Wenn Alpträume wahr werden

Der alte Schriftsteller Mr. Albert Kellermann saß an seinem Schreibtisch und dachte darüber nach, was er diesmal schreiben wollte. Leider fiel ihm auch heute nichts ein und seine Gedanken verloren sich im Nichts.

Tatsächlich gingen ihm langsam nämlich die Themen aus, da er schon so unendlich viele Geschichten geschrieben hatte, die sich alle in einem großen Regal an der gegenüber liegenden Wand vor ihm bis an die Decke stapelten.

Plötzlich klopfte jemand draußen an der Haustür des Schriftstellers und eine ihm bekannte Stimme rief: „Sind Sie da, Mr. Kellermann? Ich bin es, Anton der Postbote. Ich habe ein Paket für Sie. Sie müssen den Empfang quittieren. Machen Sie bitte die Tür auf. Ich habe heute noch viel zu tun und muss gleich wieder weiter.“

Mr. Kellermann erhob sich von seinem Schreibtisch, schlurfte träge hinüber zur Tür und öffnete sie.

Der Postbote hielt ihm sogleich ein Schriftstück entgegen und sagte: „Ich dachte schon, Sie seien nicht da, Mr. Kellermann. Unterschreiben Sie bitte hier unten, und ich bin auch gleich wieder weg.“

Der alte Mr. Kellermann nahm den Kugelschreiber des Postboten ein wenig unbeholfen in die Hand, unterschrieb mit krickeliger Schrift die Empfangsbestätigung, nahm das Paket entgegen und ging ins Haus zurück.

Bevor er die Tür schloß übergab er dem Postbeamten ein kleines Trinkgeld und wünschte ihm noch einen schönen Tag. Der bedankte sich freundlich und machte sich gut gelaunt auf den Weg zum nächsten Kunden.

Der Schriftsteller ging zurück an den Schreibtisch und stellte das Paket direkt auf die dort liegenden Blätter, vor denen er vorhin noch gesessen hatte, die aber leider leer und unbeschrieben geblieben waren, weil ihm einfach nichts eingefallen war, worüber er hätte schreiben können.

Auf einmal überkam dem alten Mr. Kellermann eine bleierne Müdigkeit, sodass er sich dazu entschloß, auf der Schlafcouch, die gleich neben dem Schreibtisch stand, ein kleines Nickerchen zu machen.

Müde legte er sich hin und schlief innerhalb weniger Minuten ein.

Es wurde still im Haus des Schriftstellers. Eine seltsame Dunkelheit legte sich auf einmal über den Schreibtisch des alten Mannes, als sich das Paket plötzlich ganz von selbst öffnete und eine kleine grüne Gestalt mit großen, bösen Augen daraus hervor lugte.

Im nächsten Moment verschwand das Paket geräuschlos im Nichts und der grüne Zwerg, der jetzt einen schwarzen Schlapphut auf dem Kopf hatte, stand hoch aufgerichtet auf dem Schreibtisch über den leeren Papierseiten und fing mit seiner knorrigen Hand wie wild an zu schreiben.

Jedes fertig beschriebene Blatt schien auf einmal lebendig zu werden und flog hinüber zu dem schlafenden Schriftsteller, dessen Körper bald von einer großen Menge Blätter bedeckt wurde, die ihn mehr und mehr wie eine Mumie einhüllten.

Als der grüne Zwerg endlich mit dem Schreiben fertig war, schaute er plötzlich mit finsterem Blick hinüber zum schlafenden Schriftsteller und fing hämisch an zu grinsen.

„So, meine Horrorgeschichte ist fertig, Mr. Kellermann. Jetzt kommt der letzte Teil, der wohl der beste ist. Ich werde dich mit Haut und Haaren fressen und nichts von dir übrig lassen als deine stinkenden Klamotten. Ich liebe nämlich altes Fleisch.“

Im nächsten Augenblick sprang der grüne Zwerg vom Schreibtisch und stürzte sich auf den schlafenden Erzähler, der sich auf einmal stöhnend zu bewegen schien.

Aber es war zu spät.

Überall aus den Blättern fingerten plötzlich lange Tentakeln hervor und schlängelten sich suchend und kriechend um seinen zuckenden Körper.

Auch der grüne Zwerg hatte sich nach und nach in ein blutrünstiges Monster verwandelt, das sich jetzt mit weit geöffnetem Maul und messerscharfen Zähnen gierig über das blutige Fleisch des schreienden Schriftstellers hermachte.

Dann wurde es wieder still im Zimmer, als wäre nichts geschehen.

***

Schweißgebadet und furchtbar laut schreiend erwachte der alte Schriftsteller Mr. Albert Kellermann aus seinem Schlaf und öffnete ängstlich die Augen.

Fast wäre er von der Schlafcouch herunter gefallen, weil er jetzt wie wild mit den Armen nach allen Seiten um sich schlug, als wolle er etwas, das man nicht sehen konnte, mit aller Kraft abwehren.

Nach einer Weile beruhigte er sich aber wieder und blickte schließlich im Zimmer herum.

Dann sah er das Paket, das immer noch ungeöffnet auf seinem Schreibtisch stand.

Er erhob sich immer noch ganz müde und schwerfällig von der Couch, ging hinüber zu dem Paket und öffnete es. Neugierig schaute er hinein.

Dann erschrak er bis ins Knochenmark.

Ein kleiner grüner Zwerg mit einem schwarzen Schlapphut auf dem Kopf sah ihn aus dem offenen Paktet grinsend an, der sich jetzt nach und nach in ein Monster mit langen, schleimigen Tentakeln verwandelte, die sich wie Schlangenarme überall um den Körper des Schriftstellers wickelten, ihn wie ein Schraubstock eisern festhielten und langsam zu zerquetschen begannen.

Dann begann das Monster den vor Entsetzen schreienden Mr. Kellermann bei lebendigen Leibe genüsslich zu verspeisen, bis nichts mehr von ihm übrig blieb, als ein paar Fetzen seiner Kleidung, die auf dem Blut verschmierten Boden herum lagen.

Auf seinem Schreibtisch aber lag ein fertiges Manuskript mit der Überschrift:

Wenn Alpträume wahr werden

Eine Horrorgeschichte
vom
Schriftsteller Albert Kellermann

***

ENDE

(c)Heiwahoe


© Heiwahoe


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