Sie schenkt mir ein Lächeln. Immer noch kann sie geben, diese junge Frau.
Ihr letztes Kind hielt sie bis vor fünf Tagen in den Armen, und das einzige Kamel der Familie ist nun gestern auch gestorben.
Ihr Mann, sagt sie, seit Wochen im heißen Nichts auf der Suche nach Essbarem
unterwegs, wollte längst zurück sein.
Während sie mit ruhiger Stimme und diesem Lächeln, das so gar nicht hierher passen will, ihre Situation schildert, geht mir Absurdes durch den Kopf.
Diätfutter für Haustiere, Sodbrennen und Fettabsaugen ... gibt es überhaupt in jeder Sprache Worte für solche Dinge?
Ich versuche, mich zu konzentrieren.
Durchdringende Augen sehen tief in mich hinein, liest sie in mir? Mein Blick flieht vor Scham.
Peter, dem Kameramann, läuft ständig Schweiß in die Augen, und wir müssen die Aufnahmen mehrmals unterbrechen. Das seltsame Gefühl, dass diese Frau eine derartige Verschwendung von Wasser mit einer Mischung aus Belustigung und Mitleid registriert, will mich nicht verlassen.
Eine kurze Ewigkeit später ist das Interview im Kasten und wir verabschieden uns höflich.
Sie lächelt.
Auch die Reissäcke sind inzwischen abgeladen und sofort verschwunden. Wir besteigen unseren LKW, der beim Anfahren eine Staubwolke gebiert und die winkenden Dorfbewohner darin einhüllt.
Sie lächelt mich an, regungslos, weil sie ihre kostbaren Tränen noch brauchen wird.


© Ralf Risse


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Kommentare zu "Kein Land für Tränen"

Re: Kein Land für Tränen

Autor: Karwatzki,Wolfgang   Datum: 08.07.2017 12:48 Uhr

Kommentar: Sehe ich auch so wie Jörg.
LG
Wolfgang

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