Es war mal wieder einer von diesen verfluchten Tagen an dehnen ich am liebsten im Bett liegen geblieben wäre. Nichts wollte so wirklich klappen oder funktionieren und dabei war die Müslischüssel, deren Inhalt ich ungeschickter Weise auf dem Küchenboden verteilte, noch mein kleinstes Problem. Mein aller Kleinstes.

Ich hatte an diesem Morgen mal wieder vollkommen verschlafen. Anstatt mich, wie gewöhnlich, um 6 Uhr 30 zu wecken, hatte sich mein Handywecker von alleine ausgeschaltet.
Ich seufzte, kroch in meine Sachen, schnappte mir meine Tasche und verließ das Haus.

Dabei bemerkte ich das erste mal den Nebel, welcher sich wie ein dichter, beinah undurchdringlicher Schleier, um dieses herum ausgebreitet hatte. Leicht verärgert schüttelte ich den Kopf. Schlimmer als dieses kalt, nasse Wetter konnte es nicht kommen, dachte ich und machte ,mich auf den Weg zu meinem Auto, welches auf der Stellfläche neben meinem Haus geparkt war. Dort jedoch wurde ich bereits erwartet.

Zunächst sah ich nur mein Auto, doch plötzlich erblickte ich eine menschengroße, dunkle Gestalt, welche an diesem lehnte. Ich erschrak. Sie war so schwarz wie ich es noch niemals gesehen hatte, der dunkle Asphalt der Straße wirkte gegen sie beinah weiß.

Ich blieb stehen. Diese kurze Bewegung machte die Gestalt jedoch auf mich aufmerksam und sie blickte auf. Ihr Mund, oder besser gesagt dass was ich als ihren Mund zu erkennen glaubte, öffnete sich und ein schauerlicher Knurren entwich aus ihm in meine Richtung.

Mein Herz rutsche in meine Hose. Was war das für ein Wesen?

Urplötzlich bewegte sich das Wesen und begann, unheimlich langsam, in meine Richtung zu gehen.
Ich wusste in diesem Moment nicht wer schneller reagiert: Mein Kopf oder mein Körper.
Auf jeden Fall drehte ich mich herum, warf meine Tasche von mir und rannte in Richtung Tür.

Doch noch ehe ich diese Erreicht hatte, fiel mir ein dass ich sie ja verschlossen und meinen Haustürschlüssel in meine Tasche getan hatte. Eine Flucht ins Haus war also unmöglich.

Ich drehte mich herum und entdeckte die Gestalt, welche sich nun weniger als 10 Schritte hinter mir war und erneut ein wütendes Knurren in meine Richtung ab gab.

„Verdammt!“ dachte ich mir und machte einen Satz von der Tür schwelle. Ich kannte nur einen einzigen Ort an dem ich mir Zuflucht erhofft: Mein Gartenschuppen.

Dieser lag nur wenige Schritte hinter der Ecke meines Hauses, doch ob ich dort hingelangen konnte, ehe mich diese Gestalt erreichte wusste ich nicht. Einen Versuch war es zumindest wehrt.

Ich nahm meine Beine in die Hand und rannte auf die Ecke des Hauses zu. Die 10 Schritte bis dorthin kamen mir wie 100 vor.

Ich rannte um die Ecke und machte anschließend einen gefühlten 3 Meter Sprung in die offenstehende Tür, wobei ich mit meinem rechten Fuß allerdings ungeschickt am kaputten Henkel eines alten Blecheimers hängen blieb, stolperte und einen Bauchklatscher auf den harten Holzboden des Schuppens hinlegte.

„Verdammt!“ Ich hatte keine Ahnung wie nah sie mir in diesen wenigen Sekunden gekommen war, doch spürte ich bereits eine eisige Luftwolke um mich herum, was mir sagte dass es sich nur noch im Sekunden handeln konnte, ehe sie bei mir ankam.

Ich rappelte mich auf und versetzte der Tür mit meinem Fuß einen Stoß. Gerade in dem Moment als ich sah wie die Gestalt die Schwelle erreichte. Mit einem lauten Knall flog die Tür ins Schloss, im selben Augenblick als sie die Schwelle überqueren wollte. Mir war klar dass ich keine Zeit verlieren durfte. Ich sprang auf und verriegelte, mit dem Stiel einer alte Harke, die Tür. Wenige Sekunden später sah ich wie das Holz der Tür zu wackeln begann, das Wesen versuchte zu mir ins Innere zu gelangen, was zu meiner Erleichterung erfolglos blieb.

