Eine Geschichte für Kinder



Benny hatte Geburtstag.



Am Morgen war er in aller Früh aufgestanden und als er noch ganz verschlafen ins Esszimmer kam, standen auf dem Tisch schon eine Menge eingepackter Geschenke, die in buntem Papier eingewickelt waren.



Kleine Geburtstagskärtchen waren an gold- oder silberfarbenen Flügelschleifen angebracht. Auch Vater und Mutter waren schon auf und warteten auf ihn.



Eine schöne Kindertorte mit insgesamt zehn brennenden Kerzen stand auf der Anrichte. Seine Eltern hatten sie mit Girlanden und Luftballons geschmückt. Benny war richtig aufgeregt.



Endlich war es soweit. Als Geburtstagskind durfte er die angezündeten Kerzen ausblasen und das erste Stück von der leckeren Torte anschneiden. Dann bekam er ein knallrotes Feuerwehrauto, eine Baseballkappe, ein wunderschönes Bilderbuch und einen bunten Teller voller Süßigkeiten. Er freute sich sehr darüber, doch irgendwie hatte er das komische Gefühl, dass seine Eltern noch ein Geschenk für ihn zurückhielten.



Plötzlich sagte seine Mutter zu ihm: „So, mein Junge, jetzt schließe mal die Augen! Wir haben da noch etwas für dich.“



Benny kniff beide Augen ganz fest zu und als er sie wieder öffnete, lag vor ihm ein großes Paket auf dem Boden. Er war so überrascht, dass er fast vor lauter Freude aufschrie.



Seine Eltern halfen ihm beim Auspacken. In dem Paket war eine elektrische Eisenbahn mit fünf Personanhängern, vielen Schienen, vier Weichen, einem Bahnhof, einer Brücke, einem Bahnübergang samt Verkehrszeichen und, in einer kleinen Schachtel extra gut verpackt, ein kompakter Transformator.



Benny holte alles vorsichtig aus der Verpackung, ging hinüber auf sein Zimmer und steckte die Schienen zusammen. Sein Vater half ihm dabei, der noch zuletzt die beiden Kabelsteckerchen des Transformators an das Gleissystem anschloss. Dann konnte es losgehen!



Zuerst ließ Benny nur die Lokomotive alleine fahren, dann stoppte er sie und kuppelte alle Anhänger an. Der Zug war komplett und fuhr schon bald danach eine Runde nach der anderen auf dem oval geformten Schienensystem mit einigen Nebengleisen. Das Geburtstagskind war hell begeistert. Sein Vater spielte den Bahnhofswärter und Weichensteller.



Plötzlich schoss der Langhaardackel Wendy laut bellend um die Ecke und stoppte den fahrenden Zug mit seiner Pfote. Aufgeregt schnappte der Hund nach der Lokomotive. Die Eisenbahn entgleiste und kippte aus voller Fahrt von den Schienen. Die Anhänger sausten hinterher. Es war ein richtiges Durcheinander.



„Wendy, lass das!“ rief Benny wütend, schickte den Hund aus seinem Zimmer und sammelte die Lokomotive und die verstreuten Waggons wieder ein. Zum Glück war ihnen nichts passiert, doch die Lok war gegen sein Bettchen gestoßen und vorne am Führerhaus ziemlich stark beschädigt worden.



Der Junge war todunglücklich darüber, dass das schöne Prachtstück jetzt eine hässliche Delle hatte. Außerdem war ein Fensterchen zersprungen. Er fing an zu weinen. Als seine Mutter ihn schluchzen hörte, ging sie zu ihm hin und beruhigte den Buben wieder.



„Wir lassen das wieder reparieren und bringen die Lokomotive morgen in den Spielzeugladen zurück. Dort gibt es einen netten Mann, der sich mit elektrischen Eisenbahnen bestens auskennt. Er wird alles wieder in Ordnung bringen.“



Der Junge war richtig froh darüber und drückte seine Mutter ganz lieb.



Später, bevor Benny schlafen ging, stellte er die beschädigte Lokomotive auf sein kleines Nachttischchen direkt unter die Tischlampe, damit er sie immer sehen konnte, wenn ihm danach war. Noch lange schaute er sie so an, bevor ihn der Schlaf übermannte.



Mitten in der Nacht wachte er plötzlich durch ein seltsames Geräusch auf. War da nicht irgendwas?



Verschlafen drückte er auf den Schalter des Nachttischlämpchens. Er traute seinen Augen nicht und glaubte tatsächlich im ersten Moment zu träumen, als er die Lokomotive zusammen mit den Waggons auf den Schienen stehen sah.

Der Zug fuhr ganz allein ohne dass ihn jemand in Gang gesetzt hätte. Wer hat das getan? War es sein Vater gewesen, der das angestellt hatte? Benny wusste aber, dass seine Eltern schon längst schliefen, denn im Haus war alles ruhig und still.



Der Junge rieb sich die Augen und schlüpfte aus dem warmen Bett. Als er vor den Gleisen stand und den fahrenden Zug näher betrachtete, saßen am Fenster des Waggons kleine Winzlinge, die aussahen wie Zwerge. Sie trugen alle eine rote Zipfelmütze.



Am Bahnhof standen ebenfalls Zwerge und winkten ihm zu.



