Es ist gerade Anfang Mai und in einer größeren Stadt, irgendwo in Deutschland, steht ein junger Mann vor einem Sportgeschäft. Er ist etwa Ende 30, hat dunkelbraune Haare, trägt eine schwarze Jeanshose und ein blaues Hemd. Seine Statur verrät, dass er auf seine Gesundheit achtet und viel Sport treibt. So richtig paßt sein Outfit aber nicht in diese Gegend, denn hier haben sich vor allem bekannte Businessvertreter niedergelassen wie Hugo Boss, Nike, Adidas, Lagerfeld, Calvin Kline, D & G, Joop und Lacoste. Dies ist so natürlich wie in den anderen nicht so noblen Stadtteilen H & M, S. Oliver und Esprit sich in unmittelbarer Nähe von Aldi, Norma oder Netto befinden. Diese Lebensmittelgeschäfte sucht man in diesem Bezirk vergebens. Die Leute die hier einkaufen, lassen sich ihre Einkäufe nach Hause liefern.
In anderen Stadtteilen sind die Interessenten für Kleidung, Schmuck oder Schuhe schon lange unterwegs um ihre Besorgungen zu tätigen aber hier, hier ist kurz vor Mittag noch nicht viel los. Viele der Reichen und Schönen schlafen noch und machen sich erst später auf den Weg um ihre goldenen Kreditkarten zu benutzen.

Der Mann vor dem Sportgeschäft schaut sich interessiert die Schaufensterauslage an. Im rechten Schaufenster befinden sich vor allem Markenfahrräder, Tauchzubehör und Surfboards. Doch das Linke ist nur für Jagdinteressierte dekoriert wurden. Hier sind teure Ferngläser von Steiner, Zeiss und Swarovski zu sehen, außerdem Jagdgewehre mit und ohne Zielfernrohr, Messer und Pistolen. Der Unbekannte scheint sich eher dafür zu interessieren. Auch auf den Straßen ist es noch ziemlich ruhig. Doch dann fährt ein schwarzer Lincoln Town Car langsamer und hält schließlich vor dem Sportgeschäft. Durch das Geräusch was der V 8 Motor macht, dreht sich der junge Mann vor dem Schaufenster herum. *Schickes Auto.* denkt sich dieser. Selbst in dieser Gegend ist diese amerikanische Nobelautomarke von Ford kaum zu sehen. Die Sonne spiegelt sich in dem dunklen Autolack der in phantastischen Zustand ist. Der Besitzer scheint viel Wert darauf zu legen, nicht nur ein teures und hier in Deutschland ein sehr seltenes Auto zu fahren, sondern auch, dass es in topp Zustand ist.
Der Fahrer steigt aus. Er trägt einen dunkelblauen Maßanzug und eine weißes Hemd. Zügig geht er um das Auto herum und öffnet die hintere Tür auf der Bordsteinseite. Ein Junge steigt aus, vielleicht höchstens 10 Jahre alt. Man kann sehen, dass er aufgeregt ist. "Komm schon Papa, beeil dich! Ich muss dir unbedingt das Fahrrad zeigen was ich zum Geburtstag möchte." Der Chauffeur lächelt als er den Jungen so sieht. Endlich steigt auch der Vater aus. Er ist Ende 30, aber seine zum Teil schon ergrauten Haare lassen ihn älter erscheinen. "Nicht so aufgeregt Justin. Du hast doch erst nächsten Monat Geburtstag." "Ich weiß, aber komm doch bitte. Ich will es dir nur zeigen." Der Junge nimmt die Hand seines Vaters und zieht ihn in Richtung rechtes Schaufenster. "Siehst du, das da hinten ist es. Das möchte ich zum Geburtstag haben. Bitte bitte, ich werde in der Schule auch besser. Versprochen."
Der Mann vor dem linken Schaufenster hat alles beobachtet. Jetzt muss er schmunzeln. Auch reiche Kinder geben also solche Versprechungen, um irgendetwas zu bekommen was sie haben wollen.
"Komm, lass uns kurz reingehen. Ich will mich nur mal darauf setzen." bettelt der Junge. Sein Vater schmunzelt noch immer, dreht sich zu dem Chauffeur seines Autos und sagt freundlich: "Pohl, wir kommen gleich wieder." "Sehr wohl." sagt dieser, schließt die hintere Tür, geht um das Auto herum und zur Fahrerseite. Als er einsteigt, sieht er zu dem Mann vor dem linken Schaufenster. Irgendetwas stört ihn an diesem Kerl. Ist es seine Kleidung die nicht so ganz in diese Gegend paßt oder ist es einfach nur, weil er so verdächtig herumsteht. Er wird ihn vorsichtshalber im Auge behalten.
Der Junge hat es geschafft, seinen Vater in das Sportgeschäft zu ziehen. Wenige Minuten später betritt auch der andere Mann das Geschäft. Beide potenzielle Kunden werden sofort höflich begrüßt und bedient, obwohl der allein eingetretene von dem älteren Verkäufer komisch gemustert wird. "Womit kann ich ihnen dienen?"
"Ich möchte eine Handfeuerwaffe kaufen."
"Wollen sie eine bestimmte oder darf ich ihnen eine empfehlen."
"Ich interessiere mich für die SIG-Sauer P 226."
"Das ist eine gute Wahl. Diese Waffe ist für ihre Qualität, Präzision und Verlässlichkeit berühmt."
Der Mann greift unter den Verkaufstisch und holt einen Schlüssel hervor. Danach dreht er sich nach hinten zu einem großen Glassideboard was an der Wand hängt und schließt es auf. Darin befinden sich, sicher hinter dickem Panzerglas, scharfe Handfeuerwaffen der Firmen Browning, Walther, Heckler & Koch, Beretta, Glock und Sig Sauer. Der Verkäufer nimmt die gewünschte Waffe aus einer Halterung und legt sie auf den Verkaufstisch. Sein Kunde nimmt sie in die Hand, zieht den Schlitten professionell nach hinten und hört dabei auf das Geräusch, was die Waffe macht. Der Mann hinter dem Tisch erzählt einiges zu diesem Model. "Hier in Deutschland wird die Waffe von J.P. Sauer & Sohn hergestellt. Da diese Pistole sehr präzise und sicher ist, wird sie besonders gern von der Bundespolizei verwendet. Ihre automatische Zündstiftsicherung verhindert das Auslösen eines Schusses, falls der Hahn unbeabsichtigt nach vorne gedrückt wird. Diese Sig Sauer hat ein 9 mm Kaliber und ein Magazin für 15 Schuss, sowie eine Mündungsgeschwindigkeit von 350 m/s. Die Schussweite beträgt 40 Meter, wie bei fast allen Handfeuerwaffen." In der Zeit hat der Kunde die Waffe mit schnellen gekonnten Griffen auseinander- und wieder zusammengebaut. Dabei hat er sich genau den Schlagbolzen, den Schlitten, die Feder und das Magazin angeschaut.
"Aber wie ich sehe, kennen sie sich mit Waffen aus." sagt der Verkäufer mit einem Lächeln.
"Ja, das ist eine Schwäche von mir." Dabei lächelt auch der junge Mann. "Was soll sie kosten?" will er wissen.
"1.200 Euro. Dafür bekommen sie aber auch 2 volle Magazine dazu."
"Gut, ich nehme sie."
"Sie wissen aber, ohne gültigen Waffenschein darf ich ihnen die Pistole nicht verkaufen."
"Kein Problem." sagt der junge Mann, greift in seine Gesäßtasche und holt seine Geldbörse heraus. Er öffnet sie, nimmt seinen Waffenschein sowie seinen Personalausweis heraus und legt beides auf den Tisch. Der Verkäufer sieht bei dem Waffenschein sofort, dass der Mann vor ihm nicht nur PTB-Waffen tragen darf (Signal, Schreckschuss und Reizgas), sondern auch scharfe Schusswaffen. Viele Kunden denken dass, wenn sie einen sogenannten "Kleinen Waffenschein" besitzen, sie alle Arten von Pistolen kaufen dürfen. Das ist aber ein Irrtum, denn mit dem dürfen sie eben nur diese PTB-Waffen erwerben und bei sich führen. Der Verkäufer nimmt Ausweis und Waffenschein, sagt: "Ich mache von beiden eine Kopie. Wenn sie in der Zeit so freundlich wären das Formular für die Erwerbsanzeige auszufüllen. Ich muss sowieso heute Nachmittag ins Ordnungsamt, da könnte ich ihr Formular gleich bei der Waffenbehörde abgeben und schon Morgen könnten sie dann die Waffe abholen. Würde ihnen das passen?"
"Ja. Das wäre echt schön, wenn es so schnell geht. Das letzte Mal mußte ich fast zwei Wochen auf die Genehmigung warten."
Der Verkäufe beugt sich etwas über den Tisch und flüstert seinem Kunden zu: "Wissen sie, mein Schwager arbeitet dort und da geht es schneller. Schließlich muss man doch seinen Kunden was bieten, was andere Waffengeschäfte nicht bieten können."
Der junge Mann der die Sig Sauer kaufen will lacht. "Da haben sie recht." Dann füllt er das Formular aus. Währenddessen macht der Verkäufer Kopien vom Waffenschein und vom Personalausweis. Als der Fremde den Antrag zum Erwerb der Sig Sauer ausfüllt, sieht er zufällig nach draußen zu dem Lincoln. Der Chauffeur hat die Beifahrerscheibe heruntergelassen und schaut in seine Richtung. So wie es den Anschein hat, traut der Fahrer dem Mann nicht, der sich für eine Waffe interessiert während sich seine Passagiere in unmittelbare Nähe befinden und in Gefahr sein könnten.
Der zweite Verkäufer hat sich in der Zeit mit dem anderen Kunden beschäftigt. Der Junge ist voll vernarrt in ein Kinder-Mountainbike der Firma Cube. Er fährt schon seit einiger Zeit in dem Geschäft kleine Runden. Sein Vater ist jedoch noch nicht so richtig vom Kauf überzeugt. So redet der Verkäufer auf ihn ein. "Ihr Sohn hat sich wirklich für ein gutes Rad entschieden. Das Cube Kid 240 Boy ist genau richtig für sein Alter und die 21-Gang-Kettenschaltung ist unkompliziert über einen Drehgriffschalter handzuhaben. Außerdem ist es durch den Alurahmen sehr leicht, trotzdem im Gelände sicher und robust. Ihr Sohn wird lange Freude an dem Rad haben und selbst der Preis von 340 Euro ist noch ein Schnäppchen." Der Junge fährt zu beiden. Seine leuchtenden Augen sehen den Vater erwartungsvoll an. "Bitte Daddy. Darf ich das Rad zu meinem Geburtstag haben." Der Vater muss schmunzeln als er seinen Sohn ansieht. Obwohl Geld für diesen Mann keine Rolle zu spielen scheint, will er seinem Junior nicht alles kaufen. Er soll merken, dass man auch etwas tun muss, wenn man etwas möchte. So stellt er seine Bedingung. "Wenn du es schaffst in der nächsten Mathearbeit eine 2 zu schreiben, können wir noch einmal darüber reden." "Das bekomme ich hin." sagt der Junge freudig und fährt noch einmal eine Runde.

Der Kopierer der in einer Ecke steht, kopiert gerade den Waffenschein und den Ausweis des Mannes, der sich die Schusswaffe kaufen will. Das erste Mal war die Kopie zu Dunkel und man konnte nicht genau die Personalien im Ausweis lesen, so mußte der Verkäufer eine weitere Kopie anfertigen. Denn er weiß, dass sich in der Hinsicht die Waffenbehörde sehr pingelig hat. Auch wenn sein Schwager dort arbeitet. Mit der zweiten Kopie ist der Mann zufrieden. Er dreht sich zu seinem Kunden und fragt ihn: "Herr Tayler, ist Sebastian oder Maik ihr Rufname?" Der Mann blickt von dem Formular auf und sagt: "Maik. Meine Eltern haben mich immer Seb gerufen, das habe ich gehaßt." antwortet der Mann lächelnd und füllt den Antrag weiter aus. Der Verkäufer unterstreicht den Rufnamen auf der Waffenkopie.

Auch die Anderen in dem Sportgeschäft haben das Gespräch mitgehört. Als der Name des Kunden genannt wird, hält der Vater des Jungen plötzlich inne und sieht zu dem jungen Mann. Dem Verkäufer der ihn und seinen Sohn bedient, fällt der überraschte Blick auf und er fragt: "Kennen sie den Mann?" "Ich bin mir nicht sicher." sagt dieser, sieht aber unentwegt zu dem Waffeninteressenten. Dieser ist mit dem Formular fertig und geht zur Kasse um die Sig Sauer zu bezahlen.
"Komm Justin, wir müssen nach Hause. Mama wird schon mit dem Mittagessen auf uns warten." "Gut, ich komme." sagt der Junge und steigt vom Rad. Ordentlich stellt er es ab und geht zu seinem Vater. Dieser fragt den Verkäufer: "Haben sie ein Prospekt von dem Rad was sich mein Sohn ausgesucht hat. Ich muss es noch mit meiner Frau besprechen."
"Natürlich. Bitte kommen sie mit zur Kasse. Dort haben wir von allen Rädern Prospekte."
Der Verkäufer geht vor und sucht das entsprechende. Als Vater und Sohn neben dem anderen Kunden stehen, der die Waffe mit seiner EC-Karte bezahlt, sagt der Besitzer des Lincoln´s zu diesem: "Nennen dich deine Freunde immer noch 'V8 Maiky'?"
Überrascht sieht in der Mann an. "Kennen wir uns?" will er wissen. Dabei schaut er zu dem Jungen. Dieser steht dicht neben seinem Vater, hält ihn an der Hand fest. "Habe ich mich wirklich so verändert?" fragt der Mann mit einem Lächeln. Aber der Blick seines Gegenüber verrät ihm, dass der Mann keine Ahnung hat, wer vor ihm steht. "Sie haben mich früher immer 'Chris den Schrauber' genannt."
Plötzlich erhellt sich der Gesichtsausdruck des Mannes und er lacht: "Man, wielange ist das her. 'Chris der Schrauber'. Klar kenne ich den." Dieser Maik Tayler geht einen Schritt nach hinten um seine alten Bekannten ganz zu sehen. "Man, du hast dich verändert. Früher hast du dich in Jeans am wohlsten gefühlt und jetzt. Du siehst wie einer von diesen reichen Vorstandsvorsitzenden aus. Ist der Lincoln Town Car da draußen deiner oder Firmenauto?"
"Das ist meiner. Den habe ich mir zu meinem 40 gegönnt. Aber wie ich sehen, du stehst immer noch auf Jeans." Beide Männer umarmen sich freundschaftlich.
"Das ist nur meine Freizeitbekleidung."
"Was machst du denn beruflich?"
"Ich war noch vor paar Monaten bei der Polizei."
"Wieso warst?"
"Das erzähle ich dir ein andermal. Ist ne lange Geschichte. Wie ich sehe, bist du schon Vater." Der Mann beugt sich zu dem Jungen, lächelt, gibt ihm die Hand und sagt: "Mein Name ist Maik Tayler. Dein Vater und ich, wir waren früher mal in einer Clique und die dicksten Feunde. Aber nach der Uni bin ich zum Militär und dein Vater ist in die USA gegangen. Wielange ist das her, aber es waren schöne Zeiten, was?" Der Mann richtet sich auf und sieht seinen Freund an. "Weißt du noch, vor uns war kein Auto sicher. Wir waren erst glücklich, wenn wir daran etwas tunen konnten. Kennst du noch meinen alten Golf GTI?" fragt Tayler und lacht wieder.
Auch der andere Mann lacht als er zurück denkt. "Oh ja, dein grüner Golf GTI. Man, was haben wir aus dem gemacht. Wohnst du hier oder bist du nur auf der Durchreise?"
"Ich bin vor 2 Wochen hierhergezogen. Mal sehen ob ich bleibe oder weiter ziehe."
"Was hälst du davon, wenn ich dich zu mir nach Hause einlade. Meine Frau wartet mit dem Mittag und sie kocht verdammt gut. Du kennst sie, Janine Schuster hieß sie früher."
"Natürlich kenne ich Janine noch. Wir beide waren doch verrückt auf sie. Leider hast du das Rennen gewonnen und hast sie in den Hafen der Ehe geführt. Aber ich will wirklich keine Umstände machen."
"Red nicht so einen Mist. Sollen wir dich mitnehmen oder hast du dein Auto hier geparkt? Ich hoffe, du fährst nicht mehr deinen Golf."
Wieder lacht der junge Mann. "Nein, ich fahre seit paar Monaten einen Ford, genau wie du. Auch wenn es mich reizt mal in einen Lincoln mitzufahren, mein Auto parkt gleich 2 Straßen weiter in dem Parkhaus."
"Gut, dann hole es und wir werden im Auto auf dich warten."
Der Verkäufer gibt dem Mann seine EC-Karte wieder und sagt: "Morgen gegen 14 Uhr können sie ihre Waffe abholen." "Danke." sagt Tayler und verläßt das Geschäft.

++++++

Da der Mann schnell aus dem Geschäft kommt, steigt der Fahrer des Lincoln aus und sieht ihm nach. Als seine Fahrgäste aus dem Sportgeschäft kommen fragt er: "Ist bei ihnen alles in Ordnung Herr Evans?"
"Ja, alles in Ordnung."
"Mir ist dieser andere Mann etwas verdächtig vorgekommen."
"Das ist ein alter Freund von Daddy." sagt der Junge zu dem Fahrer.
"Ja, ein alter Unifreund. Er holt nur noch sein Auto. Er fährt einen Ford und wird uns dann zum Haus folgen. Wir wollen bisschen über alte Zeiten reden. Ich brauche sie also heute nicht mehr. Sie können sich den restlichen Tag frei nehmen."
"Sehr wohl."
Die 3 steigen in das Auto und warten auf diesen Maik Tayler. Viel Verkehr ist nicht und so dürften sie ihn nicht übersehen.
Vater und Sohn sitzen auf der Rückbank, sehen nach hinten und warten, bis sich ihnen ein entsprechendes Fahrzeug nähert. Auch der Chauffeur sieht in seinen Rückspiegel und nach hinten. "An der Kreuzung sehe ich einen Ford Mondeo. Könnte das ihr Freund sein?"
"Ich weiß nicht was für ein Model Maik fährt, aber er hat gesagt, dass er im Parkhaus gleich hier um die Ecke steht. Also kann er es nicht sein."
Nach 10 Minuten Wartezeit kommt genau aus der Straße, die zum Parkhaus führt, ein orangefarbener Ford Mustang GT 520. Seine 20 Zoll Chromfelgen funkeln in der Sonne und man kann den bullig klingenden V 8 Motor bis hier her hören. Das Auto ist tiefergelegt und mit seinem Frontspoiler, der Heckschürze und dem Flügel auf dem Kofferraum ein echter hingucker.
Viele Passanten drehen sich nach dem Fahrzeug um. Evans muss schmunzeln. *Das ist das Auto von Maik.*, das hat er im Gefühl. Er muss noch an dessen Worte im Geschäft denken: "Ich fahre einen Ford, genau wie du." Dabei hatte er mit keinem Wort erwähnt, dass es sich um einen Mustang GT handelt. Nicht umsonst war früher sein Spitzname *V 8 Maiky*. Selbst in seinem alten Golf hatte er sich so einen Motor eingebaut. Er liebte schon immer schnelle Autos. Der Mann dreht sich zu seinem Fahrer und sagt ihm: "Pohl. Sie können den Wagen starten. Ich glaube, er kommt." Der Chauffeur startet den Lincoln und sieht wieder in den Rückspiegel. Ihnen nähert sich ein blauer Ford Fiesta. Das wird das Auto des Freundes sein, denkt sich Pohl. Das Auto paßt zum Erscheinungsbild des Fremden wie die sprichwörtliche Faust auf´s Auge. Justin kniet auf der Rücksitzbank und sieht nach hinten. Als der Fiesta vorbei fährt fragt der Fahrer seinen Chef: "Sollte ihr Freund uns nicht folgen?" "Das war nicht Maik. Er fährt hinter dem Geldtransporter, etwa 300 Meter hinter uns." Wenige Sekunden später fährt der Transporter an dem Lincoln vorbei und das hinter ihm fahrende Fahrzeug blinkt, verläßt die Hauptstraße und hält hinter dem Lincoln. Die Augen des 10-jährigen Jungen glänzen als er zu seinem Vater sieht: "Wau, was für ein geiles Auto." Evans lächelt ihn an: "Das ist Maik wie er leibt und lebt. Autos und Waffen waren schon immer seine liebsten Hobbys."
Als eine größere Lücke im Verkehr ist, setzt Pohl den Blinker und verläßt die Parkbucht vor dem Sportgeschäft. Ihm folgt der orange Mustang von Maik. An jeder Kreuzung die Rot zeigt und sie warten müssen hört man, wie das Achtzylinder-Triebwerk was der Mustang unter der Motorhaube hat, kraftvoll arbeitet und die Autos in unmittelbarer Nähe in Schwingung versetzt. Bei dieser enorm gebündelten und gebändigten Kraft bekommt man ein leichtes Krippeln auf der Haut wenn man sich mit seinem Fahrzeug daneben befindet und die Vibrationen sich auf die eigene Karosserie übertragen.
"Darf ich mit dem Auto mal mitfahren?" fragt Justin seinen Vater.
"Da mußt du Maik fragen, ob er dich mal mit nimmt."
"Das mache ich gleich wenn wir zu Hause sind."
"Hast du deine Mathehausaufgaben schon gemacht. Du weißt, was du mir versprochen hast."
"Heute hatten wir keine auf, weil unsere Lehrerin nicht da war. Sie kommt aber Morgen wieder."
Ungläubig sieht der Vater seinen Sohn an. Dieser sagt aufgeregt: "Es ist wahr. Du kannst von mir aus in der Schule anrufen."
"Gut, nach dem Mittagessen kannst du ihn mal fragen."

Ca. 30 Minuten später verlassen beide Fahrzeuge die Innenstadt und fahren über´s Land. Maik ist gespannt, wo und wie sein alter Schulfreund jetzt wohnt. Sein Haus wird bestimmt sehr schön liegen und keine Wünsche offen lassen. So etwas kann sich der ehemalige Polizist nicht leisten. Auch wenn sein Lohn, den er als Mitarbeiter einer Spezialeinheit bekommen hatte nicht wenig war, aber es reichte nur, um sich mit seiner zukünftigen Miss Tayler eine 120 qm große Eigentumswohnung im Zentrum von München zu kaufen. Später wenn sie Kinder hätten, wollten sie auch aufs Land ziehen. Ein schönes kleines Häuschen am Rand von München, das war der Traum beider gewesen. Das Aufgebot war für Ende Februar bestellt. Nur noch diesen einen "ungefährlichen" Undercovereinsatz und wenige Tage später, würde an seinem Klingelschild Bianca und Maik Tayler stehen. Doch das Schicksal hatte andere Pläne mit ihnen. Plötzlich, keiner wußte warum, lief sein letzter Job völlig aus dem Ruder. Man munkelte sogar etwas von einem Maulwurf den sie in den eigenen Reihen hätten und der für Geld, oder was auch immer, seine Arbeitskollegen an die Gangster verraten hätte. Aber dies wurde nie bestätigt.

Der ehemalige Polizist hört in seinem Auto die Liebslings-CD von seiner Geliebten und sich. Er hatte Bianca bei einem Clubkonzert von Kyra kennengelernt. Sie mochten beide diese Musik. Der CD-Spieler spielt gerade das 5. Lied an.

Dieser Schmerz als du da lagst,
wie ich dich dort sah,
du sahst aus wie ein Engel
dieses Lachen im Gesicht
Träum ich oder nicht
sag mir dein Weg wohin führt er dich
ich folge dir ins Licht
ich würd alles dafür geben
um in meinem ganzen Leben
nochmal mit dir zu reden
es gibt soviel, das ich noch sagen wollte
ich weiss das es nicht sein sollte


Maik merkt, wie sein Blick unklar wird. Wie ihm Tränen die Sicht verschleiern und er den Lincoln vor sich nur noch schemenhaft wahrnimmt. Er dreht die Laustärke seiner 5.1 Surroundanlage höher, wechselt die CD und hört nun Metallica. Er genießt den Bass, der mit seinem Herzschlag eins wird, ihn aus der so schmerzhafen Vergangenheit holt und ins hier und jetzt zurück bringt. Der Fahrer des Mustangs wischt sich eine letzte Träne aus den Augen und konzentriert sich wieder auf das Fahrzeug vor sich.

