Traumhilfe

Ich weiß noch, wie du immer gefragt hast: „Was soll ich denn träumen, Papa?“ Und ich habe dann oft geantwortet: „ Träum doch, du wärst eine tolle Prinzessin mit blonden, lockigen Haaren und einer goldenen Krone. Du säßest auf einem knallbunten Regenbogen und würdest langsam hinuntergleiten. Um dich herum blinkende Sternchen, die dich auf deinem Weg nach unten begleiten. Du kommst dann auf einer wunderschönen grüne Wiese mit bunten Blumen an. Mit roten, gelben und blauen. Ein kleines wollig lauschiges Lämmchen wartet unten schon auf dich und will mit dir spielen. Mit seiner kleinen Zunge leckt es an deinen Händen und frisst ein Büschel Gras, das du ihm gepflückt hast. Oben am Himmel scheint eine lustige Sonne mit lachenden Augen und einem witzigen Mund.“

Manchmal war ich noch nicht einmal fertig mit der Schilderung der Traumidee, die ich mir als schön für ein kleines Mädchen vorstelle, da schliefst du schon, ein Lächeln auf dem Gesicht… - und ich wusste, dass du angekommen warst. Auf dem Regenbogen.
Ganz oben.
Du, mit deiner goldenen Krone.
Und dann rutschtest du wohl los.
Dein Lächeln wurde immer sonniger und wärmer, ja… fast meinte ich, die glitzernden Sternchen um deine Locken tanzen zu sehen.

Eines Tages war das plötzlich vorbei. Du wolltest von da an eine Eisbärmama sein, die mit den kleinen Bärchen umhertollt und sie füttert. In einem großen weißen Land.

Ein paar Träume weiter warst du das Krokodil mit seinen Jungen. . Ihr schwammt im Fluss und fingt Fische.

Mir waren die Fantasien schon lange ausgegangen, und ich überließ dir den Einstieg in deine Traumwelt.

Doch irgendwann gefiel mir dein Einschlafgesicht nicht mehr. Dein Lächeln war verschwunden, und du begannst dich schon kurz nach dem Eintauchen in deine Nacht hin- und her zu wälzen. Unter deinen Lidern müssen die Augen weit aufgerissen gewesen sein.
Vor Angst.
Dein kleines Herz pochte aufgeregt, als ich dir einmal die Hand auf die Brust legte. Deine Stirn, sie war feucht und kalt.

Ich nahm dich vorsichtig hoch, drückte dich sanft an mich und streichelte über deinen Kopf. Als du ganz langsam wach wurdest, schautest du mich an, wie ich es bei dir noch nie gesehen hatte. Du kamst wohl aus einer schrecklichen Welt zurück. Dein ganzer Körper war gespannt. Ich spürte deine Hände wie Klammern an meinem Hals. Deine Zehen hattest du wie Waffen abwehrend nach vorne gestreckt und gespreizt. Dein Atem flog.
Erst als du mich erkanntest, ließt du deine Muskeln langsam erschlaffen. Wärme kehrte in deinen Körper zurück, und dein Kopf lehnte sich wie von etwas Schlimmem erlöst an den meinen.

Ich legte dich wieder hin, deckte dich frisch zu und flüsterte: „Na, wollen wir wieder auf den Regenbogen?“ Du machtest die müden Augen auf, lächeltest und gingst hinüber in einen tiefen Schlaf.

Um deine Locken schienen blinkende Sternchen zu flirren.


© Bernd Mühlenbeck


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