirklich weitgekommen. Er wusste nicht einmal wo er hingehen sollte. Eine ganze Weile war er nur gegangen, ohne Ziel und ohne Richtung. Irgendwann hatten seine Beine ihn hierhergetragen. An diesen schicksalsvollen Tag. An dem Tag, als er und der Mann, hier gewesen waren und auf das Mädchen trafen. Und nun hatte er instinktiv wieder hierher gefunden. Er war die Stufen zum Uhrenturm hinaufgestiegen und hatte sich auf die Brüstung gesetzt. Wie er schon so oft getan hatte. Doch diesmal war er allein. Von dem Mann und dem Mädchen war keine Spur. Also lächelte er traurig und schaute in die untergehende Sonne, deren Licht die umliegende Stadt in ein warmes Rot tauchte. Ein Geräusch ließ ihn herumschrecken.
Eine Person stand am Aufgang zum Uhrenturm. Die Person trug einen Umhang. Die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Die Person sprach seinen Namen und da wusste der Jüngling wer die Person war.

Gemeinsam saßen sie an der Brüstung und blickten in den Sonnenuntergang. Sie hatten nicht viel gesprochen, seitdem er sie erkannt hatte. Aber es war ein gutes Gefühl sie wieder bei sich zu wissen. Zu lange waren sie getrennt gewesen. Doch irgendetwas war an ihr anders. Er konnte nicht sagen was und es kümmerte ihn auch nicht. Er hatte sie wieder, das war alles was zählt.

Irgendwann hatte er sie gefragt, wohin sie jetzt gehen wollen. Aber sie sagte, dass er und sie zuvor noch etwas tun müsste. Sie stand auf und legte ihre Kapuze zurück. Er verstand nicht, was seine Augen sahen. Seine Freundin sah plötzlich aus wie er und doch auch nicht. Sie erklärte, dass sie in ihrer Aufgabe als Hülle fast zu ihrer Vollendung gekommen ist. Und das bedeutet, dass sie nun seinen Platz einnehmen kann. Dafür müsste er nur noch verschwinden. Doch, dass wollte sie nicht zulassen.

Noch bevor der Jüngling etwas tun konnte, trat seine Freundin vor sich ins nichts und fiel.

Er sprintete nach unten zum Fuß des Turms. Kann nicht glauben, was gerade passiert ist. Will es nicht glauben. Sich an die Hoffnung klammernd rennt er so schnell wie er kann. Irgendwann ist er unten angekommen. Da merkt er, dass irgendetwas fehlte. Warum war er gerannt? Er wusste es nicht. Da bemerkte er die Person vor sich auf dem Boden. Schnell läuft er zu ihr. Es ist ein Mädchen. Er versucht sie wachzurütteln. Sie öffnet langsam die Augen. Trauer liegt in ihrem Blick. Du darfst nicht sterben, sagt er ihr. Doch sie lächelt nur schwach. Es sei in Ordnung. Langsam beginnt sie sich aufzulösen. Und da erinnert er sich. Er ruft ihren Namen und Erstaunen huscht über ihr Gesicht. Er erinnerte sie an ihr Versprechen und was nun daraus werden würde, ein letzter Versuch. Sie entschuldigt sich mit Tränen in den Augen. Und doch lächelt sie. Der Jüngling weint bittere Tränen, doch sie wischt sie weg. Er sollte Leben, weitergehen. Das war ihr letzter Wunsch. Immer weiter löste sie sich auf. Ihr Leben als Hülle war vorbei. Mit letzter Kraft bat sie den Jüngling um ein weiteres Versprechen. Unter Tränen und Verzweiflung gab er es ihr. Dann verschwand sie. Ihre letzten Worte waren…Danke.

Der Mann erwacht, sein Körper schmerzt, doch er wusste nicht, warum. Er richtet sich auf und blickt sich um. Er war Zuhause. Plötzlich spürt er etwas nasses über seine Wange laufen. Es war eine Träne. Auch wenn er nicht wusste warum er weinte.

Erinnerungen. Sie sind das Fundament von Geschichten und Persönlichkeiten. Jede Erinnerung beeinflusst unsere Geschichte. Verändert uns auf einer fundamentalen Ebene. Und zu jeder Erinnerung gehören Schlüssel. Aus dieser Geschichte sind zwei dieser Schlüssel entstanden. Ein weißer Schlüssel, die Erinnerungen eines Versprechens tragend, und ein schwarzer Schlüssel, der die Erinnerungen des Verlustes symbolisiert und den Wunsch zu Vergessen was man nicht vergessen darf.

Diese Geschichte mag erzählt sein. Doch war auch sie nur Teil einer viel größeren Geschichte.


© Sora Hataki


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