Muss es unbedingt sein?", fragte der Hagere und spuckte seinen Zigarettenstummel in eine Pfütze, in der sich die spärliche Hofbeleuchtung wiederholte. Kreisförmige Wellen zerstückelten die Spiegelung der Glühlampe.
"Natürlich muss es sein", sagte der andere. Um seinen Mund war ein Lächeln festgewachsen, "du weißt doch genau, daß es sein muss." Er faserte das Ende einer Zündschnur auseinander.

"Aber die Kinder", der Hagere steckte sich mit fahrigen Bewegungen eine neue Zigarette an.

"Um die Kinder ist es eigentlich schade, ehrlich schade, aber es lässt sich nicht ändern". Der mit dem Lächeln faserte weiter an seiner Zündschnur.

"Und Benny?"

"Um Benny tut es mir am meisten leid, ehrlich, aber er hätte bestimmt was rumerzählt, wenn wir ihn gewarnt hätten."

"Du hast ja recht", sagte der Hagere und warf die zweite Zigarette fort, "tun wir´s gleich."

"Gut", der andere verlor für Sekundenbruchteile sein Lächeln und hatte ganz aufmerksame Augen.

Sie zündeten das Ende der Schnur an und sie verließen den Hof.
Unterwegs zum Bahnhof sagte der Hagere: "Ach, Benny…"

"Es ist schade um Benny, aber er hätte es ausgequatscht", meinte der andere ungeduldig.

Sie gingen in eine Telefonzelle und riefen die Feuerwehr an. "Hallo", sagte der mit dem Lächeln, "im Landschulheim draußen hab´ ich Rauch und so´n Feuerschein gesehen." Die kleine Stadt hatte nur einen Feuerwehrwagen. Der fuhr jetzt stadtauswärts zum Landschulheim, wo es angeblich brannte.

Inzwischen war die Zündschnur im Hof des Hauses zu drei Vierteln abgebrannt.
Die beiden hatten den Bahnhof erreicht. "Um Benny tut´s mir wirklich leid", sagte der Hagere.

"Hör endlich auf mit Benny", sagte der andere.

Sie lösten die Bahntickets nach New York. Der Zug ging in einer Viertelstunde.
Inzwischen war die Flamme bis auf zwei Zentimeter an die Dynamitfässer heran gekrochen.

Der mit dem Lächeln schob einen Kaugummi zwischen die Zähne.
"Die Kinder haben eben Pech", sagte er, "manche haben Pech, is´ eben so."

"So viel Pech für Benny", sagte der Hagere.

Der andere runzelte ärgerlich die Stirn. "Ja, ja, ja, Benny hatte viel Pech. Du wirst noch mehr Söhne haben."

"In New Orleans war es deine Tochter", sagte der Hagere.

"Eben", murmelte der mit dem Lächeln, "und? Hab´ ich vielleicht so einen Aufstand gemacht wie du jetzt?"

"Hast du nicht, du bist eben stärker als ich, ´ne ganze Ecke stärker. Weil du kein Herz hast, kein Herz", der Hagere schüttelte sich. Er fror.

Dann kam das dumpfe Brüllen der Detonation bei ihnen an. Sie sahen von weitem, wie das Haus in die Knie ging. Wie ein Elefant. In Zeitlupe.
Der Hagere schwieg. Dann flüsterte er: "Hoffentlich war er gleich tot."

"Du glaubst doch nicht, dass es bei irgend einem mehr als fünf Minuten dauert, bis er vom Rauch bewußtlos ist, und dann spürt er nichts mehr."

"Hör auf zu grinsen", sagte der Hagere, doch der mit dem Lächeln antwortete nur: "Noch zwei Minuten, dann kommt der Zug". Der Zug war pünktlich. Mit Getöse fuhr er in den Bahnhof. Die beiden stiegen ein. Der eine fiel sofort in einen tiefen Schlaf. Selbst jetzt erlosch sein Lächeln nicht. Aus seinem Mundwinkel lief ein feiner Speichelfaden.

Der Hagere zog eine Zeitung aus der Tasche. Er konnte nicht schlafen. Er dachte an das fröhliche Lachen von Benny. Immer fröhlich war der Kleine gewesen. Manchmal richtig albern.

Der Zug war schnell, nach wenigen Stunden erreichte er New York. Der mit dem Lächeln wachte auf und steckte sich einen Kaugummi in den Mund. Dann schaute er aus dem Fenster und sah die vielen Wolkenkratzer. Sein Lächeln erlosch und er sagte nur: "Ach." Man weiß gar nicht, wo man anfangen soll", murmelte der Hagere und faltete seine Zeitung zusammen.

Als sie eine Stunde später auf einer Bank im Central Park saßen, begann der mit dem Lächeln die Zündschnüre, die er in seiner Aktentasche hatte, aufzurollen und zu sortieren.

"Es ist wichtig, dass man sie nach der Länge sortiert. Man muß immer wissen, wieviel Zeit man hat, um sich in Sicherheit zu bringen", sagte er.

Der Hagere stieß die Luft mit einem Schnaufen aus: "Wir müssen McAubry anrufen, er soll uns das Dynamit besorgen."

"Ja", sagte der andere.

Er stapelte die Streichholzschachteln auf der linken Seite der abgeschabten Tasche. Dann holte er ein Notizbuch aus einem Briefkuvert. Er schlug es auf.
"Anschließend ist Philadelphia dran, dann Baltimore, und zwischendurch noch ´n paar kleinere Orte." "Große Städte und kleine, das wechselt sich fast ab", sagte der Hagere. Sie standen auf.

"Hier hast du doch hoffentlich keinen Sohn", meinte der mit dem Lächeln.

"Ich glaube nicht", sagte der Hagere.

"Dann ist es ja gut", antwortete der mit dem Lächeln.

Als sie im Zug nach Philadelphia saßen, schlief der mit dem Lächeln sofort wieder ein. Der Hagere holte ein Brot aus der Tasche und ein Messer. Er wollte sich eine Scheibe abschneiden, dann schüttelte er den Kopf, steckte das Brot langsam wieder ein, Der mit dem Lächeln bewegte sich leicht im Schlaf und stöhnte ein wenig. Der Hagere stand auf und schnitt dem mit dem Lächeln die Gurgel durch. Mit einem Schnitt, so wie Moslems ihre Hammel schlachten.

Der mit dem Lächeln zuckte und riß die Augen auf. Ein Schwall Blut spritzte zwischen die Bänke auf den Boden.

"Es ist wegen Benny", sagte der Hagere und ließ sich schwer auf die Polster fallen. "Wegen Benny, hörst du!"

Jetzt fuhr der Zug in einen Tunnel und es wurde dunkel.


© Peter Heinrichs


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Beschreibung des Autors zu "Die Brandstifter"

Ein Blick in die Abgründe der menschlichen Seele...

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