- 2 -

Der Lincoln und der Mustang kommen jetzt in eine teure Wohngegend. Hier gibt es keine zweigeteilte Klassengesellschaft wie in der Stadt. Hier gibt es nur die Reichen die in ihren prunkvollen Häusern leben. Wie weit es sein ehemaliger Schul- und Hobbyschrauberfreund doch gebracht hat. Da kommt sich Maik richtig unbedeutend vor. Die meisten Häuser und Villen sind mit hohen Mauern oder dichten Hecken vor unliebsamen Blicken geschützt. Vor einige laufen sogar Securityangestellte auf und ab. Trotz dieser Sicherheitsvorkehrungen kann Maik hin und wieder einen Blick auf die herrlichen Häuser erhaschen. Viele von ihnen liegen in wunderschönen Parks mit einem exakt geschnittenem kurzen Rasen und Büschen die wie mit einem Lineal mm-genau gestutzt wurden. Die Häuser selbst übertreffen sich gegenseitig mit ihrer kunstvollen Fassade, ihren Erkern und Säulen. Aber ob diese Menschen glücklicher sind, ist noch zu bezweifeln. Maik würde sich hier nicht wohl fühlen. Hier parken keine Autos auf der Straße, sondern sie stehen sicher in Garagen die bestimmt so viel kosten wie Maiks ehemalige Eigentumswohnung.
Das Fahrzeug vor ihm wird langsamer, dann blinkt der Fahrer rechts und bleibt vor einem riesig geschmiedeten Tor stehen was die große Mauer, die rings um das Grundstück zu gehen scheint, kunstvoll unterbricht. An keinen der Zufahrten an denen sie vorbei gefahren waren, hatte das geübte Auge des ehemaligen Polizisten den Namen des Eigentümers lesen können. Hier legt man sehr viel Wert auf Anonymität, aus welchen Gründen auch immer. Um sich vor unliebsamen Paparazzis zu schützen oder vor übers Ohr gehauene Kunden, das bleibt dahingestellt. Das Tor zum Grundstück öffnet sich automatisch und der Lincoln setzt seine Fahrt zum endgültigen Ziel fort. Langsam folgt ihm der Mustang. Dessen kräftiger Motor stört die idyllische Mittagsruhe die in dieser Gegend herrscht. Vor dem Tor sieht Maik eine Sprechanlage und eine Kamera. Beide sind in einer Säule aus Metall eingelassen und diese steht unmittelbar neben der Einfahrt. So braucht der Fahrer nicht erst auszusteigen um den Besitzer um Einlass zu bitten. Kaum hat Maik das Tor passiert, schließt es sich langsam und schwerfällig. Die Auffahrt zum Haus ist mit weißen Kieselsteinen versehen, diese knierschen unter dem Gewicht des Mustangs. An einem großen Kastanienbaum hängen 2 Kinderschaukeln. Davon ist eine für ein kleineres Kind gedacht, denn sie ist wie der Sitz eines Kinderstühlchens gemacht. Also hat sein Freund nicht nur den Jungen der so scharf auf das Mountainbike war, sondern einen weiteren Stammhalter oder eine Stammhalterin. Wie glücklich kann sich Chris schätzen, denkt sich Maik. Er hatte es geschafft, er hatte eine Familie. Dies ist Maik bis jetzt leider verwehrt geblieben. Noch vor paar Monaten war auch er so na wie nie zuvor, eine eigenen kleine glückliche Famile zu gründen, doch dieses Ziel ist durch den tragischen Tod seiner Lebensgefährtin in weite Ferne gerückt.
In unmittelbarer Nähe der Schaukeln steht ein kleines Spielhaus aus Holz, was jedes Kinderherz höher schlagen läßt und zum Klettern und Toben einlädt. Natürlich fehlt auch ein kleiner Sandspielkasten nicht. Alles ist so liebevoll aufgebaut. Die Blätter der großen Kastanie schützen die Kinder vor den Sonnenstahlen und lassen dieses Plätzchen wie ein Kinderparadies erscheinen.
Als Maik wieder nach vorn sieht, hat das Auto seines Freundes vor dem Haus angehalten. Chris und sein Sohn steigen aus und warten auf ihren Besucher. Der Chauffeur fährt den Lincoln von der Einfahrt weg und in Richtung eines anderen kleineren Gebäudes.
Maik hält neben seinem Freund, stellt den Motor ab und steigt aus. Dessen Sohn läuft aufgeregt um den Mustang herum und sagt: "Das ist ein echt cooles Auto was sie da fahren. Der hat doch bestimmt über 500 PS und eine 6-Gang-Schaltung. Ich schätze mal, der braucht um von 0 auf 100 zu kommen nicht mehr als 5 Sekunden."
Maik lächelt und sagt: "4,2 Sekunden."
"Wau und wie schnell fährt er?"
"287 km/h."
"Ganz schön schnell. Darf ich mich mal reinsetzen? Ich mache auch nichts kaputt." bettelt der Junge.
"Bitte Justin." sagt sein Vater. "Lass uns doch erst mal Mittagessen, deine Mam wird schon warten. Ich denke, Maik wird noch etwas bleiben und dir das Auto bestimmt zeigen."
"Versprochen." sagt Maik und freut sich über die glänzenden Augen des Kindes.
"Jetzt geh rein und wasch dir die Hände." befielt Chris seinem Sohn in einer liebevollen aber bestimmenden Art und Weise. Justin gehorcht und geht ins Haus. Maik dreht sich noch einmal in Richtung Grundstück. "Du hast es zu was gebracht, das muss ich neidvoll zugeben. Hast du ne Bank überfallen oder Steuern unterschlagen?" Chris lächelt über das Kompliment seines Freundes. "Nein, ich habe mein Hobby einfach zu meinem Beruf gemacht. Dies und noch etwas Glück hat mir zu diesem Wohlstand verholfen." Maik schaut zu einem Brunnen der Mitten auf der Wiese kurz nach der Einfahrt steht. Eine etwa 1 Meter große Bronze-Elfe hält eine weiße Glaskugel in Richtung Himmel. Aus dieser läuft Wasser und blätschert leise in das Auffangbecken darunter. Alles hier strahlt Ruhe und Frieden aus und natürlich auch das nötige Kleingeld.
"Alleine der Brunnen dürfte mein Jahresgehalt beiweitem übertreffen."
Chris lächelt und legt seinen Arm um die Schultern seines Freundes. "Wir können ja später mal einen kleinen Rundgang machen. Dabei kannst du mir gleich erzählen, was du so in den letzten 20 Jahren getrieben hast. Aber jetzt wollen wir erst mal was Essen. Du hast hoffentlich Hunger? Janine kocht immer viel zu viel."
"Du kennst mich doch. Hunger habe ich immer."
"Also hast du dich in der Hinsicht nicht geändert."
Beide müssen lachen und gehen zusammen die Treppen nach oben die zur Eingangstür führen. Chris öffnet die Tür aus Holz und Glas und Maik tritt ins Haus. Sie stehen in einem relativ großen Empfangsbereich. Gegenüber von der Tür führt eine Treppe in die obere Etage. Auf einem Tisch in der Mitte des Flurs, steht eine Vase mit frischen liebevoll arrangierten Rosen und Nelken. Hier unten kann Maik 4 Türen sehen, die in private Wohnbereiche gehen. Eine Frauenstimme ist zu hören. Sie sagt : "Hör mal wer da kommt? Das ist bestimmt der Papa." Gleich darauf sagt ein kleines Kind: "Papa." "Komm, geh schnell zu ihm und gib ihm einen dicken Kuss." Maik sieht zu seinem Freund, dieser lächelt und sieht in Richtung der Tür ganz links. Eine winzige Kinderhand ist zu sehen, sie hält sich nur wenige cm über dem Boden am Türrahmen fest. Dann tritt ein kleines Mädchen, nicht viel älter als 1 Jahr, mit unsicheren Schritten in den Empfangsbereich. Sie hat blonde lockige Haare und ein bunten Kleidchen an. Als sie Chris, ihren Vater sieht, lacht sie und sagt: "Papa." "Na mein Engelchen." sagt dieser und geht zu ihr. Er nimmt sie auf den Arm, dreht sich mit ihr im Kreis und fragt sie: "Warst du auch lieb und hast Mama nicht zu sehr geärgert?" Die Kleine lacht, denn das sich-im-Kreis-drehen scheint ihr zu gefallen. Maik ist gerührt, wie liebevoll sein Freund mit dem kleinen zerbrechlichen Wesen umgeht. Die Mutter erscheint lächelnd in der Tür. Sie verschränkt ihre Arme, lehnt sich gegen den Türrahmen und sieht ihrem Mann zu, wie er seine Tochter begrüßt. Die Haare hat die Kleine eindeutig von ihrer Mutter. Auch sie hat blonde lockige Haare die sie offen trägt und die ihr Gesicht wie das eines Engels aussehen läßt. Maik erkennt sie sofort wieder. Das ist seine ehemalige Freundin aus der Jugendzeit, Janine. Sie ist mit den Jahren noch schöner geworden und die 40 sieht man ihr gar nicht an. Er sieht lächelnd zu ihr. Sie erwidert seinen Blick, bleibt aber dort stehen, wo sie ist. Chris ist mit der Begrüßung seiner Tochter fertig und dreht sich nun zu seinem Freund. Er sagt: "Schau mal. Ich hab Besuch mitgebracht. Das ist der Onkel Maik." Der Ex-Polizist geht zu Chris und dem Kind. Er gibt der Kleinen die Hand und sagt: "Du bist aber eine ganz Süße. Wie heißt du denn?" "Sag, Rebecca." antwortet ihr Vater. "Es freut mich dich kennenzulernen." sagt Maik und lächelt die Kleine an. Doch dieser fremde Mann ist ihr nicht ganz geheuer. Sie dreht sich zu ihrer Mama und hält ihre Hände in ihre Richtung. "Mama." sagt sie und will zu ihr. Schließlich kommt Janine zu ihrem Töchterchen, nimmt sie auf den Arm und sagt zu dem Gast: "Hallo Maik. Wielange ist das her?" Sie lächelt. "Du hast mich erkannt?" fragt der Polizist überracht. "Justin hat mir gesagt, dass sein Papa einen alten Schulfreund mit Namen Maik getroffen hat und dieser Maik fährt einen tollen Mustang in den er sich mal reinsetzen darf. So viele Schulfreunde die Maik heißen kennen wir nicht und noch dazu, die ein Auto mit einem V8 Motor fahren." Janine schaut dem Mann in die Augen. Diese fast einzigartigen hellblauen Augen wird sie nie vergessen, die Augen und diese süßen Grübchen wenn er lacht. Auch jetzt, noch 20 Jahre später, fängt ihr Herz an schneller zu schlagen und Schmetterlinge lassen es in ihrem Bauch kribbeln. Sie merkt, wie ihre Wangen rot werden und sie sieht zu ihrem Mann. "Ich bringe Rebecca nur noch schnell ins Bettchen, dann können wir essen." Sie geht mit der Kleinen nach oben. Maik sieht ihr nach. Ihr rotes kurzes Kleid umspielt ihren schlanken Körper. Jeden Schritt den sie macht, läßt ihre Hüften sachte auf und ab tanzen. Dieser Anblick hatte Maik schon früher um den Verstand gebracht. Ach früher, als alles noch so einfach war und die 3 mehr Zeit in ihrer Hobbywerkstatt verbracht hatten als in der Uni.
"Komm, lass uns vor dem Essen noch was trinken. Du bleibst doch noch etwas? Willst du ein Bier oder lieber was kräftiges?" "Hast du Scotch?" will Maik wissen.
Chris lächelt und geht in das Zimmer aus dem seine Frau gekommen war. "Also auch das hat sich nicht geändert. Natürlich habe ich Scotch da. Scotch mit 2 Eiswürfeln und einem Spritzer Zitrone?"
Wieder muss Maik lächeln. Sein Feund scheint wirklich nichts vergessen zu haben. "Ja, wie immer." antwortet der Polizist. Ihm ist unangenehm, dass er wegen Janine noch immer gewisse Gefühle hat, aber sie ist jetzt die Frau seines Freundes und Mädchen der Freude sind passé, das war schon immer so und wird auch so bleiben.
Der Hausherr geht zu einer aus Mahagoni gefertigten Bar mit großen Spiegeln und vielen Getränkeflaschen. Einige von ihnen sehen sehr teuer und orientalisch aus. Maik hatte, um das Studium und seine Autosucht finanzieren zu können, am Abend in einer Disco als Barkeeper gearbeitet, so fielen seinem Kennerblick sofort namenhafte Marken wie Henessy X.O., Metaxa 5***** und Davidoff Classic ins Auge. Der Flaschenpreis belief sich vor 20 Jahren bereits auf umgerechnet 60 bzw.130 Euro. Dagegen liegt sein Scotch weit darunter, bei ca. 30 Euro. Maik mag diesen leicht süßlichen Geschmack und wenn er schon mal Schnaps trinkt, dann nur einen guten Scotch. Chris mischt den Drink für seinen Feund. Dieser steht an dem kleinen Bartisch und beobachtet ihn dabei. "Janine ist noch genauso hübsch wie früher. Du bist ein richtiger Glückspilz, weißt du das?"
Chris lächelt. "Du wirst sehen, auch du wirst noch die Richtige finden."
Die hatte Maik schon gefunden und dann doch wieder verloren. Aber darüber zu reden, dazu ist er noch nicht bereit. "Bestimmt." sagt er deshalb nur und wechselt sofort das Thema. "Sag mal, wie ist deine Geschäftsidee um dir das leisten zu können? Brauchst du evtl. noch nen Partner?"
Chris dreht sich zu seinem Freund, gibt ihm den Drink, dreht sich wieder zur Bar und nimmt sein Glas in die Hand. Dann gibt er das Geheimnis seines Erfolges preis. "Ich bin doch gleich nach dem Studium in die USA gegangen. Dort habe ich ganz unten angefangen. Ich hatte keinen festen Job. Ich wußte manchmal nicht, wie ich mir das Essen für den nächsten Tag leisten soll. Oft habe ich tagelang nichts gegessen. Einestages als ich wieder mal auf Jobsuche war, hörte ich in einer Autowerkstatt, wie der Chef dort keine Ahnung mehr hatte, warum der Chevrolet eines Kunden nicht anspringen wollte. Ich frage ihn, ob ich mal nachsehen soll. Erst war der Mann skektisch, aber schließlich ließ er mich machen und ich bekam nach 2 Stunden das Auto zum laufen. Der Besitzer war so begeistert, dass er mich sofort fest eingestellt hat. Ich habe mich in den folgenden 10 Jahren hochgearbeitet, bis zum Juniorchef. Dann ist mein Arbeitgeber plötzlich an einem Herzanfall gestorben und sein eingebildeter Sohn hat den Laden übernommen. Da aber 50 % von der Werkstatt in meinem Besitz waren, bot mir der Kerl 250.000 Dollar an, damit ich meinen Anteil an ihn verkaufen. Ich wollte eh wieder nach Deutschland, so habe ich das Geld genommen und habe mir hier mein kleines Geschäft aufgebaut."
Maik lacht, sieht sich im Zimmer um und macht mit seiner linken Hand eine kreisförmige Bewegung. "Klein? Was ist dann groß bei dir?"
Chris schmunzelt, trinkt von seinem Glas und fragt verschmitzt: "Kennst du zufällig die Autoreparaturkette repair station?"
Maik verschluckt sich fast an seinem Scotch. "repair station, die gehört dir? Man, davon gibt es in jeder Stadt mindestens 2 Filialen und die laufen gut."
"Eben. Und ich bin der Firmengründer."
Plötzlich kommt Justin um die Ecke gerannt und stößt mit Maik zusammen. Dieser verschüttet seinen Drink.
"Justin, wie oft habe ich dir schon gesagt, dass du im Haus nicht rennen sollst!" schimpft sein Vater sofort. Der Junge steht erschrocken da, er weiß gar nicht, was er machen soll.
"Ist doch nichts weiter passiert. Mein Hemd ist bloß bisschen nass, aber das trocknet wieder."
"Entschuldige dich sofort bei unserem Gast!" fordert Chris.
Justin sieht auf den Boden und sagt Kleinlaut: "Es tut mir leid."
"Schimpf doch nicht mit deinem Sohn, ist doch alles halb so schlimm." bittet Maik. "Wo ist denn das Bad? Der Scotch klebt doch ziemlich."
"Gleich neben dem Eingang auf der rechten Seite. Ich werde dir ein frisches Hemd von mir geben bis deins trocken ist."
Chris stellt sein Glas hin und verläßt den Raum. Justin steht noch immer da. Ihm ist es peinlich. Jetzt wird er bestimmt nicht mehr in dem Mustang sitzen dürfen. Maik tut der Junge leid. Er sagt zu ihm: "Sieh mich mal an." Dieser hebt seinen Kopf und man sieht, dass ihm eine Träne über die Wange läuft. "Das ist doch bloß bisschen nass, mehr nicht. Also Kopf hoch. Aber für heute würde ich doch etwas langsamer machen, sonst schimpft dein Vater wieder." Erleichtert lächelt der Junge. "Darf ich trotzdem mal in dem Mustang sitzen?" Maik zwinkert dem Jungen zu und sagt: "Klar doch." Dann geht er in Richtung Bad.
Er schließt die Tür, zieht sein Hemd aus und wäscht sich seine klebrigen Finger. Selbst hier kann man den Luxus erkennen. Die Amaturen sehen nicht billig aus. Der Waschtisch ist in einer dunklen Marmorplatte eingelassen und der große Kristallspiegel darüber verleiht dem Raum das gewisse etwas. Es klopft an der Tür und Chris tritt mit einem frischen Hemd ein. Er sieht, wie Maik am Waschbecken steht und sich die Finger wäscht, dabei zeigt sein Rücken in Richtung Tür und sein Feund kann darauf 3 kreisförmige Verletzungen sehen. Das sind eindeutig ziemlich frische Schussverletzungen. Chris ist etwas irritiert, fängt sich aber gleich wieder und legt seinem Freund mit einem Lächeln das Hemd neben das Waschbecken. "Wenn du fertig bist, können wir essen." sagt er und verläßt die Toilette. Aber ihm geht der Anblick der Verletzungen nicht aus dem Kopf. Wie ist sein Freund dazu gekommen? Hatte er in dem Sportgeschäft nicht erzählt, dass er bei der Polizei war. Wieso war? Hatte er selbst gekündigt oder war er rausgeflogen. Hatten sich beide wirklich nur zufällig in dem Geschäft getroffen oder ..... Nein, Chris hätte für Maik die Hand ins Feuer gelegt, jedenfalls früher, aber Menschen können sich auch ändern.
Seine Frau kommt ihm entgegen und sie sieht sofort, dass etwas nicht stimmt. "Was ist?" will sie wissen. Doch Chris will ihr noch nichts sagen. Erst möchte er mit Maik unter 4 Augen sprechen und ihn wegen der Verletzungen fragen. So blockt ihr Mann ab. "Ich habe auf einmal ziemliche Kopfschmerzen."
"Soll ich dir eine Aspirin holen?"
"Das wäre lieb von dir." Er küßt sie liebevoll auf die Wange.
Janine geht, um ihrem Mann eine Kopfschmerztablette zu holen. In der Zeit geht dieser in das Zimmer mit der Bar zurück und setzt sich an den eingedeckten Mittagstisch. Justin sitzt bereits auf seinem Platz. Sein Vater sieht so aus, also ob er noch sauer auf ihn ist.
"Das wegen vorhin tut mir wirklich leid." sagt der Junge traurig. Doch sein Vater reagiert nicht. Er scheint mit seinen Gedanken wo anders zu sein.
"Daddy?" ruft ihn sein Junge. Als Chris ihn ansieht fragt er: "Bist du mir noch böse?"
"Ich? Nein. Aber mach in Zukunft langsamer." Dabei lächelt er seinen Sohn an.
Dieser ist glücklich, strahlt und sagt: "Indianerehrenwort."

- 3. -

Eine Stunde später ist das Mittagessen beendet. Janine hat sehr wohl bemerkt, dass ihr Mann seit einiger Zeit irgendwie komisch ist. Er wirkt angespannt und manchmal gedanklich abwesend. Etwas muss vorgefallen sein. Sie wird ihn später diesbezüglich zur Rede stellen. "Onkel Maik. Darf ich mich jetzt mal in dein Auto setzen?" fragt Justin den Freund seines Vaters. Noch bevor dieser antworten kann, sieht Chris zu seinem Sohn und sagt: "Hilfst du deiner Mutter bitte erst mal beim Abräumen." "Aber....." Doch als Justin seinen Vater ansieht merkt er sofort, dass er es verdammt erst meint und so sagt er: "Ja. Mach ich." Auch Maik ist aufgefallen, dass seit dem Vorfall mit dem verschütteten Drink etwas anders geworden ist. Sein Freund ist nicht mehr so gesprächig wie vor dem. Er ist wortkarg, fast schon distanziert geworden. Sobald das Gespräch auf sein Unternehmen kommt, blockt er sofort ab und greift belanglose Themen auf.
Janine merkt, dass ihr Mann mit Maik allein sein will. So sagt sie zu ihrem Sohn: "Das wäre wirklich lieb, wenn du mir helfen würdest. Und als Dank bekommst du noch ein schönes Eis." "Ja, Mam." antwortet Justin lustlos. "Hey Sportsfreund." sagt Maik zu dem Jungen. "Wenn du deiner Mam geholfen hast, dann darfst du den Mustang auch mal anmachen." Sofort kommt das Leuchten in den Augen des Kindes zurück. "Echt, ich darf ihn mal starten?" fragt er aufgekratzt. Maik legt die rechte Hand auf sein Herz und hebt seine Linke zum Schwur. "Großes Pfadfinderehrenwort." Dabei lächelt er und fährt Justin durch die Haare. Dieser hilft seiner Mam sofort die Teller vom Tisch zu räumen. Je eher sie fertig sind, desto eher darf er das Auto starten. Auch Chris steht auf, geht zu seiner Frau, gibt ihr einen Kuss und sagt leise zu ihr: "Würdest du bitte dafür sorgen, dass ich mich einige Zeit ungestört mit Maik unterhalten kann." "Klar doch." Sie sieht ihn fragend an, doch er wendet sich sofort seinem Freund zu, der noch immer am Tisch sitzt. "Was hälst du von einem kleinen Verdauungsspaziergang?" fragt er ihn. Maik ist nicht auf den Kopf gefallen und hat schnell kapiert, dass Chris unter 4 Augen mit ihm reden will. "Klar doch, sehr gern. Du wolltest mir sowieso dein Grundstück zeigen." Tayler steht auf, sieht zu Janine und sagt lächend zu ihr: "Danke für´s Mittagessen. Es war wirklich sehr lecker. So gut habe ich schon lange nicht mehr gegessen." "Du bist ein Lügner wie eh und je...." Dann lächelt auch sie. "Aber ein charmanter Lügner." beendet sie ihren letzten Satz. Inwieweit Maik wirklich die Wahrheit sagt, dass wird Chris herausbekommen. Justin kommt zurück und holt die nächsten Teller. Beide Männer verlassen das Haus.

Als sie draußen vor der Haustür stehen sagt Maik amüsiert: "Dein Sohn kommt genau nach dir. Er ist wie du, schon als Kind ein richtiger Autonarr." Chris setzt ein gezwungenes Lächeln auf, sagt: "Ja, er kommt wirklich nach mir."
"Stört es dich, wenn ich eine Rauche?" fragt Maik seinen Gastgeber.
"Nein, seit wann rauchst du?"
"Das hat der Job so mit sich gebracht."
"Ach ja, dein Job als Polizist." Chris steckt seine Hände in seine Hosentaschen und geht die Treppen hinunter. Maik folgt ihm. Dieser ist gespannt, wielange sein Freund das Spiel spielen will bis er damit herausrückt, was er wirklich will. Vor dem Auto seines Freundes bleibt er stehen, sieht auf den Mustang und fragt: "War bestimmt ganz schön teuer dieser Flitzer?" Maik hat sich eine Zigarette angezündet und sagt: "Für das Baby habe ich fast 65.000 Euro hingelegt. Aber es ist jeden Cent wert."
"Ich wußte gar nicht, dass unsere Staatsmacht so gut bezahlt wird."
"Wird sie auch nicht. Das habe ich mir zusammengespart."
"Und wie unterhälst du ihn, jetzt wo du arbeitslos bist?"
"Ich habe noch paar Reserven und außerdem bin ich schon auf der Suche nach einem neuen Job."
"Hast du eigentlich selbst gekündigt oder hat das dein Arbeitgeber gemacht?"
Maik steht neben seinem Freund, jetzt dreht er sich zu ihm und sagt: "Ich habe aus persönlichen Gründen, über die ich nicht reden will, gekündigt. Hey, was soll das? Wieso komme ich mir wie bei einem Verhör vor. Sag doch endlich was du wirklich von mir hören willst. Ich bin nicht blöd. Seit dem kleinen Malör mit dem Drink bist du komisch. Was ist los?"
Jetzt dreht sich auch Chris zu seinem Freund, sieht ihm in die Augen und rückt nun mit seinem Verdacht heraus. "Weißt du, ich bin nicht gerade mittellos, habe 2 Kinder, eine wunderschöne Frau und paar Widersacher die meinen, ich würde mit meiner Billigautokette ihre mompösen Autohäuser in finanziellen Ruin treiben. Aber das ist nun mal harte Marktwirtschaft. Nur der Stärkste überlebt. Ich habe nie mit unfairen Mitteln gekämpft. Durch die vielen Zweigstellen die ich im ganzen Land habe, kann ich gute Preise anbieten. So können sich auch nicht ganz so gut betuchte eine fachmännische Reparatur ihres Autos leisten. Meine Angestellen improvisieren oft, um die Kosten für den Kunden gering zu halten. Mein Motto ist: "Nicht alles was kaputt aussieht muss auch kaputt sein." Hat ein Auspuff ein Loch, muss nicht gleich ein neuer eingebaut werden. Gut, dann hätte ich mehr Gewinn, aber viele haben einfach nicht mehr das Geld um sich einen neuen leisten zu können. Aber das weißt du ja selbst."
"Worauf willst du eigentlich hinaus?" fragt Maik, sieht ihn aus etwas zusammengekniffenen Augen an und zieht an seiner Zigarette.
"Nimm es mir bitte nicht übel. Früher hätte ich für dich sofort beide Hände ins Feuer gelegt. Aber es sind viele Jahre vergangen und die Welt hat sich geändert. Als wir noch eine Clique waren die an alten Autos herumgeschraubt hat, da gab es nur gut oder böse. Doch heute gibt es Zwischenstufen. Es gibt kein Schwarz und Weiß mehr, sondern vieles dazwischen." Chris sieht seinen Freund an, wartet auf dessen Reaktion. Dieser wirft seine aufgerauchte Zigarette auf den Boden, sie fällt sofort zwischen die weißen Kieselsteine und verschwindet noch bevor er sie austreten kann. Maik geht langsam um sein Auto herum und sagt leise: "Du denkst also wirklich, dass ich auf die dunkle Seite gewechselt bin. Vielleicht noch, dass ich vor dem Sportgeschäft gezielt auf dich gewartet habe um dich kennenzulernen und vielleicht sogar finanziell erleichtern will. Glaubst du das wirklich von mir?" Bei dieser Frage sieht er seinem Freund fest in die Augen und erwartet von ihm eine ehrliche Antwort. Doch dieser schweigt. Sein Gefühl und sein Verstand sind uneins. Sein inneres befindet sich im Zwiespalt von Körper und Geist. Natürlich traut er seinen Freund dies nicht zu, aber wie heißt es so treffend in einem Sprichwort: "Man hat schon Pferde kotzen sehen." Maik ist enttäuscht. "Gut, wenn du so von mir denkst ist es wohl besser, ich verschwinde." Der Ex-Polizist geht zur Fahrertür, öffnet sie, sieht enttäuscht zu seinem Freund. "Sag Janine noch einmal schönen Dank für das Essen und Justin soll nicht allzu traurig sein. Auch er muss lernen, dass das Leben schrecklich sein kann und Freunde ihre Versprechen manchmal nicht halten können, aus welchen Gründen auch immer." Tayler steigt in sein Auto, schließt die Tür und startet die Maschine. Kraftvoll springt der Motor an. Chris fühlt sich schrecklich. Wie kann er so taktlos sein und seinen alten besten Feund einfach so, ohne dass sich dieser rechtfertigen kann, in eine Schublade stecken die ihm am einleuchtesten ist. Nein, so kann und so will er ihn nicht fahren lassen. Aus diesem Grund stellt er sich vor das Auto und sagt: "Warte. Es tut mir leid." Doch die Worte von Chris haben Maik tief verletzt. Er hat die feste Absicht das Grundstück zu verlassen und sich nie wieder zu melden. Doch dann sieht er, wie Justin aus dem Haus gerannt kommt und enttäuscht da steht, weil der Mann der ihm doch hoch und heilig versprochen hatte, dass er das coole Auto mal starten darf, einfach so wegfahren will. Dieser traurige Blick des Jungen trifft Maik noch mehr, als die Worte seines Feundes. So macht er den Motor wieder aus, bleibt aber im Auto sitzen. Chris kommt zu Tayler, öffnet die Fahrertür und sagt zu ihm: "Es tut mir wirklich leid. Ich habe dich einfach verurteilt ohne dir die Möglichkeit zu geben, meine Bedenken zu zerstreuen. Bitte, verzeih mir." Maik sieht ihn an und fragt: "Woher sollte ich wissen, dass du vor dem Sportgeschäft auftauchst?" Chris hat seine rechte Hand auf dem Autodach liegen und seine linke hält die Fahrertür auf. Er schaut zu seinem Sohn, sieht seinen fragenden Blick und ärgert sich über sich selber. "Weißt du. . . " sagt er schließlich leise zu seinem Freund. "Das Geschäftsleben ist hart und man hat nicht viele Freunde die wirklich loyal sind. Vielleicht kannst du mich eines besseren Belehren und mir das Vertrauen an eine echte wahre Freundschaft zurückgeben."
"Du willst wissen, warum ich meinen Job gekündigt habe. Gut, aber zuerst will ich deinem Sohn den Glauben an Freunde, die ihr Versprechen halten, zurückgeben."
"Danke." sagt Chris und läßt Maik aussteigen. Dieser sieht zu Justin. Dessen Mutter ist jetzt ebenfalls an die Tür gekommen. Sie hat sehr wohl registriert, dass sich die beiden Feunde wegen irgend etwas gestritten haben und Maik wirklich fahren wollte. Ihr Mann ist manchmal wie der berühmte Elefant im Porzellanladen, aber sie liebt ihn und er hat auch seine guten Seiten. Er ist liebevoll zu ihr und den Kindern, schlägt ihnen kaum einen Wunsch ab. Maik lächelt und sagt zu dem Jungen: "Dein Vater wollte bloß mal hören, wie der Motor beim Start klingt." Sofort kehrt das Lächeln auf das Gesicht des Jungen zurück. "Bist du mit Abräumen denn schon fertig?" "Nein, aber gleich." Justin rennt zurück ins Haus. Maik sieht am Gesichtsausdruck von Janine dass sie weiß, dass er gelogen hat. Er zwinkert um ihr zu zeigen, dass jetzt wieder alles in Ordnung ist. Sie lächelt und geht zurück ins Haus. Tayler schließt die Autotür, lehnt sich mit dem Rücken dagegen und sieht seinen Freund an. "Du willst wissen warum ich meinen Job aufgegeben habe und wieso ich mir dieses Auto dann noch leisten kann. Man, du scheinst wirklich nicht viele Feunde zu haben."
"Du weißt gar nicht, wie recht zu hast." gibt Chris zu.
"Also gut. Ich habe bei einer Spezialeinheit gearbeitet, bei welcher darf ich dir nicht sagen, sonst müßte ich dich umbringen."
Maiks Freund sieht ihn verdutzt an. Doch Tayler lacht und klopft ihm auf die Schulter. "Man, das war ein Scherz. Aber das sagen doch immer diese Kerle in den Hollywoodfilmen." Schließlich erzählt der ehemalige Polizist weiter. "Ich war 10 Jahre bei der SEK, Sondereinheit Drogen und Prostitution. Vor 5 Jahren habe ich Bianca kennengelernt und mich sofort in sie verliebt. Sie wollte, dass ich endlich diesen gefährlichen Job aufgebe. Aber für diesen Job habe ich gelebt. Mein Liebslingsspiel war: Guter Bulle, Böser Bulle."
Maik grinst und auch Chris lächelt. Dann sagt er: "Lass mich raten, du warst lieber der böse Bulle."
"Aber immer. Die Rolle lag mir irgendwie besser." Tayler steckt seine Hände in die Hosentaschen und schaut sich auf dem Grundstück um. Chris merkt, dass es ihm schwer fällt weiter zu erzählen.
"Was ist passiert?" will er wissen.
"Im letzten Jahr habe ich ihr einen Heiratsantrag gemacht und sie hat ja gesagt. Wir hatten das Aufgebot für Ende Februar bestellt."
"Dann gratuliere ich dir. Warum hast du nicht gesagt, dass du verheiratet bist? Wo ist denn die Frau Tayler? Bring sie doch das nächste mal mit. Janine würde sie bestimmt auch gerne kennenlernen."
Maik sieht auf seine Hände, spielt an seinen Fingernägeln. Das hatte er früher schon immer gemacht, wenn er über etwas nicht reden wollte. Chris erinnert sich noch sehr gut daran. Sofort sagt er leise: "Ich vermute, zur Hochzeit ist es nicht gekommen. Warum nicht?" Der Polizist steckt seine Hände wieder in die Hosentaschen und schaut geradeaus. Dessen Freund sieht, dass er Tränen in den Augen hat. Mit zitternter Stimme fährt er fort: "Ich wollte nur noch diesen einen, eigentlich völlig routinemäßigen Untercovereinsatz machen und mich dann versetzen lassen. Doch alles kam anders." Maik tut die Erinnerung noch weh. Er glaubt bis heute, dass sein Herz nie mit dem Verlust fertig wird und es nie wieder lieben kann. Ein Band aus Stracheldraht scheint seit dem in seinem Oberkörper zu sein, was sich bei jeder Erinnerung mehr und mehr zusammen zieht und ihm die Luft zum Atmen nimmt. Er dreht sich herum, steht nun mit der Vorderseite in Richtung Auto, legt seine Hände aufs Dach und spielt wieder mit seinen Fingernägeln. "Der Einsatz lief schief. Keiner konnte sagen, warum. Auch die Kommission nicht, die den Vorfall im Anschluss untersucht hatte. Es wurden bei diesem Einsatz 8 Polizisten und 4 Zivilpersonen getötet bzw. verletzt."
"Und du warst unter den Verletzten, hab ich recht? Als ich dir das Hemd von mir gebracht habe, habe ich die Wunden auf deinem Rücken gesehen. Das waren eindeutig Schussverletzungen."
Maik schaut wieder in Richtung Tür. "Ja, ich hatte noch mal Glück gehabt. Bianca nicht. Sie wurde von einem Querschläger in den Hals getroffen. Binnen weniger Minuten ist sie verblutet. Ich lag ein halbes Jahr im Krankenhaus, bin erst vor einem Monat entlassen wurden. Ich hatte mit Biance eine hübsche Eigentumswohnung in München, aber ich konnte nicht darin leben. Zuviele Erinnerungen hingen daran. So habe ich sie verkauft, meinen Job hingeschmissen und mir dieses Baby hier gekauft." Der Mann klopft auf das Dach seines Autos. "Ich will erst mal bisschen Auszeit nehmen, um zur Ruhe zu kommen und dann werde ich mir einen Job suchen. Vielleicht als Sicherheitsberater in irgendeiner Securityfirma. Ich weiß noch nicht." Maik sieht zu Chris. "Hab ich jetzt deine Bedenken zertreut, dass ich es darauf angelegt habe, dass wir uns treffen?"
"Ich weiß, ich bin ein ungehobelter Hornochse. Ich hätte von Anfang an auf mein Herz hören sollen, aber mein Verstand ist halt stärker. Es tut mir wegen deiner Freundin aufrichtig leid. Wirklich." "Danke." Da kommt Justin aus dem Haus gerannt. "Ich bin fertig." ruft er und rennt die Treppen hinunter. "Dann los Sportsfreund. Ich warte schon auf dich." Maik öffnet die Tür seines Autos und läßt den Jungen einsteigen.
Janine steht ebenfalls in der Tür. Chris geht zu ihr. Er sieht ihr fragendes Gesicht. "Alles wieder in Ordnung zwischen euch beiden?" will sie wissen.
"Ja. Bin ich wirklich hin und wieder so ein Rindvieh, daß ich nicht merke, wenn ich jemanden verletze?"
"Du bist halt ein Mann und merkst nicht, wenn es besser ist, die Klappe zu halten." Dabei lächelt seine Frau und gibt ihm einen Kuss auf die Wange.
"Hilfst du mir es zu lernen?" fragt er sie. Er legt seinen rechten Arm um ihre Hüften und beide schauen zu, wie begeistert ihr Sohn von dem Auto ist. Maik erklärt ihm alles ganz genau und als Justin den Zündschlüssel herumdrehen darf, leuchten seine Augen als ob Weihnachten wäre. Er sieht zu seinen Eltern und ist so glücklich. Chris hätte von Maik noch zu gerne gewußt, wieso seine Freundin getötet wurde, ob sie auch Polizistin gewesen war. Aber er getraute es sich nicht. Vielleicht bot sich später noch einmal die Möglichkeit. Jetzt waren seine Bedenken erst einmal zerstreut, dass sein Jugendfreund ein falsches Spiel mit ihm spielt.
Maik kauert neben dem Auto und erklärt Justin, wo der Blinker ist und wo Gas und Bremse. Der Junge ist so begeistert von dem Auto, dass der Polizist schmunzeln muss.
"Man, wenn mich meine Schulfreunde in dem Auto sehen könnten. Diese würden vor Neid glatt platzen. Besonders dieser Tim." Justin sieht zu Maik, dabei tritt er auf das Gas und läßt den Motor aufheulen. "Weißt du, sein Vater holt ihn von der Schule mit so einem aufgemotzten Honda Civic ab. Aber dein Auto ist viel cooler Onkel Maik." "Danke." sagt dieser. "Wenn es deine Eltern erlauben, könnte ich dich vielleicht Morgen von der Schule abholen. Wie würde dir das gefallen?" Damit hatte Maik ins Schwarze bzw. ins Herz des Jungen getoffen. "Echt, das würdest du wirklich machen. Ohne Scheiß." Wieder muss Maik lachen. "Ja, ohne Scheiß. Das würde ich machen, nur damit wir beide sehen können, wie dieser Tim platzt. Aber du mußt erst deine Eltern fragen, ob es ok ist." Justin steigt sofort aus dem Auto und rennt zu seinen Eltern: "Mama, Papa ! ! ! Onkel Maik hat gesagt, dass er mich Morgen von der Schule abholen könnte. Bitte bitte, darf er?" Seine Eltern sehen sich an. So glücklich und aufgeregt haben sie ihren Sohn schon lange nicht mehr erlebt.
"Wenn du uns versprichst anschließend, ohne zu murren, für die Mathearbeit zu lernen...." sagt Janine.
"Ja, ja. Ich verspreche es." fällt ihr Justin ins Wort.
Seine Mam sieht zu Chris und fragt ihn: "Was denkst du?"
"Bitte Papa, sag ja." bettelt der Junge und kann nicht ruhig stehen bleiben.
Maik steht wieder neben seinem Auto und sieht lächelnd dem Treiben zu. Janine und sein Freund lassen ihren Sohn aber ganz schön zappeln, denkt er sich.
"Na gut. Wenn du es uns versprichst." willigt sein Vater schließlich ein.
"Toll. Danke." Justin ist völlig aus dem Häuschen.
Plötzlich schreit seine kleine Schwester. "Oh Rebecca ist schon wieder wach." sagt Janine. "Da werde ich sie mal holen und du kannst Maik fragen, ob er noch zum Kaffee bleiben will."

