Der Wind wehte und zerzauste das Fell einer kleinen, schildpattfarbenen Kätzin, die im Gras saß und in den Sternenhimmel blickte. Ihre blauen Augen strahlten hell und voller Hoffnung, ihre Ahnen in dieser Nacht zu treffen und sich mit ihnen die Zunge zu geben. Doch die Hoffnung verflog, als sich ein Schleier vor die Sterne zog und diese verdeckte. Die Welt um sie herum verfinsterte sich und die Sterne verblassten. Nur der Mond strahlte in gewohnter Helligkeit. Doch als dieser sich Blut rot verfärbte, sträubte sich das Fell der jungen Kätzin. Der Schleier wurde zu Nebel und alles, selbst der Mond, wurde in die Dunkelheit eingesogen. Verzweifelt suchte die kleine Kätzin nach einem Funken der Sterne, doch diese Suche war vergebens. Angstgeruch machte sich breit, da sie durch die Dunkelheit nichts mehr sehen konnte. Es erschienen vor ihr 2 rote Augen, welche sie aus der Dunkelheit an-funkelten und jede Bewegung der Kätzin beobachteten, bis sich ihre Blicke trafen. Ein Verlangen aus vergessenen Tagen spiegelte sich in diesen Augen wieder. Der Blick schien, als wenn das Verborgene gleich vorprescht und ihr den Atem aushaucht. Eine tiefe, grausige Stimme brach das Schweigen und sprach: »Die Jünglinge, die das verdorbene Blut ihrer Ahnen in sich tragen..., werden auch ihr Schicksal teilen«. Die Stimme verklang, so wie sie kam und doch hallte sie immer noch in den Ohren der Kätzin. Es erschienen immer mehr Augen, die die Blicke der Kätzin suchten. Eine sehr ruhige und sanfte Stimme ertönte: »So rein wie das Licht des Mondes..., das unbefleckte Blut, das von den Sternen hinab strahlt, wird das Schicksal des Clans leiten«. Die Stimme hallte wieder lange in ihren Ohren und wurde dabei immer lauter.

Eine kleine Gestalt wurde im Nebel sichtbar und fing an, wie die Sterne am Nachthimmel, von innen heraus zu leuchten. Aus der kleinen Gestalt ertönte ein Klageschrei und aus den Lefzen tropfte Blut, das sich unter den Pfoten der kleinen Gestalt sammelte. Die Kätzin erstarrte, als die kleine Gestalt sich in einem Meer von Blut wieder auflöste. Das Blut floss wie ein Fluss auf die Kätzin zu, bis sie die klebrige Flüssigkeit an und unter ihren Pfoten spürte. Nur der Glaube an ihre Ahnen hielt sie an Ort und Stelle. Das Blut floss an ihren Pfoten hinauf und umschlang die Kätzin vollkommen. In vollkommener Dunkelheit eingehüllt, hörte sie wieder die sanfte Stimme in ihren Ohren: »Öffne deine Augen mein Kleines, deine Ahnen haben dich nicht vergessen. Vertraue mir! «. Auch mit der Gewissheit, dass das Blut ihre Sehkraft trüben könnte, öffnete die Kätzin ihre Augen. Hoffnung machte sich breit als sie die Gestalt mit dem Fell der Sterne erkannte. Ihre Pfoten und Muskeln lockerten sich und sie erhielt ihre Freiheit wieder, aus dem Gefängnis des Blutes, der ihren Körper hatte erstarren lassen. Die Gestalt mit dem Fell der Sterne löste sich langsam auf und die Kätzin hörte noch drei Worte: »Lauf zum Licht! «. Eine Pfote nach der anderen setzte sie, um das Licht zu erreichen. Sie schloss die Augen, da sie von der Helligkeit fast geblendet wurde. Als die Kätzin diese erneut öffnete, um die Orientierung nicht zu verlieren, fand sie sich in ihren Bau wieder. Ihr Körper bebte und ihre Brust hob und senkte sich sehr schnell. Um sich wieder zu beruhigen schloss die Kätzin ihre Augen und konzentrierte sich auf den Geruch der Kräuter. Leise murmelte sie die Worte nach, die noch in ihren Kopf nachhallten.

