Als ich ein Kind war, lebte in unserem kleinen Wald gleich hinter der Kirche eine kleine Fledermaus. Die hieß Flunky. Flunky lebte mit seinen Eltern und seinem großen Bruder in einem hohlen Baumstamm. Wie ihr wisst, müssen Fledermäuse am Tage schlafen, und nachts fliegen sie emsig herum und machen Jagd auf Insekten und anderes Getier, das kleiner ist als sie. Dabei sehen sie kaum etwas und trotzdem stoßen sie sich nirgends die Köpfe, denn Fledermäuse senden Schallwellen aus. So wissen sie auch im Dunkeln immer, ob der Platz vor ihnen frei ist oder nicht.

Tagsüber schlief Flunky am liebsten in einem kleinen, kuscheligen Bettchen. Und das war ungewöhnlich. Normalerweise hängen die Fledermäuse beim Schlafen kopfüber von der Decke. Aber Flunky mochte das nicht. „Mir wird dabei immer schwindelig“, meckerte er schon früh herum und verkrabbelte sich lieber in dem kleinen Lager aus Gras und Moos, dass ein Eichhörnchen vom Vorjahr zurückgelassen hatte. Mama und Papa Fledermaus hatten für die Besonderheiten ihres jüngsten Sprösslings gar kein Verständnis und schüttelten für gewöhnlich nur die Köpfe.

Flunky hatte einen Freund. Den dünnen Fridolin. Fridolin und Flunky trafen sich jede Nacht. Sie bücksten dann heimlich aus und machten Blödsinn, wie das eben bei den meisten Jungs in ihrem Alter so ist. Am liebsten flogen sie zu einem nahegelegenen Bauernhof. Denn da gab es neben dem Haupthaus noch viele kleinere Gebäude mit tollen Gerüchen und ganz vielen interessanten Nachtgeräuschen, wie man sie noch nie im Wald gehört hatte.

Aber man musste dort auch aufpassen. Im Kuhstall, zum Beispiel, durfte man beim Milchreste-Schleckern keinen Blecheimer umstoßen. Im Hühnerstall durfte man beim Eierklau die schnell aufgeregten Hühner nicht aufwecken. Im Pferdestall durfte man beim Fliegenfangen nicht unter die Pferdehufe kommen und in der Scheune und auch draußen im Garten oder im nächtlichen Hof, wo sich oft viele verschiedene Insekten tummelten, mussten man sich vor den drei Katzen des Bauers in Acht nehmen. Denn die gingen auch gerade des Nachts mit großer Vorliebe auf die Jagd. Sie fingen alles was sich bewegte, von der Spinne bis zur Maus und waren recht geschickte Jäger.

Flunky und der dünne Fridolin hatten immer mächtig Spaß und bevor die Nacht ihrem Ende zuging, flogen sie wieder zu ihren Eltern zurück in den Wald. „Wo seid ihr denn schon wieder gewesen?“, mussten sie sich dann des Öfteren anhören. Aber sie grinsten nur und sagten nicht viel. „Hier sind wir doch. Wir sind doch da!“, erwiderten sie in der Regel bloß. Und dann krabbelte jeder der beiden pünktlich vorm Sonnenaufgang wieder in den häuslichen Baumstamm der Eltern zurück. Es war einfach zu schön, ein Geheimnis zu haben. Und die Fledermauseltern, die in erster Linie froh waren, dass ihre Kinder wieder da waren, ließen es dabei.

So verging der erste Frühling. Flunky und Fridolin wuchsen schnell heran und sollten bald zur Schule gehen. Denn Fledermauskinder, das müsst ihr wissen, wachsen viel schneller als die Menschenkinder. Aber dafür leben sie auch nicht so lange. Eine wildlebende Fledermaus wird nur acht bis neun Jahre alt. Doch genauso wie die Menschenkinder werden auch die Fledermauskinder jedes Jahr im August eingeschult. Bald war es soweit, dass Flunky und Fridolin in die erste Klasse kommen sollten, und sie waren schon sehr aufgeregt.

Als es bereits Mitte Juli war, da bücksten Flunky und der dünne Fridolin nachts mal wieder klammheimlich aus. Sie flogen wieder zu dem Bauernhof, gingen wieder in den Kuhstall zum Milchreste schleckern, gingen wieder in den Hühnerstall, um Eier zu stehlen, gingen wieder in den Pferdestall, um Fliegen zu fangen - doch als sie in die Scheune kamen, da erschraken sie.

Lichterloh hoch lodernde rote und gelbe Flammen türmten sich knisternd und glühend vor ihnen auf und versperrten ihnen den Weiterflug. „Um Gottes Willen“, weinte Flunky. „Mein Gott, was ist das nur, das sieht aus wie der Teufel“, kreischte der dünne Fridolin. Die beiden Fledermäuse hatten so etwas noch nie gesehen und – fielen, wie konnte es auch anders sein, in Ohnmacht.