- 4. -

Am nächsten Tag wird der Geschäftsführer von "REPAIR STATION" von seinem Chauffeur Pohl wie immer um 7 Uhr von zu Hause abgeholt und in sein Büro gebracht. Unterwegs bereitet sich Chris Evans auf den Tag vor, er liest Unterlagen und führt wichtige Telefonate. Eine halbe Stunde später erreichen sie die Stadt. Nur noch wenige Minuten, dann wird der schwarze Lincoln Town Car in die Tiefgarage des großen Bürohochhauses fahren und ein weiterer harter 12 Stunden-Arbeitstag kann beginnen. Doch heute ist Mittwoch, der letzte Mittwoch im Monat. An diesem Tag hält sich Chris immer den Nachmittag frei, um mit seinem Sohn etwas zu unternehmen. Meistens gehen sie ins Kino oder zum Fußballspielen auf einen nahegelegenen Bolzplatz. Diese wertvollen Stunden, weit weg von Arbeit, Hektik und Stress, genießt der 2-fache Vater jedes mal. Danach merkt er immer wieder, wie wichtig ihm seine Familie ist. Wie sie ihm Halt und Stärke gibt. Für heute hat der Wetterbericht 25°C angesagt und Sonne pur, die richtige Temperatur, um baden zu gehen. Chris hat sich den Tag so gedacht. Sobald sein Sohn mit dem Lernen für die Mathearbeit fertig ist, wird er mit ihm Eis essen fahren und danach an den Rhein zum schwimmen. Dort waren sie schon lange nicht mehr, das letzte Mal im vorigen Jahr. Heute ist es endlich wieder sonnig genug, um sich mit seinem Sohn in die Fluten zu stürzen. Vor 2 Jahren hatten sie auf einem Familienradausflug diese herrliche Stelle entdeckt. Sie lag etwas abgelegen und sie hatten sie nur durch Zufall gefunden, weil sie vom Radweg abgekommen waren. Oder besser gesagt, weil Janine eine Abkürzung fahren wollte. Chris muß schmunzeln. Seine Frau und Orientierungssinn, das sind 2 Dinge, die einfach nicht zusammen passen.
Pohl, der Chauffeur, sieht in den Rückspiegel und erkennt, dass sein Chef mit seinen Gedanken woanders ist. Dessen Blick hat sich auf die Kopfstütze des Beifahrersitzen geheftet, aber seine Augen sehen sie nicht, sondern sie scheinen etwas anderes, in den Erinnerungen von Evans zu sehen. Wahrscheinlich denkt er wieder an seine Familie, schätzt Pohl. Sie ist ihm sehr wichtig, wie wichtig wirklich, dass wird sich bald herausstellen. Jetzt lächelt auch der Fahrer in dem Luxusauto. Bald wird er nicht mehr reiche Leute durch die Gegend chauffieren müssen, sondern sich selbst einen Fahrer leisten können. Einen Fahrer, ein geiles Auto, ein Haus und natürlich auch eine Menge Frauen. Beide Männer hängen ihren Gedanken nach, doch dies ist für den Fahrzeugführer nicht ratsam, denn Pohl sieht erst zu spät, dass der Smart der vor ihm fährt, an einer Ampel die soeben auf Rot umschaltet bremsen muss. "Pohl, pass auf!" schreit Chris von hinten. Im Bruchteil einer Sekunde tritt der Chauffeur des Lincoln´s auf die Bremse. Die 225er Reifen quitschen gefährlich und kündigen den fast unausweichlichen Zusammenstoß an. Eh die 2,5 Tonnen Fahrzeuggewicht zum Stehen kommen, das dauert etwas. Chris und Pohl sehen machtlos und erschrocken nach vorn und sehen auch, wie der Abstand zu dem Auto immer kleiner wird. Kurz bevor das fünfeinhalb Meter lange Gefährt von Chris den Smart zu einem handlichen Schrotthaufen zusammenpreßt, kommt es zum Stehen und der V 8 Motor geht aus. Man könnte annehmen, dass dieser über die plötzliche Bremsaktion verärgert ist und nun seinen Dienst verweigert. Die Insassen des Lincoln sitzen geschockt in ihrem Fahrzeug. Bald hätten sie einen Unfall verursacht. Die Autos die rechts und links neben ihnen stehen, setzen sich, als die Ampel auf Grün schaltet, langsam in Bewegung. Einige schauen zu Chris und Pohl hinüber und schütteln den Kopf. Viele von ihnen denken: Ein großes Auto besitzen, aber nicht fahren können.
Der Fahrzeugführer vom Smart hat das quitschende Geräusch hinter sich ebenfalls gehört und angsvoll in seinen Rückspiegel gesehen. Auch er hatte mit einem Zusammenstoß gerechnet. Doch Gott sei Dank kam es anders. "Alles in Ordnung bei ihnen?" will Pohl wissen und dreht sich zu Chris herum. "Ja, alles in Ordnung. Aber solche Aktionen lassen wir in Zukunft lieber." Evans steht der Schweiß auf der Stirn und er ist um einige Jahre gealtert. Auch Pohl hat einen Schreck bekommen. Wie konnte ihm nur so etwas passieren. Durch seine Unachtsamkeit hätte er bald einen Unfall verursacht und die Aufmerksamkeit der Polizei auf die Familie Evans und sich gezogen, die er z. Zt. gar nicht gebrauchen kann. Der Smartfahrer steigt aus und geht nach hinten. Pohl will ebenfalls aussteigen und sich entschuldigen, doch Evans sagt: "Laßt mal, ich kläre das schon." So steigt Chris aus und geht nach vorn. "Entschuldigen sie bitte, es tut meinem Fahrer und mir echt leid, dass wir ihnen so einen Schreck eingejagt haben." sagt er zu dem jungen Mann der den Smart fährt. Dieser sieht auf seine hintere Stoßstange. Zwischen seiner und dem Lincoln sind höchstens noch 5 cm Platz. "Gut, dass ich keinen Kofferraum habe." scherzt der junge Mann. Chris ist froh, dass dieser keinen Aufstand macht und alles so gelassen sieht. "Da haben sie allerdings Recht." antwortet Evans und lächelt. "Ich möchte mich trotzdem noch einmal bei ihnen entschuldigen." Er streckt dem Mann seine Hand hin. "Ich weiß auch nicht, was heute mit meinem Fahrer los ist." "Vielleicht hatte er ne schlaflose und aufregende Nacht und träumt jetzt von der Tusse." Der Mann lacht und gibt Chris die Hand. Dieser lacht ebenfalls. "Das kann sein." Evans greift in seine Jackentasche, holt eine Visitenkarte heraus und drückt sie dem Mann in die Hand. "Wenn sie mal ein Problem mit ihrem kleinen Flitzer haben, dann schauen sie bei repair station vorbei. Ich sorge als Wiedergutmachung dafür, dass sie die Reparatur nicht bezahlen müssen. Ist das ein fairer Deal?"
"Wirklich?" fragt der Mann.
"Ja."
"Toll, der Motor geht immer mal wieder, völlig grundlos, aus. Ich wollte das Auto schon längst in eine Werkstatt bringen. Aber ich bin nur ein kleiner Student."
Chris klopft dem Mann auf die Schulter und sagt: "Lassen sie sich einfach einen Termin geben und um die Rechnung kümmere ich mich."
Eine Polizeisirene läßt beide in Richtung des Lincoln sehen. Hinter diesem hält soeben ein Polizeiauto. "Verdammter Shit." sagt Pohl leise. Der Beifahrer des blau-weißen Dienstfahrzeuges steigt aus und geht zu Chris und dem Mann. Er fragt beide, wieso sie hier stehen und den Verkehr blockieren. Pohl fängt an zu schwitzen und unruhig zu werden. *Wenn man die Bullen braucht, findet man keine, aber wenn man auf die gut und gerne verzichten kann, sind sie da.* denkt er sich. Nach einem kurzen Gespräch trennen sich alle Parteien einvernehmlich. Chris steigt in seinen Firmenwagen und sein Fahrer fragt ihn sofort: "Was ist rausgekommen? Soll ich mich bei der Polizei melden?" "Nein, alles in Ordnung. Ich habe denen gesagt, dass es ihnen leid tut und sie einfach nur abgelenkt waren." "Danke." sagt Pohl und lächelt. *Das ist noch mal gut gegangen.* denkt sich der Fahrer erleichtert.

5 Minuten später fahren sie in die Tiefgarage des Bürohochhauses, wo sich der Firmensitz von repair station befindet. Chris nimmt seine Unterlagen aus dem Auto und will aussteigen. Zuvor sagt er noch. "Ach Pohl, du brauchst Justin heute nicht von der Schule abholen."
Erschrocken dreht sich sein Chauffeur herum. "Warum nicht, wegen eben? Es kommt nicht wieder vor."
"Nein, nicht wegen eben. Mein alter Schulfreund wird meinen Sohn heute von der Schule abholen. Aber halten sie sich so gegen 15 Uhr bereit. Heute ist doch Mittwoch."
"Ah ja, Vater-Sohn-Tag." sagt Pohl und grinst. Er weiß natürlich ebenfalls, dass jeden letzten Mittwoch im Monat der Herr Evans den Nachmittag für seinen Sohn frei hält. "Wo soll es denn heute hingehen, wenn ich fragen darf?" will er wissen
"Ich dachte, ich gehe mit Justin mal wieder baden."
"Wieder an die Stelle wo sie immer hingehen?"
"Ja, die gefällt uns. Ich rufe sie an, wenn wir losfahren wollen."
"In Ordnung. Ich werde auf ihren Anruf warten." Pohl lächelt und sieht zu, wie sein Boss aussteigt. Dieser geht in Richtung Fahrstuhl. Kaum hat sich die Tür geschlossen, verschwindet das Lächeln auf Pohls Gesicht und er holt sein Handy aus dem Handschuhfach. Er will eine Nummer wählen, zögert aber. Soll er diesen Anruf wirklich tätigen oder nicht. Bis jetzt kann er sich nicht über seinen Boss beklagen. Er behandelt ihn respektvoll und wegen dem eben, da hat er sich auch schützend vor ihm gestellt. Doch Pohl will endlich raus aus der Stadt und ein schöneres Leben beginnen. Bereits letzte Woche hatte er sich das Flugticket nach Brasilien gekauft. Mit Südamerika hat Deutschland keinen Auslieferungsvertrag, also kann er dort ein ruhiges Leben führen und sein Geld unter die Leute bringen. Aber erst einmal muss er das Geld haben. Alexej hatte ihm versprochen, dass dem Jungen nichts passieren wird. Sobald sein Vater die 15 Millionen bezahlt hat, läßt er ihn wieder nach Hause gehen. Wenn das Geschäft abgeschlossen ist, ist Pohl um 3 Millionen reicher und dann wird er so schnell wie möglich aus Deutschland verschwinden. Endlich wählt er und wartet auf den Teilnehmer. Er muss sich nicht lange gedulden, schon hört er die Stimme von Alexej. Der Mann klingt verärgert und blafft ihn sofort an. "Was ist los? Kannst du dich nicht mal an einen einfachen Zeitplan halten? Wieso rufst du erst jetzt an?"
"Es gab ein kleines Problem."
"Was für ein Problem?"
"Ich hätte fast einen Unfall gebaut."
"Was? Wenn ich wegen dir meinen Plan ändern muss, dann bekommst du das Geld nicht, sondern was anderes." Alexej spricht sehr gut deutsch, aber seine russische Abstammung hört man heraus. Immer wenn Pohl mit ihm spricht, jagt es ihm einen eiskalten Schauer über den Rücken. Dieser Mann ist skrupellos und geldgierig. Er hat sich mit seinen Leuten auf die Entführung reicher Kinder spezialisiert. Doch er mischt auch im Drogengeschäft, Prostitution und Waffenhandel mit.
Einer von seinen Leuten hatte Pohl vor einem Monat in einer Bar angesprochen und hatte ihn gefragt, ob er für eine kleine Information reich werden will, verdammt reich. Nach kurzem Zögern hatte er schließlich doch zugestimmt, alle Informationen über Chris Evans, dem Inhaber von repair station, an Alexej weiterzugeben. Erst später hatte er mitbekommen, dass sie dessen Sohn entführen wollen. Doch da steckte er schon zu tief in der Sache drin. So wollte er die 3 Millionen kassieren und dann für immer untertauchen. Wenn Justin in den Händen des Mannes ist, will Pohl hin und wieder vorbeischauen, ob es dem Jungen wirklich gut geht und Alexej sein Versprechen hält.
"Bleibt es dabei, dass du diesen Bengel heute 13 Uhr von der Schule abholst?" will der Angerufene wissen.
Pohl konzentriert sich wieder auf das Gespräch. "Nein. Irgendein Schulfreund von Evans will ihn heute abholen."
"Welcher Schulfreund? Hast du vergessen mir was zu sagen?"
"Nein, der ist urplötzlich aufgetaucht."
"Könnte er uns Ärger machen?"
"Garantiert nicht."
"Gut, das können wir nun nicht mehr ändern. Kannst du herausbekommen welche Route er für die Heimfahrt nimmt."
"Ich werde es versuchen, aber ich weiß nicht, ob ich ihn vorher noch einmal sehe."
"Dann gib dir bisschen Mühe. 3 Millionen müßten dich mehr als genug anspornen. Ich erwarte deinen Rückruf Punkt 11 Uhr und sei diesmal pünktlich." Ohne eine Antwort zu erwarten unterbricht Alexej die Verbindung.

