Sie rennt so schnell sie kann. Da vorne sieht sie sie noch laufen. Aber nur ganz klein, ganz weit entfernt. Wieso kann sie so schnell laufen? Hoffentlich biegt sie nicht um die Ecke. Doch. Verdammt. Sie hat die Spur verloren. Mal wieder.


Von einem klackenden Geräusch wird sie geweckt. Versucht da jemand einzubrechen? Sie blickt auf die Uhr. Es ist schon Mittag. Ein Einbrecher zur Mittagsstunde? Das wär doch gar abwegig. Sie schleicht in die Küche, schnappt sich ein Messer und geht auf Zehenspitzen zur Tür. Sie zittert am ganzen Körper. Ein Blick durch den Türspion. Ein großer Mann, zirka 20 Jahre alt steht vor der Tür. Es ist hager, sieht ausgezehrt aus, hat Augenringe, trotzdem ein sehr entschlossener, konzentrierter Blick. Er macht sich tatsächlich an der alten Holztür zu schaffen. Nicht mit mir, dachte sich Lori. Leider war die Türe nicht verschlossen, nur zugeschnappt, also war es Zeit zu handeln. Langsam legte sie ihre Hand auf den Türknauf. Der Mann scheint nicht sonderlich geschickt zu sein, was das Aufbrechen von Türen betrifft. Ein normaler Einbrecher hätte die Türe doch in null Komma nichts aufbekommen. Egal, Lori nahm all ihren Mut zusammen, und riss die Türe mit einem Ruck auf und streckte ihm das Messer vors Gesicht.

Der Mann zuckte zusammen, und stolperte gegen die gegenüberliegende Wand. Schützend hielt er sich die Hände vors Gesicht. Ein hässlicher Mann, dachte sich Lori. Sehr dürr, Drei-Tage-Bart, die Haare dünn und komplett durcheinander, die Kleidung, sehr abgetragen und die Schuhe standen knapp vor der Verwesung. „Was willst du?“, schrie Lori. Als sie die Angst in seinen Augen sah, nahm sie das Messer runter. „Ähm, ich….. ich….“ ,stotterte der Mann. „Was? Komm, spucks aus!“ „Ich suche Sarah.“ Quetsche er heraus. Lori blickte auf. Sarah? So lange hatte sie nichts von ihrer großen Schwester gehört. Da schoss es ihr ein. Gestern war sie sich so sicher, dass sie es war. Aber warum würde sie weglaufen? Sie müsste jetzt 19 sein. Wie lange ist die letzte Begegnung her? 5 Jahre. 5 Jahre ohne Kontakt, und jetzt steht dieser Lumpi vor der Tür? Wieso denkt er, dass sie bei ihr ist? „Sie hat Probleme, glaub ich“, redete er vorsichtig weiter, „kannst du mir helfen?“
So ganz geheuer war er Lori ja nicht. Sie war verwirrt. Was wollte er von ihrer Schwester? Warum kannte er sie überhaupt? So ein Streuner. Jetzt sah man wohl Lori ihre Zerrissenheit an. Der Mann redete etwas mutiger weiter. „ Du scheinst sie zu kennen.“ Lori schoss vor Aufregung die Röte ins Gesicht. Kennen? Sie ist aus dem gleichen Holz geschnitzt! Wobei, kennt man einen Menschen noch, von dem man 5 Jahre nichts gehört hat? Sie nickte nur vorsichtig. „Darf man fragen woher?“ fragte der junge Mann schon deutlich bestimmter. „Ähm, naja…. Ich…. Ich kenn sie von früher“ log sie halb. Leider war Lori eine ziemlich schlechte Lügnerin, und erntete deshalb auch einen alles-sagenden Blick von dem jungen Mann der gut zu übersetzen war mit den Worten „na klar, das kannst deiner Urstrumpftant erzählen“. „Du kannst auch einfach sagen, wenn dus mir nicht sagen willst“ sagte er etwas schnippisch. Eine Nachbarin, Frau Schreiner quetschte sich bei ihnen vorbei. Sie wohnte genau über Lori, im 3. Stock. Sie sah Lori an, dann rüber zu dem Mann. Dann wieder zu Lori. Dann zog sie eine Augenbraue hoch. Sagte allerdings nichts, sondern ging weiter in den 3. Stock.

