Rastlos wandert sein Blick durch sein kleines Apartment, vom schweren Eichenschrank zum Sofa, vom Sofa zum Schreibtisch, wieder zurück zum Eichenschrank und schließlich an die Zimmerdecke. Ungeduldig klopft er mit den Fingern über die Bettdecke. Ruckartig setzt er sich auf, damit er aus den Fenstern schauen kann. Sie sind so dreckig, dass sich von draußen bereits erahnen ließe, wie chaotisch es sich mit dem Innenleben dieser Wohnung verhält, würde er nicht im 23. Stockwerk wohnen. Er steht auf, geht etwa zehn Schritte im Kreis und kehrt an seinen Ausgangspunkt zurück. Vor dem Sofa steht ein kleiner, gläserner Beistelltisch, über und über mit leeren Bier- und Wodkaflaschen bedeckt. Seufzend tritt er näher heran, überlegt, sich ein wenig Platz zu verschaffen und lässt es doch bleiben. Beinahe wäre er über den Berg von Klamotten gestolpert, als er einen Schritt nach hinten machte. Er setzt sich auf das dunkelbraune Sofa, sein Bein wackelt unkontrolliert, und dann steht er vor der weißen Pantryküche. Es ist kalt im Raum, die Atmosphäre und die Luft, denn irgendjemand hat das Fenster geöffnet. Aber er schwitzt, und erschreckt, dass bereits eine Stunde vergangen ist. Seine Zähne knirschen, also macht er Liegestützen, um sich abzulenken. Dann bleibt er einen Moment auf dem Bauch liegen, und betrachtet sein Zimmer aus dieser ungewöhnlichen Perspektive. Es wirkt viel größer, aber es ist so kalt, und trotzdem schwitzt er. Seine Muskeln zucken; er steht wieder auf und geht ins Bad. Grüne Kacheln, ein Wannenbad, WC, Waschbecken. Ausgiebig betrachtet er seine Reflexion im Spiegel, und er erschreckt ein wenig. Sein Gesicht wirkt blass, eingefallen - all die Lebendigkeit ist daraus gewichen und er schwitzt. Seine eisblauen Augen wirken genau so kalt wie alles um ihn herum, und seine Pupillen sind etwas geweitet. Wieder zuckt sein Bein, und ihm überkommt eine unerklärbare Panik. Es ist, als greife eine knöchernde Hand nach ihm, und er schüttelt sich. Es ist so kalt im Badezimmer, also geht er wieder in den anderen Raum zurück, doch es ist nicht wirklich besser. Er schwitzt und das größere der drei Fenster steht offen, und es ist so verflucht kalt. Draußen ist es Nacht geworden, und ihm fröstelt es. Sein Kiefer schmerzt, aber es kann nicht mit dem Knirschen aufhören. Es ist so verdammt still, und er fühlt sich in diesem Moment sehr einsam. Im Hintergrund läuft dumpf ein Film, und wieder geht er zehn Schritte. Zitternd und verkrampft wühlt er in seiner Hosentasche. Die Jeans ist viel zu weit, sie rutscht ständig. Er ist viel zu abgemagert, aber kann nicht essen, nicht trinken. Wie viele Stunden mögen vergangen sein? Endlich kommt er für einen Moment zu Ruhe, er sitzt auf dem dunkelbraunen Sofa und starrt in die Röhre. Sein Bein aber zittert weiter, sie nennen es Restless-Leg-Syndrom. Plötzlich hört er einen Knall, und er ist sich unsicher, ob er aus dem Film oder einer der umliegenden Wohnungen stammt. Er zuckt zusammen und ihm wird kalt, so kalt, dass er die Knie an sich heranzieht und die Arme schützend darum schlägt. Auch fängt er zu wippen an, und der Bildschirm flackert erbarmungslos: Schneegestöber. Er hat nicht bemerkt, wie schnell die Zeit verging. Seine Nase fängt zu bluten an und er sieht einen dunkelroten Fleck auf seiner viel zu weiten Jeans wachsen. Mit weit aufgerissenen Augen starrt er ihn an, und er starrt zurück. Ihm steht der Schweiß auf der Stirn und die Fratze auf seiner Hose wächst und wächst. Das Fenster steht offen und es ist so heiss, und er kämpft gegen die Starre an, die seinen Blick auf seine Oberschenkel fesselt. Es vergeht eine Ewigkeit und auch wieder nur ein paar Minuten, bis er sich schließlich lösen kann. Viel zu heiss, und er geht zum Fenster, denn draußen ist es kalt. Fast so kalt wie in seiner Wohnung, nur die Atmosphäre ist kälter. Er verkrampft sich mit seinen knöchernden Fingern am Fensterrahmen. Es ist so still und da unten ist es laut, ein geschäftiges Treiben. Auf seinen Schultern spürt er die Last, und seine blutende Nase hinterlässt eine Pfütze auf dem Fenstersims. Ihm ist so heiss und er friert, und seine Aufmerksamkeit ist ganz bei den flackernden Lichtern der Straße. Sie strahlen ein warmes Licht aus, und in seiner Wohnung ist es so kalt. Ihm wird ganz schwindelig und er gleitet in eine tiefe Dunkelheit und kommt endlich zur Ruhe, während sich die Welt um ihn herum weiterdreht und es nicht einmal zur Kenntnis nimmt.


© Britta Niemann


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Beschreibung des Autors zu "Rastlos"

Kurzgeschichte über einen Menschen, der sich beim Herunterkommen illegaler Substanzen äußerst unangenehmen Nebenwirkungen stellen muss.

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