- 5. -

Dieser steht in einer alten Fliegerhalle, weit draußen vor der Stadt. Der Flugverkehr wurde schon vor Jahren eingestellt. Für seine Zwecke war dieses Gebiet ideal. Abgelegen und überschaubar. Jedes Fahrzeug was sich nähert, konnte man bereits lange vorher sehen. Es war praktisch unmöglich, sich unbemerkt diesem Gebiet zu nähern.
Alexej ist etwa Mitte 40, hat schulterlange dunkle Haare und auf seinem rechten Oberarm ein ziemlich großes Schlangentattoo. In seinem Gürtel steckt eine Tula-Tokarew, eine typische russische Waffe. Er ist schlank und sein Gesicht weist eine lange Narbe auf der linken Wange auf.
Über den Anruf noch verärgert, steht er an einem alten Holztisch, vor sich liegend das Telefon. Beide Hände auf der Tischplatte gestützt, scheint er zu überlegen. Am Tisch sitzen 4 Männer von ihm. 2 von ihnen sind ebenfalls russischer Abstammung, die anderen Deutsche. Sie spielen Karten. "Was ist?" will einer wissen.
"Dieser Chauffeur macht mir Sorgen. Ich denke, es war ein Fehler ihn für den Job zu gewinnen. Er ist zu labil."
"Diesen Fehler können wir ganz schnell korrigieren." sagt einer der Männer, zieht seine Waffe aus den Hosenbund, es ist eine Makarow und legt sie auf den Tisch.
"Noch nicht Akim. Wir brauchen ihn noch."
"Wie ich mitbekommen habe, klappt die Entführung von diesem Millionärssöhnchen nicht. Verschieben wir es auf Morgen?"
"Nein, wir ziehen es heute durch. Der Zeitplan verschiebt sich nur etwas nach hinten."
Alexej schaut auf seine Uhr und sieht sich dann in dem Gebäude um. Überall laufen noch mehr Männer von ihm herum, bewaffnet mit Minu-Uzi´s. In einer Ecke stehen etwa 30 Holzkisten, so groß wie ein Sarg. Vorn befindet sich ein Vorhängeschloss und an den Seiten jeweils ein Tragegriff aus Metall. Oben auf diesen Kisten steht: THIS SIDE UP. In diesen befinden sich Waffen. Handfeuerwaffen, Maschinengewehre und sogar einige Panzerfäuste. Alles aus dem Bestand russischer Armeen. Alexej hat sie billig kaufen können und bietet sie nun in Deutschland an. Er hat viele Abnehmer für seine Ware.
"Wo bleibt Sascha mit den Bälgern? Die Kunden warten auf ihre Lieferung." Da fährt ein dunkelblauer VW Transporter in die Lagerhalle. Sofort erhellt sich Alexej´s finsterer Gesichtsausdruck. "Na also, da sind sie endlich." Seine Männer stehen ebenfalls auf und gehen zu dem Auto. Der Fahrer steigt aus, lacht und sagt: "Wie ich sehe, werde ich schon erwartet."
"Warum kommst du so spät, gab es was?" fragt Alexej.
"Nein, eine von den Kleinen konnte die Hausnummer 23 noch nicht lesen und ist ins falsche Haus gegangen."
Dieser Sascha öffnet die Tür, die sich an der Seite des Transporters befindet. Im Inneren kann man 7 verängstigte Kinder sehen. Sie sind im Alter von 5 bis 10 Jahren. "Los, raus mit euch." brüllt sie der Mann der sie gefahren hat an. Langsam steigen die Kinder aus und bilden eine schützende Gruppe etwas weg vom Auto. Sascha steigt in das Fahrzeug, holt einen Metallkoffer heraus. Mit diesen geht er zum Tisch, legt ihn darauf und öffnet ihn. Alexej und seine Männer sind ihm gefolgt. In dem Koffer liegen 7 rechteckige Päckchen die mit braunem Papier verpackt sind. Jedes etwa 1 Kilo schwer. Akim nimmt eins in die Hand, lächelt und sieht seinen Boss an. "Das war eine gute Idee von dir, die Kinder die toten Briefkästen leeren zu lassen. Niemand wird ein Kind verdächtigen Drogenkurier zu sein. Besonders nicht solche Kleinen."
"Warum sollen wir sie einfach so durchfüttern, bloß weil ihre Eltern das Geld nicht so schnell auftreiben können. Da können sie auch was machen. Gut, macht euch an die Arbeit."
Seine Männer wissen sofort, was sie machen sollen. Sie nehmen den Koffer und gehen in eine Ecke. Dort steht ein länglicher Tisch, darauf befindet sich eine Waage, kleine durchsichtige Tüten und ein größeres Plastikgefäß mit der Aufschrift: Paracetamol. Damit strecken sie das 100 % reine Heroin und so werden aus den 7 Kilo die in dem Koffer liegen schnell mehr und der Gewinn steigt ebenfalls. Alexej hatte dem Verkäufer 70.000 Euro für diese Menge gezahlt. Aber er wollte mindestens 100.000 Euro damit erzielen. Da er sich auf seine Männer verlassen kann, wendet er sich nun wieder Sascha und den Kindern zu.
"Ansonsten gab es keine Probleme mit den Gören?" will er von dem Fahrer wissen.
"Nein, nur die Kleinste heult immer wenn wir im Bus sind. Erstens nervt es und zweitens, nicht dass das Gewinsel mal von jemanden gehört wird."
Alexej schaut zu der Kindergruppe und entdeckt die Jüngste sofort. Sie trägt ein buntes kurzes Kleid und ihre langen braunen lockigen Haaren fallen ihr ins Gesicht. Sie hat eine Puppe im Arm, die sie fest an sich drückt. Dicke Tränen läufen ihr übers Gesicht. "Komm mal zum Onkel meine Kleine." sagt Alexej liebevoll. Einige von den Leuten die mit den Minu-Uzis herumlaufen bleiben stehen und wollen sehen, was ihr Boss mit dem Kind vor hat. Langsam und ängstlich geht sie zu dem Mann. Ihre Augen sehen auf den Boden. Als sie vor ihm steht, fragt er sie: "Wie heißt du denn meine Kleine?"
"Antonia." sagt sie und wischt sich eine Träne ab. Sie hat Angst dem Mann in die Augen zu sehen.
"Wie alt bist du denn?"
"Schon 5. Ich will zu meiner Mami." Sie fängt an zu heulen, dabei bebt ihr kleiner zierlicher Körper.
Alexej beugt sich zu ihr hinunter. "Deine Mami und dein Papi haben aber noch nicht das, was der Onkel möchte. Solange mußt du leider hier bleiben."
"Ich will aber nach Hause."
Sascha steht in der Nähe der anderen Kinder, hat seine Arme vor der Brust verschränkt und sieht mit einem Grinsen zu seinem Boss und dem Kind.
Dieser holt ein Taschentuch aus seiner Hose und wischt Antonia ihre Tränen ab. "Du kannst ja bald nach Hause. Versprochen, aber vorher mußt du mir auch was versprechen." Jetzt sieht die Kleine den Mann an. Ihre großen dunklen Augen sind rot vom heulen. Ein herzzerreißendes Schluchzen läßt ihren gesamten kleinen Körper erzittern.
"Du mußt mir versprechen, dass du nicht mehr weinen wirst."
"Aber ich will doch zu meiner Mami."
Etwas genervt richtet sich Alexej auf. Er sieht auf die Kleine hinunter, die ihm gerade mal bis zum Gürtel geht. "Jetzt hör endlich mit diesem Geflenne auf." brüllt er sie an. Doch damit hat er genau das Gegenteil erreicht, sie heult nur noch mehr und lauter. Auch anderen Kindern treten jetzt Tränen in die Augen. "Weißt du was ich mit dir machen werde, wenn du nicht sofort mit dem Heulen aufhörst." Das Mädchen drückt ihre Puppe ganz dicht an ihren Körper und ihre Tränen tränken dessen Haar. Alexej greift in seine Hosentasche, holt ein Springmesser heraus und reißt der Kleinen die Puppe aus den Armen. Sie sieht ihn völlig verstört an.
"Dann werde ich dir, wie ich es gleich mit deiner Puppe machen werde, die schönen Haare abschneiden. Dann siehst du wie ein Junge aus und alle werden über dich lachen!" Ohne zu zögern läßt der Mann die Klinge seines Messern herausspringen und legt sie der Puppe an den Kopf.
Das älteste Kind in der Gruppe ist ein 10jähriger Junge. Er kann es nicht mehr mit anssehen, wie der Kerl dieses kleine Mädchen verängstigt. Der Mann der bei den restlichen Kindern steht, hat eine Waffe hinten im Gürtel stecken. Mutig greift der Junge zu und richtet die Waffe auf Alexej. "Lass Antonia endlich in Ruhe und gibt ihr die Puppe zurück!" Völlig überrascht ist auch Sascha. So viel Mum hätte er diesem Jungen gar nicht zugetraut. "Komm Kleiner, gibt mir meine Waffe wieder. Das ist kein Spielzeug. Du wirst sonst noch jemanden verletzen." Als der Mann ihm die Waffe wegnehmen will, richtet sie der Junge auf ihn und Sascha hebt sofort seine Hände in die Höhe. Auch Alexej ist überrascht. "Du weißt doch gar nicht, wie man mit so einem Ding schießt." sagt er lachend zu dem Jungen.
"Ist doch ganz einfach, man muss nur den Hebel nach hinten drücken. Vorher sollte man die Waffe natürlich entsichern." Mit dem Daumen legt der Junge den Sicherhungshebel der Smith & Wesson herum und macht die Waffe so zu einem tödlichen Instrument. Alexej gibt Antonia ihre Puppe zurück und klatscht in seine Hände. "Bravo. Ein 10 jähriger Bengel der sich mit Waffen auskennt. Wo hast du das gelernt, auf dem Rummel?"
"Nein, mein Vater hat mich oft zum Tontaubenschießen mitgenommen."
"Das sollte man verbieten. Was hast du jetzt vor? Willst du uns alle erschießen?" Alexej sieht zu seinen Männern. 4 stehen hinter ihm und strecken das Heroin, Sascha ist am Auto und dann sind noch 6 Mann als Wachen in der Halle. Jeder von ihnen hat mitbekommen was geschehen ist, aber keiner getraut sich auf den Jungen zu schießen. Sie wollen erst mal sehen, ob ihr Boss die Situation unter Kontrolle bekommt. Schließlich sind nicht sie das Hauptziel des Jungen, sondern Alexej. Wenn er ihn wirklich erschießt, kann man ja immer noch Handeln.
"Komm her Antonia." sagt der Junge. Das Mädchen rennt sofort zurück zu der Gruppe.
"Wie gut bist du in der Schule? Besonders in Mathe. Wie heißt du eigentlich?" will Alexej wissen.
"Lukas und ich bin ganz gut in der Schule, warum?"
Vorsichtig legt Alexej sein Messer auf den Tisch und setzt sich selbst auf eine Ecke. Er sieht lächelnd zu dem Jungen. "Weil ich ne kleine Rechenaufgabe für dich habe. Ich zähle hier in der Halle 12 Mann, mich eingeschlossen. Wie willst du uns alle mit einer Waffe erschießen, die ein Magazin mit nur 8 Kugeln hat." Der Junge ist einen Augenblick lang irritiert, daran hat er gar nicht gedacht. Diese wenigen Sekunden reichen Sascha aus, um sich die Waffe zu greifen und sie nach oben zu drücken. Lukas schießt und die Kugel geht in die Decke. Schnell hat der Mann von Alexej dem Jungen seine Waffe wieder abgenommen. Dabei mußte er ihm aber sein Handgelenk so verdrehen, dass Lukas vor Schmerz aufschrie. Jetzt steht er ängstlich und enttäuscht bei den Kindern, sein Handgelenk festhaltend. Eine Träne läuft ihm über seine Wange, so weh tut ihm die Hand. Sascha sieht zu ihm, sichert seine Waffe und sagt: "Das ist meine Lieblingswaffe, eine Smith & Wesson. Den Namen hast du bestimmt schon mal in so einem Actionfilm gehört. Und weißt du warum sie meine Lieblingswaffe ist?" Der Mann zögert etwas, dann grinst er und spricht weiter: "Weil in das Magazin 14 Patronen passen, nicht wie in vielen andere nur 8. Wie du siehst, hättest du uns damit alle erschießen können."
"Och, hat der böse Onkel dich angelogen?" sagt Alexej und lacht dabei. "Jetzt ist aber wirklich Schluss mit diesem Blödsinn. Wir haben einen Zeitplan einzuhalten." Dies sagt der Mann so laut, dass sich alle wieder an ihre Arbeit machen. "Sascha, bring die Kinder in ihr Quartier und lass sie sich bisschen ausruhen bevor sie wieder auf die Straße gehen." "Geht klar Boss." Antonia nimmt die Hand von Lukas und hält sie fest. Er ist ab Heute ihr Held, schließlich hat er dafür gesorgt, dass der Mann ihrer Puppe nicht die Haare abgeschnitten hat.
"Ach Lukas." ruft Alexej der Gruppe nach. Der Junge bleibt stehen und dreht sich herum. Der Mann der ihn gerufen hat, sitzt noch immer auf der Ecke des Tisches. Mit seinem rechten Zeigefinger fordert er den Jungen auf, zu ihm zu kommen. "Ich komme gleich nach." sagt er zu Antonia und lächelt sie an. Sie geht mit den anderen mit und wird von Sascha in einen Raum gesperrt, wo sie auch Nachts schlafen. Hier liegen nur alte Matratzen auf dem Boden und die Fenster sind mit schwarzer Farbe bemalt, so können sie nicht nach draußen sehen. Langsam und ängstlich geht Lukas zu dem Mann zurück. Als er vor ihm steht, fragt dieser: "Haben dir deine Eltern nicht beigebracht, dass man auf Erwachsene hören muss?" Der Junge schweigt und sieht zu Boden. "Sieh mich verdammt noch mal an wenn ich mit dir rede!" schreit Alexej ihn an. Lukas erschrickt von der plötzlichen Lautstärke. Mutig hebt er seinen Kopf und sagt kaum hörbar: "Doch."
Der Mann am Tisch beugt sich etwas zu ihm und fragt: "Wie war das, ich habe dich nicht verstanden."
"Doch, haben sie."
"Schön, dann haben sie also bei deiner Erziehung nichts falsch gemacht und es liegt an dir. Das können wir ändern. Deine Eltern werden mir im Nachhinein bestimmt dankbar sein, einen gehorsamen Sohn wiederzubekommen." Der Mann stellt sich aufrecht hin und öffnet seine Gürtelschnalle. Lukas sieht ihm dabei zu. Was hat der Mann vor? Als er dann noch seinen Gürtel aus der Hose zieht, ahnt der Junge etwas und geht einen Schritt nach hinten. Dort stößt er mit Sascha zusammen, der ihn sofort an seinen Armen festhält. Alexej grinst Lukas an und fragt ihn: "Ziehst du deine Hose allein runter oder soll dir mein Mann helfen?"
Die anderen Kinder sitzen oder liegen auf ihren Matratzen und ruhigen sich aus. Sie werden täglich um 5 geweckt und müssen dann aus irgendwelchen Häusern diese braunen Päckchen holen und am Nachmittag Tüten mit einem weißes Pulver an andere Stellen legen.
Von draußen aus der Halle hört man plötzlich ein komisches klatschendes Geräusch und Lukas, der erst leise stöhnt, dann aber immer lauter wird. Nach einiger Zeit tritt wieder Ruhe ein und die Tür wird aufgeschlossen. Die Kinder sehen Lukas, er hat ein ganz verheultes Gesicht. Er hält seine Hose fest die er zwar oben hat, aber noch nicht geschlossen. Sasche stößt ihn grob hinein und schließt die Tür. "Was haben sie mit dir gemacht?" will ein anderer Junge wissen, der etwas jünger wie Lukas ist. "Nichts." sagt dieser und geht nach hinten in eine Ecke. Dort heult er. Kurze Zeit später zupft ihm jemand an sein Shirt. Als er sich herumdreht, sieht er Antonia neben sich stehen. Sie hält ihm die Puppe hin und sagt: "Hier, Babet wird dich trösten." Lukas versucht zu lächeln, obwohl ihm weiter zum heulen ist. Dieser Mann hatte ihm mit dem Gürtel seinen Hintern versohlt, so sehr, dass er bestimmt eine ganze Zeit nicht sitzen kann.

- 6. -

Der Rhein fliest ruhig durch die Stadt. Die Meteorologen haben für die nächsten Tage ein stabiles Hochdruckgebiet vorhergesagt. Es ist zwar erst Mai und die angekündigsten 25°C sind für diese Jahreszeit ziemlich ungewöhnlich, aber kaum einer beschwert sich darüber. Vor einigen Wochen sah alles noch ganz anders aus. Anfang April, da lag noch Schnee auf den Straßen. Der Winter hielt sich in diesem Jahr sehr hartnäckig. Man hatte schon den Verdacht, dass er gar nicht enden will. Doch dann wurde es endlich Frühling und alle waren froh, dass die frostige Zeit vorbei war. Man konnte Liebespärchen auf der Straße sehen, die anscheinend allen Menschen ihre Zuneigung zueinander zeigen wollten. Viele Leute, ob Jung oder Alt, lächelten, wenn sie so ein Pärchen sahen, das sich in den Parks und auf den Wiesen ungeniert küßte. Nur einem tat dieser Anblick weh und ließ sein Herz jedesmal vor Schmerz wie Feuer brennen. Dieser Mann war Maik Tayler, ein ehemalige SEK-Mann. Seit seiner Entlassung aus dem Krankenhaus war viel passiert. Er hatte seine Münchner Eigentumswohnung verkauft und hatte sich in dieser Stadt vor 2 Wochen eine kleine 2-Zimmer-Wohnung genau am Rhein gemietet.
Von hier aus hat er einen wunderschönen Blick auf den Fluss. Er steht oft an den beiden großen Fenstern die bis zum Fußboden gehen und sieht zu den Schiffen hinüber. Wie auch jetzt. Maik war eben duschen, er hat noch ganz nasse Haare und nur ein Badetuch um seine Hüften. Frischer Kaffeeduft liegt in der Luft. Eine Tasse des heißen Muntermachers hat er in der Hand, nippt hin und wieder daran und sieht nach draußen. Die Sonne spiegelt sich in den Wellen des Rheins die ganz sachte gegen das Ufer schlagen. Außer ein Schiff ist gerade vorbeigefahren, dann werden die Wellen höher und schlagen derber gegen die Hafenmauer. Drei Kinder, nicht älter als 4 oder 5 Jahre, laufen laut lachend weg, als sie nass werden. Ihre Eltern sitzen auf Bänken und beobachten sie dabei. Menschen spazieren an der Promenade entlang. Einige füttern die Möwen die zu dieser frühen Tageszeit noch ziemlich hungrig sind. Zwei streiten sich sogar um ein besonders großes Stück Brot. Maik trinkt wieder einen Schluck Kaffee und er muß bei diesem Anblick lächeln. Ein Bob Ross würde sofort seine Malersachen auspacken und diese Idylle auf seiner Leinwand festhalten. Bob Ross war Biancas Lieblingsmaler. Bianca, immer wieder muß Maik an sie denken. Er bekommt sie einfach nicht aus seinem Gedächtnis. Aber will er dies überhaupt. Schließlich hatten sie wunderbare Zeiten miteinander verbracht. Sie hatten viel gelacht und sie kam auf die unglaublichsten Ideen, wie Mitten im Winter, als sie in einem Park spazieren waren. Da ließ sie sich einfach mit dem Rücken in den frischen Schnee fallen und machte einen Schneeengel.
Als Maik sie wieder vor seinem inneren Auge sieht, muß er schlucken. Sein Hals ist plötzlich trocken und seine Augen füllen sich mit Tränen. Er versucht an etwas anderes zu denken. Doch die Flüssigkeit in seinen Augen läßt alles um ihn herum verschwimmen. Selbst der Rhein und die strahlende Sonne sieht Maik wie hinter einem Schleier aus bunten Farben. Wieder einmal gegen seine Gedanken zurück in dass so schmerzliche Gestern.

Nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus und Rückkehr in seine und Biancas Wohnung, fing er an zu trinken um alles zu vergessen. Den Schmerz den er in seinem Herzen hatte, wollte er mit Alkohol zum Schweigen bringen. Doch es half nicht lange. Spätestens am nächten Tag war er wieder da. Jedes Möbelstück in der Eigentumswohnung erinnerte ihn an seine Geliebte, die so sinnlos gestorben war. Maik schlief seit Wochen nur auf dem Sofa, er konnte sich nicht ins Schlafzimmer und dort ins Bett legen. Überall sah und roch er Bianca. Maik war in ein tiefes seelischen Loch gefallen. Sein bester Freund hieß Scotch. Er wusch und rasierte sich nicht mehr, dachte sogar schon an Selbstmord. Doch irgendwie hatte er nie den Mut für den letzten Schritt gefunden. Um wenigstens einige menschliche Züge an ihm aufrecht zu erhalten, besuchte ihn oft Biancas Schwester. Sie brachte ihm Essen und räumte die Wohnung etwas auf. Sie wußte wie sehr er Bianca geliebt hatte und es tat ihr weh, ihn so leiden zu sehen. Aber wie sollte sie ihm helfen? Einestages stritten sie sich so, dass Anka wütend die Wohnung verließ. Erneut griff Maik zu seinem Freund Alkohol, um sich in seinen Armen tief fallen zu lassen und das hier und jetzt zu vergessen. Er wollte wieder einmal für ein paar Stunden der Realität entfliehen. Doch diesmal gelang es ihm nicht, denn es klingelte an der Wohnungstür. Erst ignorierte er die lästige Störung, griff sich die Flasche Scotch und wolle sich wieder auf das Sofa legen. Aber es klingelte erneut und diesmal stärker. "Laß mich in Ruhe Anka. Ich will allein sein." rief er, da er vermutete, dass Biancas Schwester zurückgekommen war. Doch sie war es nicht. Es klopfte schroff an der Tür und jemand rief: "Ich bin`s Lou." Lou war sein bester Arbeitskollege und ein guter Freund. "Mach auf, ich will mit dir sprechen."
"Aber ich nicht mit dir. Ich will allein sein."
"Mach die verdammte Tür auf!"
"Welchen Teil von: Ich will allein sein, hast du nicht verstanden?"
Es wurde ruhig. Lou war anscheinend gegangen und so schleppte sich Maik mit der Flasche in der Hand in Richtung Sofa. Als er sich gesetzt hatte und den ersten Schluck nehmen wollte, stand plötzlich Lou im Wohnzimmer.
"Ich glaube, ich muss meinen Zweitschlüssel woanders verstecken." lallte Maik angetrunken.
Erschrocken über dessen Anblick blieb sein Freund vor ihm stehen. "Man, Anka hat wirklich nicht übertrieben. Du siehst zum kotzen aus."
"Danke für das Kompliment. Jetzt hast du mich gesehen, nun kannst du wieder gehen." Maik trank einen großen Schluck.
"Wenn Bianca dich so sehen würde, sie würde sich für dich schämen."
Wütend sah ihn sein Freund an. "Laß Bianca da raus! Sie gibt es nicht mehr und wer weiß wielange es mich noch geben wird."
"Red nicht so einen Scheiß!" Jetzt wurde auch Lou lauter. "Du warst und bist ein guter Bulle und du bist nicht am Tod von Bianca Schuld. Daran Schuld sind andere. Laß an denen deinen Frust aus. Wenn du dich zu Tode säufst, bringt es sie auch nicht wieder zurück."
"Nein, aber es nimmt mir den Schmerz. Den Schmerz in meinem Herzen. Du weißt ja gar nicht, wie es in mir aussieht. Niemand weiß das. Also, warum laßt ihr mich nicht endlich in Ruhe!"
Lou kann Maik kaum verstehen, so betrunken ist er.
Er geht zu ihm. Stellt sich vor ihm hin und nimmt ihm die Flasche aus der Hand. "Nein, ich weiß wirklich nicht wie es ist, einen geliebten Menschen zu verlieren. Aber saufen hilft auf alle Fälle nicht. Du bist ein toller Arbeitskollege und Freund und mir tut dein erbärmlicher Anblick echt weh."
Betrunken schaut Maik zur Tür. "Bitte schön, dann geh doch. Du weißt ja wo die Tür ist. Aber lass den Schlüssel auf dem Tisch liegen."
Wütend wirft Lou die Flasche Schnaps in eine Ecke. Sie zerbricht und der Scotch verteilt sich auf dem Parkett.
"Hey, die Flasche hat mich 30 Euro gekostet." empört sich Maik.
Sein Freund zwingt ihn aufzustehen und bringt ihn in Richtung Bad. "Es tut mir Leid, aber ich muss es tun." sagt dieser.
"Was mußt du tun?"
"Das."
Lou dreht das kalte Wasser in der Dusche auf und stößt seinen Freund, voll angezogen, in die Kabine. Dann hält er die Tür zu.
"Was soll der Scheiß? Lass mich raus!" brüllt Maik.
"Nein, erst wenn du wieder nüchtern bist und man mit dir wie mit einem Erwachsenen reden kann."
Noch 2 x klopft der Mann in der Dusche gegen die Glaswand, dann tritt Ruhe ein. Vorsichtig öffnet Lou die Tür und sieht seinen Freund auf dem Boden sitzen. Das kalte Wasser läuft ihm über den Körper und läßt ihn frieren. Dabei heult er bitterlich. "Warum hat dieser blöde Querschläger Bianca erwischt und nicht mich? Sie war noch viel zu jung zum Sterben." Lou traten ebenfalls Tränen in die Augen. Sein Freund tat ihm so leid. Er saß wie ein Häufchen Unglück in der Dusche. Seine Beine hatte er angezogen und seine Hände umschlossen sie krampfhaft, dabei zitterte sein ganzer Körper.

Das Klingeln seines Handys reißt Maik aus seinen Gedanken. Erschrocken dreht er sich herum, eine Träne läuft ihm über die Wange. Er muß erneut schlucken, dabei versucht er seine Fassung zurückzugewinnen. Langsam geht er zum Tisch, auf diesem liegt sein Telefon. Immer wenn es klingelt leuchtet das Display auf und der Name Chris erscheint. Sein Schulfreund versucht ihn zu erreichen. Maik stellt die Kaffeetasse ab und nimmt das Handy. Er meldet sich: "Ja Chris, was gibt es." Dabei klingt seine Stimme noch unsicher.
"Ist bei dir alles in Ordnung?" will sein Freund wissen.
"Ja, warum?"
"Du klingst so komisch."
"Ich hatte gerade einen Hustenanfall, weil ich mich an einem Brötchenkrümel verschluckt habe." lügt Maik seinen Freund an. Dieser glaubt ihm die Ausrede jedoch.
"Ich will mich nur mal melden um dich zu fragen, ob du noch an Justin denkst. Du wolltest ihn doch heute 13 Uhr von der Schule abholen."
"Klar doch. Wie könnte ich das vergessen."
"Fein. Justin wird sich freuen. Bringst du ihn danach bitte nach Hause, er muss noch für die morgige Mathearbeit lernen."
"Mach ich."

- 7. -

Diesmal pünktlich, hat Pohl bei Alexej angerufen und ihm mitgeteilt, dass er mit diesem Schulfreud von seinem Chef nicht reden konnte ohne Verdacht zu erregen. So weiß Alexej nicht, ob sie den üblichen Nachhauseweg nehmen oder nicht. Also ist auch der Plan gefährdet, den Jungen auf dem Heimweg zu entführen. Aber Pohl hat etwas von dieser kleinen geheimen Badestelle gesagt, zu der Evans und sein Sohn heute Nachmittag fahren wollen. Eigentlich ist es nicht geplant, den Vater des Jungen bei der Entführung dabeizuhaben. Das kann ein unnötiges Risiko bedeuten, denn Erwachsene reagieren oft anders als man denkt. Besonders, wenn es um das eigene Fleisch und Blut geht. Doch eins beruhigt Alexej, der Chef von "repair station" verfügt über keine Schusswaffe, das hat ihm Pohl garantiert. Also, was soll Chris Evans machen wenn sie seinen Sohn entführen, sie mit einem Stock angreifen wie ein wildgewordener Neandertaler? Bei diesem Gedanken muß der russische Kindesentführer, Drogen- und Waffenhändler lächeln. Ein ganz anderes Problem ist dieser plötzlich aufgetauchte Freund von Evans. Von ihm wissen sie fast nichts, nur, dass er einen sauteuren und ziemlich aufgemotzten Mustang GT 520 fährt. Wie er sich den leisten kann, das ist ein weiteres ungeklärtes Rätsel. Er soll ein alter Schulfreund sein. Evans und dieser Typ haben sich zufällig in diesem Sportgeschäft getroffen. Doch ob es wirklich nur Zufall war, diese Unsicherheit bereitet Alexej doch etwas Magenbeschwerden. Es kann auch durchaus möglich sein, dass dieser Chauffeur zu unvorsichtig war, Evans irgend etwas mitbekommen hat und nun einen angeblichen Schulfreund als Aufpasser für seine Familie engagiert hat. Und noch etwas gefällt Alexej ganz und gar nicht. Pohl hat gesagt, dass sich dieser alte Klassenkamerad der Maik heißt, in dem Sportgeschäft Waffen angeschaut hat, aber wohl keine gekauft haben soll. Wer ist dieser Mann wirklich? Könnte er die Entführung eventuell vereiteln oder hört Alexej einfach nur die Flöhe husten. Vielleicht läuft bis jetzt jede Entführung zu problemlos ab, so daß er Probleme sieht, wo gar keine sind. Vorsichtshalber hat er 2 von seinen Leuten abgestellt, die diesen Maik im Auge behalten sollen. Doch bis jetzt wissen sie weder den Nachnamen von dem Kerl, noch wo er wohnt. Aber dieser aufgetunte Schlitten fällt auf. Alexej hat seine Kontakte angerufen, ihnen gesagt, die Augen aufzuhalten und ihn sofort anzurufen wenn dieses Auto wo auch immmer auftaucht. Spätestens vor der Schule von dem Jungen werden sie ihn treffen, da er ihn heute abholen will. Ab da werden seine Leute wie eine Schmeißfliege an dem Kerl hängen und ihn nicht mehr aus den Augen lassen. Akim und Patrick halten Kontakt zu Alexej, denn falls dieser Maik den üblichen Schulweg zu Evans Anwesen nimmt, dann können sie wie geplant die Entführung des Jungen durchziehen. Falls nicht, müssen sie eben auf Plan B ausweichen und den Jungen heute Nachmittag in dieser Badebucht kidnappen. Allerdings war dort, durch das große unübersichtliche Terrain das Risiko größer, gesehen und wiedererkannt zu werden. Unter normalen Umständen würde Alexej die Sache sofort verschieben und abwarten, bis sich alles etwas normalisiert hat, doch er braucht die 15 Millionen Lösegeld für die Bezahlung seiner nächsten Waffenlieferung. Diese war für Ende der Woche angekündigt. Wenn er das Geld bis dahin nicht zusammen hat, dann wird er nicht nur den Verkäufer, sondern auch seine Kunden sehr verärgern. Dies kann er sich nicht erlauben, denn mit seinen Abnehmern ist nicht zu spaßen. Wenn er die bestellte Ware nicht pünktlich liefern kann, dann würden sie ihm jemanden schicken, der ihn umlegt um andere potenzielle Nachfolger zu warnen, sie nicht zu unterschätzen. Und Nachfolger gibt es genug die nur darauf warten, dass dieser russische Drogendealer aus dem Geschäft aussteigt. Deshalb muß die Entfühung durchgezogen werden und klappen. In so kurzer Zeit ist es unmöglich, eine andere betuchte Familie um ihr Erspartes zu bringen. Denn es ist wochenlange Vorplanung nötig und dafür fehlt einfach die Zeit.
Falls dieser Freund von Evans doch den üblichen Weg zum Haus nimmt, warum soll er auch nicht, hat Alexej seine Männer vorsichtshalber an der geplanten Stelle postiert. Sobald Akim und Patrick das ok zum Zugriff geben, sollen sie eine Straßensperre aufbauen und das Fahrzeug umleiten, nur dieses Fahrzeug. Gleich darauf sollen sie die Originalstraße wieder frei geben. Damit es keine Zeuge gibt, werden 2 weitere Autos von Alexej den Verkehr vor und hinter dem Zielfahrzeug durch geplante Pannen lahm legen. Die ganze Aktion darf nur 7 Minuten dauern. Denn falls doch jemand die Entführung mitbekommt, aus welchen unvorhersehbaren Gründen auch immer und die Bullen informiert, dann brauchen diese exakt 7 Minuten und 50 Sekunden um von der nächstliegenden Polizeiwache zum Tatort zu kommen. Dies alles hat Alexej exakt überprüft. Doch eigentlich ist der Plan bombensicher. Das Auto mit dem Jungen wird die "Umleitung" fahren. Diese führt über eine kleine Straße die durch ein ziemlich großes Waldgebiet geht. Das ist genau der Schwachpunkt den sie nicht vorherplanen können. Dort kann sich ein Spaziergänger aufhalten und die Entführung beobachten. Aber dieses Waldstück ist wiederum gut einsehbar, hohe Bäume und wenig Gestrüpp in dem sich ein Mensch verstecken kann. Außerdem sind seine Leute schon viel eher an genau dieser Stelle und observieren sie. Auf der Straße wird ein Baumstamm liegen, sodaß der Fahrer des Zielfahrzeuges anhalten muß. Dann werden seine Männer zuschlagen. Der Plan ist einfach und leicht durchführbar. Allerdings nur, wenn dieser Maik nicht von der Originalstrecke abweicht. Ein weiterer Schwachpunkt ist, niemand weiß, wie dieser Typ auf die Entführung reagiert. Falls er hartnäckig Gegenwehr zeigt und der Zeitplan nicht eingehalten werden kann, hat Alexej seinen Männern den Befehl gegeben, diesen Kerl auszuschalten. So etwas nennt man ganz einfach Kollateralschaden. Aber so weit muss es nicht kommen.

- 8. -

Als Maik seine Wohnung verläßt, schlagen die Glocken einer nahegelegenen Kirche 12 mal. Er hat noch eine Stunde Zeit um zur Schule von Justin zu kommen. Eigentlich würde er sie um diese Zeit und bei diesem Verkehr in 30 bis 35 Minuten problemlos erreichen, aber gerade als er gehen wollte, rief dieser Verkäufer aus dem Sportgeschäft an und sagte ihm, dass seine Waffe bereit liegt. So will Maik noch schnell bei dem Händler vorbeifahren und seine Sig Sauer abholen.