Trotzdem schien es als würde sie mich anschließend auslachen. Mit einem Mal wurde mir klar dass ich nun in der Falle saß.

Ich brauchte einige Sekunden um zu begreifen was geschehen war. Doch dann rappelte ich mich wieder auf und ging langsam zurück zur Tür. Diese bestand nur aus Holzbrettern, durch deren Spalten ich leicht hindurch sehen konnte.

Zunächst sah ich nur den Rasen hinter dem Haus, doch urplötzlich entdeckte ich auch die Gestalt wieder. Sie stand nur wenige Meter von der Tür entfernt und schien sich darüber lustig zu machen dass es für mich aus diesem Schuppen kein Entkommen gab.

Anschließend drehte sie sich langsam herum und ging zum Haus. Doch als ich schon erleichtert dachte, dass ich nun versuchen konnte in den nahen Wald zu fliehen, wurde meine Hoffnung zerstört.

So sehr ich auch an der Tür rüttelte und zog, nichts rührte sich. Sie war von außen verriegelt. Mit was wusste ich nicht, doch dass dies das Werk der Gestalt war, war klar.

Ich wartete ängstlich darauf was passieren würde.

Einige Augenblicke später kam die Gestalt zurück. Aus dem Haus hatte sie einige Gegenstände mitgebracht, welche mich zusammenzucken ließen: Eine Axt, ein Feuerzeug, eine zusammengefaltete Zeitung, Kohlenanzünder, ein Schal, ein Seil.

Was wollte sie mit all diesen Sachen?
Urplötzlich drehte sie sich herum und kam auf den Schuppen zu, was mich automatisch einige Schritte rückwärts machen lies.

Zu meiner Erleichterung öffnete sie nicht die Tür, sondern bückte sich und schob die Zeitung, deren Seiten vollkommen vergilbt waren, durch den engen Spalt zwischen der Tür und dem Boden hindurch.

Langsam wanderte mein Blick hinab und ich spürte wie mir der Schreck durch den ganzen Körper jagte, den ich wusste jetzt wieso sie da war und was mir bevor stand.

Gleich auf der ersten Seite der Zeitung war ein Artikel über einen Waldbrand, welcher vor 14 Jahren ein komplettes Dorf zerstörte und das Leben von 32 Menschen forderte

Doch das Schlimmste war dass über dem Artikel die Gesichter der Brandstifter zu sehen waren: Eines der Gesichter war dass meines Bruders und das andere...gehörte mir.

Nun wusste ich weshalb die Gestalt hier war: Sie sollte Rache am letzten der Brandstifter nehmen, der noch am Leben war.

Meinem Bruder konnte sie nichts mehr tun, er starb vor 3 Jahren bei einem Verkehrsunfall, bei mir sah dies jedoch anders aus.

Ich lies mich auf den Boden fallen und begann wie ein Baby zu weinen. Ich ahnte was sie mir antun würde und dass es nichts gab was ich tun konnte um diesem Schicksal zu entgehen.

Dies tat ich bis ich plötzlich die dumpfen Schläge der Axt vernahm. Es lies mich erneut zusammen fahren. Langsam ging ich zurück zur Tür und lugte durch eine der Spalten zwischen den einzelnen Brettern.

Zu meinem Entsetzen beobachtete ich dass die Gestalt offensichtlich gerade dabei war einige der dicken Holzklötze, welche neben dem Haus gestapelt waren, zu zerhacken und anschließend neben sich auf dem Boden zu legen.

Doch dies war noch nicht alles: Einige Meter neben ihr erblickte ich einen hölzernen Pfahl, welcher in den Boden gerammt war.

Der Fluss meiner Tränen wollte nicht versiegen, im Gegenteil: Um so mehr in mein Bewusstsein trat, was dass alles zu bedeuten hatte, um so mehr übermannte mich die Panik.

Ich begann fieberhaft zu überlegen ob es etwas gab was ich tun konnte um das Schicksal abzuwenden. Die Antwort, welche ich schließlich aus dem hintersten Winkel meines Verstandes hervorholte, lies nur noch mehr die Panik in mir anwachsen: Nämlich gar nichts!

