Es war ein kühler Novembermorgen, einer, der schon von der Stille und Ruhe des kommenden Winters erzählen konnte. Wie die letzten grünen Halme starr ihre Geschichten verbargen, wenn sie den Reif wie einen weißen Mantel übergeworfen hatten. Dort wo jene Grashalme nicht hinblicken konnten, weil sie sich noch nicht regen durften, in der Ferne des Horizonts, reckten die ersten Spitzen rot-orange sich nach den dunklem Blau jenes Himmels über uns, aber sie waren noch genauso kühl, wie alles andere an jener Vorhut des Winters. Noch genauso still und starr, wie das reifumwobene Grün. Es war ruhig. Nicht eines der Vöglein, die den Winter meiden, versuchte dieses Ruhen zu stören. Womöglich waren sie schon fort, sie haben ein so natürliches Gespür für die Perfektion, dass sie hier nicht hingehörten, in den leisen Ruf des Winters. Es war perfekt, so wie es jetzt war. Und ich war Teil dieses Bilds, Ich hätte die Kälte meinen Körper durchziehen spüren müssen, spüren wie sich jede Sehne, die Leben in sich trug, nach Wärme sehnte. Aber es war zu perfekt und ich perfekt als Teil dieses Novembermorgens, irgendwo zwischen verblassendem Herbst und beschützender Winterskühle. Einzig der Gedanke, dass dieses Bild für immer währen soll, das Gemälde eines Lebens sein möchte, hatte den letzten bewegten Raum in mir eingenommen. Mir war nicht kalt, konnte es ja gar nicht, war ja kein Raum mehr, um mehr zu sein, als ich jetzt war. Perfekt und still und starr und regungslos, jene reifumschlungenen Halme waren meine Ebenbilder, gemeinsam machten wir jenes Bild perfekt, das nicht mehr als die fernen Spitzen rot-oranger Himmelspfeiler, das tiefe, kräftige Blau des Himmels über uns, die grünen Reifgeheimnisse und deren Ebenbild benötigte um von der Starre und Regungslosigkeit des Winters zu erzählen. Es war ein kühler Novembermorgen, alles in ihm wirkte, als wäre er ihr behütender Freund, den sie niemals mehr verlassen würden, für immer zwischen einem entschwindenden Herbst und einer sich in alles schleichenden Kälte. Ja genau da musste alles seine Ewigkeiten verbringen wollen, hier, wo es perfekt war, wir perfekt waren, wir still und stumm waren. Ein Gedanke, den dieses Bild mit jeder Sekunde, die alles schwieg, beständiger meinen letzten Raum für Freiheit füllen ließ. Es war ein kühler Novembermorgen und ich meinte frei zu sein im leisen unverständlichen säuseln des Winters, als hätte die Starre nichts angehalten, sondern alles losgelöst von seinen Zwängen. Freiheit bedeutete mir doch immer so viel, hielt sie für die Quelle alles Ehrlichen, wer frei war, der war auch ehrlich, wenn er denn war. Wer ehrlich war mit sich selbst, der hatte, so glaubte ich, erkannt, worum es beim Mensch-Sein ging. Ich meinte ich sei frei an diesem kühlen Novembermorgen, dem der Winter schon sein Weiß an die grünen Wangen geschminkt hatte. Still und starr und stumm und regungslos, das Bild einer Freiheit. Ein Bild, das ewig mich in sich hätte aufnehmen dürfen, denn es war perfekt. Jenes reifdurchdrungene Schweigen sollte bis in die Unendlichkeit, bis meine Zeit in ihre Endlichkeit greift, anhalten. Die Vögel, die den Winter mieden, sie wären nicht zurückgekommen, sie spürten, dass sie hier nicht sein durften, mit ihrem Zwitschern und Singen, es war natürlich für sie, diese Perfektion. Aber für mich war sie es nicht, für mich war sie unnatürlich und fremd, war sie gespielt und immer nur eine schlechte Kopie eines der perfekten Bilder, vor denen jene Vöglein flohen. Es war ein kühler Novembermorgen, den ich den Hauch des Winters atmen ließ. Still und starr und stumm und regungslos, so sollte hier alles sein, so musste für mich hier alles sein. Grashalme und Reif, kühle rot-orange Spitzen, tiefes Blau, Körper ohne Gefühl für Kälte und Schmerz, Sehnen ohne die Sehnsucht nach Wärme und Glück. Nichts hier durfte anders sein als still und starr und stumm und regungslos, nur schweigsam war alles perfekt, ich frei. Der kleinste Laut irgendwo hier zwischen sterbendem Herbst und erfrierenden Kälte hätte verraten, dass es unnatürlich war, ein Schauspiel. In jeder Ecke der Welt wäre zu viel Leben, als dass es dort ganz still wäre. Es war mein Novembermorgen, kühl und er konnte schon von der Taubheit, dem Stumm-Sein und der Blindheit eines Winters erzählen. Es war die Schönste Lüge, die man mir jemals von der Freiheit hätte erzählen können. Ich hörte mir gerne zu, fand ich sei ein guter Erzähler, weil ich so wunderbar perfekte Bilder malte, wenn ich von der Freiheit sprach. Ich meinte, ich könnte dort frei sein, in der Sinnlosigkeit des Taub-Seins, das Stumm-Seins, des Blind-Seins, des Gefühllos-Seins. Wir meinen alle so viel…


© Marc_Aurel


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