Schon den ganzen Schultag über hat Justin seinen Freunden von Maik und dessen coolen Auto erzählt. Für seine Geschwätzigkeit im Unterricht hat die Lehrerin ihm einen Eintrag ins Hausaufgabenheft verpaßt. Aber heute stört es ihn nicht. Er ist nur auf das Gesicht von Tim gespannt, wenn er Maiks Auto vor der Schule stehen sieht. Dann braucht er nicht mehr mit dem Honda von seinem Vater so angeben. Gegen den Mustang ist der doch eine lahme Ente.
Endlich, Schulschluss! Sofort nimmt Justin seine Schultasche und rennt aus dem Klassenzimmer. Einige seiner Freunde folgen ihm, wollen auch das schicke Auto sehen. Doch als er den Pausenhof verläßt und auf die Straße schaut, ist ihm zum Heulen. Maik ist nicht da ! !
"Na, wo ist denn der Freund von deinem Vater mit dem ach so geilen Auto? Den gibt es wohl nur in deinem Kopf." hänselt Tim. Justin ist bitter enttäuscht von Maik und möchte am liebsten im Erdboden versinken. Warum hat er ihn versetzt? Er hat doch hoch und heilig versprochen, dass er ihn abholt. Jetzt ist seine Plamage noch größer als je zu vor.
Maik hat absichtlich eine Straße vorher geparkt und den Schulhof beobachtet. Er will den richtigen Moment abpassen. Zwar kann er das Gespräch der Kinder nicht hören, aber er kann sich denken, wie dieser Tim hoch auf seinem Pferd sitzt , weil das von Justin angekündigte Auto nicht da ist. Aber Maik wird diesen kleinen Angeber gleich von seinem hohen Ross holen. Genau jetzt ist der richtige Zeitpunkt dafür gekommen.
Er startet den Mustang. Der starke V8-Motor springt an und ist schon von weitem hörbar. Sofort sieht der Sohn von Chris in die Richtung und fängt an zu strahlen. Langsam nähert sich der sportlich gestylte orangefarbene Ford Mustang den Schulkindern. Unter der Motorhaube mit den 2 großen Lufteinlässen, hört man den Achtzylinder kraftvoll arbeiten. Der beachtliche Heckspoiler, die Frontschürze sowie die Seitenschweller und die großen Fünfspeicherfelgen aus blitzendem Chrom lassen dieses Auto wie aus einer anderen Dimension erscheinen. Während sich Maik nähert, schaut Justin zu Tim hinüber. Dieser steht mit offenem Mund da und kann nicht glauben, von was für einem geilen Auto seinen besten Freund Justin heute abholt wird. Evans Sohn genießt den Blick sichtlich. "Siehst du, ich bin kein Spinner. Maik gibt es wirklich und auch dieses absolut coole Auto."
Nun hält der Freund von Chris genau vor dessen Jungen. Er läßt die Scheibe auf der Beifahrerseite hinunter und sagt mit einem Lächeln: "Hallo Kumpel. Ich mußte leider eine Straße vorher parken, da hier alles voll war."
"Ist doch egal. Hauptsache du hast mich nicht vergessen."
"Wie könnte ich. Komm, steig ein. Deine Mutter wird schon mit dem Essen warten."
Justin steigt ein und fühlt sich sichtlich wohl, für diesen kurzen Moment im Mittelpunkt zu stehen. Er winkt seinen Freunden noch einmal zu, bevor Maik den ersten Gang einlegt und langsam losfährt. Sie sind schon einige Meter weg, aber Tim und seine Schulkameraden spüren noch immer den dumpf wummernden Klang des Motors in ihren Beinen. Der Fahrer schaut in den Rückspiegel, sieht diesen Jungen und noch einige andere Kinder weiterhin an der Straße stehen und ihnen nachsehen. Maik dreht sich zu Justin und fragt ihn: "Wollen wir deinen Freunden noch etwas zeigen, was sie nicht so schnell vergessen werden?" Aber eigentlich erwartet er gar keine Antwort. Das Leuchten in den Augen des Jungen bestätigt seine Frage. "Kann es losgehen? Bist du angeschnallt?" Als Justin beides bejaht, tritt Maik voll aufs Gas und fordert von seinem Motor die maximale Drehzahl von 4.730 Touren. Ohne zu zögern überträgt die Sportkupplung die starke Leistung auf die 285er breiten Hinterräder und läßt den Mustang wie einen Kometen davonschießen. Wenn jetzt wo ein Blitzer steht, dann wird Maik einige Zeit zum Fußgänger werden. Doch dieses Risiko geht er gerne ein.
Der Klang der Hochleistungsauspuffanlage liegt noch lange in der Luft, obwohl sie schon längst außer Sichtweite sind. Das war ein Triumpf auf ganzer Linie ! ! !
Wieder schaut Maik zu Justin. "Und, wie hat dir meine kleine Show gefallen? Ich vermute, dieser Tim steht noch immer an der Straße und ärgert sich, dass er in das uncoole Auto von seinem Vater steigen muss." Der Junge strahlt und ist wie im siebten Himmel. "Oh ja, Onkel Maik. Das war echt cool. Wie Tim geschaut hat." Der Freund von Chris hebt seine rechte Hand und zeigt mit der Innenfläche in Richtung Justin. Dieser nimmt ebenfalls seine rechte Hand und beide Männer klatschen ab.

Maik fährt schon seit einiger Zeit gesittet, schließlich hat er keine Lust, wirklich zum Fußgänger degradiert zu werden. In spätestens 20 Minuten müßten sie bei Justin zu Hause ankommen, aber bereits seit der Schule folgt ihnen ein silberfarbener älterer VW Jetta. Nicht unmittelbar hinter ihnen, sondern in angemessenen Abstand, immer 3-4 Autos sind dazwischen. So kann Maik auch nicht sagen, wieviele Personen im Auto sitzen. Aber er bekommt dieses unangenehme Gefühl in der Magengegend, dass an dem Fahrzeug etwas faul ist. Immer wieder wenn sie abbiegen, schaut er in den Rückspiegel. Bis jetzt hat Justin noch nichts mitbekommen, aber das ist nur eine Frage der Zeit, denn der Junge ist ziemlich aufgeweckt. Am Anfang der Fahrt haben beide noch herumgealbert, sich über den Blick von Tim lustig gemacht. Doch dann hat Maik das Auto hinter sich mitbekommen, ab da war er wortkarg. Schließlich ist es soweit. Der Junge fragt ihn: "Was ist los Onkel Maik? Warum bist du auf einmal so komisch?" Der ehemalige Polizist versucht ein unbekümmertes Lächeln aufzusetzen. Er weiß ja noch gar nicht, ob er sich alles nur einbildet und dieses Fahrzeug einfach nur den gleichen Weg hat. Bis er dies 100%ig weiß, will er Justin nicht beunruhigen und sagt daher: "Es ist nichts. Ich glaube, ich bekomme nur ne Grippe." "Wenn ich krank werde, dann gibt mir Mama immer so komische Tropfen, die schmecken bäh." Justin streckt seine Zunge aus dem Hals um den eckligen Geschmack bildlich auszudrücken und Maik vor der Einnahme zu warnen.
Sie müssen erneut abbiegen und wieder schaut Maik in den Rückspiegel, will sehen, ob ihnen das Fahrzeug weiterhin folgt. Diesmal bekommt es Justin mit, dreht sich um und schaut nach hinten. Danach sieht er zu Maik. "Ich bin zwar erst 10, aber kein kleines Kind mehr. Du bekommst gar keine Grippe oder höchstens so eine die Papa immer ganz plötzlich bekommt, wenn er seine Ruhe haben will."
Maik muss lächeln und sieht zu dem Jungen. "Vor dir kann man wirklich nichts verheimlichen."
"Ganz genau. Warum schaust du immer in den Rückspiegel?"
"Weil uns seit der Schule ein Auto folgt."
"Welches?"
"Dieser graue VW."
Wieder schaut Justin nach hinten. Er sieht das Auto aber nicht. Hinter ihnen fährt nur ein roter Audi und ein LKW mit der Aufschrift Hoffmann & Hoffmann Transport auf dem Fahrerhaus.
"Ich sehe es nicht."
"Hinter dem LKW."
"Was denkst du, warum verfolgt es uns?"
Maik hört aus der Stimme des Jungen heraus, dass diese Tatsache ihn etwas verängstigt. Wieder versucht er mit einem Lächeln die Situation zu entschärfen. "Ich weiß doch noch gar nicht, ob es uns wirklich folgt. Vielleicht hat es auch nur denselben Weg. Weißt du, ich war noch vor kurzem Polizist und da bildet man sich manchmal einfach nur was ein. Warum sollte uns ein Auto verfolgen? Oder hast du in der Schule was schlimmes angestellt?" fragt Maik und lacht.
"Nein, niemals. Ich bin in der Schule ganz ganz lieb. Oder besser gesagt, die Lehrer erwischen mich bloß nicht. Aber bitte Onkel Maik, nichts Mama und Papa sagen."
"Hey, wir beide sind doch Freunde und ein Freund verrät den anderen nicht."
"Danke." Justin ist erleichtert, dass Maik seinen Eltern nicht petzen will, dass er in der Schule doch nicht so lieb ist.
"Ist das eigentlich täglich dein Weg nach Hause?" fragt Maik.
"Ja, Pohl fährt immer hierlang."
"Gut, dann werden wir mal eine etwas andere Route nehmen."

Die beiden Männer in dem VW Jetta sind Akim und Patrick. Sie folgen diesem Kerl schon seit der Schule. Bis jetzt scheint er nichts mitbekommen zu haben. Wie auch, schließlich lassen sie genug Sicherheitsabstand. Ständig sind andere Autos zwischen ihrem und dem Mustang. Doch dass seit der letzten Ampelkreuzung dieser blöde LKW vor ihnen fährt, gefällt Akim dem Fahrer ganz und gar nicht. So können sie erst recht spät sehen ob das Fahrzeug was sie verfolgen, unerwartet abbiegt und von der Route nach Hause abweicht. Aber bis jetzt fährt es denselben Weg wie dieser Chauffeur von Evans. Bald werden sie an diesem Punkt sein, wo die andere Männer von Alexej diese falsche Straßensperre aufbauen. Es liegt nur noch eine Kreuzung vor ihnen bei der der Mustang abbiegen könnte. Aber da würde er in die falsche Richtung fahren. Wieso sollte er also, aber falls er wirklich diesen Weg einschlägt, dann wäre klar, dass dem Fahrer der VW aufgefallen ist. Doch davon war nicht auszugehen. Akim und Patrick verfolgen nicht zum ersten Mal ein Fahrzeug.
Sie nähern sich der letzen Kreuzung. Der Mustang und der LKW blinken rechts, genauso wie der Jetta. Akim sieht grinsend zu Patrick. "Der Kerl hat also nichts gemerkt. Er fährt voll in die Falle hinein. Sag den Männern Bescheid, dass wir in 5 Minuten ankommen. Sie sollen schon alles aufbauen." Patrick öffnet das Handschuhfach und holt ein Funkgerät heraus. "Hier Fahrzeug eins. Alles läuft nach Plan, in 5 Minuten sind wir da." "Geht klar. Wir bereiten alles vor." kommt die Bestätigung. Danach legt der Mann das Funkgerät zurück, zieht seine Beretta aus dem Schulterholster, entsichert sie und hält sie schussbereit in der rechten Hand. Mit der linken Hand dreht er den Knoten von dem Halstuch was er trägt, nach hinten. Damit wird er sein Gesicht verdecken um von diesem Kerl später nicht wiedererkannt zu werden. Hin und wieder steuert Akim das Fahrzeug ganz nach Rechts, fast auf den Standstreifen, so kann er vor den LKW sehen. Der Mustang hält sich genau an die vorgeschriebene Geschwindigkeit, fährt ca. 50 Meter vor dem Laster. Alles läuft wie am Schürrchen. Auf der langen gerade verlaufenden Straße fahren nur diese 3 Autos.

Einige Kilometer weiter parkt ein Kleintransporter von den Wasserwerken auf dem Standstreifen. 2 Männer laden gerade Absperrbaken ab, um damit die Straße zu sperren.

Auch die Männer in dem Waldstück sind soeben damit fertig geworden, den Baumstamm auf die Straße zu legen. Jetzt gehen sie in Deckung und warten auf den Mustang. Dieser dürfte in paar Minuten hier auftauchen. Alexej ist über Funk mit ihnen verbunden und wird ständig über den Stand der Dinge unterrichtet. Er selbst hält sich in seinem Versteck, dem stillgelegten Flugplatz auf. Dort koordiniert er die Drogenverteilung. Gerade ist Sascha mit einigen Kindern losgefahren, um die Drogen an ihren Bestimmungsort zu bringen. Alexej sucht die Kinder immer so aus, dass sie nicht gerade in dem Gebiet zum Einsatz kommen, wo sie entführt wurden. Sie hätten zu leicht wiedererkannt werden können, obwohl keine Eltern je die Polizei eingeschaltet haben. Denn Alexej hat ihnen gedroht, dass sie dann ihre Lieblinge stückchenweise zurückbekommen. Dieser Hinweis zeigt immer wieder den erhofften Erfolg.

Patrick meldet sich erneut über Funk. "Noch 2 Minuten, dann sind wir da." "OK, wir warten."
Der LKW blinkt rechts und will in eine Betriebseinfahrt fahren. Akim bremst etwas ab und als der LKW abgebogen ist, gibt er sofort wieder Gas. Aber was ist das? Wo ist dieser verdammte Mustang hin. Die Straße vor ihnen ist leer und das Auto wie vom Erdboden verschluckt. Beide Männer sehen sich erschrocken und verwundert an. Der Beifahrer schaltet das Funkgerät ein. "Der Scheißkerl ist weg? Ist er vielleicht schon bei euch angekommen?" will er von dem Team wissen, das den Mustang abfangen soll. "Nein, hier ist er nicht angekommen."
"Wo ist er dann?"
Alexej hat dies ebenfalls mitgekommen. "Sagt mir nicht, daß ihr ihn aus den Augen verloren habt." schnauzt er seine Männer in dem Jetta an.
"Er ist die ganze Zeit vor diesem verfackten LKW hergefahren. Wir haben ihn doch gesehen." versucht Patrick seinen Chef zu beruhigen.
"Dann hat er sich wohl in ein Vögelchen verwandelt und ist davongeflogen?" Wütend wirft Alexej alles vom Tisch was darauf liegt, Unterlagen, Stifte, Bierflaschen und die Spielkarten von seinen Männern. Die Leute die noch in der Fliegerhalle sind, sehen ihren Chef verwundert an. So aufgebracht haben sie ihn schon lange nicht mehr erlebt. Da muß was mächtig gegen den Baum gelaufen sein.

Maik hat durch seine jahrelange Erfahrung als SEK-Beamter einige Tricks auf Lager, um einen Verfolger unbemerkt abzuhängen. Eben hat er wieder einmal sein ganzes Können unter Beweis gestellt.
Als es nur noch diese eine Straße zum Wohngebiet von seinem Freund gab, war für ihn klar, dass, falls sie wirklich verfolgt werden, die Kerle nur noch hier die Möglichkeit hatten sie anzuhalten. Er bog an der letzten Ampelkreuzung nach rechts ab, so, als würde er wirklich zum Haus des Jungen fahren. Ein gelegentlicher Blick in den Rückspiegel zeigte ihm, dass seine Verfolger hinter dem LKW Zig Zag fuhren um sich zu vergewissern, dass der Mustang weiterhin vor dem Laster ist. So zeigte sich Maik ihnen immer mal, um sie in Sicherheit zu wiegen. Auf einer langen Geraden, ohne eine Abbiegemöglichkeit für den LKW, beschleunigte Maik seinen Wagen und bog dann plötzlich nach links ab. Er fuhr einen kleinen, kaum sichbaren Waldweg hinein und machte sofort seinen Motor aus. Die Kerle hatten nichts mitbekommen, fuhren weiter brav hinter dem LKW her. "Stümper." hatte Maik im Anschluss lachend gesagt. "Wau, das war geil." Für Justin war diese Aktion das i-Tüpfelchen für den heutigen Tag. "Wenn ich das Mama oder meinen Schulfreunden erzähle."
Doch davon ist Maik ganz und gar nicht begeistert. "Hör mal zu." sagt er ernst. "Mir wäre es lieber, wenn das unser kleines Geheimnis bleibt."
"Wieso?"
"Weil wir doch gar nicht wissen, ob uns diese Kerle wirklich verfolgt haben. Wenn du das deinen Eltern erzählst, dann machen sie sich vielleicht ganz unnötig Sorgen."
Justin ist enttäuscht, sieht es aber ein. "Also gut. Ich werde es niemanden erzählen. Aber Schade ist es schon."
Maik fährt gleich nachdem die beiden Fahrzeuge, der LKW und der Jetta, außer Sichtweite sind, rückwärts aus dem Waldweg hinaus und zurück woher sie gekommen sind. Schließlich ist es nur eine Frage der Zeit bis die Kerle merken, dass sie verarscht wurden. Doch deren Gesichter hätte Maik gerne sehen wollen als sie mitbekommen hatten, dass der Mustang weg ist.

9.

Als der Mustang kurz vor 14 Uhr am Anwesen von Evans eintrifft und Maik die Sprechanlage am Tor betätigt, bemerkt er sofort die Unruhe in Janine´s Stimme. Sie hätten schön längst da sein müssen, aber durch den kleinen Umweg nach dem Zwischenfall, hatten sie länger nach Hause gebraucht.
Langsam fährt Tayler den Kiesweg zum Haus hoch. Die Mutter von Justin kommt sofort heraus und wartet auf die Ankunft ihres Sohnes. Der ehemalige Polizist sieht noch einmal zu seinem kleinen Beifahrer: "Und vergiß nicht, das eben bleibt unser kleines Geheimnis."
"Klar doch Onkel Maik." bestätigt Justin. "Wir wollen Mama doch nicht unnötig aufregen."
"Und was sagen wir ihr? Nur damit wir die gleiche Ausrede haben."
Der Junge sieht zu seiner Mutter und lächelt, damit diese beruhigt ist. Dann schaut er wieder zu Maik. "Wenn ich schon Lügen soll, was man eigentlich nicht tun darf, will ich nicht, dass Mam böse auf mich ist und ich wieder diese Kindergartenstrafe, Stubenarrest, bekomme."
"Die bekommst du wohl oft?" will Maik wissen und lächelt.
"Hin und wieder. Man, Mam ist immer so ängstlich, als ob ich noch ein kleiner Junge wäre. Sie denkt sofort, daß mir was passiert ist wenn ich mich mal 20 Minuten verspäte, bloß weil ich mit meinem Freund so schön gespielt und ich die Zeit vergessen habe. Das nervt."
"Tja, so sind halt Eltern. Aber das wirst du später, wenn du selbst Kinder hast, besser verstehen. Gut, dann nehme ich es auf meine Kappe. Was hälst du davon, dass ich mich verfahren habe."
Der Junge lacht. "Klasse Idee." Er nimmt seinen Ranzen und öffnet die Autotür, dann rennt er die Treppen nach oben. "Mam, ich kann nichts dafür. Onkel Maik hat sich verfahren. Ich mache mich sofort ans Lernen für Mathe. Vati wird ja bald kommen."
"Erst wollen wir zu Mittag essen." sagt sie als ihr Sohn an ihr vorbeistürmt. Maik muß Lächeln und schüttelt amüsiert den Kopf. Justin ist mit seiner Entschuldigung so schnell herausgeplatzt, dass sie ihm niemand abkauft. Ein Blick in das Gesicht von Janine und Tayler weiß, auch sie glaubt ihm nicht. So steigt er kurz aus und sagt zu ihr: "Justin kann wirklich nichts dafür. Er hat mir gesagt, dass ich nach rechts abbiegen soll, aber ich dachte, wenn ich geradeaus fahre ist es kürzer, doch da hatte ich mich geirrt."
Die Frau sagt zu ihrem alten Schulfreund: "Klar doch." Dabei lächelt sie. "Du bleibst doch zum Mittag?"
"Eigentlich wollte ich mich heute nach Arbeit umsehen." Maik will einem Gespräch mit seiner Jugendliebe wenn möglich lieber aus dem Weg gehen. Sie hat schon früher gemerkt, wenn er sie anlügt.
"Das läuft dir nicht weg. Ich habe Semmelknödel mit Gulasch gekocht."
Er lächelt. Janine weiß noch immer, womit sie ihn verführen kann. Das war und ist nach wie vor sein Leibgericht.
"Das ist Erpressung, weißt du das?"
Sie setzt ein verführerisches Lächeln auf. "Ich weiß, aber ich bekomme doch bestimmt mildernde Umstände."
Nach kurzem Zögern stimmt Maik doch zu, zum Essen zu bleiben.
Beide gehen ins Haus. Janine fragt ihn: "Warum habt ihr euch wirklich verspätet. Du hast dich nicht verfahren, habe ich Recht? Du warst schon immer ein menschliches Navi. Und was wärst du für ein Polizist wenn du 0-Orientierungssinn hättest."
"Glaubst du ich habe deinen Sohn zum Lügen angestiftet? Was denkst du von mir?" empört sich Maik spielerisch.
Auf dem Weg in das Zimmer, wo sie gestern schon zusammen zu Mittag gegessen hatten, hält Janine ihn am Arm fest und sagt: "Dann kannst du mir ja auch offen in die Augen sehen und mir sagen, dass ich falsch liege."
Maik weiß genau, dass er unter dieser Foltermethode sofort zusammbrechen wird. Trotzdem bleibt er stehen, dreht sich zu Janine, sieht ihr in die Augen und sagt: "Also gut, du hast uns beim Lügen erwischt." Er spürt, wie die wunderschönen dunkelbraunen Augen von Janine seinen Herzschlag nach oben treibt. Ihm ist unwohl in dieser Situation, aber er gibt sich cool. "Ich habe mich nicht wirklich verfahren. Ich wollte deinem Sohn nur zeigen wie geil es ist, den Motor des Mustangs mal so richtig zu fordern, obwohl er mich gebeten hat nach Hause zu fahren, weil er noch Mathe machen muß und du sonst böse auf ihn bist." lügt Maik erneut.
"Justin hat gesagt, daß du ihn nach Hause fahren sollst damit er Mathe lernen kann?" fragt Janine ungläubig und Maik weiß sofort, das war dumm von ihm das zu sagen.
"Ja, ehrlich. Ich schwöre." Dabei hebt er seine rechte Hand wie zum Schwur. Gleichzeitig läßt er seine linke Hand hinter seinem Rücken verschwinden und kreuzt Zeige- und Mittelfinger.
"Sei nicht zu streng zu ihm wegen den paar Minuten Verspätung. Er ist doch noch ein kleiner Junge. Wenn du auf jemanden sauer sein willst, dann auf mich. Schließlich hätte ich ihn wirklich gleich nach der Schule nach Hause fahren können." sagt Maik und schaut sie um Verständnis bittend an. Dieser unschuldige Blick hat ihm schon früher immer geholfen, wenn Janine auf ihn böse war. Wieso sollte er ihm auch diesmal nicht aus der Zwickmühle helfen.
"Und wie wäre es mal mit Anrufen gewesen?" kontert sie sofort.
"Äh anrufen. Wieso bin ich nicht darauf gekommen?"
"Mama, ich habe Hunger. Wo bleibst du denn?" ruft Justin und damit rettet er Maik vor dem weiteren Verhör. Beide gehen in Richtung Zimmer. Kurz bevor sie es betreten, gibt Janine Maik mit der flachen Hand einen Schlag auf dessen Hinterkopf. Er faßt sich sofort an die Stelle, reibt sie, obwohl der Schlag nicht wirklich weh getan hat und fragt sie: "Au. Wofür war die?" "Damit du beim nächsten Mal nicht wieder vergißt anzurufen." Justin hat es mitbekommen und sieht beide Erwachsene fragend an. Maik reibt sich erneut die Stelle und sagt schmunzelnd zu dem Jungen: "Siehst du, so was macht deine Mam mit Erwachsenen wenn die sie anlügen. Ich mußte ihr die Wahrheit über unser Zuspätkommen sagen, sonst hätte sie mich weiter geschlagen." Lächelnd sieht er zu Janine, auch sie muss lachen. "Erzähl meinem Sohn nicht solche Lügen. Dieser kleine zärtliche Klapps sollte nur eine Gedächtnisstütze für dich sein." Dann geht sie in die Küche um das Essen zu holen. Maik setzt sich an den Tisch. Beugt sich dann in die Richtung, in die Janine verschwunden ist. Schließlich wendet er sich wieder Justin zu und flüstert: "Wir müssen unsere Notlüge ändern. Ich habe deiner Mam gesagt, dass ich dich noch bisschen in der Gegend herumgefahren habe, damit du das Fahrgefühl des Mustangs richtig genießen kannst." "Geht klar." sagt der Junge und muß grinsen.

10.

Soeben fährt ein dunkelgrüner VW Caddy auf das alte Flugplatzgelände, gefolgt von einem Chevrolet Suburban. Sie fahren in eine große Halle und halten an. Aus beiden Fahrzeugen steigen Männer von Alexej. Dieser wartet bereits auf sie. Er hat sich wieder beruhigt, steht am Tisch, schaut auf eine Karte von der Gegend und kann nicht verstehen, wohin das Fahrzeug der Zielperson verschwunden ist. Der Fahrer des Chevrolet geht zu seinem Chef. Die anderen bleiben bei den Autos stehen. Der Mann ist wütend. "Sag mal Alexej, der Kerl kann sich mit seinem scheiß Mustang doch nicht einfach auf einer gut übersichtlichen Straße ohne Abbiegemöglichkeiten in Luft auflösen?"
Sein Boss schaut zu ihm auf, dabei läßt er seine Hände weiter auf der Tischplatte gestützt. "Das ist mir auch ein Rätsel. Wir müssen irgend etwas übersehen haben."
"Akim und Patrick sind die Strecke doch abgefahren und erst als sie gesagt haben, dass der Kerl dort keine Möglichkeit hat unbemerkt zu verschwinden, hast du den Standort für gut befunden."
"Die 2 müssen was übersehen haben oder der Mistkerl ist David Copperfield."
"Wie kannst du noch so ruhig bleiben? In 4 Tagen kommt die nächste Waffenlieferung aus Kaliningrad. Dann will der Kontaktmann seine 12,5 Millionen haben. Falls wir nicht zahlen können, sind wir raus aus dem Geschäft und ich meine für immer raus, weil wir dann nämlich alle irgendwo Tod verscharrt liegen. Und wenn er uns nicht umlegt, dann der Kunde der die Waffen haben will."
"Jetzt komm wieder runter Sergej!" fährt ihn sein Chef schroff an. So läßt er nicht mit sich reden, schon gar nicht von einem kleinen Untergebenen den er aus einer Gosse in Kursk geholt hat.
"Wir haben noch Plan B!" sagt Alexej. Er versucht ruhig zu bleiben, aber sein Gesicht ist vor Wut über seinen Mann ganz rot und seine Narbe, die ihm über die linken Wange geht, pulsiert leicht. Das ist kein gutes Zeichen.
"Und wenn der auch in die Hose geht?! Wenn ich hier das Sagen hätte, dann würde ich 5 Mann zum Haus von diesem Evans schicken und den Jungen dort rausholen!"
Die restlichen 9 Männer aus den beiden Fahrzeugen halten sich zurück. Wenn Sergej nicht bald ruhig ist, wird die Situation eskalieren, das wissen sie.
Jetzt richtet sich Alexej auf. Er sieht seinen Mann aus etwas zusammengekniffenen Augen an und fragt ihn: "Wenn du also hier das Sagen hättest, dann würdest du in das Haus von Evans einbrechen und den Jungen dort rausholen? Einfach so?"
"Ja. Und falls uns jemand in die Quere kommt, dann legen wir ihn um. So einfach ist das." Sergej sieht seinem Chef ins Gesicht und wartet gespannt darauf, was er von dem Plan hält. Dieser blickt zu seinen Leuten und fragt sie: "Ist noch jemand der Meinung, daß der Plan von Sergej gut ist und wir es so machen sollten?!" Keiner von ihnen getraut sich etwas zu sagen. Grinsend sieht Alexej wieder zu seinem Widersacher. "So wie es aussieht, finden die anderen deinen Plan auch einfach nur dumm und hirnrissig!"
"Dumm und hirnrissig!?" Der Mann ist über diese Äußerung so verärgert, dass er seinem Chef wieder fest in die Augen sieht und sagt: "Du findest meine Idee also dumm und hirnrissig?"
"Ja. Oder hast du was anderes verstanden?"
"Du glaubst wohl auch, bloß weil du mich aus der Scheiße geholt hast, kannst du alles mit mir machen und mich wie den letzten Dreck behandeln. Aber das lasse ich mir nicht mehr gefallen. Mach deinen Scheiß doch alleine. Ich werde jedenfalls nicht warten bis uns einer von unseren Kunden abknallt. Ich werde gehen und meine eigenes Geschäft aufziehen."
"Bitte, das ist deine Entscheidung. Dort ist die Tür. Ich bin nicht auf dich angewiesen." Alexej weist mit seiner rechten Hand in Richtung Hallentor. "Aber bevor du gehst, lass die Schlüssel von dem Chevrolet da." Voller Wut über den Rausschmiss greift Sergej in seine Hosentasche und kracht den Schlüssel auf den Tisch. Dann dreht er sich um, geht in Richtung Tor und sagt laut: "но вы можете рассказать мне все время!" (Ihr könnt mich doch alle mal!) Die Männer an den beiden Fahrzeugen sehen gespannt zu Alexej. Dieser zieht ganz ruhig seine Tokarow aus dem Hosenbund, zielt auf den Rücken seines abtrünnigen Mitarbeiters und drückt 3 x ab. Das 9 mm Vollmantel-Kegelstumpf-Geschoss trifft zielsicher und noch bevor der Mann auf dem Boden aufschlägt, ist er Tod. Keiner von den Leuten von Alexej ist überrascht. Sergej hatte es ja förmlich darauf angelegt. "Hat noch jemand was an meinen Führungsstil auszusetzen und will gehen?" will der gebürtige Russe wissen. Aber er ist sich sicher, seine restlichen Männer sind im treu und loyal untergeben. Sergej war von Anfang an schwierig. Er hatte schon immer gern über Alexej´s Ansichten und Befehle diskutiert. Doch wenn er dies auch nur einmal zuläßt, dann verliert er den Respekt vor seinen Leuten und sie werden ihm schnell auf der Nase herumtanzen. Egal wie treu und loyal sie sind.
Alexej legt seine Waffe auf den Tisch und sagt: "Schmeißt den Kerl beim nächsten Einsatz einfach in einen Teich. Jetzt kommt her, ich will euch den neuen Plan erklären." Alle 9 Männer gehen zum Tisch und folgen den Angaben ihres Bosses.

