Ihr war als könnte sie noch das Knirschen des feuchten Schnees vernehmen. Schon lange war sie den Spuren gefolgt, die sich tief eingegraben hatten und nun für lange Zeit, wenn nicht für die Ewigkeit, fortbestehen würden. Um sie herum erstreckte sich nichts als eine schier endlose weiße Einöde, die keines ihrer Geheimnisse preiszugeben suchte. Nicht einmal hinter dem kaum zu erahnenden Horizont waren eine Erhebung oder gar ein Baum, irgendetwas, das ihr ein Ziel hätte sein können, sichtbar. Das einzige was ihr blieb waren die Fußspuren, welche sich im weißen Nichts verloren als könnten Sie jederzeit verenden. Doch war da nicht noch etwas anderes gewesen, abseits des Sehens? Etwas schien zu fehlen. Ohne Vorwarnung durchfuhr es sie mit kalter Klinge, das Knirschen war verstummt. Eine ungewohnte Ruhe umgab sie. Von einer bösen Ahnung erfasst, wandte sie sich um, hinter ihr nichts als Weiß und ein Paar Fußspuren. Sollte das Knirschen, das stets ihr treuer Begleiter war, von dem sie sicher war es bedeute ihr Vorwärtskommen nur eine trügerische Hoffnung gewesen sein? Vom Grauen erfasst begann sie abwechselnd zu rennen und zu stapfen, immer wieder panisch nach hinten sehend ob eine zweite Spur aufgetaucht sein sollte und bangend auf das erlösende Geräusch horchend. Doch alle Macht und Kraft, die sie aufzubringen vermochte waren nicht genug. Voller Zorn suchte sie die Spuren vor und hinter ihr zu zerstören oder zuzuschütten, doch auch hier war ihr, als sei sie nicht mehr als ein Geist ihrer selbst, unfähig zu schaffen oder gar zu beschädigen. Was blieb ihr also, als weiterzugehen und zu hoffen, dass hinter dem Vorhang des Horizontes, am Ende der Spuren, ihr Ziel auf sie wartete?
Doch die Beine wurden schwächer und versagten schließlich den Dienst, indem sie über einen nun vereisten Teil der Spur fiel.
Mühsam richtete sie sich wieder auf. Am ganzen Körper zitternd sah sie sich um, wieder und wieder. Doch sie war nirgends zu finden. Die Spur, die stets der Faden in der endlosen Leere war, hatte sie verlassen. Sie hätte schreien schlagen rennen können. Doch was anschreien, was schlagen, wohin rennen?
Voll Verzweiflung zusammengesunken war sie sich nicht einmal um die Existenz des Himmels sicher. Sollte sie inmitten der Trostlosigkeit eine Ruhestätte für ihren geschundenen Körper schaffen? Also stand sie auf, erst mit zitternden Beinen, doch noch bevor sie ganz aufgerichtet war, begann jenes Zittern zu schwinden, jene Müdigkeit, die sie zu lange am Boden gehalten hatte. Sie machte einen Schritt, zwei Schritte, immer weiter ging sie, erst langsam staksend und später immer schneller, ohne sich umzudrehen oder eine Spur zu suchen. Doch etwas fehlte, irgendetwas war nicht wie sonst. Wieder packte sie der Schreck, wie eine eisige Hand, und hielt sie umklammert. Ein kleines Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht, als ihr klar wurde was fehlte. Es war die Stille.


© mACHILIAS


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Beschreibung des Autors zu "Schnee"

Ein ziemlich bekanntes Motiv, welches ich durch "Spuren im Sand" kennengelernt habe.

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