„Hallo!“, rief einer von ihnen. „Wir haben gesehen, dass die Lok kaputt war. Wir holten sie von dem Nachttisch runter und brachten sie wieder in Ordnung. Weißt du, wir wollten nämlich so gerne damit fahren. Du hast doch nichts dagegen – oder?“



Benny war total verblüfft und zugleich sprachlos vor Staunen. Er hätte nie daran geglaubt, dass es überhaupt Zwerge gibt und rieb sich noch mal die Augen. Er glaubte tatsächlich, dass er sich in einem Wachtraum befand.



Als der Zug im Bahnhof anhielt, stiegen auch die übrigen Zwerge mit ein, die dort gewartet hatten. Der Zwerg, der mit ihm gesprochen hatte, streckte plötzlich dem verwunderten Jungen die Hand entgegen und rief: „Komm’ Benny! Nimm meine Hand und fahr’ mit uns ins Märchenland. Da gibt es einen großen Jahrmarkt. Wir werden uns dort köstlich amüsieren.“



Wie in Trance ergriff der Zehnjährige die Hand des Winzlings und im nächsten Moment wurde er kleiner und kleiner und saß auf einmal im letzten Spielzeugwaggon des Zuges, der das Zimmer gleich nach der letzten Runde durchs offene Fenster verließ und hinausfuhr in die dunkle Nacht.



„Wo liegt denn das Märchenland?“ fragte Benny ganz erstaunt den Zwerg.



„Das weiß ich selber nicht. Aber ich denke mal im Land der Fantasie. Doch, doch, ganz bestimmt, denn nirgendwo gibt es so schöne Spielsachen wie im Land der Märchen!“ lachte der Zwerg mit breitem Mund. Seine rote Zipfelmütze wippte dabei rauf und runter.



Draußen veränderte sich die Landschaft. Plötzlich schien sogar die Sonne und der Zug fuhr einen Berg hinauf, der aussah, als sei er aus Kandiszucker gemacht worden. Oben auf der Bergspitze lag weißer Puderzucker. Die Fahrt ging dahin in eine grüne Ebene mit großen Schokoladenbäumen und vielen Häusern aus Plätzchen. Frau Holle saß ganz oben in den weißen Wolken und sah vergnügt zu, wie es dort unten zuging.



Dann hielt der Zug auf einmal an und alle Zwerge sprangen heraus.



„Komm’ mit Benny! Jetzt gehen wir spielen! Wir wollen uns schließlich vergnügen!“ riefen die kleinen Gesellen wie im Chor. Bald erreichten sie einen Rummelplatz. Es war mächtig was los. Benny hatte so einen Jahrmarkt noch nie gesehen. Alles was es an Spielzeug gab war hier echt, wie im wirklichen Leben..., nur viel größer.



Die Zwerge nahmen den staunenden Jungen überall mit hin. Sie fuhren mit ihm Karussell, gingen in die Geisterbahn und im Autoscooter gab es sogar richtige Autos. Zwischendurch aßen sie Zuckerwatte und Süßigkeiten aller Art. Dazu gab es heißen Kakao. Benny strahlte vor Freude und Glück. Er wäre gerne für immer im Märchenland geblieben.



Irgendwann rief einer der Zwerge: „Wir müssen alle wieder in den Zug und zurückfahren. Die Nacht ist bald vorbei und draußen wird es schon langsam hell.“



Der Zug hielt gleich neben dem Jahrmarkt und alle Zwerge stiegen ein. Kaum saß Benny auf seinem Sitz, verfiel er in einen tiefen Schlaf.



Als er am Morgen aufwachte, lag er in seinem Bett und gleich fiel ihm der schöne Traum wieder ein. Er lag einfach nur so da, starrte an die Decke und dachte an die winzigen Zwerge, die ihn ins Märchenland mitgenommen hatten.

Dort waren sie zusammen auf einen Rummelplatz gewesen und hatten viel Spaß miteinander gehabt.



„Schade, dass das alles nur ein Traum war“, sagte Benny zu sich selbst, schlug die Bettdecke zurück und verließ das Bett.



Plötzlich bemerkte er, dass sich die kaputte Lokomotive nicht mehr auf dem Nachttischchen unter der Lampe befand, wo er sie doch hingestellt hatte, sondern zu seiner großen Überraschung auf den Schienen stand. Die Waggons waren alle angekuppelt und es sah so aus, als wäre der Zug gerade eben erst in den Bahnhof eingefahren.



Benny beugte sich herunter und betrachte die Eisenbahn ganz genau. Aber die Zwerge aus seinem Traum waren nicht da. Die Waggons standen leer herum. Ganz hinten am letzten Wagen aber hing ein weißer Zettel, worauf mit feiner Schrift geschrieben stand:



„Lieber Benny,

wir Zwerge hoffen, dass dir die kleine Reise ins Märchenland gefallen hat. Deine schöne Lokomotive haben wir wieder in Ordnung gebracht. Verrate deinen Eltern nicht, dass wir da waren. Sie würden dir ja sowieso nicht glauben. Sie werden bestimmt darüber staunen und sich fragen, wer die Lok repariert hat. Lass’ sie einfach rätseln! Sie werden es bald vergessen haben, denn Erwachsene glauben nur an ihren Verstand. Wir aber kommen nur zu Kindern mit viel Fantasie und von der hast du reichlich. Behalte dir diesen Reichtum fürs ganze Leben, dann werden wir uns bestimmt wiedersehen.“



Herzliche Grüße



Deine Zwerge aus dem Märchenland!



ENDE



©Heiwahoe


© (c)Heiwahoe


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