Nur noch 3 Kinder sind in ihrem kleinen Gefängnis eingesperrt. Die Restlichen müssen diese braunen Päckchen wie jeden Tag verteilen. Einer der noch da ist, ist Lukas. Gleich als er die Schüsse gehört hat, ist er zur Tür gegangen und hat gelauscht. Sie hatten schon vorher den Streit der Männer mitbekommen, aber das sie sich gegenseitig erschießen, damit hatte keiner von ihnen gerechnet. Ein kleines blondes Mädchen sitzt verängstigt auf ihrer alten dreckigen Matratze. Ihr laufen Tränen übers Gesicht. Das 3. Kind in dem Raum ist ein Junge der fast so alt wie Lukas ist. Er geht zu ihm und fragt ihn: "Kannst du was hören?"
Lukas sieht ihn an und sagt ganz leise: "Nein. Es ist wieder ganz ruhig."
"Ich will endlich nach Hause." sagt der Junge und seine Stimme zittert.
"Du wirst bald wieder bei deinen Eltern sein." verspricht ihm Lukas, obwohl der nicht wirklich Ahnung hat, ob er damit richtig liegt. Aber bis jetzt konnten alle Kinder nach spätestens 7 Tagen wieder nach Hause gehen. Er selbst ist bereits 6 Tage hier. Den andere Jungen hatten die Männer einen Tag später gebracht. Lukas geht zu dem kleinen Mädchen, setzt sich neben sie. Dabei stöhnt er kurz auf, denn sein Allerwertester tut ihm noch weh. "Du brauchst nicht zu weinen. Wir sind doch auch noch da." versucht er sie zu trösten und nimmt sie in den Arm. Für seine erst 10 Jahre hat Lukas schon sehr viel Einfühlungsvermögen und Mut bewiesen. Manchmal ist ihm auch zum Heulen, denn auch er will endlich zu Mam und Dad zurück. *Ein Mann heult nicht*, das hatte ihm immer sein Vater gesagt, wenn er sich beim Herumtollen verletzt hatte. Sein Daddy hatte sich dann zu ihm hinuntergebeut, auf die Verletzung gepustet und gesagt: *Später wenn du groß bist, wirst du Stolz deinen Kindern von der Narbe erzählen. Jetzt komm, das heilt schnell wieder.* Lukas sieht das lachende Gesicht seines Vaters vor seinem geistigen Auge und er muß sie schließen. Zwei Tränen rollen still und leise über seine Wange.

11.

Justin ist schon seit einer ganzen Weile in seinem Zimmer verschwunden um Mathe zu lernen. Janine und Maik haben sich in die Stube zurückgezogen um über alte Zeiten zu reden, dabei müssen sie oft lachen. Sobald Justins Mutter aber das Thema wechselt und über die letzten Monate reden will, was Maik da gemacht hat, spürt sie jedesmal, dass es Tayler schwer fällt darüber zu reden. Irgendetwas schreckliches muß passiert sein, da ist sie sich sicher. Sie will aber auch nicht weiter bohren. Rebecca ist vor 1 Stunde von ihrem Mittagsschläfchen aufgewacht und spielt die ganze Zeit lieb auf einer Decke. Hin und wieder ist sie mit ihren tapsigen Schritten auf Maik zugekommen und hat ihm Bausteine gegeben. Dabei sagt sie jedesmal: "Ditte." was Bitte heißen soll. "Danke." antwortet Maik und lächelt sie an. Janine hat ihn dabei beobachtet. *Er würde bestimmt ein guter Vater sein.* denkt sie sich.
Soeben versucht Rebecca wieder aufzustehen, was ziemlich lustig aussieht. Als sie auf ihren kleinen Beinchen steht, hat sie zu tun das Gleichgewicht zu halten. Sie schaut zu ihrer Mutter. "Aa." Sofort steht Janine auf, geht zu ihr, nimmt sie hoch und sagt: "Du mußt Aa machen? Dann aber schnell." Lächelnd sieht sie zu Maik: "Ich bin gleich wieder da. Du kannst dir ruhig noch was zu trinken nehmen."
"Nein nein. Ich muß sowieso los, sonst wird heute nichts mehr mit meiner Jobsuche. Wir sehen uns bestimmt noch einmal."
"Willst du nicht noch warten bis Chris kommt. Der müßte in einer halben Stunde da sein."
"Nein, wirklich nicht. Ich muß los." Maik steht auf und geht zu beiden Frauen. Er nimmt das Händchen von Rebecca und sagt zu ihr: "Tschüß kleine Prinzessin." Sie lächelt und ihre leuchtenden Kinderaugen sehen ihn groß an. Janine gibt Maik die Hand. "Aber wehe du brauchst wieder 20 Jahre bis du dich sehen läßt." Dabei lacht sie. "Nächsten Monat am 18. hat Justin seinen 11. Geburtstag. Du bist herzlich eingeladen. Und ein NEIN akzeptiere ich nicht, das sage ich dir gleich."
Der Mann lächelt sie an. "Wenn ich so nett gebeten werde, komme ich natürlich gern." Er gibt ihr zum Abschied einen freundschaftlichen Kuss auf die Wange und geht in Richtung Tür. "Mach winke winke." sagt Janine zu Rebecca. Maik dreht sich noch einmal um. Die Kleine hebt ihre rechte Hand, öffnet und schließt sie immer wieder. "Tschau meine Kleine." sagt Maik und winkt ebenfalls. Plötzlich wird das Kind im Gesicht ganz rot und man hört, dass sie sich anstrengt. "Oh, ich glaube sie muß wirklich dringend aufs Töpfchen." sagt ihre Mutter und geht mit ihr in Richtung Bad.
"Tschüß Justin! Ich muss los!" ruft Maik in Richtung Obergeschoss, wohin der Junge verschwunden ist.
"Warte Onkel Maik, ich muss dir noch was sagen!"
"Gut! Ich warte draußen!" Mit diesen Worten verläßt er das Haus und geht zu seinem Auto. Es dauert nicht lange und Justin kommt aus dem Haus gerannt. Er macht einen großen Satz und springt die 5 Treppen mit einem Sprung nach unten.
"Was gibt es denn noch?" will Maik wissen.
Völlig außer Atem kommt der Junge zu ihm. "Kannst du mich irgendwann mal wieder von der Schule abholen?"
"Ich denke, das läßt sich machen." sagt er und lächelt. Die vor Freude strahlenden Kinderaugen tun seinem gebrochenen Herzen gut. Maik steigt in sein Auto, schließt die Tür und öffnet sein Fenster. Justin steht dort. "Wir sehen uns spätestens zu deinem Geburtstag, falls du möchtest dass ich komme?"
Wieder strahlt der Junge: "Klar doch. Auf alle Fälle. Ich würde mich echt freuen." sprudelt es aus ihm heraus.
"Was soll ich denn für ein Geschenk mitbringen?" fragt Maik.
"Ich weiß nicht. Bringe einfach was mit. Oder doch. Ich will schon lange so einen Hubschrauber der ganz alleine fliegen kann." Justin ist völlig aufgeregt.
"Ich denke, das läßt sich machen." sagt Maik. Er hebt seine linke Hand aus dem Fenster und der Junge klatscht zum Abschied ab. "Ich wünsche dir mit deinem Dad einen wunderschönen Nachmittag."
"Danke Onkel Maik."
Dieser zwinkert ihm zu, startet dann den Motor und fährt langsam los in Richtung Tor. Auf den Weg dorthin, schaut er noch einmal in den Rückspiegel. Justin winkt ihm hinterher und so streckt er seine linke Hand aus dem Fenster und winkt zurück. Als er sich dem großen Eisentor nähert, öffnet es sich wie von Geisterhand und schließt sich kurz darauf wieder.
Sich an die Geschwindigkeit haltend fährt Maik durch die Wohngegend. Dabei denkt er an die letzten 2 Stunden zurück. Das erste Mal seit Wochen hat er für kurze Zeit Bianca vergessen können. Das Gespräch mit Janine hatte ihm gut getan und auch das Schwelgen in alten Erinnerungen. Doch jetzt wird es nicht lange dauern und die Realität wird ihn wieder einholen. Er muß unbedingt einen Job finden, sonst wird er verrückt. Die Erinnerungen an das so schmerzliche Gestern haben sich tief in seine Seele eingebrannt und sie tun noch weh, als wäre es erst vor einigen Tagen geschehen. Es muß endlich einen Schlussstrich ziehen, aber das ist leichter gesagt als getan. Wie kann man einen geliebten Menschen einfach mit einem Schlussstrich vergessen. Nur die Zeit kann seine Wunden heilen und vielleicht schafft er es sogar, sich neu zu verlieben. Schade, daß Janine schon eine glückliche Famile hat. Sie wäre genau die richtige Frau um ihm bei seiner Heilung zu helfen.

12.

Chris Evans schaut auf seine Armbanduhr und erschrickt. Verdammt, es ist bereits nach halb 3. Er muss nach Hause. Sein Sohn wird schon auf ihn warten. Schnell schließt er die offenen Programme auf seinem Computer der auf einem Schreibtisch steht und der befindet sich einem wunderschönen großen Büro, Mitten in der Stadt. Alles was sich hier befindet sind Designermöbel. Schließlich ist das Büro das Aushängeschild einer Firma. Zu Hause legt Chris mehr Wert auf praktische Möbel.
Er drückt auf die Taste einer Gegensprechanlage und sagt: "Inge. Würden sie bitte Pohl Bescheid sagen, dass ich in 5 Minuten am Auto bin." "Ja Herr Evans." antwortet ihm seine Sekretärin aus dem Vorzimmer. In 14 Tagen bekommt Chris endlich seinen Führerschein wieder, dann ist er unabhängiger. Vor fast 3 Monaten hatten sie ihm diesen entzogen, weil er zu schnell zu einem wichtigen Termin unterwegs war. Man hatte ihn auf der Autobahn statt mit 130 km/h mit 210 geblitzt und damit war er ihn für 3 Monate los + 4 Punkte und 600 Euro Bußgeld. Die Punkte und das Geld waren ihm egal, aber das Fahrverbot tat richtig weh. So mußte er sich einen Fahrer mieten, der ihn jederzeit und überallhin fahren konnte. Schließlich hatte er nicht nur Kundengespräche im Büro, sondern auch Auswärtstermine die er unbedingt wahrnehmen mußte, um seinen gut laufenden Betrieb aufrecht zu erhalten.
Wieder schaut Chris auf seine Armbanduhr. Dreiviertel 3. Er wird es nie bis 15 Uhr nach Hause schaffen. Wielange braucht diesmal dieser blöde PC um sich herunterzufahren. Wartend schaut Chris auf einen Bilderrahmen der auf seinem Schreibtisch steht. Darauf sind seine Frau und seine beiden Kinder zu sehen. Das Foto hatten sie vor einem Monat gemacht, als alle drei im Zoo waren. Chris hat wirklich nicht viel Zeit für sie und das tut ihm Leid. Oft kommt er so spät nach Hause, dass Rebecca und Justin bereits schlafen. Janine kommt auch viel zu kurz, doch sie hat sich noch nie darüber beklagt. Doch Chris weiß, wie gern sie wieder einmal Tanzen oder ins Kino gehen würde. Aber selbst am Wochenende muß er Termine wahrnehmen und verbringt viel Zeit in seinem Büro. Dafür kann er seinen Lieben alles bieten was sie wollen. Aber Geld ist nicht alles, das weiß auch er. Der Bildschirm des Computers ist schon lange schwarz, doch Chris hängt seinen Gedanken nach. Plötzlich klingelt das Telefon. Erschrocken zuckt der Geschäftsführer von repair station zusammen. Er nimmt den Hörer ab und sagt: "Ja." "Herr Evans. Ich habe den Herrn Miller in der Leitung. Er möchte sie sprechen." Auch das noch, denkt sich Chris. Gerade wo er heute keine Zeit hat. Aber Joseph Miller ist ein wichtiger Kunde aus London. Er will, dass Evans sich mit ihm zusammentut und eine Filiale im Londoner Bezirk Brent eröffnet. Und wenn die gut läuft, dann vielleicht auch noch eine zweite oder dritte. Nach einigem Zögern nimmt er das Gespräch entgegen. Was ein großer Fehler ist, aber das weiß er zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

Maik ist in der Innenstadt angekommen. Immer wieder hat er in den Rückspiegel gesehen, aber ihm ist kein Auto gefolgt. Dreht er jetzt langsam durch? fragt er sich. Sieht er schon Verfolger, die gar keine sind?
An einer Kreuzung ist Rot und er muß anhalten. Der Nachmittag ist wunderschön. Die Sonne scheint von einem fast wolkenlosen Himmel und die Temperatur nähert sich der 30°C Marke. Was für ein wunderschöner Tag. Maik beneidet Justin fast, dass er heute noch baden gehen kann. Zufällig sieht er zu dem Auto, was neben ihm steht. Es ist ein weißer Audi TT Caprio. Darin sitzen 2 junge Frauen. Sie sind nicht älter wie Ende 20 und ziemlich aufreizend angezogen. Beide tragen schwarze knappe trägerlose Spitzentops. Die schwarzhaarige Beifahrerin sieht immer wieder zu Maik hinüber und lächelt. Auch er lächelt. Schließlich sagt die Frau: "Geilen Schlitten den sie da fahren."
"Danke. Aber ihrer ist auch nicht ohne."
"Der gehört meiner Freundin." sagt sie und sieht zu der Fahrerin. Diese schaut nun auch zu Maik. Dessen blaue Augen funkeln in der Sonne wie Diamante. Es wird grün und beide Autos müssen weiterfahren. "Hast du diese krassen Augen gesehen?" fragt die Fahrerin ihre Freundin. "Klar doch. Man, da wird einem richtig komisch." hört Maik die beiden noch sagen, dann muß er abbiegen. Er lächelt und fährt weiter in Richtung seiner Wohnung. Dort will er sich nur das Blatt mit den Adressen von den hier ansässigen Sicherheitsfirmen holen und diese dann der Reihe nach abfahren. Vielleicht hat er Glück und bekommt eine Anstellung.
Gott sei Dank wird gerade vor seinem Haus ein Kurzzeitparkplatz frei und so muß er nicht erst in die Tiefgarage fahren. Maik wartet gedultig, dass die Frau ihre Einkäufe im Kofferraum verstaut. Sie sieht zu ihm und wird nervös als sie merkt, dass er auf den frei werdenden Parkplatz wartet. "Ich beeile mich und bin gleich weg!" ruft sie. Maik lächelt und antwortet: "Machen sie langsam. Ich habe Zeit."
Ein schwarzer 3er BMW fährt längsam an ihm vorbei. Wahrscheinlich auch auf der Suche nach einem der heiß begehrten Parkplätze am Rheinufer. *Pech gehabt. Ich war schneller.* denkst sich Maik grinsend und beobachtet die Frau weiter. Sie ist fertig und steigt in ihr Auto.
In dem BMW sitzen 2 Männer. Beide sehen wie Zuhälter aus und es sind auch welche. In ihrer stadtbekannten Disco, dem "Flamingo", bieten sie gut betuchten Kunden in ihren Hinterzimmern leichte Mädchen und auch Drogen an. Der Beifahrer dreht sich noch einmal zu Maik um, dann sagt er zu seinem Freund: "Das ist doch der Karren und der Kerl dazu, den Alexej sucht?" Jetzt sieht auch der Fahrer in den Rückspiegel. "Du hast recht. Das ist ein Mustang GT 520. Ich versuche wo nen Parkplatz zu kriegen. Vielleicht bekommen wir seinen Namen heraus. Dann macht uns Alexej bei der nächsten Lieferung vielleicht einen Freundschaftspreis."
Endlich. Die Frau verläßt den Parkplatz und Maik kann einparken. Er steigt aus, verschließt sein Auto per Funk und rennt in Richtung Haustür. Wenige Minuten später betritt er seine Wohnung in der 4. Etage. Wo hat er bloß diesen blöden Zettel hingelegt? Ah, der liegt noch im Drucker. Maik geht zum Schreibtisch. Dabei sieht er zufällig nach draußen und zu seinem Auto. Von der anderen Straßenseite kommt eine Politesse und nähert sich den 7 Kurzzeitparkplätzen vor dem Haus. "Shit, ich habe die blöde Parkscheibe vergessen." flucht Maik. Nimmt den Zettel und rennt wieder nach unten. An der Haustür stößt er fast mit so einem Zuhältertypen zusammen, der gerade ins Haus will. Maik beachtet ihn nicht. Für ihn ist nur wichtig, die Polizistin von einem Strafzettel abzuhalten. Diese hat bereits ihr PDA in der Hand und gibt das Nummernschild des Mustangs ein. "Warten sie. Ich bin schon weg!" ruft der Halter des Fahrzeuges. Die Frau in der Uniform hält inne und schaut zu dem Mann der aus dem Haus gerannt kommt. "Ich habe nur schnell einen Zettel aus meiner Wohnung geholt." sagt dieser. "Und da hatten sie natürlich keine 3 Sekunden Zeit, um vorher die Parkscheibe ins Auto zu legen." Sie sieht ihn an und wartet wieder einmal auf eine fadenscheinige Ausrede des Fahrers. Wie sie sie ständig zu hören bekommt. Maik schätzt sie auf Ende 50. Eine Strähne ihres grauen Haares fällt ihr ins Gesicht. Dieses blickt ihn strafend und dienstbeflissen an. Mit Lügen hat er bei der Frau keine Chance, nur mit der Wahrheit, das weiß Maik sofort. Falls sie überhaupt mit sich Reden läßt. "Wissen sie, ich suche ganz dringend einen Job und habe den Zettel mit den Adressen im Drucker liegen lassen. Den habe ich nur ganz schnell geholt." Die Politesse sieht auf den Zettel den der Mann in der Hand hält und entdeckt wirklich Adressen darauf. "So so, sie suchen also einen Job." sagt sie ernst. Plötzlich lächelt sie. "Dann will ich mal nicht so sein. Aber das nächste Mal bekommen sie den Strafzettel." "Danke Danke." sagt Maik und ist echt froh. Er steigt sofort in sein Auto und verläßt den Parkplatz.
Kaum ist er weg, kommt dieser Typ aus dem Haus und geht zu dem BMW. Er steigt ein, schaut zu dem Fahrer und fragt noch einmal nach: "Wir haben den Kerl doch am Fenster im 4. Stock gesehen?" "Ja." "Dann heißt er Maik Tayler."

Justin hat schon seine Badesachen gepackt und wartet ungeduldig auf seinen Vater. Er, seine kleine Schwester und seine Mutter sind nach draußen in den Park gegangen. Rebecca sitzt im Sandkasten und spielt mit ihren Figuren. Justin ist auf der Schaukel und Janine liegt mit einem Buch auf einer Liege. "Wo bleibt Papa bloß?" will ihr Sohn wissen. Janine sieht auf ihre Armbanduhr. Es ist bereits 15 Minuten nach 3. "Er wird gleich kommen." Doch anstatt, dass sich das Tor öffnet und der Lincoln angefahren kommt, klingelt das Telefon. Das hat nichts gutes zu bedeuten. Das weiß Janine sofort. Sie hebt das Handy auf, was sie neben sich in die Wiese gelegt hat. "Hier bei Evans. . . Chris, wo bleibst du? Justin wartet schon die ganze Zeit. . . . Das ist jetzt nicht dein ernst? Du weißt genau, wie sehr sich unser Sohn auf den Nachmittag mit dir und das Baden gefreut hat. . . . Ach immer nur dein Job, das kann ich bald nicht mehr hören." Bitter enttäuscht über ihren Mann beendet sie das Gespräch.
"Papa hat wieder mal keine Zeit?" fragt Justin traurig. "Ja, er hat einen ganz wichtigen Kundentermin den er nicht verschieben kann." sagt Janine liebevoll. Tränen der Enttäuschung kullern über das Gesicht des Jungen. Er springt von der Schaukel und rennt zurück zum Haus. Rebecca sieht ihm verwundert nach, dann sagt sie: "Dastin weint." "Ja, Justin weint. Dein Bruder ist böse auf Papa." "Papa." sagt das kleine Mädchen und lacht. Sie hat keine Ahnung von dem, was hier geschieht. Janine muss über die Unbekümmertheit ihrer kleinen Tochter lächeln. Aber ihr Mutterherz tut auch weh. Wieder einmal hat Chris ein Versprechen was er seinem Sohn gegeben hat, gebrochen. Das kommt in letzter Zeit immer öffter vor. Seit dem der Betrieb so toll läuft und sich vergrößert, seit dem hat Chris auch immer weniger Zeit für seine Familie. Janine liebt ihn zwar von Herzen, aber wielange sie es zulassen kann, dass er seine Kinder vernachlässigt, das weiß sie nicht. Wenn sich nicht bald etwas ändert, wird sie vorübergehend zu ihren Eltern ziehen. Vielleicht versteht Chris dann endlich, was er an ihnen verliert. Bei diesem Gedanken kommen auch ihr die Tränen und sie wischt sie sich mit den Fingerspitzen aus dem Gesicht. Rebecca schaut zu ihr und als sie sieht, dass auch ihre Mama weint, wird sie ganz taurig. Sie zieht ihre Mundwinkel nach unten und fängt fast an zu heulen. "Was ist denn meine Kleine? Mama hat doch bloß was ins Auge bekommen. Komm, wir bauen eine richtig große Sandburg." sagt Janine und lacht. Sofort lacht auch Rebecca wieder. Während sie die Sandburg bauen, sieht Janine immer wieder zum Haus. Justin hat sich bestimmt vor seinen PC gehockt und spielt ein Videospiel. Am liebsten wäre sie ihm nachgelaufen. Aber ihr Sohn ist Sternzeichen Zwilling. Und wer jemanden kennt der auch Zwilling ist weiß genau, dass es besser ist, ihn erst einmal allein zu lassen. Später wird sie dann mit ihm reden.

Alexej steht mit Sascha vor dem Tisch mit den Drogen. Sascha ist vor einigen Minuten mit den Kindern zurückgekommen. Diese haben 3 Leute von Alexej zu den anderen gesperrt. Die beiden Männer stehen bereits seit einiger Zeit vor irgendwelchen Laborgeräten. Damit testet der russisische Drogendealer hin und wieder die Reinheit seiner gekauften Ware. Ein Glasröhrchen hängt in einer Halterung an einem Stativ. Darunter steht ein Bunzenbrenner. In dem Glasbehälter steckt ein Temperaturfühler, ähnlich aussehend wie eine Stricknadel. Von diesem geht ein Kabel zu einem separaten Gerät, was Sascha in der Hand hält. Darauf kann man die Temperatur ablesen, 160 °C wird angezeigt. In dem Reagenzglas passiert trotz der großen Hitze nicht viel, es dampft nur ganz leicht. Alexej schaut gespannt zu. "Wieviel?" will er von Sascha wissen. "175°C." Beide schweigen wieder. Jetzt fängt der Inhalt in dem Glas an zu brodeln. "195°C." sagt Sascha. In dem Moment stellt Alexej den Bunzenbrenner ab. "Tolle Qualtiät, das muss ich schon zugeben." sagt er grinsend und sieht zu seinem Mitarbeiter. "Wenn wir das anständig mit Paracetamol strecken, haben wir nen ganz schönen Gewinn."
Das Handy von Alexej klingelt. Er geht zum Tisch, wo es liegt. "Ja." meldet er sich kurz. "Ach, die Müller-Brüder. . . Ihr habt was für mich? Was denn? . . . " schweigend hört er zu, dann dreht er sich zu Sascha und sagt: "Ich brauche was zum Schreiben." Dieser nimmt einen Zettel und einen Stift vom Drogentisch und bringt beides seinem Boss. Der schreibt etwas auf. "Danke, ihr habt was gut bei mir. . . . Mal sehen ob ich bei der nächsten Lieferung mit dem Preis bisschen runter gehen kann. Erst muss ich sehen, was die Info wirklich Wert ist." Alexej legt auf, sieht lächelnd zu seinem Mann und sagt: "Die beiden haben den Namen von dem Fahrer des Mustangs herausbekommen und sogar noch seine Wohnanschrift." Dann drückt er den Zettel Sascha in die Hand und sagt: "Versuch was über den Kerl herauszufinden. Ich will nur ganz sicher gehen, dass uns der Mistkerl nicht dazwischenfunkt und falls doch, mit wem wir es zu tun haben." Wieder klingelt das Handy. Sascha will bereits gehen, aber sein Boss hält ihn zurück. "Warte mal kurz." Dann meldet er sich. "Ja. . . . Wieso nicht? Seit ihr auch an der richtigen Stelle? . . . Ich rufe gleich zurück." "Was ist?" will Sascha wissen, denn er hat Verärgerung in Alexej´s Stimme herausgehört. Während er bereits wieder neu wählt und auf die Verbindung wartet, klärt er seinen Mann kurz und knapp auf: "Die Leute sind am Rhein, aber kein Evans ist da."
"Das verstehe ich nicht? Pohl hat doch gesagt, dass er Evans und dessen Sohn heute gegen 15 Uhr zu der kleinen Badebucht am Rhein fahren soll."
"Eben. Aber da sind sie nicht." Der Ruf wird unterbrochen und Alexej schaut auf das Display. "Der Scheißkerl hat mich einfach weggedrückt." stellt er verärgert fest. Er kracht wütend das Telefon auf den Tisch, stützt seine Hände ab und sieht auf das Handy. So, als ob er es hypnotisieren will endlich zu klingeln. Und es scheint zu klappen, denn es klingelt. "Pohl, wieso hast du mich einfach weggedrückt? Wo steckst du überhaupt? Jedenfalls nicht am Rhein. Dort warten nämlich meine Männer vergebens auf euch. . . " Alexej fährt sich mit der linken Hand durch seine Haare und hört Pohl, dem Chauffeur von Chris Evans zu. "Shit. Schon wieder kommt uns dieser Hurensohn in die Quere." sagt er laut. "Gut, dann kurz vor 17 Uhr." Diesmal unterbricht Alexej einfach die Verindung und wählt ein drittes Mal. "Ich bins wieder. Bleibt wo ihr seid. Es gibt nur eine kleine Planänderung.......

13.

