„Wie war das eigentlich damals mit dir und Oma?“, fragte der kleine Bruno, der die Osterferien bei seinem Großvater verbringen durfte. Seine Großmutter war schon vor zwei Jahren verstorben.

„Das ist eine sehr lange Geschichte. Vielleicht erzähle ich dir morgen oder übermorgen davon“, erwiderte der Großvater.

„Bitte, bitte, ich würde es so gerne heute noch hören“, sagte Bruno.

„Na gut, meinetwegen. Ich mache es kurz. Es kommt gleich der Krimi, und dann musst du ins Bett.“

„Danke, danke!“, rief Bruno vor lauter Vorfreude.

„Alles hat damit begonnen, dass ich zur See gefahren bin. Fischfang, weißt du. Als wir hoher See waren, meldete der Matrose, der gerade im Mastkorb saß und Ausschau hielt, dass Piraten direkt auf unser Schiff zusteuerten. Wir wurden alle gefangen genommen. Sie behandelten uns sehr schlecht. Wir bekamen zwei Tage lang nichts zu essen und zu trinken. Einige von uns wurden richtig krank. Dann brachten sie uns an Land. Dort übergaben sie uns einem Sklavenhändler. Er war ein gutmütiger Mann, der uns reichlich mit Speisen und Getränken versorgte und uns gut einkleidete.

Die meisten von uns verstanden seine Sprache nicht, aber einer bekam mit, dass seit dem Amtsantritt eines Fürsten mit Namen Omar der Sklavenhandel bei Strafe verboten war. Der Sklavenhändler brachte uns in schlichtes Gebäude. Die meisten Zimmer waren abgedunkelt.

Nach zwei Tagen kamen einige Männer, die mit dem Sklavenhändler diskutierten. Zwischendurch tranken sie immer wieder Tee. Einer nach dem anderen von uns wurde abgeführt und diesen Männern übergeben. Und schließlich wurde auch ich einem der Männer übergeben. Er fesselte mich, band mich an einem Pferd fest, setzte sich auf ein zweites Pferd, und so ritten wir bis zu seinem Palast.

Ich musste weiterhin Fesseln tragen. Der Mann führte mich zu einem älteren Herrn, der viele Sprachen sprach, auch ein bisschen englisch. Und so konnten wir uns einigermaßen verständigen.
Er wies mich an, Abrechnungen über Käufe und Verkäufe zu machen. Der Mann, der mich gekauft hatte, war offenbar ein sehr wohlhabender Kaufmann. Das ging so ungefähr ein halbes Jahr. Ich wurde vor allen Leuten, die in Palast waren, versteckt. Ich durfte nicht auffallen, Sklaverei war ja verboten.

Eines Tages ging die Tür zu meinem Zimmer leise auf. Ich sah eine bildschöne junge Frau. Sie sprach gut englisch und fragte mich, wer ich denn sei. Ich erzählte ihr meine ganze Geschichte. Ab da schlich sie jeden Abend zu mir. Und ja, wir verliebten uns in einander.

Und nach zwei Wochen flohen wir aus dem Palast. Und später haben dann ...“ Der Großvater sah, dass Bruno schon eingeschlafen war.


© Glaser


1 Lesern gefällt dieser Text.


Diesen Text als PDF downloaden




Kommentare zu "Oma"

Re: Oma

Autor: Bluepen   Datum: 08.06.2020 9:24 Uhr

Kommentar: Eine rührende Geschichte, die auch zum Träume ist, lieber Hr. oder Fr. Glaser!

LG - Bluepen

Re: Oma

Autor:   Datum: 08.06.2020 10:52 Uhr

Kommentar: Herzlichen Dank, liebe Bluepen, für dieses schöne Feedback!

LG - Glaser

Kommentar schreiben zu "Oma"

Möchten Sie dem Autor einen Kommentar hinterlassen? Dann Loggen Sie sich ein oder Registrieren Sie sich in unserem Netzwerk.