Die leeren Seiten, beschrieben mit den einzigen Worten die nicht sichtbar werden sollten. Mit jeder flüssigen Bewegung der Hand, die den Kugelschreiber hielt und unsicher unsichtbare Buchstaben in die Luft setzte, wurde die innerliche Leere in das Nichts graviert. Der Stift wurde zitternd zum abschließenden Punkt gesenkt, wieder ohne die Berührung des gelblichen Blattes. Makellos und kalt zierte die leere Seite die ehrlichsten Gedanken, die traurigsten Gefühle und die einsamsten Momente. Blind und hastig wurde jede einzelne, unbeschriebene Seite mit einem tadelnden Blick übersprungen und nicht ein Versuch wurde ihr geschenkt, um die Chance der Erklärung zu nutzen. Leer bleibt leer, oder? Keine Mühe, kein Verständnis. Wie soll diese perfekte, leere Seite voller Zweifel und Versagen, denn besser ihren Kummer ausdrücken können, als mit diesem stummen Schrei, der leblos zwischen Kreativität und Oberflächlichkeit stumm, still und vergessen, keinen neuen Weg sucht.

Der Autor, der vor seinem veröffentlichtem, aufgeschlagenem Buch saß, blinzelte eine Träne weg. Es war der gleiche Ort, der selbe Schreibtisch, nur ein etwas älterer Autor der statt Stift und Hoffnung, eine Klinge zitternd am Arm hielt. Er hatte das Buch so oft gelesen, immer und immer wieder die vollgeschriebenen, wie auch die vollkommenen, leeren Seiten seinem inneren Ich präsentiert. Qualvoll und sich langsam eingestehend, dass sein selbst ernanntes Meisterwerk, niemals vollständig erkannt werden könnte, stieg der Hass, der Frust, so sank die Hand, die Lust, und mit einem nicht hörbaren Ausatmen, durchschnitt der graue Stahl die Haut und Luft. Schon so allgegenwärtig und vertraut, verschwand der Schmerz, als die Klinge sich im strömenden Blut immer tiefer drückte und nach dem einen Punkt suchte, der die leeren Seiten, nur noch zu leeren Seiten machen würde. Instabil und verrostet brechen gemeinsam Geist und Körper, versehen mit sechs klaffenden Wunden, drei sichtbar und drei vergänglich, auf der letzten, leeren Seite zusammen. Die glasig werdenden Augen blickten nun zufrieden, denn auch wenn alle anderen blind waren, sahen diese sterbenden, grauen Augen wie der „Einklang und Liebe“ doch noch in Harmonie und majestätisch, dickflüssigen Blutwellen das gelbe Papier überschwemmte. Der Autor erkannte mit jedem Atemzug, was er zwar erschaffen hatte, aber doch bis zum Schluss nicht verstanden hatte. Es war keine abwechselnde Spielerei. Es war mehr ein Zusammenspiel. Es begann alles mit dem Einklang, den leeren Seiten die für den Tod standen und blickte man auf die rechte Seite des Buches, konnte man liebevolle, zuneigende Texte über die Liebe lesen. Man wurde nur an die beschriebenen Texte über die Perfektion der Liebe durch das Buch geleitet &‘ hatte nie ein Auge für die qualvolle, tote Seite. Es wurde ein Mechanismus, die leere Seite wurde mehr und mehr vergessen und als man die letzte, von allen Texten über die Liebe, schönste und berührenste umblätterte und immer noch die höchste Liebe auf dieser Welt im Kopf eingebrannt hatte, sich die sorglosen Mütter und Väter und ihre Kinder, lächelnd Arm in Arm, vorstellte, wurde man abrupt vor ein Ende gestellt.

Man blätterte um und sah es, ohne es wahr haben zu wollen. Das Buch endete. Eine letzte, weiße Seite ließ die Blinden immer noch in der liebevollen Welt dünkeln, aber riss mit nur mehr Entsetzen die Wissenden in eine rohe, kalte Schlucht und brannte das Ende des Todes in jene Gedächtnisse.
Doch all das, wurde dem sterbenden Autor auf der leeren, gelblichen Fläche der letzten Seite klar. Zunehmend verschwommen sah der Mann, wie die strahlende, rote Welle den Tod mit der Farbe der Liebe umarmte. Und als die letzte Ecke ausgefüllt war, die Augenlider schwerer wurden und der sanfte, letzte Atemzug aus seinem Mund entwich, erschien dem Autor, dem wissenden Mann, dem fast Toten und dem einsamen Vater ein unglaublich scharfes Bild. So kurz, wie der Hauch des Atems und der schließende Schlitz der Augenlider, pumpte das liebende Herz dem Mann das Bild seiner Tochter mit letzter Kraft vor Augen und ließen ihn so sanft und gütig, geliebt umarmt in die Dunkelheit. Ohne es zu wissen, war das als „Einklang und Liebe“ betitelte Buch seit der ersten Seite, nicht nur der Anfang, sondern auch das Ende. Dem Leser wird es freigestellt, wie er startet. Wie siehst du es?


© JA


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Beschreibung des Autors zu "„Einklang und Liebe“"

Ich hoffe es ist nicht zu verwirrend geschrieben ..

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