Alles was ich versuchen konnte war mein Leiden etwas zu verkürzen. Und wenn es auch nur ein paar Sekunden waren.

Ich blickte mich um und entdeckte in einem verstaubten Regal eine schwarze Plastikflasche auf welcher das Warnsymbol für Leichtentzündlich abgebildet war.

Ich ging zu ihr und nahm sie heraus. Im selben Moment jedoch öffnete sich hinter mir die Tür wieder. Ich stellte die Flasche zurück und drehte mich langsam herum.

Die Gestalt hielt mir ein einfaches, weißes Leinenhemd hin und gab mir mit einer Geste zu verstehen dass ich meine Kleider ablegen und stattdessen das Hemd anziehen sollte.

In mir zog sich alles zusammen. Trotzdem öffnete ich langsam den Gürtel meiner Hose.
Es dauerte eine Weile bis ich alle meine Kleider abgelegt hatte, doch anschließend konnte ich in das Hemd kriechen.

Nach dem ich dies getan hatte, schaute ich zu der Flasche. Die Gestalt folgte meinem Blick.

Ich wusste nicht ob sie mir diesen Akt der Gnade gewähren würde.
„Bitte...“ sagte ich leise. Mir war klar dass dies wohl die letzte Bitte in meinem Leben sein würde.

Zu meiner Erleichterung nickte sie. Ich nahm die Flasche und goss ihren Inhalt über das Hemd, welches sich langsam vollzusaugen begann.

Erst danach folgte ich der Gestalt nach draußen, dort hin wo bereits alles für meine Hinrichtung vorbereitet war.



Auf dem Boden vor dem Pfahl lag das Seil, welches sie aus dem Haus geholt hatte, sowie der Schal.
Daneben erblickte ich nur noch die Kohlenanzünder und das Feuerzeug.

Ich stellte mich, ohne dass sie mich dazu auffordern musste mit dem Rücken an den Holzpfahl. Anschließend bückte sie sich, hob das Seil auf und wickelte es um meinen Körper.

Als sie es festgezogen und hinter meinem Rücken zusammengebunden hatte, nahm sie den Schall, machte einen Knoten in seine Mitte und steckte mir diesen schließlich in den Mund.

Nach dem sie ihn im Anschluss daran hinter meinem Kopf zusammengebunden hatte, ging sie zu den zerhackten Holzklötzen und stapelte sie um meine Beine, bis hinauf zu meinen Knien.

Ich selber konnte nichts tun außer dabei zusehen wie sie, nach das letzte Holzstücke an seinem Platz war, einen der Kohlenanzünder nahm, ihn mit dem Feuerzeug in Brand steckte und diesen schließlich zwischen das Holz an meinen Füßen legte.

Für mich schienen Stunden zu vergehen bis sich die ersten, größeren Flammen durch das Holz gefressen hatten und über dieses langsam auf mich zuwanderten.

Holzscheit für Holzscheit kamen sie näher während mir der entstehende Rauch in den Lungen kratzte und ein unangenehmes Brennen in den Augen verursachte.

„Es ist bald vorbei“ sagte ich mir, ehe mich die Flammen verschlangen. Durch ihr blutrotes Flackern war das verschwimmende Antlitz der Gestalt das letzte was ich sah.

Ende


© koto7001


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Kommentare zu "Schwarzer Henker"

Re: Schwarzer Henker

Autor: Michael Dierl   Datum: 03.01.2021 19:39 Uhr

Kommentar: Man hofft ja immer noch auf ein gewohntes Happy End aber Du ziehst es bretthart durch! Kompliment! Sehr einfach gestrickte Geschichte mit Spannung eines Alfred Hitchcock aufgeladen. Toll gemacht bis zum letzten Buchstaben! :-) Keine niedliche Weihnachtsgeschichte. Lese-Alter ab 18 Jahre :-)
Nur, der erste Satz....."...Es war mal wieder einer von diesen verfluchten Tagen an dehnen ich..." sagt mir, dass Du Dich doch noch auf wunderbare Weise aus dieser prekären Lage befreien konntest und dies nimmst Du mit in's "Grab"! Toll!!! :-)

Lg Michael - saugern gelesen!!!

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