Was für ein herrlicher Mittwochnachmittag. Alle die bereits das große Glück haben Feierabend machen zu dürfen, gehen in ein Freibad oder fahren an den Rhein um sich dort abzukühlen. Selbst in der Innenstadt sitzen viele an Brunnen, halten ihre Füße ins kühle Nass und genießen ein Eis oder ein schönes wohltemperierte Bier in einen der zahlreichen Biergärten. Noch hat die Rushhour nicht begonnen, aber man kann schon deutlich sehen, dass es immer mehr Autos werden die in Richtung Wasser unterwegs sind. Unter ihnen auch ein organgefarbener Mustang. Er ist gerade dabei, die Stadt zu verlassen.
Maik sieht zum Beifahrersitz und sagt: "Hey, was ist denn mit dir los?" Neben ihm sitzt Justin. Er hat seine Arme auf dem offenen Beifahrerfenster liegen und schaut schweigend und traurig nach draußen.
Chris hatte Maik vor einer halben Stunde angerufen und ihn gebeten, mit Justin schon vorzufahren, da ihm ein dringender Termin dazwischen gekommen war. Natürlich hatte Maik sofort zugesagt. Doch schon als er den Jungen von zu Hause abholt hatte, hatte er gespürt, dass die Stimmung ziemlich angespannt war. Janine war mit ihrer Tochter im Garten und spielte mit ihr im Sandkasten. Sie erzählte Maik was sie vor hat, falls Chris nicht bald arbeitsmäßig kürzer tritt. Auch Justin war von dem gebrochenen Versprechen seines Vaters tief enttäuscht. Bis jetzt hatte er kaum ein Wort gesagt. Ganz im Gegenteil zu heute Mittag.
"Ich glaube, Daddy mag seinen Job mehr als mich." sagt der Junge plötzlich. Diese Aussage tut sogar Maik weh. Wenn ein Kind so denkt, dann stimmt in der Vater-Sohn-Beziehung wirklich etwas nicht. Maik muss unbedingt ein ernstes Wort mit seinem Freund reden. Doch jetzt muss er erst einmal Justin aufbauen. So setzt er den rechten Blinker und hält in einer Bushaltestelle. Er beugt sich zu dem Jungen hinüber und sagt: "Sieh mich mal an." Nach kurzem Zögern dreht sich Justin zu ihm und Maik kann Wasser in dessen Augen sehen. Er ist kurz davor zu heulen. Dem ehemaligen Polizisten versetzt dieser Anblick einen tiefen Stich ins Herz. Am liebsten wäre er gleich zu Chris gefahren, hätte diesen aus dem Büro gezerrt und gesagt, dass er sich gefälligst um seinen Sohn kümmern und Arbeit Arbeit sein lassen soll. Sonst wird er in kurzer Zeit alles was er liebt verlieren. Doch im Augenblick ist Justin erst einmal wichtiger. "Du glaubst also wirklich, dass dein Daddy dich nicht mehr lieb hat. Aber das stimmt nicht. Er liebt dich von Herzen, sonst hätte er mich nicht gebeten mit dir vorzufahren. Um 5 kommt er dann dazu und ihr werdet den restlichen Tag genießen."
"Das glaube ich erst, wenn er da ist. Bestimmt kommt wieder was wichtiges dazwischen. Wie schon vor 3 Wochen als er mir versprochen hat, zu meinem Fußballspiel zu kommen. Erst wollte er mich sogar bringen, dann rief er an, dass es doch später wird. Er aber garantiert zum Anpfiff da ist." Jetzt läuft ihm eine Träne übers Gesicht.
"Lass mich raten, er hat es nicht geschafft." sagt Maik und ein unsichtbares Band drückt seinen Brustkorb vor Schmerz zusammen.
"Er müßte nur noch mal ganz kurz in die Werkstatt, weil irgend so eine blöde Maschine kaputt gegangen ist." sagt Justin und sieht Maik aus traurigen Kinderaugen an.
"Wann kam er dann wirklich?" will Tayler wissen.
"Am Ende des Spiels. Ich habe 3 Tore geschossen und er hat es nicht gesehen."
"Aber deine Mutter war doch bestimmt dabei."
"Das schon, aber . . . "
Maik versteht die Gefühle des Jungen ganz genau. Er liebt seine Mutter zwar über alles, aber ein Junge will auch Anerkennung von seinem Vater. Wenn diese ausbleibt, kann eine kindliche Seele einen ganz schönen Knacks bekommen.
"Weißt du was? Ich werde mir deinen Vater mal vornehmen und ihm so richtig die Meinung sagen." versucht Maik ihn aufzumuntern.
"Aber nicht, dass er danach böse auf mich ist." sagt Justin und wischt sich die Tränen ab.
"Nein nein. Das verspreche ich dir. Aber jetzt lass uns zu dieser Stelle am Rhein fahren von der ich schon so viel gehört habe. UND . . . bevor ich dich abgeholt habe, war ich noch mal in einem Spielzeuggeschäft und habe ne Kleinigkeit für dich gekauft." sagt Maik und zwinkert Justin zu. Das Lächeln kehrt in das Gesicht des Jungen zurück. "Was denn?" will er wissen.
"Das verrate ich noch nicht." Maik setzt wieder den Blinker und beide fahren weiter.

Die Fahrzeuge werden weniger, da sie bereits seit einiger Zeit die Hauptstraße verlassen haben und jetzt auf einer kleineren Seitenstraße weiterfahren. "Bist du dir sicher, dass wir hier richtig sind?" will Maik wissen. "Ja, ja. Nur noch paar Minuten, dann geht rechts ein kleiner Weg ab." "Doch kleiner wie der?" scherzt der Fahrer. Nach 5 Minuten sieht er ihn und fährt vorsichtig hinein, denn hier gibt es keinen wirklichen Weg mehr, sondern nur noch einen Trampelpfad. Eigentlich hat sich Maik etwas anderes vorgestellt. Er fährt ganz vorsichtig, denn seine Autolippe schrammt bereits über den Boden. Rechts und Links von ihnen ist nur noch Gras und Unkraut, was fast so hoch wie das Auto ist. Fragend schaut Maik zu Justin. Dieser lächelt und sagt: "Keine Angst, hier sind wir richtig. Siehst du da vorn die kleine Baumgruppe? Auf die mußt du zufahren." Das macht Maik auch, aber irgendwie ist ihm komisch zumute. Wie soll er hier wenden und wo soll man hier baden gehen? Sie hätten doch lieber an einen der menschenüberfüllten Abschnitte fahren sollen. Die Baumgruppe, bestehend aus 3 große Lindenbäume, ist nur noch wenige Meter vor ihnen, aber landschaftlich hat sich nichts geändert. Maik denkt an seine Zeit als SEK Mann zurück und würde dieser Stelle auf einer Gefährlichkeitsskale von 1 bis 10 eine glatte 12 geben. Hier konnte man bereits 1 Meter um das Auto herum nichts mehr sehen. In diesem wilden Gestrüpp hätte man gut und gerne 2 Armeen verstecken können und man würde keinen Mann von ihnen sehen, selbst wenn er in unmittelbare Nähe stehen würde. Doch plötzlich wird das Unkraut weniger und schließlich verschwindet es ganz und gibt einen herrschlichen Blick auf eine zauberhafte Badebucht frei. Die 3 Bäume stehen genau in der Mitte. Ihre Kronen wiegen sich sachte hin und her und ihre Blätter rauschen friedlich. Da die Sonne kaum durch das dichte Blattwerk kommt, ist das Gras hier auch weniger hoch. Der Rhein liegt nur einige Meter entfernt und man kommt über einen breiten Natursandstreifen zu ihm. Ideal für Kinder zum Kleckerburgbauen, denkt sich Maik und muss schmunzeln. "Du kannst dein Auto gleich unter die Bäume stellen." sagt Justin und steigt aus. Vorsichtig fährt Maik den Mustang nicht ganz unter die Bäume. Denn die Linden tropfen und werden den Lack seines Autos beschädigen. So hält er etwas abseits und steigt aus. Was für eine wunderschöne Gegend denkt er sich und sieht auf das Wasser hinaus. Hier ist man wirklich völlig ungestört und man kann richtig schön relaxen und die Kinder können laut herumtoben ohne andere Badegäste zu belästigen. "Komm mal mit Onkel Maik, ich muss dir was zeigen." sagt Justin, nimmt Maiks Hand und zieht ihn mit sich. "Was ist denn?" fragt dieser, geht aber lachend mit. Der Junge bringt ihn zu einer anderen Baumgruppe, die zu einem kleinen Wäldchen gehört. Auf einen der niedrigeren Bäume befindet sich ein Baumhaus. "Das habe ich im letzten Jahr gebaut. Toll, es steht noch." Justin ist aufgeregt und will Maik alles zeigen. Es ist herrlich den Jungen so ausgelassen zu sehen. "Aber jetzt zeig mir bitte bitte was du für mich gekauft hast." bettelt dieser. "Jetzt schon? Ich dachte, wir machen erst einmal Picknick und sehen uns an, was deine Mam leckeres eingepackt hat." Lügt Maik, denn er ist auf Justins Gesicht ebenso gespannt. "Och man." sagt der Junge enttäuscht. Tayler muss innerlich schmunzeln. "Gut, machen wir einen Deal. Wenn du zuerst am Auto bist, dann bekommst du das Geschenk sofort. Falls ich eher bin . . . " Er kann den Satz nicht zu Ende sprechen, denn schon rennt Justin los. "Hey, das ist unfair!" ruft Maik und rennt hinterher. Aufgeregt bleibt der Junge neben dem Auto stehen und der Besitzer des Mustangs öffnet den Kofferraum. Er holt einen Ball heraus und sieht zu Justin. Dieser ist etwas enttäuscht. Soll das etwa schon das Geschenk sein, denkt er sich. Aber er läßt es sich nicht anmerken. Wieder genießt Maik den Anblick und wirft den Ball zu dem Jungen. "Halt mal, sonst komme ich nicht an dein Geschenkt." sagt er und greift wieder in den Kofferraum. Schließlich holt er einen großen länglichen Karton heraus. Sofort ist Justin bei ihm und will sehen, was es ist. Maik hält ein funkferngesteuertes Rennboot mit einem tollen Design in den Händen. Der Junge schaut mit offenen Mund darauf und sagt: "Das ist ja voll geil." Mit diesem Geschenk scheint Maik ins Schwarze getroffen zu haben. "Wollen wir es gleich mal ausprobieren?" will er wissen. Die Frage hätte er stecken lassen können. Sie gehen zum Wasser und packen das Boot aus. Beim Auspacken sieht Maik jetzt erst ein weiteres Fahrzeug. Es ist ein dunkelgrüner VW Caddy und er steht etwa 20 Meter entfernt, fast etwas versteckt in dem hohen Gras. Sofort gehen die Alarmglocken des ehemaligen Polisten an und er schaut sich um. Aber er kann nichts verdächtiges sehen. Alles ist still und friedlich. "Was ist denn Onkel Maik?" will der Junge wissen, denn er hat sofort die Veränderung im Verhalten seines großen Freundes bemerkt. Doch dieser versucht ihn zu beruhigen. "Ach, nichts weiter. Ich sehe bloß jetzt erst, das wir nicht allein hier sind." Als Maik zu dem Auto sieht, folgt Justin seinem Blick. Aber ihn interessiert jetzt mehr das Geschenk, als dieses blöde Auto. Wenige Minuten später setzt er bereits die Batterien in das Boot ein und bringt es zum Wasser. Maik bestückt die Fernbedienung ebenfalls mit Batterien. Dabei läßt er keinen Blick von dem Fahrzeug. In ihm macht sich eine innere Unruhe breit. Er merkt, wie sein Adrenalinspiegel ansteigt und damit alle seine Sinne stärkt. Justin kommt aus dem Wasser gerannt und sagt: "Hoffentlich funktioniert es." "Warum sollte es nicht." will Maik wissen und probiert es aus. Gleich als er auf der 2-Kanal-Bedienung den rechten Hebel noch oben schiebt, schießt das Boot los. Justin springt aufgeregt herum. "Darf ich auch mal?" fragt er und sieht Maik mit großen erwartungsvollen Augen an. "Klar doch, ich habe es ja für dich gekauft. Aber fahr nicht zu weit raus, sonst darf ich ins Wasser und muss es zurückholen." Er gibt dem Jungen die Bedienung. Schaut noch etwas zu und sagt dann: "Ich habe Hunger. Ich werde mal sehen, was uns deine Mam so leckeres eingepackt hat." Mit diesen Worten dreht er sich um und geht zu seinem Auto. Dabei schaut er erneut zu dem unbekannten Fahrzeug. Da es mit dem Fahrerhaus in der anderen Richtung steht, kann Maik nicht erkennen, ob es leer ist. Als er am Mustang ankommt, öffnet er die Beifahrertür und das Handschuhfach. Dort holt er seine gestern gekaufte Sig Sauer heraus, schaut nach, ob ein volles Magazin im Schaft steckt, spannt den Hahn und macht sie so schussbereit. Die einsatzbereite Waffe steckt er sich hinter seinen Rücken in den Hosenbund und zieht sein Shirt darüber. Er will Justin nicht beunruhigen, aber Maik hat so ein komisches Kribbeln im Bauch, was ihm gar nicht gefällt. Als er fertig ist, geht er zum Kofferraum, öffnet den Picknickkorb den Janine ihnen mitgegeben hat und holt sich einen Apfel heraus. Dann geht er zurück zu dem Jungen. Läßt aber die Beifahrertür seines Autos offen. Justin ist von dem Boot begeistert. Er läßt es wie verrückt auf dem Wasser fahren, wendet es plötzlich und freut sich über sein Manöver. "Hast du das gesehen Onkel Maik?" will er von ihm wissen. "Ja, das war klasse." sagt er, ist aber nicht wirklich bei der Sache. Gerade als Justin mit dem Boot eine Ente jagt die dösend im Wasser schwimmt, sieht Maik aus den Augenwinkeln heraus, wie die Fahrertür des Caddys lautlos und vorsichtig geöffnet wird. Also saß doch die ganze Zeit jemand darin. Sofort schlägt sein Herz schneller und er wirft den Apfel weg. Hier stimmt etwas nicht, dass ahnt er sofort. "Justin, hol das Boot bitte zurück, wir wollen jetzt was essen." "Schon. Es macht gerade so viel Spaß." sagt der Junge enttäuscht und sieht Maik an. Doch der schaut nur zu dem Auto und dem Mann, der soeben ausgestiegen ist. Gleichzeitig greift sein Onkel mit der rechten Hand hinter seinen Rücken. Auch Justin weiß sofort, hier stimmt etwas nicht. Plötzlich fliegen Vögel auf, die bis jetzt friedlich in dem Gestrüpp gesessen haben, was sich in Richtung Straße befindet und durch das sie auf den Weg hierher gefahren sind. Maik schaut zu Justin, zieht seine Waffe und sagt ruhig zu ihm: "Geh bitte sofort zum Auto und steig ein." Ohne ein Widerwort läßt er die Bedienung des Bootes fallen und rennt zum Auto. Im gleichen Moment tauchen 4 weitere Männer auf. Jeder von ihnen hat eine Waffe in der Hand. Deshalb waren die Vögel aufgeflogen. Sofort schießt Maik in deren Richtung. Sie gehen in Deckung, schießen aber zurück. Auch der Mann der sich aus Richtung Caddy nähert, feuert auf Maik. Der kann sich zwischen den 3 Bäumen in Sicherheit bringen. Aber wie lange er gegen so eine Übermacht die Stellung halten kann, ist sehr fraglich. Justin hat das Auto unbeschadet erreicht. Er schaut ängstlich aus dem offenen Beifahrerfenster zu Maik hinüber und ruft: "Onkel Maik!" "Bei mir ist alles in Ordnung! Dreh den Zündschlüssel einmal herum, dann schließ die Fenster und verriegel die Türen!" Der Junge tut es, dabei zittert er vor Angst. Wieder wird geschossen. Eine Kugel schlägt nur wenige mm neben Maiks rechter Wange in den Baumstamm ein. Holzsplitter treffen ihn und er zuckt instinktiv zusammen. Am gefährlichsten ist der Mann, der sich aus Richtung Caddy nähert. Von dort hat Maik fast keine Deckung. Die anderen 4 kann er ganz gut in Schach halten. Aber halt, was ist das? Plötzlich fällt ihm auf, dass er seit paar Minuten von dort nur noch 3 Männer feuern hört. WO IST DER VIERTE ???? Kaum schießen diese Gedanken durch seinen Kopf, spürt er einen heftigen Schmerz an seiner linken Hüfte, begleitet von einem Gefühl, als würde Feuer seinen Körper verbrennen. Er wurde getroffen, aber aus einer völlig unerwarteten Richtung, nämlich aus Richtung Baumhütte. Dort ist also der 4. Mann. Er hatte sich von den anderen getrennt und sich heimlich von einer dritten Seite genähert. Wie konnte Maik bloß auf den ältesten Trick der Welt hereinfallen. Jetzt gibt es nur noch eine Hoffnung sich und den Jungen zu retten, er muß zum Auto kommen. Aber wie? Sein Mustang steht 10 Meter entfernt. Nie würde Maik lebend dort ankommen. So ruft er zu Justin: "Du mußt mit dem Auto herkommen!" "Aber ich kann nicht Auto fahren." sagt er und heult, denn er hat Angst um das Leben seines Onkels. Dieser muss in Deckung gehen, denn ein Kugelhagel schlägt erneut rings um ihn in die 3 Baumstämme ein. Dabei stöhnt er auf, denn die Wunde an seiner Hüfte schmerzt schrecklich und sie blutet auch stark. Maik lehnt mit dem Rücken an einem Baum, jetzt legt er seinen Kopf nach hinten und schließt kurz seine Augen. Dabei drückt er seine linke Hand auf die Verletzung. Er spürt, wie das warme, fast heiße Blut aus der Wunde kommt. *Scheiße tut das weh.* denkt er sich und schon wieder schlägt ein Kugelhagel knapp neben ihn ein. "Du schaffst das!" sagt er laut zu Justin. Dann schießt er zurück und die Männer müssen ebenfalls in Deckung gehen. "Du hast den Mustang doch schon mal gestartet. Das ist ganz einfach. Setz dich auf den Fahrersitz und dreht den Schlüssel ganz herum. Dann mußt du auf das linke Pedal treten und gleichzeitig den Schalthebel auf die Zahl eins stellen. Hast du?" Justin tut was Maik ihm sagt. Dieser zielt gerade auf einen der Angreifer der leichtsinnig seine Deckung verlassen hat. Getroffen schreit dieser auf und bricht zusammen. Die restlichen schießen ununterbrochen. Maik hat bereits das 2. Magazin in seiner Waffe. Bald hat er keine Munition mehr. Entweder hat es bis dahin sein kleiner Freund geschafft mit dem Auto hier zu sein und sie können durchbrechen oder er ist Tod. "Was jetzt?" will Justin wissen. Erst als Maik erneut schießen muss um seine Angreifer ab Abstand zu halten, kann er dem Jungen antworten. "Jetzt läßt du das linke Pendal ganz langsam los und tritts gleichzeitig vorsichtig auf das Rechte! Dann kannst du losfahren! Komm hier her und stell dich so hin, dass die Schnauze in Richtung Straße zeigt!" Der Motor des Mustangs heult auf, aber es fährt nicht los. "Es geht nicht!" ruft Justin enttäuscht. Shit, Maik hat ihm vergessen zu sagen, dass er die Handbremse vorher lösen muss. "Die Handbremse, du mußt die Handbremse lösen!" Maik verzieht vor Schmerz sein Gesicht, denn selbst das laute Rufen strengt ihn an. Wieder heult der Mustang auf, aber diesmal macht er einen Satz nach vorn. "So ist es gut, aber du mußt vorsichtiger auf das rechte Pendal treten! Jetzt versuch es noch einmal und komm her!" Justin sitzt zitternt hinter dem für ihn viel zu große Lenkrad. Er kann kaum über das Amaturenbrett sehen. *Was hatte Onkel Maik gesagt? Vorsichtig das linke Pendal rauslassen und das rechte reintreten.* Langsam rollt das Auto los. Justin strahlt übers ganze Gesicht. Es hat es geschafft, er kann Auto fahren. Stotternd nähert sich der Junge der Baumgruppe. Dabei heult der V8 Motor abwechsend auf oder er geht fast aus. Unter normalen Umständen täte Maik das Herz im Leib weh, wenn jemand so mit seinem geliebten Auto umgehen würde, aber jetzt war es ihm egal. Als Justin fast bei Maik ist, ruft dieser: "Und jetzt tritt voll auf das linke Pendal und das in der Mitte." Der Junge macht es und sofort kommt der Mustang zum Stehen. Gleich als er steht, will der Junge auf den Beifahrersitz klettern, damit Maik einsteigen kann. Doch was er nicht weiß, wenn er die Füße von den Pendalen nimmt und vorher vergißt den Gang herauszunehmen, dann macht das Auto einen großen Satz noch vorn und der Motor verreckt. Dies geschieht auch und Justin stößt sich böse mit dem Kopf am Lenkrad. Für einige Sekunden wird ihm Schwarz vor Augen. Maik verschießt seine letzten Patronen und zwingt die Gegener so, in Deckung zu bleiben. Aber das ist egal, er braucht keine Munition mehr, denn sobald er im Auto sitzt, wird er Vollgas geben und diesen beschissenen Weg zurück zur Straße fahren. Zwar wird er einige Teile von seinem Auto einbüßen, aber besser als hier zu verrecken. Maik holt noch einmal tief Luft, steckt seine Waffe vorn in seinen Hosenbund und macht einen Satz in Richtung Auto. Er reißt die Fahrertür auf und läßt sich auf den Sitz fallen. Dabei stöhnt er laut auf. Die Schussverletzung so tut weh, als hätte ihm jemand ein glühendes Stück Eisen auf die Wunde gedrückt. Maik schaut zu Justin hinüber. Er hält sich zwar seinen Kopf, aber sonst scheint es ihm gut zu gehen. "Alles in Ordnung?" will Maik wissen. "Ja." "Gut, dann nichts wie weg hier!" Von Kugeln begleitet die ins Blech des Wagens schlagen und auch schon die Heckscheibe und eine der hinteren Seitenscheiben zerstört haben, gibt Maik Vollgas. Er faßt mit beiden Händen das Lenkrad und hält geradlinig auf den Weg in die Freiheit zu. Plötzlich taucht dort die Schnauze eines Chevrolet Suburban auf. Wenn Maik nicht abgebremst hätte, wäre er mit dem Auto frontal zusammengestoßen. Dann geht alles ganz schnell. Sofort als er steht, werden die Türen aufgerissen und 2 Männer zwingen ihn auszusteigen. Sie stoßen ihn mit dem Rücken grob gegen die Karosserie. Einer hält ihm eine Waffe an die Stirn und der andere zieht aus Maik´s Hosenbund die Sig Sauer. Maik hört, wie Justin lauthals schreit. "Laßt den Jungen in Ruhe!" brüllt Maik und versucht die beiden Männer abzuwehren. Aber einer von ihnen schlägt ihm mit einem harten Faustschlag auf die Wunde. Sofort schreit Maik vor Schmerz auf und sackt zusammen. Als er am Boden kniet, trifft ihn ein weiterer heftiger Schlag. Einer der Männer hat ihm sein Knie ins Gesicht gerammt und dieser Schlag raubt Maik fast sie Sinne. Er liegt am Boden und weiß nicht, was oben oder unten ist. Doch er hat dadurch keine Schmerzen mehr. Er versucht verzweifelt wegzukriechen um Justin irgendwie zu helfen. Die beiden Männer sehen nur mitleidsvoll auf dem am Boden liegenden Kerl der einfach nicht aufgeben will. Einer der Männer hält den Jungen fest, dieser schreit wie verrückt und schlägt wild um sich. Gegen diesen Mann hat er keine Chance. Doch er schafft es, ihn im Gesicht zu kratzen. Der Schmerz ist so heftig, dass ihn der Mann losläßt. Aber das verängstigte Kind kommt nicht weit, denn ein anderer hält ihn am Shirt fest. "Hey, hiergeblieben kleine Wildkatze!" sagt er lachend. Justin tritt dem Mann mit aller Kraft auf den linken Fuß. Dieser schreit auf, schlägt Justin aber gleichzeitig mit der Faust ins Gesicht. Der Junge geht zu Boden und bleibt dort heulend liegen.

14.