Als die Kätzin ihre Augen langsam wieder öffnete, erblickte sie ein rotbraunes Fell in der rechten Ecke ihres Baus, nahe dem Eingang. Die grünen, hellen Augen des Katers waren fest auf sie gerichtet. »Ist alles in Ordnung? «, Miaute der rotbraune Kater. Die Kätzin erhob sich und erkannte erst jetzt ihren Schüler »Ja, es ist alles in Ordnung..., Ich..., Ich glaube, ich habe eine Botschaft erhalten«. Die schildpattfarbene Kätzin trat aus ihrem Bau und machte sich auf zu ihrem Anführer, um die Botschaft ihrer Ahnen zu übermitteln.

Das Licht des Mondes gab die Silhouette eines kleinen Katers preis, welcher im Gras neben einem kleinen Bach saß. Nur das leise Plätschern des Wassers war zu hören, so wie der Wind, welcher durch die Blätter der Bäume wehte. Durch das Mondlicht schimmerte sein schwarzes Fell wie Silber und in seinen Augen spiegelten sich die Sterne wider. Der Kater senkte sein Haupt zu Boden und seufzte... »Ach Blütenherz, vor welche Herausforderung stellst du mich wieder? Was soll ich nur tun? Ich bitte dich, Blütenherz, sag es mir! «.

Blütenherz war einst die ehemalige Heilerin des Nebelclans und Mentorin von Sturmherz, welche durch eine Fehlentscheidung des Katers ihr Leben gelassen hat. Seine Gedanken an die Kätzin waren voller Trauer und Schmerzen. Jede Nacht träumte er von diesem unheilvollen Tage, wie er und seine Krieger den leblosen Körper der Kätzin fanden. Niemals wird er ihr Angst verzerrtes Gesicht vergessen können. Auch wie der zertrümmerte Körper im Gras gelegen hat und ihr das Blut aus den Augen und Ohren quoll.

Der Kater blickte zu den Sternen. »Bitte verzeih mir Blütenherz, ich hätte dich nicht alleine gehen lassen sollen. Denn dann würdest du noch hier bei mir sein und nicht schon unter den Sternen jagen«. Die Augen des Katers trübten sich und seine Gedanken zogen ihn in eine tiefe Dunkelheit.
Erst das Rascheln des Laubes an einem nahe stehenden Ahornbaumes erregte seine Aufmerksamkeit und holte ihn aus seinen Gedanken zurück.
Aus den Schatten trat eine schöne schlanke Kätzin hervor »Hier bist du also Schattenstern, ich habe nach dir gesucht! «. Als die Kätzin sich neben Schattenstern ins Gras setzte, wanderten ihre Augen Richtung Horizont und verloren sich fast im Meer der Sterne. »Haben dir unsere Ahnen schon irgendwas über den Traum von Sturmherz erzählt? «. Schattenstern peitschte mit dem Schwanz »Nichts, rein gar nichts, Abendrot. Seit dem Tod von Blütenherz sprechen unsere Ahnen nicht mehr zu mir, weder unter den Sternen noch in meinen Träumen«. Schattenstern legte die Ohren an. »Es scheint mir als wollten sie mich wegen meines damaligen Fehlers tadeln und hüllen sich deswegen in Schweigen«. Abendrot leckte tröstend die Schulter ihres Anführers. »Der Tod von Blütenherz war ein Unfall und die Schuld, trifft eher den Dachs und nicht dich Schattenstern und selbst unsere Ahnen wissen dies! «.

Abendrot drückte ihre Schnauze fest in das Fell von Schattenstern. »Sie werden wieder mit dir sprechen, sobald die Zeit gekommen ist! «. Abendrot hoffte, dass ihre Worte ihren edlen Anführer erreichen und ihm Hoffnung und Kraft schenken, für diese schwierige Zeit. Ein leises Schnurren ertönte aus der Kehle von Schattenstern und er nahm den Trost seiner Stellvertreterin dankend an. »Ich danke dir, Abendrot! « miaute Schattenstern. Der Kater genoss noch eine Weile die Nähe seiner Stellvertreterin und Blickte zufrieden dabei über sein Lager.


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Kommentare zu "Buch der Ahnen"

Re: Buch der Ahnen

Autor: Angélique Duvier   Datum: 27.12.2022 17:34 Uhr

Kommentar: Eine schöne Geschichte, gut geschrieben!

Herzliche Grüße,

Angélique

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