Vor langer, langer Zeit lebte einmal ein König, der hieß Maximilian. Er wohnte mit seiner Frau in einem prächtigen Schloss, und sie besaßen einen Sohn, der den gleichen Namen trug. Deshalb nannte das Volk sie den großen und den kleinen Maximilian. Sie sagten es mit Respekt, denn der König war ein guter Mann und sorgte wohl für sie. Nun aber, da sein Sohn heranwuchs, erfüllte sein Herz Sorge. Der kleine Maximilian war bereits ein prächtiger Bursche geworden, aber er hatte allerlei Flausen im Kopf.
Eines Tages sprach der Vater zu seinem Sohn: „Ich sorge mich um deine Zukunft, mein Sohn. Du hast nichts als unnützes Zeug in deinem Kopf. Ich werde dich auf die Reise schicken, damit du etwas lernst.“
Der kleine Maximilian nickte. „Wenn du es so befiehlst, will ich wohl mein Pferd satteln, Vater. Doch brauche ich noch Gold und Silber für die Wegzehrung.“
König Maximilian machte ein ernstes Gesicht. „Gold und Silber brauchst du nicht. Ich will sehen, wie du dich als Bettler durchschlägst.“
Und so geschah es, dass der kleine Maximilian ohne einen Taler in der Tasche aufbrach. Wohl aber trug er ein prächtiges Gewand und ritt ein edles Pferd. Die Sonne schien auf den Prinzen herab, und er machte sich wohlfeile Gedanken.
Als er ein gutes Stück Wegs zurückgelegt hatte, kam er an einen Brunnen, daran ein Mann stand und Wasser schöpfte. Der kleine Maximilian hatte Durst. Er stieg von seinem Pferd und sprach den Mann an: „He du, gib mir von deinem Wasser, ich bin durstig vom weiten Ritt.“
Der Mann staunte über das prächtige Gewand und das edle Pferd und schöpfte von seinem Wasser eine hölzerne Kelle voll ab. Die reichte er dem Prinzen.
„Trinkt, edler Herr“, sprach er, „Ihr werdet’s mir vergelten.“
Doch der kleine Maximilian besaß keinen Taler und schüttelte den Kopf. „Ich bin arm wie eine Kirchenmaus und besitze nichts als mein Gewand und mein Pferd“, antwortete er forsch.
Da schlug ihm der Mann mit der Kelle auf den Rücken und scheuchte ihn schimpfend fort.
Nach einer Weile gelangte der Prinz an ein Haus, wo gerade Hochzeit gehalten wurde und eine große Tafel bereitet war, dabei ein junges Mädchen stand. Der kleine Maximilian hatte Hunger. Er stieg von seinem Pferd und sprach das Mädchen an. „He du, gib mir von deiner Speise, ich bin hungrig vom weiten Ritt.“
Das Mädchen besah sich den Prinzen und war erstaunt über sein prächtiges Gewand und sein edles Pferd. Es schnitt ein großes Stück von dem Braten ab und reichte es ihm.
„Esst, edler Herr“, sprach sie, „Ihr werdet’s mir sicher vergelten.“
Doch da der kleine Maximilian nicht einen einzigen Taler besaß, zuckte er nur mit den Schultern und sagte: „Ich bin arm wie ein Bettler und besitze nichts als mein Gewand und mein Pferd.“ Und dabei grinste er keck.
Da drohte das Mädchen ihm mit dem Messer und scheuchte ihn schimpfend fort.
Nach einer Weile wurden dem kleinen Maximilian die Glieder schwer, und er suchte ein Bett zum Schlafen. Da kam er an ein Gasthaus, daraus Gelächter schall. Er stieg von seinem Pferd und betrat die Stube. Die Gäste verstummten, als sie sein prächtiges Gewand erblickten, und der Wirt sprach zu ihm: „Wollt Ihr mein bestes Zimmer, Herr? Ihr werdet’s mir sicher vergelten.“
Der Prinz strahlte ihn an und sagte: „Ich bin arm wie kein anderer und besitze nichts als mein Gewand und mein edles Pferd, das vor Eurer Gaststube steht.“
Da warf der Wirt mit einem Glas nach ihm und scheuchte ihn schimpfend fort. So suchte der Prinz eine Bleibe. Er war durstig und hatte Hunger, und seine Augenlider fielen ihm vor Müdigkeit zu. Da gelangte er an eine ärmliche Hütte, in der ein kleines Feuer brannte. Ein altes Weib mit einer Decke über dem Kopf und die Schultern saß dabei und starrte in die aufsteigenden Funken. Der kleine Maximilian aber stieg von seinem Pferd und sprach: „He du, ich bin hungrig und habe Durst, und meine Augenlider fallen mir vor Müdigkeit zu.“
Das alte Weib aber sah ihn nicht an und antwortete: „Wenn du hungrig bist, musst du essen. Wenn du durstig bist, musst du trinken. Und wenn du müde bist, musst du dir eine Bleibe suchen.“
