Mühsam schlug ich die Augen auf. Ich sah Wellen. Weiße Wellen. Was war geschehen?! Wo war Trucce?! Langsam hob ich den Kopf. Ein Schmerz zog durch meinen Nacken. Vorsichtig ließ ich ihn wieder fallen. Der Schleier vor meinen Augen löste sich langsam. Das Gesicht meiner Mutter tauchte vor mir auf. Ich blinzelte ein paar Mal, bis ich mir sicher war, dass sie real war. „Mum?“, flüsterte ich. Meine Stimme klang kratzig, wie die von einem alten Opa. „Hey, mein Spatz. Wie geht es dir?“, fragte sie besorgt. Sanft strich sie mir über den Kopf. „ Es geht“, hauchte ich. „Was ist passiert?“ Es traten Tränen in die Augen meiner Mutter. „Du bist von Trucce gefallen, mein Schatz.“ „Warum?“ „Sie hat gescheut. Vor einem Gewehrschuss, den der Förster abgegeben hatte, um einen Bären von sich fernzuhalten. Er wusste nicht, dass in der Nähe ein neuer Reiterhof eröffnet hat. Ihm tut es so Leid.“ Ich spürte ein Jucken an meinem Bein. Erst versuchte ich es zu ignorieren, doch dann musste ich einfach kratzen. Ich wollte mein Bein heranziehen, doch es funktionierte nicht. Hastig versuchte ich es noch einmal. Doch mein Bein bewegte sich keinen Millimeter von der Stelle. „Was ist mit meinem Bein?“, fragte ich mit angsterfüllter Stimme. Meine Mutter brach in Tränen aus. „Mum?!“ Meine Stimme überschlug sich. Ich geriet in Panik. Wie wild versuchte ich aufzustehen. Ich konnte und wollte nicht einsehen, dass ich meine Beine nicht mehr bewegen konnte. Das konnte nicht sein. „Schatz, hör auf!“ Meine Mum geriet in Wut. Sofort hörte ich auf und sah sie aus einem Schleier von Tränen an. „Du hast dich am Rücken verletzt, als du von Trucce gefallen bist. Ein Nerv wurde dabei eingeklemmt. Wenn sie ihn nicht operativ befreien, kannst du vielleicht nie wieder laufen.“ Die Tränen rannen mir über die Wangen. „Nein. Nein, nein.“, schluchzte ich. Meine Mum nahm mich in den Arm und fing an mich zu trösten. Ich versuchte es zu begreifen. Zu begreifen, dass ich vielleicht nie wieder laufen konnte. Zu begreifen, dass ich operiert werden musste. Zu begreifen, dass alles die Schuld eines Pferdes war.
Ich konnte es nicht. Eine Zukunft war für mich nicht mehr vorstellbar. Wenigstens keine glückliche. Was sollte ich nur tun?! Ich wünschte, dass alles wieder okay wäre. Das ich wieder okay wäre. Was sollte jetzt nur geschehen??



Zwei Jahre später…
„Und gewonnen hat…Nadja König mit nur einem Fehlerpunkt. Das war der heutige Wettbewerb. Ich wünsche Ihnen alle eine angenehme Heimreise. Nadja, komm’ und hol’ dir deinen Preis!“, rief der Mann aus der Jury in die Runde. Jubelnd sprang ich durch die Gegend und konnte es kaum glauben. Trucce und ich hatten am Ende doch noch gewonnen. Wir hatten ein Turnier der Großen mitgemacht. Und wir hatten gesiegt. Lächelnd trat ich zum Jurypult und holte mir meine redlich verdiente Urkunde ab. Trucce wieherte fröhlich in ihrer Box und meine Eltern überhäuften mich mit Glückwünschen. Das war das Schönste, was ich je erlebt hatte.


© a.k.heidmann


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