Die grüne Flasche…


Im Dörfchen Elsterbach lebte Jakob mit seiner Mutter und seinen
beiden Schwestern.
Jakob war mit seinen zwölf Jahren das Familienoberhaupt. Sein Vater
war im Krieg 1917, als Gefreiter, vor Verdun gefallen. Jakob lebte mit
seiner Mutter Liesbeth und seinen Schwestern Hanna und Trude
in einer bescheidenen Lehmkate.
Es war kurz vor dem Wintereinbruch, seine Mutter schickte ihn
in den Wald, um nochmals Holz zu holen.
Es schneite stark und der kalte Wind blies heftig. Er hatte gerade den
Weidenkorb halbvoll mit Bruchholz gefüllt, als er ein klägliches Rufen hörte. Jakob ging eilig dem Rufen nach, als er nach kurzer Zeit auf eine alte Frau traf, die im Schnee lag.
Jakob erschrak, denn wie sah die alte Frau bloß aus. Sie hatte eine dünne, lange Nase. Ihr linkes Augenlid verdeckte das Auge.
Die Haare waren silbergrau und gingen bis zur Hüfte. Ihre Fingernägel waren lang und schmutzig.
Die Kleidung der Frau bestand aus zwei Wolldecken, die ineinander
verknotet waren. Sie trug an ihren Füßen aus Lindenholz geschnitzte Sandalen. In den Sandalen befanden sich unansehnliche Fußlappen.
Jakob überwand seine Angst, und half der Frau wieder auf ihre Füße,
vorher gab er ihr ihre beiden Krücken, die im Schnee lagen, zurück.
Die alte, hässliche Frau streichelte Jakob über den Kopf und sagte: „ Du
bist ein guter Bub, Gott vergelts dir.“ Sie hatte er kaum ausgesprochen, da war sie plötzlich unsichtbar verschwunden.
Der Junge füllte noch seinen Weidenkorb mit Bruchholz, und begab
sich auf den Heimweg.
Durchnässt und todmüde kam er zu Hause an. Von der Begegnung mit der alten Frau sagte er kein Wort. Er behielt das Erlebnis für sich.

Es war inzwischen Frühling geworden und die ersten Schneeglöckchen
schauten schüchtern in den blauen Himmel.
Jakob wollte Stroh für seine Ziegen aus der Feldscheune holen. Sein Weg dorthin führte am Bach entlang. Als er ein Stück des Weges hinter sich hatte, sah er erneut die alte Frau. Die Frau bat ihn, ihren
Schlüsselbund aus dem Bach zu holen. Der Schlüsselbund war ihr irgendwie in den Bach gefallen. Jakob versuchte mit einem Weidenstock den Schlüsselbund heraus zu angeln, jedoch das ging äußerst schwer, da der Bach Hochwasser mit sich führte. Nach mehreren Versuchen hatte er Erfolg, und er gab den Schlüsselbund der alten, hässlichen Frau zurück. Sie verbeugte sich und sagte: „ Du bist ein guter Bub, Gott vergelts dir.“


Es war wie beim ersten Mal, kaum hatte sie den Dank ausgesprochen, schon war sie verschwunden.

Es war inzwischen Herbst geworden. Der Herbst zeigte sich von seiner besten Seite. Die Äpfel leuchteten rotbäckig von den Bäumen, und viele würzige Pilze gab es in den Wäldern. Die Kinder hatten auch viel Spaß beim Drachensteigen.
Mutter Liesbeth schickte die Kinder in den Wald. Sie sollten Pilze suchen. Liesbeth wollte für alle nämlich eine Pilzpfanne zubereiten. Die Kinder suchten und fanden auch viele essbare Pilze. Beim Pilze suchen fand allerdings Hanna die Meisten. Die Kinder wollten nach Hause gehen, als sie ein schrilles Rufen hörten. Sie gingen dem schrillen Rufen nach, und trafen auf die alte, hässliche Frau. Die alte Frau hatte sich mit
ihrem Kleid in einer Brombeerhecke verfangen. Hanna, Trude und Jakob
traten mit ihren Füßen die Hecke herunter. Das Kleid der Frau befreiten sie von den Brombeerranken.
Die alte Frau war überglücklich, man sah es ihr an. Ganz plötzlich verwandelte sich die alte, hässliche Frau in eine hübsche Fee. Sie hatte ein freundliches Lächeln auf ihrem Engelsgesicht. Ihre langen, blonden Haare erreichten fast den Waldboden. Ihre roten Wangen verliehen ihrem Gesicht etwas Madonnenhaftes.
Sie bedanke sich bei den Kindern und gab Jakob eine grüne Flasche.
Die Fee sagte: „ Das ist eine Zauberflasche, hüte sie gut!“
Sie sagte weiter: „ Wenn man sterbenskrank ist und einen Schluck aus
dieser Flasche nimmt, wird man sofort wieder gesund.“

Die Fee ging danach einige Schritte und war gleich wieder verschwunden. Die Kinder konnten sich gar nicht bedanken.
Sie kamen freudig nach Hause, und erzählten alles ihrer Mutter.

Nun begab es sich, dass die kleine Tochter, vom Pfarrer Langrock sehr
krank wurde. Es konnten ihr keine Ärzte helfen und alle Medizin zeigte keine Wirkung.
Pfarrer Langrock hatte von der grünen Zauberflasche gehört. Er ging
zur Mutter Liesbeth und ihren Kindern und sprach die Bitte aus, sie
mögen doch seinem Töchterchen helfen.
Jakob nahm die grüne Flasche und ging mit Hochwürden zu dessen Töchterchen.
Das kleine Mädchen lag leblos und totenbleich in seinem Bettchen. Der Pfarrer richtete sein Töchterchen auf, und Jakob gab ihr einen großen Schluck aus der Flasche. Im Nu bekam das Kind Farbe im Gesicht und es schlug die Augen auf. Der Pfarrer nahm das Kind freudig in seine Arme.

Danach bedankte sich der Pfarrer bei Jakob. Er klopfte dem Jungen
vor Dank auf die rechte Schulter, und gab ihm etliche Silbermünzen. Jakob wollte die Silbermünzen nicht annehmen, doch Hochwürden
bestand darauf.
Als Jakob mit den Silbermünzen nach Hause kam, war die Freude bei
seinen Lieben riesengroß. Mutter Liesbeth brauchte nun nicht mehr betteln zu gehen. Jakob nahm sich einige Silbermünzen und ging freitags auf den Markt. Er kaufte für sich und seine Familie eine schwarzbunte Kuh und fünf Hühner.
Nun lebten Jakob, Hanna, Trude und Mutter Liesbeth glücklich und zufrieden.
Die grüne Flasche bekam im gläsernen Wohnzimmerschrank einen Ehrenplatz.

Ja, und wenn die Vier nicht gestorben wären, lebten sie noch heute…


© Jürgen


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