Als sie Stunden später wieder aufwachten, lagen sie in einer Kiste angefüllt mit Stroh. Sie blinzelten mit den Augen – denn das Tageslicht tat ihnen weh – und versuchten sich in eine möglichst angenehme Ruheposition zu bringen – denn natürlich könnten sie hier nicht kopfüber von irgendeiner Stange herunterbaumeln. Zumindest Flunky tat das sowieso sehr selten. „Oh, schaut mal, der eine hat die Augen aufgemacht“, hörten sie eine kleine Mädchenstimme. „Ach, wie süß und der andere hat sich umgedreht. Onkel Thomas, die Fledermäuse sind aufgewacht. Die sind nicht tot“, rief eine zweite Mädchenstimme und schon hörten sie wie kleine, kurze Schritte hinaus aus dem Zimmer tapsten. Wohl um Onkel Thomas zu suchen. Flunky und der dünne Fridolin sahen sich nur kurz an und wussten ganz genau, was sie zu tun hatten: Sie stellten sich tot – und zwar so richtig!

„Die leben noch Onkel Thomas“ kam die zweite, piepsige Kinderstimme kurz darauf zurück. „Wirklich …“ Onkel Thomas war wohl der Bauer dem der Bauernhof gehörte. Er schien sichtlich besorgt zu sein. „Gott sei Dank haben wir das Feuer schnell löschen können. Im Sommer kann so etwas schnell passieren. Alles ist trocken und warm. Wir haben riesiges Glück gehabt, dass unsere Hunde so schnell angeschlagen haben. Und die zwei Kerlchen hier haben auch Glück gehabt. Die sind noch jung.“ Er schüttelte den Kopf. Dann dachte er nach. „Ich könnte den Naturschutzbund anrufen. Die wissen, wie man so kleine Kerlchen wieder aufpäppeln und auswildern kann.“ Und so geschah es …

Wenig später kam ein freundlicher Herr vom Naturschutzbund zu Bauer Thomas, um die Fledermäuse zu begutachten. “Oh ja, das sind gaaanz junge Tiere“, sagte der auch schnell. Die päppeln wir uns wieder gesund. Gut, dass sie uns angerufen haben. Die haben wohl eine Rauchvergiftung und einen riesigen Schreck obendrein. Sie haben also Fledermäuse auf ihrem Grundstück?“

Bauer Thomas guckte ganz verdutzt. „Wahrscheinlich. Die leben doch überall. Oder? Sicher, man sieht in der Dämmerung ständig was fliegen. Vögel fliegen in der Dämmerung nicht. Also müssen das Fledermäuse sein, aber ob die jetzt hier irgendwo in der Scheune nisten, das weiß ich nicht.“

Der nette Herr vom Naturschutzbund räusperte sich. „Wissen sie was?“, sagte er dann nachdenklich. „Da es wahrscheinlich ist, dass die Fledermäuse hier irgendwo ihr Lager haben, wäre es Unsinn sie fortzubringen. Ich denke nicht, dass die zwei hier sich einfach verflogen haben. Ich bin mir sicher, wenn sie wieder gesund sind, werden sie den Nachhauseweg alleine finden … Was halten sie davon, sie ein oder zwei Tage bei sich zu behalten?

„Au ja“, riefen Sophie und Clara ganz schnell. „Sie können ihn unserm Puppenhaus wohnen Bitte, bitte Onkel Thomas“.

Als Flunky und der dünne Fridolin nach zwei Tagen wieder zu Hause waren, hatten sie so einiges zu verkraften. Nicht nur, dass sie zwei Tage in einem Puppenhaus verbracht hatten. Nein, sie hatten sich auch noch eine ganz schöne Standpauke von ihren Mamas und Papas anhören müssen. Und das, wo sie schon halb erwachsen waren. Schließlich sollten sie bald zur Schule gehen!

„Was soll das geben, wenn wir nie wissen, wo ihr seid?“
„Wenn ihr nicht endlich groß werden wollt, dürft ihr auch nicht zur Schule gehen.“
„Wo soll das hinführen? Ihr seid noch gar nicht alt genug, um Verantwortung zu übernehmen.“
„Ihr bleibt noch ein Jahr zu Haus und müsst erst älter werden ...“ So schimpften und tadelten die Fledermauseltern alle quer durcheinander. Besorgt, ärgerlich, ängstlich und auch ein wenig verständnislos.

Flunky und der dünne Fridolin sahen sich an. Die Eltern hatten recht! Ihr letzter Ausflug hatte ihnen ganz deutlich gezeigt, wie wichtig es ist, dass die Eltern immer wissen, wo ihre Kinder sind. Denn nur so kann den Kindern geholfen werden, wenn doch einmal etwas Schlimmes passieren sollte …

Sehr nachdenklich gingen sie an jenem Morgen zur Ruh. Auch Flunky hängte sich zur Abwechslung mal wieder kopfüber von dem dicken Zweig in seiner elterlichen Baumhöhle. Oh ja, die Eltern hatten recht! Ab jetzt wollte er sich wie eine richtig große Fledermaus benehmen. Wie eine große Fledermaus, die man ruhigen Gewissens auch schon allein zur Schule schicken konnte. Denn bald sollte ja der wichtige Tag sein. Noch drei Mal schlafen, dann war endlich Einschulung. Flunky merkte, wie stolz er war und wie sehr er sich darauf freute. Schnell machte er die Augen zu und war ganz schnell eingeschlafen.


© Maria Anders


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Kindergeschichte zur Einschulung

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