Der Mann sah sie nun freundlich an. „Ich denke wir hatten einen schlechten Start. Hallo ich bin Ebi. Ich bin…. Äh, war… naja ein ganz guter Freund von Sarah. Das heißt… Bis vor ein paar Monaten.“ Lori überlegte. So oft hat sie sich vorgestellt mal wieder etwas von ihrer großen Schwester zu hören. Kurz nach Lori´s 12. Geburtstag war sie von einem auf den anderen Tag weg. Dass sie sich vorher schon zurück zog, ist Lori schon aufgefallen. Glaubte sie zumindest noch zu wissen. Doch sie hat sich nie wieder gemeldet. Lori fragte sich oft, ob sie von Sarah vergessen wurde. Ob sie sie nicht mehr gern hatte. Ob es ihre Schuld war. „Darf ich dich nach deinem Namen fragen?“ Plötzlich wurde sie von dem Mann, also von Ebi, aus den Gedanken gerissen. „Ja, klar, ich bin Lori.“ Sie biss sich auf die Lippe, und haderte mit sich selbst. Einerseits wollte sie unbedingt mehr über ihre lange vermisste Schwester wissen. Andererseits traute sie dem Mann nicht wirklich. Ebi, was ist denn das schon für ein komischer Name? Ist das überhaupt ein Name? Die Neugier siegte. „Weist du denn viel über Sarah?“ fragte sie sehr vorsichtig. „Äh naja, wir haben uns fast 3 Jahre lang jeden Tag gesehen. Bis sie vor 3 Wochen einfach so verschwunden ist.“ Lori´s Magen krampfte sich zusammen. Sarah lebte noch. Und Ebi kennt sie anscheinend. Vielleicht besser als sie selbst. Sie bekam große Augen und warf jede Vorsicht über Bord. „Hm, möchtest du vl reinkommen? Auf einen Tee oder Kaffee oder so?“ fragte sie ziemlich aufgeregt. Ebi lächelte. Er hatte ziemlich arg verfaulte Zähne. Ein Toto-Gebiss würde ihr Vater jetzt sagen. Lori rann ein Schauer über den Rücken. Ebi nahm das Angebot dankend an. Lori ging vor, deutete auf ihren kleinen Esstisch mit den 3 Stühlen. „Setz dich. Möchtest du Tee oder Kaffee? Oder was anderes? Cornflakes? Toast mit Marmelade?“ Sichtlich überfordert antwortete Ebi „Äh, ganz egal. Kaffee wäre gut, wenn möglich mit Milch und Zucker.“
Lori brachte ihm eine große Tasse Kaffee und sich selbst einen Pfefferminztee und 3 Scheiben Toast und setzte sich Ebi gegenüber. Während sie ihren ersten Toast mit Erdbeermarmelade stricht fragte sie: „Woher kennst du Sarah?“ Ebi begann zu erzählen :
" Also ich lernte sie im Oktober vor 3 Jahren kennen. Es war so, dass ich sie schon des Öfteren im Resselpark in Wien gesehen habe.“ Wien??? Park??? Wie kommt sie von Salzburg nach Wien? Lori war überrascht. Ebi erzählte weiter: „Sie saß immer an den gleichen Baum gelehnt, als ich an ihr vorbei ging. Gefallen hat sie mir.“ Er grinste. „Aber es war mir klar, dass ich bei so einer Bombenbraut keine Chance hab.“ Bombenbraut??? wie redet er von meiner Schwester? dachte Lori. Offensichtlich hat Lori auch dementsprechend eine Grimasse gezogen hat. Ebi registrierte ihren Blick und erzählte weiter: „ Irgendwann hat sie mich nach einer Tschick gefragt. Die ich ihr natürlich gern gegeben hab.“ Dabei grinste er. „Dann haben wir zu quatschen begonnen, über dies und das. Aber eigentlich sehr oberflächlich. Irgendwann hat sich das so eingependelt, dass wir uns jeden Tag bei ihrem Baum getroffen haben. Irgendwann Mitte Dezember wurde es uns draußen zu kalt. Da hab ich vorgeschlagen unser Treffen ins Zentrum zu verlegen.“

