Ich bin todmüde, aber ich gehe nach draußen. Es tut mir weh, sie nicht um Erlaubnis fragen zu können. Wenn es eine Antwort nicht gibt

Ein Weg führt auf die Autobahnbrücke. Den hätte ich früher entdecken können. Der Blick über den Stadtteil ist mäßig eindrucksvoll. Es ist kalt und windig. Eine lange Hauptstraße von einer Reihe funktionaler Laternen beleuchtet. Ein Auto fährt darunter entlang. Als ich eben zwischen den Häusern ging, stellte ich mir vor, das sie in solch einem Auto sitzt. Es kommt mir entgegen. Ein Moment

Der Fußgängerweg ist schmal, keine Laternen. Wenn mir jetzt ein Radfahrer entgegen käme, würde er mich vielleicht übern Haufen fahren. Ich seh das gelassen. Es kommt mir substanzlos und unreal vor. Auch wenn ich es nicht drauf anlege. Da gibt es Schöneres… wie ihren Absatz im Nacken zu spüren.
Man kann weit über die Stadt sehen.

Dann erreiche ich die Mitte der Brücke. Es wird deutlich windiger. Ich stehe hinter der halb transparenten und vergilbten Windschutzmauer, die den Fußgängerweg von der Fahrbahn trennt, gucke auf das schwarze Wasser des Flusses viele Meter unterhalb. Es sieht aus wie Blei. Die Spiegelungen im Wasser lassen die Wellen erkennen. Das Lichtermeer der Industriemeile erstreckt sich Kilometer gegenüber vor der Biegung.
Ich überlege wie es wäre runterzuspringen. Das schwindelnde Gefühl ins Bodenlose zu fallen. Schockkalt und hart das Eintauchen. Überlebenschancen fünfzig fünfzig. Wobei gerade mehrere tiefliegende Frachter in beide Richtungen durchs Wasser pflügen. Vielleicht weniger als fünfzig.
Der Lärm der Schiffsmotoren ist gedämpft, als passe er sich der Nacht an. Nahe an der Brücke zieht sich dunkler Uferwald und aufgeschüttete Steine ragen in den Fluss. Insgesamt ist es ein schöner Anblick, und ich wünschte, das sie jetzt hier wäre und sehen kann, was ich sehe.
Ich mache ein Foto, gehe weiter, bleibe wieder stehen. Meine Hände brennen inzwischen, stellenweise auch im Gesicht und an den Beinen. Es zieht in meine Kapuze. Die Scheinwerfer fahren durch die hohe Schutzwand vorbei. Schnell mach ich das ich weiter komme. Hab zu viel rumgestanden. Der Wind schneidet.
Mir wird wärmer von dem Tempo. Das müsste es beruhigen. Es juckt und brennt stetig mehr. Das ist mir egal insofern, das es mich nicht abhält nachts durch die Gegend zu streifen.
Auf der anderen Seite angekommen, passiere ich ein paar Bau- und sonstige kleine Anlagen die sich aus dem Dunkeln materialisieren, Container, Sicherheitszäune. Punktuell mit grünen Signallampen versehen. Im Wesentlichen ist es nichts anderes. Es ist befestigter und ohne Bäume. Ein Uferweg. Ich schreibe eine Nachricht.

Irgendwann muss ich vom unspektakulären Ufer hier wieder zurückgehen. Ich kann wohl nicht auf einer Bank schlafen. Oder darunter?
Es ist zwischen fünf und halb sechs. Ich weiß nicht mehr, wie lange ich schon draußen bin. Die Brücke ist dezent lang. Erstaunlich viele Radfahrer sind unterwegs. Vier davon bemerken mich erst im letzten Moment. Ich sehe sie von Weitem.
Dennoch bin ich allein. Und der Weg ist leer. Obwohl die Stahlträger im Wind knarren, die gelegentlichen Fahrzeuge auf der Straße neben mir und auch der Fluss rauscht, ist es still. Niemand sonst kann so in der Nacht verschwinden. Ich habe die Mitte überquert, als es nach Wasser riecht. Nach Chlor und noch etwas anderem, das ich nicht benennen kann. Es vollendet diese Atmosphäre. Mit sachlichen Worten kann man das wohl nicht wiedergeben. Ich vermisse sie.
Meine Herrin ist hier. Aber sie ist weg. Das Gefühl gegen den Verstand, fühlt es sich nach beidem an. Aber ich kann nicht wissen, wie sehr sie es tatsächlich ist.


© D.M.


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