Der Prinz, der nicht recht schlau aus den Worten wurde, sagte: „Kannst du mir etwas zu essen geben? Und hast du vielleicht einen Schluck Wein? Und kann ich nicht in deiner Hütte schlafen?“
Da lachte das alte Weib und blies in das Feuer, dass die Funken nur so stieben. „Du willst von mir Speise und Trank und eine Bettstatt? Womit willst du bezahlen, Bursche?“
Der Prinz kehrte die Taschen seines Gewandes nach außen und sprach: „Ich bin arm wie du und besitze nur mein Gewand und mein Pferd.“
Das alte Weib starrte noch immer in die aufsteigenden Funken und sagte: „Woher nimmst du das Wissen, dass ich arm bin?“
Nun war es an dem kleinen Maximilian, zu lachen. „Du sitzt hier in einer ärmlichen Hütte mit einem kärglichen Feuer, wie solltest du nicht arm sein?“
Da wies ihm die alte Frau einen Platz am Feuer zu und sprach: „Nicht alles, was du mit deinen Augen wahrnimmst, entspricht der Wahrheit. Du siehst ein Feuer und sagst: es ist klein. Doch es reicht, um mich zu wärmen. Du siehst eine Hütte und sagst: sie ist ärmlich. Doch sie genügt, um mir Schutz zu bieten. Du trägst ein prächtiges Gewand und reitest ein edles Pferd, und doch sage ich nicht: du bist reich. Jeder ist nur reich an dem, was er in seinem Leben gelernt und erfahren hat. Das kann ihm nicht einmal der König mehr nehmen.
Als der Prinz von seinem Vater sprechen hörte, fragte er: „Ist denn der König ein so schlechter Mann, dass er dir etwas wegnehmen will?“
Das alte Weib schüttelte den Kopf. „Nein, Nein. Der König ist ein guter Mann. Er trägt keine Schuld an meiner äußeren Armut. Wenn alle so wären wie er ...“
Der kleine Maximilian sah in das Feuer und sagte: „Der König ist mein Vater, und er hat mich ausgesandt, damit ich mich als Bettler durchschlage. Ich habe nicht verstanden, was ihm dabei einfiel, aber durch dich weiß ich nun, dass nicht das Äußere zählt. Ich danke dir. Ich will heim reiten und es ihm sagen.“
Und der Prinz bestieg sein Pferd und gelangte nach einer Weile an das Gasthaus, in dem der Wirt ihn fortgescheucht hatte. Er trat ein und fragte: „Mein lieber Herr Wirt, wollt Ihr mir wohl ein Zimmer geben. Ich bezahle Euch mit meinem Gewand.“
Der Wirt, der ihn wieder erkannte, ging auf den Handel ein und bot ihm ein Paar alte Hosen und ein geflicktes Hemd zum Tausch. Am nächsten Tag ritt der kleine Maximilian weiter und kam zu dem Haus, wo noch immer die Hochzeit gehalten wurde. Er trat zu dem Mädchen an die Tafel und sprach: „Liebes Fräulein, wollt Ihr mir nicht zu essen geben. Ich bezahle Euch mit meinem Pferd.“
Das Mädchen, das ihn wieder erkannte, willigte ein und reichte ihm ein großes Stück von dem gebratenen Truthahn. Als der Prinz sich satt gegessen hatte, machte er sich wieder auf den Weg. Schließlich kam er an den Brunnen und traf dort den Mann an, der ihn mit der Holzkelle vertrieben hatte. Er sprach: „Lieber Mann, wollt Ihr mir nicht Arbeit geben, damit ich mir einen Schluck Wasser verdienen kann?“
Der Mann, der ihn wieder erkannte, wies ihn an, auf seinem Feld Beeren zu sammeln und reichte ihm einen Eimer voll Wasser.
Nach einer Weile machte sich der Prinz wieder auf den Weg und kam so zum Schloss seines Vaters. Die Wächter wollten ihn zunächst nicht hereinlassen, da sie ihn für einen Bettler hielten. Doch dann erkannten sie in ihm den Sohn des Königs.
Als der Prinz vor seinem Vater stand, sprach er: „Ich habe gelernt, was ich lernen musste, Vater. Nicht der schöne Schein zählt, sondern innere Tugend. Ich will mich bemühen, ein guter Mann zu werden, wie du einer bist.“
Da nahm ihn der Vater in seine Arme und drückte ihn herzlich an sich.


Als der Prinz vor seinem Vater stand, sprach er: „Ich habe gelernt, was ich lernen musste, Vater. Nicht der schöne Schein zählt, sondern innere Tugend. Ich will mich bemühen, ein guter Mann zu werden, wie du einer bist.“

Da nahm ihn der Vater in seine Arme und drückte ihn herzlich an sich.


© Ulrich Kusenberg


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