Einsam lag der Wald im Dunkel, der Wind ließ die alten Bäume schwanken. Zwei gelbe Augenpaare beobachteten den Mann, das dichte Unterholz verschluckte jeden Laut. Irgendetwas lag in der Luft!
Dann hörte er es, vor ihm zwischen den Bäumen irgendwo, ein Geräusch, das hier nicht hingehörte.
Ein seltsames Knurren, wild und gefährlich, er nahm das Gewehr von der Schulter, entsicherte es und ging langsam weiter.
Seit zwei Jahrzenten ist Norbert Schäfer beim Forstamt Neuhof beschäftigt und seit ein paar Jahren als Revierförster auch für die Wälder in der Gemarkung Eichenzell verantwortlich, aber heute ist alles anders als sonst.
Als vor zwei Stunden dieser Anruf kam, schien es ein ruhiger Sonntagabend zu werden, doch der Mann von der Polizei hatte Unglaubliches zu berichten.

Der Tierpfleger blieb wie angewurzelt stehen, er machte gerade seinen letzten Rundgang. Die Show war vorbei und die letzten Besucher verließen das Gelände am Sportplatz in Eichenzell, wo der kleine Zirkus seit vier Tagen Station machte. In wenigen Stunden sollte alles abgebaut sein, dann würde man weiter ziehen und die Manege woanders wieder aufbauen.
Der Pfleger wollte die Tiere füttern, damit sie auf der Reise nicht unruhig wurden, aber jetzt war er es der unruhig wurde. Eine Käfigtür war offen und die beiden schwarzen Leoparden waren nicht da um ihn zu begrüßen.
Nachdem der Tierpfleger mit den Zirkusleuten den Platz und die näherer Umgebung ohne Erfolg abgesucht hatte, entschieden die alarmierten Polizisten sofort Verstärkung anzufordern. Sie benachrichtigten den Bürgermeister und den Rundfunk, damit die Bürger informiert werden konnten. Das Revierforstamt schickte den zuständigen Revierförster und die Suche wurde auf die Wald- und Auengebiete endlang der Fulda, Richtung Schmalnau ausgeweitet.

Norbert Schäfer hatte Angst, Leoparden waren nicht sein gewohnter Umgang. Diese beiden Raubkatzen waren zwar an den Menschen gewöhnt, aber sie waren hungrig und in einer fremden Umgebung. Außerdem wusste er das Sie niemals zahm wurden, sie blieben wild und unberechenbar.
Etwa dreißig Meter links von ihm bewegte sich sein Kollege Manfred Schuhmann vorsichtig eine Stromleitungsschneise entlang und weitere Männer waren rechts von ihm zu sehen, hatten sie das Knurren auch gehört?
War das eine Bewegung dort bei der Buchenschonung direkt vor ihm, er kniff die Augen zusammen, aber da war nichts zu erkennen. Plötzlich hörte er wieder das Knurren, es kam von links und dann, als wollten sie sich Unterhalten, kam eine Antwort von etwas unterhalb der Buchen. Die beiden Katzen hatten sich getrennt, wohl um besser jagen zu können.
Aber da war noch ein anderes Geräusch, es kam schnell näher und das vielstimmige Gebell verriet dem Förster, dass die angeforderte Hundemeute endlich eingetroffen war. Erleichtert blickte er sich um und versuchte die Hunde in der hereinbrechenden Dunkelheit zu erspähen.
Er hatte die Meute gerade entdeckt und sah, wie die Hunde auf ihn zukamen, da hörte er einen entsetzlichen Schrei. Erschrocken drehte er sich nach seinem Kollegen Manfred um und wurde kreidebleich. Der Jäger stand an einen Baum angelehnt, im Kampf mit einer großen schwarzen Katze, die sich gerade in seiner rechten Schulter verbiss.

Der Schuss löste sich fast von selbst, Norbert Schäfer hatte einfach nur reagiert.
Während er zu seinen Freund und Mitarbeiter lief, sah er den Leoparden getroffen in die Büsche flüchten, doch die ersten Hunde hatten den Schauplatz erreicht und stellten das stark aus einer Wunde im Nacken blutende Tier.
Der fünffachen Übermacht war der Leopard nicht mehr gewachsen, im Todeskampf verletzte er einen Hund am Vorderlauf, dann waren die anderen über ihm.
Norbert untersuchte den verletzten Jäger, der gerade das Bewusstsein verlor, die Wunde war nicht tief, sie blutete nur heftig. Gerade als er einen Notverband anlegte, hörte er im Gebell der Meute die den zweiten Leoparden jagte ein wildes Fauchen.
Die Katze war gestellt und nahm den Kampf mit den Jagdhunden auf. Einer der Hunde jaulte erbärmlich und der Revierförster drehte sich erschrocken in die Richtung des Geräusches. Ein lauter Knall, dann war es still. Auch der zweite Leopard hatte seinen Kampf verloren.

Auf zwei großen Planen trug man die beiden Katzen zum nächsten Forstweg. Es waren kräftige, gesunde und schöne Tiere, noch im Tod glänzte ihr Fell im Licht der Scheinwerfer. Der Zirkusdirektor war verzweifelt, er wusste, dass er den Verlust für die Show nicht würde ersetzen können. Sie waren seine Hauptattraktion, nun war ihm war klar, der Zirkus hatte seine Zukunft verloren.
Die Polizei fand heraus, dass der Dompteur den Käfig nicht richtig gesichert hatte, so waren die zwei Leoparden ohne Probleme entwischt.

Manfred Schuhmann kam mit einer Narbe und dem Schrecken davon, er wusste, dass sein Freund und Chef ihm das Leben gerettet hatte. Er würde diesen Tag nie vergessen!
Für Norbert Schäfer war das Ereignis kein Segen, tagelang belagerte ihn die Presse, alle wollten den Helden sehen und interviewen. Der eher ruhige, zurückhaltende Naturliebhaber zog sich mit seiner Familie in ein Häuschen irgendwo in der Rhön zurück.
Eines Tages aber wird er am Kamin sitzen und seinen Enkeln von diesem Sonntag erzählen. Dem Tag an dem Er mitten in der Rhön einen Leoparden erlegte.


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