Krachend explodieren die abgeworfenen Granaten. Trümmer, Splitter und Körperteile werden aus der senkenden Feuersäule geworfen. Schwarzer Rauch steigt auf und vernebelte Gestalten schießen aus ihren Maschinengewehren wütende Salven gen Himmel. „Allahu akbar!“, ertönen die wilden Schreie über der ausgebombten Stadt.

„Hier. Hier wird der Hass geboren.“, flüstert der alte Aaraam (* deutsche Übersetzung = Ruhe), der zusammengekauert hinter einer Mauer kniet. „Das sind keine Gläubigen, noch nicht einmal Menschen. Es müssen die Ifrit (*dämonische Dschinn/Geistwesen) sein, die rachsüchtig aus der Unterwelt emporsteigen.“

Der Junge Mann neben ihm hält sich verzweifelt die Ohren zu und verzieht sein Gesicht zu einer grotesken Grimasse. Zärtlich legt der Alte seine Hand auf die Schulter des Jungen und tröstet ihn sanft: „Ruhig. Es ist vorbei. Für den Moment ist es vorbei.“

Tränen der Erleichterung rinnen aus den Augen des Kindes, von dem der Krieg verlangt, zum Manne zu reifen. „Mein lieber Zhaabiz (*deutsche Übersetzung = die Flamme) , du bist mutig und tapfer.“, bestärkt Aaraam seinen Sohn. Ein gequältes Lächeln zeichnet sich dabei unter den feinen Linien seines grauen Bartes ab.

Zhaabiz drückt sich fest an seinen Vater und vergräbt sein Gesicht tief in dessen wollenen Mantel. „So ist es richtig. Wir haben doch uns. Wir sind uns treu.“, sagt Aaraam verständnisvoll. Langsam richten sich die beiden auf und folgen mit eingezogenen Köpfen dem Verlauf der Mauer. Es ist still und ein warmer Wind trägt ihnen den fauligen Gestank der Stadt entgegen.

Aaraam hält kurz inne, setzt sich hin, nimmt mit bedacht die Hand seines Sohnes und spricht: „Es ist die Zeit der Ifrit. In Rauchsäulen erscheinen sie, um die zu richten, die mordend ihr Unwesen treiben. Doch was geschieht, wenn alle morden? Wenn Liebe und Mitgefühl von Angst und blindem Hass zerstört wird? Wenn eine Stadt, nein ein ganzes Land dazu verführt wird, wütend Rache zu nehmen? Du ahnst es, mein Sohn, es ist die Zeit der Ifrit.“

Das Donnern der Jets unterbricht die kurze Zeit der Ruhe und der alte Aaraam führt seinen verängstigten Sohn schnell zu einem naheliegenden Unterschlupf. „Die schlimmsten der Ifrit haben sich unter uns versteckt. Wir müssen ihnen und ihrem dämonischen Wirken aus dem Weg gehen, mein geliebter Sohn. Wie bereits viele unserer friedfertigen Landsleute sollten auch wir noch heute die Flucht antreten.“, erklärt Aaraam mit gesenktem Blick. Er seufzt, öffnet seine Lippen und stammelt karg hervor: „Wir haben doch alles verloren, mein lieber Zhaabiz. Nur du bist mir geblieben.“

Über den Schutt der Straße nähern sich zwei bewaffnete Männer dem Unterschlupf. Eilig zieht Aaraam seinen Sohn vom Fenster weg, doch es ist zu spät, um nicht gesehen zu werden. Silbrige Projektile jagen durch die Fensteröffnung und schlagen rhythmisch in die Wand hinter ihnen ein. Sie sitzen in der Falle und können nicht flüchten. Sich der Aussichtslosigkeit bewusst, beginnt Zhaabiz zu schreien, presst sich erneut an seinen Vater und weint bitterlich.

Die Schützen erreichen schnell den Unterschlupf. Sie treten zielstrebig ein und richten lachend ihre Gewehre auf die beiden Gestalten, die sich in der Ecke des kleinen Zimmers zu verstecken versuchen. Aaraam hebt wehrlos seine Arme in die Höhe, während einer der Männer Zhaabiz gewaltsam an sich reißt und ihn brutal gegen die Wand schleudert. Der Junge bleibt auf dem Boden liegen, schließt seine Augen und zittert benommen; den Tod erwartend.

„Jetzt zu dir, alter Mann!“, schreit der vermummte Täter, während er das Gewehr an den Tisch lehnt und eine Machete aus dem Halfter zieht: „Heute werden Köpfe rollen. Du bist mit Sicherheit keiner von uns und kannst unserer Sache nur damit dienen.“.

„Also habt ihr uns gefunden, Ifrit.“, erwidert Aaraam ehrfurchtsvoll. „Was hat uns verraten? War es unsere Angst? Oder war es unsere Hoffnungslosigkeit, die euch nun zu uns führt? Ist es unsere Liebe, die ihr uns nicht nehmen könnt, die euch zum Morden treibt?“

Ehe einer der Männer antworten kann zischen Gewehrkugeln durch ihre zuckenden Leiber. Hinter ihnen steht Zhaabiz, bewaffnet mit dem arglos abgestellten Gewehr des Soldaten, immer wieder den Abzug betätigend, bis nur noch ein leises Klicken zu vernehmen ist.

Aaraam fällt taumelnd auf die Knie und verbirgt sein Gesicht hinter seinen knochigen Händen. Ein leises Schluchzen erfüllt den Raum, während Zhaabiz den qualmenden Gewehrlauf, wie eine Säule nach oben richtet: „Vater, du musst nicht weinen. Ich habe uns gerettet. Wie du gesagt hast: Ich bin mutig und tapfer.“

Langsam richtet sich der alte Mann auf. Mitleidvoll blickt er zu seinem Sohn hinüber, schüttelt müde seinen Kopf und sagt unter Tränen: „Nein, mein Sohn, du irrst. Ich habe dich gerade an die Ifrit verloren.“


© Andreas Broska


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Beschreibung des Autors zu "Die Zeit der Ifrit"

Kurzgeschichte über Hass und die Folgen, die daraus resultieren. Etwas zum Nachdenken, gerade zur aktuellen Lage.




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