An falschen Ufern

Ich starb an einem Sonntagnachmittag und wachte am Montagmorgen in der Hölle auf. Zumindest erklärte es mir der Fährmann so.
Die Seele bräuchte immer ein klein wenig, um vollends von der Erde in die Unterwelt zu gelangen und da verginge so schon mal ein Tag oder zwei.
Außerdem stimme das mit der Hölle sowieso nicht, denn das wäre ja christlich und da läge ich eh total daneben.
Mann kann sich vorstellen, was für ein Schock das für mich war. Nicht nur mein plötzlicher Tod, der mich wirklich unerwartet in Form eines Lasters und einer kaputten Ampel getroffen hat, nein, auch soll die meinige Religion ein Hirngespinst sein. Wie man sich vorstellen kann, habe ich mich erst einmal ordentlich erzürnt an den Wächter gewandt, der mich, auf seinen Stab stützend, all meine Wut und meinen Gram ausplärren lies. Alsbald sank ich, der Anstrengung wegen zu Boden, denn die Luft hier war mir zum Atmen doch etwas arg dünn.. Schon in der Sekunde darauf war mir sehr peinlich, wie ich vor dem Fährmann die Fassung verloren hatte.
„Mach dir nichts draus“, beruhigte mich aber dieser, „die meisten, die hier ankommen, müssen erst diesen Schreck verdauen, wenn sie merken, dass sie nicht oben, sondern unten angekommen sind. Und dazu kommt noch, dass das hier ja eine ganz andere Art von Hölle ist, als man erwartet. Besonders hart trifft es ja die Moslems mit ihren Jungfrauen. Die schauen mich dann immer ganz komisch an und fragen, ob ich denn auch schon dazugehöre. Auch sprengen sich die meisten dann sofort wieder in die Luft und sind dann ganz verdutzt, wenn sie zum zweiten Mal hier auftauchen.“
Anschließend verriet er mir, dass zumindest das ein bisschen Abwechslung in seinen tristen Alltag bringt.
„Ja, und du glaubst gar nicht, wie ich mich erst langweile. Ich erinnere mich noch genau an das letzte Mal, als ich über den Fluss gestakt bin. Das ist gut ein halbes Jahrhundert her. Dem alten Mann ist aus Versehen der Geldbeutel ins Gesicht geflogen, als er bei der Kasse im Supermarkt auf der Pfütze ausgerutscht und gestürzt ist. Gott sei Dank hatte er das Kleingeld vorher eingesteckt, denn Scheine darf ich nicht annehmen. Mag ja sein, dass die bei euch da droben etwas wert sind, aber hier bei mir gelten andere Regeln. Normalerweise dürft ich ja eh nur echte Goldmünzen akzeptieren. Aber dann würd hier ja wirklich gar nichts mehr durchkommen.“
Als ich Charon anschließend fragte, wie es nun weiterginge, grinste er nur ein zahnloses Lächeln und zuckte mit den Schultern. Er wisse das nicht. Er bringe Leute über den Styx, wenn sie bezahlen und ohne Geld ist die Sache für ihn erledigt. Die meisten gingen dann irgendwann von selbst weg. Er deutete in die karge Landschaft um uns herum, die sich bis zum Horizont erstreckte. Auch wisse er nicht zu sagen, was dahinter läge, aber bisher sei noch nie jemand zurückgekommen, also könne es dort ja nicht so schlecht dort sein.
Da mir aber nicht nach einer Wanderung zumute war und ich auch im Leben eher ein Feigling gewesen war, fragte ich ihn, ob es hier sonst noch irgendeine Unterhaltung gäbe.
Wieder grinste er mir frech unter der schwarzen Kutte entgegen, langte zwischen die Mantelfalten und holte einen Packen Karten hervor.
„Wir können ja ein paar Partien legen“, meinte er, „Wenn du gewinnst, überleg ich mir das mit der Überfahrt nochmal.“

Seit meiner Ankunft am Ufer des Styx sind sicherlich schon Äonen vergangen. Noch kein einziges Mal habe ich den Fährmann in seinem Spiel schlagen können. Ich bin mir aber gar nicht mehr sicher, ob ich das überhaupt will. Schließlich erwartet mich auf der anderen Seite, wie alle Gottesfrevler, nur der Tartaros. Und hier habe ich zumindest einen Freund, der sich an meiner Gesellschaft erfreut.


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Beschreibung des Autors zu "An falschen Ufern"

Ein Mann wacht, statt im Himmel, an den Ufern des Flusses Styx auf.

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