Eddi von Fürstental lag in seiner breiten Astgabel und schaute nach oben ins hellgrüne Blätterdach der Buche. Hier war es allemal besser auszuhalten als in diesem Vollverpflegungsheim, in dem er die letzte Nacht verbracht hatte. Drehte er den Kopf und schaute nach unten, dann sah er gleich hinter dem breiten Weg den Campingplatz Fürstental, sein angestammtes Heimatrevier.

Eddi, den Namen hatte er weg seit eines der Kinder rief: „Mama schau, da ist ein Eddi!“ „Das ist ein Waschbär. Nur das Maskottchen am Edersee nennen sie Eddi“, hatte damals die große Frau zu der kleinen gesagt. Aber hier bei den Fürstentaler Waschbären nannten sie ihn nun den „Eddi“. Er war noch jung und unerfahren. Rief jemand oder pfiff, dann blieb er stehen und schaute. Einmal bekam er von so einem kleinen Zweibeiner einen leckeren Keks. Aber das Stück Apfel, das er neben einem Zelt fand, schmeckte viel besser.

Die großen Waschbären hatten nachts ihre festen Wege über den Campingplatz. Bei den Zelten war immer etwas zu holen. Die wirklichen Könner unter ihnen brachen bei den Wohnwagen ein, wenn die Besitzer fort waren und hinterließen oft ein wahres Chaos. Etwas Essbares fanden sie immer, denn die Menschen sind dumm und ungeschickt.

Eddi seufzte. Oben prasselte der Regen auf die Blätter und einzelne Tropfen trafen auch ihn, kullerten über sein Fell und tropften dann vom Schwanz, den er lässig nach unten baumeln ließ. In der letzten Nacht hatte er sich alleine auf den Weg gemacht. Schon immer wollte er da mal alleine hin, was die anderen Waschbären das „Vollverpflegungsheim“ nannten. Es waren so große Metallkisten. Die Stärksten sprangen auf die meist offenstehenden Deckel und wühlten in den verlockenden Tüten und Beuteln, warfen einige nach draußen, wo dann auch Eddi mit scharfen Krallen Fressbares herauskratzte und verschlang.

Da standen nun bei seinem ersten Alleingang die großen Metallbehälter im fahlen Licht der Vollmondnacht. Ein Deckel war wie erwartet nicht ganz geschlossen. Wenn er die Nase in den Wind hielt, dann lockten viele leckere Sachen und das Abenteuer sowieso. Geschickt sprang er von hinten, wo ein paar Bretter und Balken lagen, hoch auf den gewölbten Deckel. Geschafft, dachte Eddi. Jetzt nur noch nach vorne rutschen und durch den Spalt hinein. Doch statt oben auf den angehäuften Beuteln weich zu landen plumpste er nach unten ins Dunkle. Die Ausbeute der wenigen Abfallbeutel war gering. Das war kein Vollverpflegungsheim. Irgendwer musste es in den letzten Tagen leergeräumt haben. (Kleine Waschbären wissen noch nichts von der Müllabfuhr.) Wahrscheinlich waren sie deshalb alle woanders in dieser Nacht, dämmerte es dem kleinen Waschbären. Es war zwar schön trocken hier unten und der heftige Regen hörte sich auf dem Metalldeckel ganz anders an als in seiner Buche, aber Hunger hatte er trotzdem. Jetzt wollte er zu den Anderen. Er sprang und sprang immer wieder, doch bis zum Rand da oben schaffte er es nicht. Irgendwann in der Nacht schlief er ein. Er saß im Arrest!

Gegen Morgen hörte er Schritte den steinigen Waldweg herauf näher kommen. Er versuchte mit den Krallen irgendwo an der steilen Wand Halt zu finden und kratzte verzweifelt. Dann fiel von oben ein Beutel durch den Spalt und ein weißes Gesicht schaute herab zu ihm: „ Wen haben wir denn da? Einen Hausbesetzer?“ Blöde Frage, dachte sich Eddi und schaute so lieb er konnte. So war er schon einmal an einen Keks gekommen. Aber einen Keks wollte er nicht. Er wollte hier nur raus. Mach was, dachte er und guck nicht so blöd. Mir ist das sehr peinlich hier unten.

Dann verschwand das Gesicht. Irgendwas brummelte der da draußen vor sich hin, als plötzlich ein dicker Ast bis auf den Boden der Müllkiste geschoben wurde. Das Gesicht schaute kurz hinein und zog sich so komisch breit. Waschbären grinsen nicht, aber die Menschen machten das manchmal. Dann verschwand das Gesicht. Eddi hörte noch ein paar Schritte und es war still. Mit wenigen kräftigen Kletterzügen war er oben und schaute heraus. Da stand der Zweibeiner, grinste und sagte: „Nun mach, dass du in deinen Wald kommst.“ Oh da vorne vor Eddi war es sehr, sehr tief und da stand auch der Mensch. Denen darf man nicht trauen, hatten sie ihm zu Hause erklärt. Es gibt welche, die mögen uns gar nicht. Eddi wollte es nicht darauf ankommen lassen. Mit einem kräftigen Satz sprang er auf der anderen Seite seines Nachtarrestes ins hohe Gras und landete weich. Der Mensch packte das komische Auge, aus dem es geblitzt hatte, in eine Tasche und ging weiter. Kurz darauf rannte Eddi aus dem Grasversteck über den Weg und kletterte auf seine Buche.

Das darf ich niemandem erzählen, dachte Eddi. Sie würden nur über mich lachen. Vielleicht erzähle ich aber auch, dass ich mit einem Zweibeiner gesprochen habe und er mir nicht nur half, sondern versprach, dass er eine Geschichte über mich schreiben würde und ich dann in die Zeitung komme und berühmt werde und dann werden sie mich, den kleinen Eddi, bewundern und dann……… und dann schlief Eddi wieder in seiner Buche bis zum Abend.

Ich aber habe die Geschichte geschrieben, denn ich mag diese Eddis!

© Gerhard Falk


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Kommentare zu "Hausbesetzer aus Arrest befreit"

Re: Hausbesetzer aus Arrest befreit

Autor: Gerhard Falk   Datum: 11.12.2013 10:02 Uhr

Kommentar: Inzwischen ist aus der Geschichte ein Buch geworden "Eddi von Fürstental - Die Geschichte vom kleinen Waschbären"
http://neuebuecher.de/vlbid/0-4529899/

Re: Hausbesetzer aus Arrest befreit

Autor: Gerhard Falk   Datum: 11.12.2013 10:10 Uhr

Kommentar: Engelsdorfer Verlag, Leipzig 2013
ISBN-13: 978-3954886852

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