Zentrum? Sarah? Wie? Welches Zentrum? "Ähm, welches Zentrum?" unterbrach sie Ebi. "Ach das is praktisch für Obdachlose. Hat aber nur Tagsüber offen. Gibts Tische, Sesseln, ne Küche und Waschmaschinen. Is ganz chillig dort. Aber gerade imWinter sehr voll." Loris Gedanken schossen ihr durch den Kopf. Obdachlos? Sarah? „Naja, so sind wir praktisch Freunde geworden.“ Lori, schossen die Tränen in die Augen. Obdachlos? Sie hatte doch eine Familie? Warum ist sie weg? Es riss wie eine alte Wunde wieder auf. Die Fragen. Die Schuldvorwürfe. Sie hatte einen Kloß im Hals. Erst nachdem sie ein paar Mal tief durchgeatmet hatte konnte sie wieder sprechen. „Sarah ist Obdachlos?“ mehr brachte sie nicht heraus. Ebi runzelte die Stirn. „Bist du sicher, dass wir von der gleichen Sarah sprechen? Die die ich meine, ist schon sicher 4 Jahre auf der Straße.“ Lori zitterte und wich etwas zurück. „Willst du mir nicht auch erstmal verraten woher du Sarah kennst?“ fragte Ebi vorsichtig. „Ich bin ihre Schwester.“ Ebi riss die Augen vor erstaunen auf. „Ernsthaft? Oh, tut mir leid. Das wusste ich nicht. Habt ihr… schon so lange keinen Kontakt mehr gehabt?“ stotterte er. Lori schüttelte den Kopf. „Tut mir Leid, ich wusste nicht, dass sie noch Familie hat. Sie hat nicht allzuviel von sich preisgegeben.“ Lori schluckte. „Wie bist du eigentlich zu meiner Adresse gekommen?“ „Naja, also wir haben manchmal bei einem Freund übernachtet und dort hatte Sarah noch einige Sachen. Unter anderem noch einige Briefe. Und dort stand diese Adresse drauf.“ Wie bitte? Sahra weiß wo sie wohnt? Sie hatten die Wohnung noch nicht so lange. Vielleicht ein Jahr. Unmöglich, dass das weiß. Oder? „Und wie ist sie verschwunden? Also wieso?“ wollte Lori weiter wissen. „Tja, das ist ja das Mysteriöse. Ich hab nen Entzug angefangen. Bin deshalb in einer Klinik gewesen. Hab aber dann abgebrochen, und als ich wieder zurück bin, war sie nicht mehr da. Hab auch dem Freund gefragt dem die Wohnung gehört, aber der hat gemeint, kurz nachdem ich weg bin, paar Tage später ist sie einfach nicht mehr aufgetaucht. An ihrem Baum hab ich auch gewartet. Und im Zentrum auch. Aber keiner hat sie gesehen. Jetzt dachte ich, ich komm mal vorbei, vielleicht finde ich hier eine Antwort.“ Lori überlegte kurz. „Du sagtest, die Adressen hast du von Briefen? Also mehr als einem?“ Ebi nickte. Erst jetzt fiel Lori auf, wie gierig Ebi auf ihre, inzwischen kalt gewordenen, Toasts starrte. „Willst du einen?“ Frage sie und schob Ebi den Teller hinüber. Er griff dankbar zu, und verputzte gleich zwei Toasts. Eine Frage brannte Lori noch auf der Seele „Weißt du warum sie von zu Hause weggelaufen ist?“ Ebi schüttelte den Kopf, und erklärte mit halb vollem Mund, dass Sarah niemals von „Früher“ gesprochen hat. Wenn man sie darauf ansprach, wich sie immer aus, erzählte er.


© Cassy E. Summer


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Beschreibung des Autors zu "In den tiefen der Gassen 1"

Was meint ihr, soll ich weiterschreiben? Also ich bin schon auf der ca. 130 Seite. Ich bin total gefesselt, aber vl gehts mir nur so weil ich selbst schreibe....




Kommentare zu "In den tiefen der Gassen 1"

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