Wieder einmal standen die Wahlen an. Und dieses Mal war es für das Schwein besonders schwer, zu einer Entscheidung zu kommen. Die Tiger hatten gerade erst eine eigene Partei, die Tiger-Partei TIP, ins Leben gerufen. Aber, das war dem Schwein klar, die würde es auf keinen Fall wählen. In Frage kamen, wie sonst eigentlich auch immer, die Partei der Großen Tiere PGT, aber auch die Partei der Kleinen Tiere PKT. Leider hatten die Vertreter der PGT zuletzt einige Entscheidungen getroffen, die dem Schwein nicht gefielen. Und bei der PKT hatte es gerade einige skandalöse Enthüllungen gegeben, so dass das Schwein ein wenig das Vertrauen in die PKT verloren hatte. Schließlich gab es noch die VP, die Vogel-Partei, aber die Vögel waren - neben einigen guten Ideen, die es dort auch gab - zu sehr daran interessiert, den Nestbau zu subventionieren. Natürlich gab es noch etliche Kleinparteien, wie die Partei der ausgewanderten Nacktschnecken, aber die nahm kaum jemand ernst. Mit anderen Worten gab es keine Partei, die das Schwein dieses Mal überzeugend für sich einnehmen konnte. * Der Wahltag rückte näher, aber an der Situation änderte sich nichts. So kam es, dass das Schwein vor lauter Zweifeln am Ende gar nicht zur Wahl ging.

Da es allerdings nicht nur dem Schwein so gegangen war, sondern auch vielen seiner Artgenossen, ebenso wie den Hunden und Katzen und etlichen anderen Tieren, war die Wahlbeteiligung gering. Die Vertreter der Tiger-Partei dagegen hatten ganze Arbeit geleistet: Ihre Anhänger waren vollständig zur Wahl gegangen, und sie hatten auch noch die anderen Raubtiere wie die Löwen und die Panther gewonnen, für die TIP zu stimmen. So kam es, dass, nur weil so viele Tiere nicht zur Wahl gegangen waren, die Tiger-Partei zur stärksten Kraft wurde. Und da nun die Raubtiere die Regierung führten, wurde aus unserem Schwein sehr schnell in jeder Hinsicht ein armes Schwein.

Und die Moral von der Geschichte: Wenn nur Raubtiere zur Wahl gehen, werden Raubtiere gewählt.

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Alternatives Ende: * Der Wahltag rückte näher, aber an der Situation änderte sich nichts. Also ging das Schwein zur weisen Eule und bat sie um Rat. Bei jeder Wahl, so sprach die Eule, geht es entweder um das Erreichen des Besten, oder um das Verhindern des Schlimmsten. Mit dieser Antwort schickte sie das Schwein davon.

So kam es dass das Schwein am Wahltag auf die folgende Art zu einer Entscheidung kam: Es überlegte sich zunächst, welche der Parteien AUF KEINEN FALL seine Stimme bekommen sollten. Das war zum einen die TIP, aber auch die meisten Kleinparteien hätte das Schwein nie im Leben gewählt. Am Ende blieben von den 34 Parteien noch drei übrig - aber keine schien die ideale Wahl zu sein. Nun nahm das Schwein einen Würfel und überließ die Entscheidung dem Zufall. Es ging zum Wahllokal, machte sein Kreuzchen und wusste, dass es dieses Mal vielleicht nicht das Beste erreicht, aber auf jeden Fall das Schlimmste verhindert hatte. Und weil auch all die anderen unentschlossenen Tiere am Ende doch zur Wahl gingen, blieben die Raubtiere auch im Parlament das, was sie in Wirklichkeit waren: in der Minderheit.

(C) Dirk Herrmann, 2017

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© Dirk Herrmann, 2017


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Eine Fabel mit einem politischen Anliegen

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