Chris verabschiedet soeben seinen Geschäftskunden, den Herrn Miller aus London. "Den Vertrag schicke ich ihnen in den nächsten Tagen zu. Ich wünsche einen schönen Rückflug." sagt er und gibt ihm die Hand. Der ältere Herr erwidert die Geste: "Thank you." Dabei lächelt er und verläßt das Büro von Chris Evans. Dieser fährt zum zweiten Mal den Computer herunter, denn durch den unerwarteten Besuch des Herrn Miller mußte er ihn erneut starten. Aber jetzt wird ihm nichts mehr dazwischen kommen. In 30 Minuten wird er bei seinem Sohn und Maik sein, falls es der Verkehr zuläßt. Vielleicht hat sein Freund noch Zeit und sie verbringen den restlichen Tag zu Dritt. Dann könnte Pohl auch gleich Feierabend machen und nach Hause fahren. Chris verläßt sein Büro und sagt zu seiner Sekretärin: "Ich muß jetzt wirklich los. Mein Sohn wird schon warten. Pohl ist noch in der Tiefgarage?" Die Frau schmunzelt und antwortet: "Ja, Pohl wartet unten. Viel Spaß mit ihrem Sohn." "Danke Inge." Und schon ist Chris durch die Tür verschwunden. Er geht zum Fahrstuhl. Es ist wenige Minuten nach halb 5 und in den anderen gemieteten Büros ist noch reges Treiben. Da Chris nur selten so früh nach Hause geht, fällt es ihm jedesmal sehr auf. Als der Fahrstuhl kommt, steigt er schnell ein und drückt auf den Knopf der den Aufzug in die Tiefgarage bringt. Unterwegs hält er noch einmal und ein anderer Mann steigt zu. Auch er trägt wie der Geschäftsführer von repair station Chris Evans, einen teuren Maßanzug. "Hey Chris, wir haben uns aber schon lange nicht mehr gesehen. Wie geht es dir?" will er von Evans wissen. Dieser lächelt, denn der Mann hat ebenfalls in diesem Hochhaus ein Büro und beide kamen irgendwann mal ins Gespräch, als sie zusammen im Fahrstuhl steckengeblieben waren. Das war vor fast einem Jahr. Seit dem trinken sie hin und wieder ein Bier in einem irischen Pub, gleich hier um die Ecke. Chris lächelt und sagt: "Hallo Tom, ich dachte, du bist noch im Urlaub."
"Das ist schon 4 Wochen her. Wann trinken wir mal wieder was zusammen? Ich muß dir was ganz tolles erzählen."
"Heute geht es leider nicht, heute ist mein Vater-Sohn-Tag."
"Oh ja, davon hast du mal was erzählt. Wie alt ist Justin denn jetzt?"
"Er wird nächsten Monat 11."
"Na dann ist er doch fast schon ein Mann." sagt der Mitfahrer, lächelt und fragt weiter: "Und wie alt ist Rebecca? Sie müßte doch bald laufen."
"Ja. Sie macht ihre ersten Schritte. Am Zweiten ist sie 1 Jahr alt geworden."
"Auch schon wieder. Was hälst du vom nächsten Montag. Wollen wir uns um 19 Uhr im Pub treffen?"
"Ich muß erst in meinem Terminkalender nachsehen, aber ich glaube, da würde es gehen. Ich freue mich."
Die Fahrstuhltür öffnet sich und Chris sagt noch schnell: "Ich melde mich bei dir. Grüß Tina von mir."
"Mache ich." sagt der Mann und der Aufzug schließt sich wieder. Sofort fährt der Lincoln vor und Pohl steigt aus. Er öffnet die hintere Tür und läßt seinen Boss einsteigen.
"Und jetzt Vollgas Richtung Rhein." sagt Chris als Pohl eingestiegen ist und losfährt. "Man, ausgerechnet heute mußte ein wichtiger Kunde auftauchen. Justin wird stinksauer auf mich sein." Pohl lächelt und sieht in den Rückspiegel: "Euer alter Schulfreund ist mit ihm doch schon vorgefahren. Ich denke, Justin wird zwar sauer sein, aber nicht sehr." "Hoffentlich." Chris öffnet den obersten Knopf seines Hemdes und holt sein Handy aus der Jackettjacke. Er wählt eine Nummer und wartet auf die Verbindung. Pohl hat vor einigen Minuten die Tiefgarage verlassen und reiht sich nun in den dichten Verkehr ein. Um diese Zeit geht es nur im Schritttempo vorwärts. Viel zu langsam für Chris. Er will endlich zu seinem Sohn. "Komisch." sagt Evans und Pohl schaut ihn durch den Rückspiegel an. "Was ist denn komisch?" will dieser wissen. "Maik geht nicht an sein Handy." "Vielleicht sind die beiden im Wasser und hören das Telefon nicht." sagt Pohl. Er weiß aber ganz genau, warum sich der Freund von seinem Boss nicht meldet. Die Entführung des Jungen müßte bereits abgeschlossen sein und dieser Maik . . . wer weiß, was die Leute von Alexej mit ihm gemacht haben. Alexej hatte Pohl jedoch versprochen, dass niemand zu Schaden kommt. Erneut wählt Chris und wieder nimmt der Teilnehmer nicht ab. "Vielleicht hast du Recht und sie sind im Wasser. Naja, wir sind ja gleich da." Entspannt lehnt sich Chris in den bequemen Ledersitz seines Lincoln Town Car´s zurück und schließt seine Augen. Er ist bereits seit 3 Uhr auf den Beinen und fühlt sich auf einmal sehr erschöpft.
Der Lincoln kommt nicht wirklich schnell vorwärts. Immer wieder muss er anhalten und warten, bis sich die zähfliesende Autolawine weiter bewegt. Aber wenigstens hat das Auto eine Klimaanlage und läßt so die Hitze draußen. Pohl ist dafür sehr dankbar, denn er verbringt die meiste Zeit im Auto.
Endlich, kurz nach 17 Uhr haben sie die Stadt hinter sich gelassen und sind nun auf dem Weg zu Justin und Maik. Während der Fahrt hatte Pohl über den Rückspiegel immer wieder zu Evans geschaut und sich gedacht: *Wenn sein Boss wüßte was ihn erwartet, würde er nicht so seelenruhig schlummern.* Je näher sie dem Treffpunkt kommen, desto nervöser wird Pohl. Er spürt, wie seine Hände anfangen zu schwitzen und sich auch sein Puls unangenehm erhöht.
Schließlich biegen sie von der Hauptstaße ab. In spätestens 5 Minuten dürften sie an der Stelle sein. Pohl ist gespannt, was sie dort vorfinden. Auf alle Fälle keinen Jungen der auf seinen Vater wartet. "Wir sind gleich da." sagt Pohl und Chris schrickt aus seinem kurzen Nickerchen. Er war wirklich eingeschlafen und nun völlig überrascht, dass sie schon da sind. Aber er freut sich auf seinen Sohn.
Langsam fahren sie den kleinen fast unwegsamen Pfad entlang. Der Lincoln ist etwas höher gebaut und kommt daher ganz gut vorwärts. "Sind sie sich sicher, dass wir hier richtig sind?" will Pohl wissen, denn ihm kommt die Gegend nicht gerade ideal zum Baden vor. Sein Boss hatte ihm zwar von der Stelle erzählt, Pohl war aber noch nie hier gewesen. "Doch doch, wir sind hier richtig. Gleich dort vorn müßte es sich lichten und dann dürften wir Maik und Justin bereits sehen." So fahren sie weiter und nach kurzer Zeit wird das Unkraut wirklich weniger. Sie kommen auf die kleine Lichtung, aber niemand ist hier." Verwundert schaut sich Chris um, doch er kann weder den Mustang von Maik, noch seinen Sohn sehen. "Wo sind die bloß?" fragt er. Aber woher soll sein Fahrer das wissen. Der Chef von repair station hat eine komische Vorahnung, hier stimmt etwas nicht. Nervös steigt er aus, sieht sich um und dreht sich dabei langsam um die eigene Achse in der Hoffnung, etwas zu entdecken. Vielleicht verstecken sich die 2 bloß und wollen ihn erschrecken. Aber wo ist dann der Mustang? Chris schaut zum Wasser und sieht ein Spielzeugrennboot. Es liegt dicht am Ufer und wird bei jedem Wellengang des Rheins mehr und mehr Richtung Strand gespült. Maik hatte ihn am Telefon gefragt, ob Justin bereits so etwas hat, sonst würde er ihm eins kaufen. Langsam geht Chris dorthin und seine Gedanken überschlagen sich. Nur wenige Meter vom Boot entfernt, liegt die Bedienung auf dem Boden. Wieso haben sie es zurückgelassen und wo sind sie verdammt noch mal? "Justin, Maik, wo seid ihr ?!" ruft Chris laut. Plötzlich klingelt ganz in der Nähe ein Handy. Erschrocken dreht sich Evans herum und schaut zu Pohl. Dieser ist ebenfalls ausgestiegen. Er steht am Auto. Das Klingeln kommt aber nicht von Pohl, sondern aus Richtung der Linden. Fragend schaut Chris zu seinem Fahrer, nähert sich aber dann dem Geräusch. Genau zwischen den 3 Linden liegt ein Shirt. Evans erkennt es sofort und ihm wird augenblicklich schlecht. Das ist das Lieblingsshirt von seinem Sohn. Das Klingeln hört nicht auf und so greift Chris mit zitternden Händen nach dem Oberteil von seinem Sohn. Darin eingewickelt liegt ein Handy. Auf dem Display steht: Unbekannter Teilnehmer. Angespannt drückt Chris auf die Taste mit dem grünen Telefon und meldet sich: "Ja. Wer ist dort?" Eine verzerrte Computerstimme meldet sich. "Wir haben ihren Sohn. Er ist unverletzt und ihm geht es gut. Keine Polizei, sonst ändert sich das. Wir melden uns in zwei Stunden und geben unsere Forderungen durch."
"Was ist mit Maik?" fragt Chris, aber die Verbindung wurde bereits abgebrochen. Ihm wird drehend und er muss sich setzen.
"Was ist los?" will Pohl wissen und kommt näher.
Chris schaut ihn völlig unter Schock stehend an und sagt: "Die haben meinen Sohn."
"Wer hat Justin?"
"Ich habe keine Ahnung. Sie wollen sich in zwei Stunden noch einmal melden."
"Was ist mit ihrem Freund?"
"Ich weiß nicht. Die Verbindung wurde abgebrochen. Ich vermute aber, den haben sie auch."
Als Pohl seinen Chef so hilflos auf dem Boden sitzen sieht zweifelt er daran ob es richtig war, Alexej den Jungen zuzuspielen. Aber nun war es zu spät. "Was wollen sie jetzt machen?" will Pohl wissen. Chris schaut auf das Shirt von seinem Sohn was er in der linken Hand hält und er merkt, wie ihm eine Träne übers Gesicht läuft. Wäre er doch pünktlich nach Hause gegangen, dann wäre er bei ihm gewesen. Aber was hätte das genützt? Wenn Maik die Entführer nicht aufhalten konnte, dann hätte er es erst recht gekonnt. Chris legt seinen Kopf nach hinten gegen den Baumstamm und schließt seine Augen. Er versucht seine Fassung zu behalten, dies gelingt ihm aber nur schwerlich. Am liebsten hätte er laut losgeheult und den Tag verflucht, an dem sie diese Stelle entdeckt hatten. Wären sie vor einem Jahr doch bloß auf dem ausgeschilderten Radweg geblieben, dann wäre dies hier nicht passiert. Chris öffnet seine Augen, sie sind mit Tränen gefüllt, dabei sieht er auf das Shirt seines Jungen. Er legt das Handy der Entführer neben sich auf den Boden und nimmt das Oberteil seines Sohnes in beide Hände. Wie in Trance schaut er auf den Schriftzug: "Schloss Einstein". Dies ist schon seit langem die Lieblingssendung von Justin. Chris hält sich das Shirt vors Gesicht. Als er den unverkennbaren Duft seines Sohnes riecht, kann er nicht mehr. Er heult los und sieht in seinen Gedanken, wie sein Sohn lacht. Dessen Lachen ist immer so ansteckend gewesen. Wann würde er es wieder hören können. Und auch ein anderer Gedanke geht ihm durch den Kopf der seinem Herzen so weh tut. Wann hatte er seinem Sohn das letzte mal gesagt, dass er ihn liebt. Er weiß es nicht mehr. Klar weiß sein Sohn, dass er ihn liebt. Aber das Selbstbewußtsein eines Kindes steigt ungemein wenn er von seinem Vater hört, dass er ihn liebt und stolz auf ihn ist und was hatte Chris getan? Er hatte Justin in den letzten Monaten fast wie selbstverständlich hingenommen, hatte sogar mit ihm geschimpft, wenn er mal eine 3 nach Hause gebracht hatte. Wie unwichtig dies jedoch ist, dies begreift Chris jetzt wo sein Sohn nicht mehr da ist. Wieso mußte es erst so weit kommen ehe er versteht, wie wichtig ihm Justin und seine ganze Familie ist. Wichtiger wie sein gottverdammter Job. Aber nur für den hatte er in den letzten Monaten Zeit. Selbst das Fußballspiel von seinem Jungen hatte er verpaßt.
"Herr Evans. Kann ich irgend etwas für sie tun?" hört Chris wie aus einer anderen Dimension seinen Chauffeur fragen. Dieser sieht auf seinem Boss hinunter. Wie aus einem gestandenen und erfolgreichen Geschäftsmann binnen weniger Sekunden ein hilfloses Häufchen Elend werden kann, darüber ist Pohl fast erschrocken. Wie konnte er sich nur auf den Deal mit Alexej einlassen? Was für ein Mensch bringt es übers Herz für Geld ein Kind an einen skrupellosen Mann auszuliefern. Pohl schämt sich für sein Verhalten und würde am liebsten alles rückgängig machen. Aber vielleicht ist es noch nicht zu spät. Wenn er auf seinen Anteil verzichtet, vielleicht läßt Alexej den Jungen dann gehen. Er wird es auf alle Fälle versuchen, dass ist er seinem Boss schuldig.
Nach einigen Minuten hat sich Chris wieder im Griff und er nimmt das Shirt von seinem Jungen vom Gesicht. Er wird diesen verdammten Entführern geben was sie verlangen und wenn er seinen Betrieb verkaufen muss. Wieso sollten sie seinem Sohn also was antun. Nur wenn er unversehrt bleibt, bekommen sie ihr Geld, das wissen sie. Es fragt sich nur, was sie für Maik haben wollen, falls sie ihn auch entführt haben. Diese Gedanken, dass beide Leben, bauen Chris etwas auf und er versucht aufzustehen, was ihm nur schwankend gelingt. Evans fühlt sich um Jahre gealtert, fühlt sich schwach und hilflos. Wie wird sich erst seine Frau fühlen, wenn er es ihr sagt, sagen muss. Er darf noch gar nicht daran denken. Sie wird einen Nervenzusammenbruch bekommen und ihm die Schuld geben. Wobei sie nicht ganz unrecht hat. Wäre er pünktlich zu Hause gewesen, dann .... diese Gedanken hatte er doch erst vor paar Minuten gehabt und er hatte auch festgestellt, dass es an der ganzen Situation nichts geändert hätte. Dann wäre er verschwunden und nicht Maik. Chris stützt sich an einen der Baumstämme ab um auf die Beine zu kommen. Pohl hilft ihm. Evans faßt dabei in etwas klebriges. Als er auf seine Hand sieht, ist diese ganz rot. Zögernd riecht er daran, es riecht leicht nach Eisen, Blut. Sofort wird dem Mann flau im Magen und er schaut verwirrt zu Pohl. "Das ist Blut." sagt Chris. Nun sieht sich Evans auf dem Boden um. Überall liegen leere 9 mm Patronenhülsen. Genau hier muß eine Schießerei stattgefunden haben. Aber so weit ab der Zivilisation, hat natürlich niemand etwas mitbekommen. Nun untersucht Chris die Stämme der 3 Linden genauer. Überall sind Einschusslöcher zu sehen. Hier wurde jemand quasi in die Zange genommen und von verschiedenen Seiten beschosssen, denn Kugeln sind in allen 3 Stämmen zu finden. Aber war das Blut nun von Maik oder Justin. Chris überlegt kurz und ihm fallen die Worte des Entführers wieder ein: "Ihrem Sohn geht es gut und er ist unverletzt." Also muss das Blut von seinem Freund stammen. Er wurde bei der Schießerei getroffen, vielleicht sogar getötet. Doch diese Möglichkeit akzeptiert Chris erst, wenn er die Leiche seines Freundes mit eigenen Augen sieht, eher nicht. Maik ist ein Ex-SEK-Cop. So einer weiß sich zu helfen wenn er angeschossen wird. An diese Hoffnung klammert sich Chris. Alles andere läßt er nicht zu. Evans weiß auch nicht warum, aber er holt sein Handy aus seiner Jacke und wählt erneut die Nummer von Maik. Dabei schaut er zu Pohl. Alles ist so friedlich. Der Wind spielt mit den Blättern der Linden unter denen Chris und Pohl stehen und der Rhein fießt ruhig in seinem Flussbett. Der Tag hätte so herrlich werden können. Doch er wurde zum Fiasko. Das Klingeln verstummt und die Mailbox schaltet sich ein. "Hier ist Maiky. Leider kann ich z. Zt. nicht ...." Chris legt resigniert auf. Doch plötzlich sieht er überrascht zu seinem Chauffeur. Dieser fragt ihn: "Was ist?" Evans weiß nicht, ob er es sich eingebildet hat oder nicht, aber da war etwas. Wieder wählt er die Nummer seines Freundes. Hält das Handy aber nicht an sein Ohr, sondern lauscht angestrengt. "Hörst du das denn nicht?" will er von Pohl wissen. Dieser ist still und versucht etwas zu hören. Aber da ist nichts. "Also ich höre nur den Wind und das Wasser." sagt er schließlich. "Ich bin doch nicht verrückt." sagt Evans und wählt ein drittes Mal. Jetzt hört es auch Pohl. Kaum wahrnehmbar klingelt irgendwo ein Telefon. Dann ist wieder Ruhe. Chris hält sich sein Handy ans Ohr und sagt: "Die verdammte Mailbox hat sich schon wieder eingeschalten. Aber das war ganz eindeutig ein Handy, Maiks Handy. Vielleicht liegt er irgendwo und braucht Hilfe." Evans hebt das Telefon der Entführer auf, steckt es in seine Hosentasche und wählt erneut die Nummer von Maik, dann folgen beide Männer dem Ton. Langsam kommt das Klingelsignal näher. Chris muss immer wieder auf Wahlwiederholung drücken, weil sich nach dem 4. Rufzeichen die Mailbox einschaltet. Der Blutdruck beider Männer steigt von Schritt zu Schritt an. Das Klingeln kommt aus Richtung des Baumhauses was Justin im letzten Jahr gebaut hat. Nicht weit von diesem sehen sie, wie Reifenspuren in das hohe Gestrüpp führen. Mit einem wahnsinnigen Herzrasen und einem Blutdruck der weit außerhalb des normalen liegt, folgt Chris der Spur. Pohl ist hinter ihm und auch er ist gespannt was sie erwartet, wenn sie das Telefon finden. Eine Schar aufgeschreckter Vögel fliegt ganz in ihrer Nähe auf und Chris zuckt erschrocken zusammen. Er spürt, wie ihm seine Halsschlagader fast aus dem Hals springt und das Blut mit einem unsagbaren Tempo in seinen Kopf pumpt. Dieser Druck läßt ihn fast zerspringen und Chris bekommt wahnsinnige Kopfschmerzen. Der Wind ist stärker geworden und bringt eine gewisse Abkühlung. Wie heiß es ist, merkt Evans jetzt erst so richtig. Ihm klebt sein Hemd unter seinem Jackett am Körper und läßt ihn durch den auffrischenden Wind fast etwas frösteln. Durch den Wind bewegt sich das Unkraut stärker und so kann Chris etwas orangefarbenes etwa 100 Meter vor sich sehen. Ist das etwa der Mustang? Evans fängt an zu zittern und sein Kreislauf ist kurz vor einem Zusammenbruch. Er dreht sich zu Pohl um. "Ich glaube, dort vorn steht der Mustang." sagt er zu ihm. Chris hat mit seiner Vermutung Recht. Er sieht bereits den Heckflügel vom Auto seines Freundes. Fast rennend legt er die restlichen Meter zurück. Dann stehen beide Männer vor dem Auto. Es sieht schrecklich aus. Das Heck- und hintere Seitenfenster ist zerstört und überall in der Karosserie kann man Löcher sehen, garantiert durch Kugeln verursacht. k muss sich mit Justin im Auto in Sicherheit gebracht haben. Chris öffnet die Fahrertür, aber es ist leer. Der Zündschlüssel steckt und das Handy seines Freundes befindet sich in der Halterung am Armaturenbrett. Evans schaut sich um, aber nichts verrät, ob sein Freund ausgestiegen ist und nun verletzt und hilflos herumirrt. Auf das Fahrzeug wurde mehrfach gefeuert und der Fahrer ist verletzt. Das war so nicht geplant, denkt sich Pohl. Sobald er Evans zu Hause abgesetzt hat, muss er unbedingt Alexej anrufen und ihn fragen was mit dem Jungen ist, ob es ihm gut geht. "Es ist leer." sagt Chris und schaut zu seinem Chauffeur. Dieser ist ebenfalls geschockt von dem was er sieht, das erkennt Chris auf Anhieb. Aber er kann nicht die Wahrheit erkennen, dass es eigentlich Pohl war, der den Entführern den Tipp gegeben hatten, dass sich der Junge um die Zeit hier befinden wird. Hätte er dies bereits jetzt geahnt, hätte er ihn mit eigenen Händen erwürgt. Chris legt seine beiden Hände an seinen Hinterkopf, in der einen Hand das Handy, in der anderen das Shirt seines Jungen und blickt hilfesuchend in den blauen Himmel hinauf. Die Sonne scheint lachend auf die Erde und sie scheint die beiden verzweifelten Männer fast zu verhöhnen. Justin`s Vater würde vor Wut und Verzweiflung am liebsten laut losschrein. Doch seine Kehle ist wie ausgetrocknet von der Anspannung der letzten halben Stunde. Mit kratziger Stimme in der etwas Hoffnungsloskigkeit mitschwingt, sagt er zu Pohl: "Gut, fahren wir zu meiner Frau." Dann geht er zurück in die Richtung, aus der sie gekommen sind. Sein Chauffeur fragt ihn: "Und was ist mit dem Auto?" Chris dreht sich noch einmal zu dem Mustang um und antwortet: "Das lasse ich von meinen Leuten abschleppen und in die Werkstatt bringen. Vielleicht finden wir einen Hinweis wo mein Sohn und Maik sein könnten." Da entdeckt Evans Blut an der unteren Kofferraumkante des Mustangs und auch auf der rechten Seite der Abdeckung. Dort sieht es wie ein verschmierter Handabdruck aus, die andere Stelle sieht eher so aus, als ob etwas blutverschmiertes dort entlanggeschliffen ist. Chris schaut blass zu Pohl und geht zurück zum Auto. Seine linke Hand hält er an die Kofferraumentriegelung, doch er zögert noch. Er hat Angst davor, was er evtl. im Kofferraum finden könnte. Sein Herz fängt wieder an zu rasen, aber er will es wissen. So öffnet er den Deckel vorsichtig und was er da sieht, läßt seinen Magen sofort rebellieren. Maik liegt im Kofferraum und sein Hemd ist im Bereich seines Bauches völlig mit Blut verschmiert. Chris kann nicht mehr eigenständig denken, alles was er jetzt tut, tut sein Körper instinktiv und er spult das lückenhafte Wissen seines vor Jahren gemachten Erste-Hilfe-Kurses ab. Er kontrolliert den Puls seines Freundes an dessen Halsschlagader. Aber da ist nichts. Evans schaut zu Pohl. Dieser ist so weiß wie eine Kalkwand. "Ist er Tod?" will er von seinem Boss wissen. Der sieht wieder zu Maik und gibt nicht auf, irgendein Lebenszeichen zu finden und schließlich spürt er doch noch einen Pulsschlag. Oder bildet er es sich nur ein, denn Maik ist kreidebleich und er hat viel Blut verloren. Nein, da ist etwas. Chris spürt in den Fingerkuppen seines rechten Zeige- und Mittelfingers ein leichtes pulsieren. Sein Freund lebt noch, aber jetzt geht es um Minuten. Evans holt sein Handy aus der Jackentasche und wählt den Notruf, doch nach 2 maligen Klingeln legt er wieder auf. Er kann den Notruf nicht wählen, denn dann würde auch die Polizei eingeschaltet und das durfte nicht geschehen, ansonsten würden die Männer seinen Sohn umbringen. Aber Chris will seinen Freund auch nicht verlieren, so wählt er eine andere Nummer.

15.

Ein dunkelgrüner VW Caddy und ein Chevrolet Suburban biegen gerade von der Bundesstaße ab und fahren in Richtung eines stillgelegten Flugplatzes für kleine Maschinen wie die Cessna, Beach oder Fokker. Das gesamte Gelände ist mit Maschendraht umzäunt und man kommt nur durch ein großes Tor zu den 4 Flugfeldern bzw. den 2 Flughallen. Die beiden Fahrzeuge halten vor dem Tor und wie aus dem nichts, tauchen 2 Männer mit Mini-Uzi´s auf. Sie öffnen es sofort, denn sie kennen die Autos. Diese setzen ihren Weg zu einen der Flughangars fort. Als sie in die Halle fahren, sehen sie Alexej und Sascha an einem Tisch stehen. Der russische Drogenboss hat eine Akte in der Hand, aber als die beiden Fahrzeuge auftauchen, legt er diese auf den Tisch und sieht zu dem VW und dem Chevrolet. Der Caddy bleibt am Rand stehen und ein Mann steigt aus. Er geht etwas humpeld zu Alexej, ihm folgen die 3 Männer aus dem Suburban. Als sie bei ihrem Boss sind, fragt dieser: "Wieso hinkst du und wo ist Patrick?"
"Dieser Bengel hat mir auf die Zehen getreten als ich ihn mir geschnappt habe. Ne Wildkatze ist ein Scheißdreck gegen den. Und Patrick, der hat es nicht geschafft." antwortet ihm der Fahrer des Caddy`s.
Alexej schaut verwundert. "Wie, nicht geschafft?"
"Wir haben den Kerl, der mit dem Jungen zusammen war, unterschätzt."
"Wieso unterschätzt? Muss ich dir jedes Wort aus der Nase ziehn. Jetzt rede endlich." sagt Alexej etwas verärgert.
Ohne ein Wort, zieht der Mann eine Sig Sauer aus seinem Hosenbund und legt sie auf den Tisch. "Der Kerl hatte ne verdammte Knarre und hat Patrick erschossen. Irgendetwas stimmt nicht mit dem. Der hat uns die Entführung des Jungen nicht gerade leicht gemacht. Außerdem frage ich mich, woher hatte dieser Bastard die Waffe und wieso konnte er so gut mit dem Ding umgehen. Der Kerl war ein verdammter Profi. Vielleicht sogar ein Bulle."
"Bist du dir sicher, dass wir von demselben Mann reden?" will Alexej wissen. Denn er kann nicht glauben, was er da hört.
"Wenn er keinen Zwillingsbruder hat, dann war das genau der Kerl, der den Jungen von der Schule abgeholt hat."
Der Mann mit der Narbe im Gesicht dreht sich in Richtung Tisch und nimmt die Akte in die Hand. Er hält sie seinem Mann hin und fragt ihn: "War das dieser Kerl?" Sein Angestellter nimmt sie und blättert darin. Der Inhalt sind Fotos von einem gewissen Maik Tayler, sein Führungszeugnis, eine Liste seiner Strafzettel die er wegen Falschparken bzw. nicht angepaßte Geschwindigkeit bekommen hatte, sein Kontostand und Wohnanschrift. Außerdem die Anschrift seines letzten Arbeitgebers. Eine Firma die sich "Doorman" nannte. Die es aber nicht mehr gibt. Dies alles hatte Sascha über Maik herausbekommen. Er mußte nur paar Beamten bisschen Schmiergeld zustecken und schon gaben sie ihm, was er haben wollte. Verwundert schaut der Mann zu seinem Boss. "Doorman?" fragt er und Alexej sagt: "Ja, Doorman. Der Kerl war ein ganz normaler Türsteher und kein Superman wie du ihn hinstellst. Du und die anderen, ich glaube, ihr werdet langsam alt. Laßt euch von einem Türsteher in die Suppe spucken. Es kommt noch soweit, dass ihr euch von den entführten Kindern einschüchtern laßt." Man hört an Alexej`s Stimme, dass er sauer ist. Aber sein Mann wehrt sich vehement gegen die Unterstellung. "Wenn der Kerl ein Türsteher war, dann bin ich der Papst."
"Die Unterlagen sagen aber genau das aus, nichts anderes und ich kann dir garantieren, dass sie stimmen." Wie weit daneben Alexej mit seiner Ansicht liegt, kann er nicht wissen. Denn wenn ein Mann das SEK-Team verläßt, aus welchen Gründen auch immer, wird seine komplette Lebenslegende geändert. Niemand soll wissen, dass eben dieser Mann in einem Spezialkommando gedient hat.
Alexej möchte nicht mehr über die Richtigkeit der Unterlagen diskutieren. "Habt ihr den Jungen oder hat euch Doorman in die Flucht geschlagen?" will er sarkastisch wissen. Wütend wirft sein Mann die Akte auf den Tisch und sagt: "Wir haben diesen Türsteher ausgeschalten und den Jungen geschnappt. So wie es geplant war." Das Wort Türsteher betont der Mann zynisch. Er bleibt bei seiner Meinung, nie und nimmer war der Kerl Türsteher. Aber er wird sich hüten, sich mit Alexej anzulegen. Denn wie das ausgeht, dass hat er miterlebt, als dieser Gestern Sergej einfach von Hinten abgeknallt hat, bloß weil er mit seinem Plan nicht einverstanden war. Der Mann geht zu dem Caddy und öffnet die Tür zum Laderaum. Darin steht eine Metallkiste mit Löchern im Deckel. Er öffnet sie und drinnen liegt Justin, schlafend. Sie haben ihn mit Ether betäubt, damit er im Stadtverkehr keinen Krach schlagen kann und vorzeitig die Polizei auf den Plan ruft.
"Hast du dich an die Konzentration gehalten?"
"Ja." sagt der Mann von Alexej noch etwas eingeschnappt wegen der vorangegangenen Diskussion.
"Gut." Der Russe sieht auf seine Uhr. "Dann wird er in spätestens einer Stunde aufwachen. Genau richtig um seinem Daddy Hallo zu sagen."

Dieser fährt soeben den Weg zu seinem Haus hoch. Janine ist mit Rebecca draußen und spielt mit ihr noch immer im Sandkasten. Doch sie wird bald reingehen, denn es ist schon 18 Uhr und die Kleine muss unbedingt in die Badewanne, denn sie hatte eine volle Schaufel Sand, anstatt in den Buddeleimer, sich über den Kopf geschüttet.
Als sie das Auto ihres Vaters sieht, lacht sie und sagt: "Daddy." Janine steht auf, schaut auf ihre Uhr und wundert sich, dass ihr Mann und ihr Sohn schon zurück sind. Der Lincoln hält vor dem Haus, doch es steigt niemand aus. Janine hat ein ungutes Gefühl. Obwohl es noch sehr warm ist, fängt sie an zu frösteln und bekommt Magenschmerzen. Der Instinkt einer Mutter meldet sich bei ihr. Sie schaut noch einmal zu ihrer Tochter und als sie sieht, dass diese lieb spielt, geht sie langsam mit verschränkten Armen in Richtung des Autos von ihrem Mann. Von Schritt zu Schritt erhöht sich ihr Herzschlag und ihre gesunde Gesichtsfarbe verschwindet. Sie weiß nicht warum, aber auch ihre Knie werden weich. Endlich, die hintere Tür des Lincoln öffnet sich und Chris steigt ganz langsam aus. Er hat nur noch seine dunkle Anzughose und das weiße Hemd an. Auf diesem kann man große rote Flecke sehen. Es sieht so aus, als ob er verletzt ist und viel Blut verloren hat, doch seine Bewegungen verraten seiner Frau, dass es nicht sein Blut ist. Janine schießen Tränen in die Augen. Sie weiß sofort, dass mit ihrem Sohn etwas passiert ist. Ist es etwa sein Blut? Ihr ganzer Körper fängt an zu zittern und sie hört sich fragen: "Wo ist Justin?" Auch die Augen von Chris sind gerötet. Er sieht seine Frau an. Wie soll er ihr beibringen, dass ihr Sohn entführt wurden ist. Da er selbst noch unter Schock steht registriert er gar nicht, wie er aussieht, leichenblass und völlig mit Blut verschmiert. Dazu hält er das Shirt von seinem Sohn in der Hand. Seine Frau muss bei seinem Anblick doch nur auf den Idee kommen, dass Justin verletzt ist.
Pohl ist ebenfalls ausgestiegen. Chris wendet sich an ihn und fragt: "Würdet ihr euch bitte um Rebecca kümmern?" "Selbstverständlich." sagt dieser und geht zu dem kleinen Mädchen im Sandkasten. Dabei weicht er dem fragenden Blick von Janine aus. Er hat Angst, dass sie in seinen Gedanken lesen kann und weiß, dass er an der Entführung von Justin Schuld hat. Als er bei Rebecca ist, fragt er sie mit einem Lächeln: "Na, willst du mal mit dem Onkel Pohl spielen?" Da die Kleine den Chauffeur schon oft gesehen hat, akzeptiert sie ihn als Spielersatz und hält ihm die Schaufel hin. Er kauert sich zu ihr hinunter, nimmt die Schaufel und fragt sie: "Soll ich dir einen schönen großen Sandkuchen bauen?" Sie lacht und klatscht begeistert in ihre kleinen Hände. Plötzlich hört sie ihre Mutter laut aufschreien. Erschrocken sieht sie und auch Pohl zu Janine und Chris. Dieser hält seine verzweifelte Frau in den Armen. Sofort verschwindet das Lachen aus dem Gesicht von Rebecca und sie sieht fragend und traurig zu Pohl. Er hat zwar noch keine Kinder, aber der Gesichtsausdruck von der Kleinen verrät ihm, dass sie gleich anfängt zu heulen. So versucht er sie abzulenken indem er den erst halbvollen Sandeimer herumdreht und ihn nach oben zieht. Natürlich wird aus dem Kuchen nichts, er fällt gleich in sich zusammen. "Ups." sagt Pohl lachend und schafft es damit, Rebecca auf andere Gedanken zu bringen. Sie lacht und sagt: "Kuchen putt." "Da muss der Onkel wohl einen neuen bauen." sagt der Chauffeur und sieht zu dem Kind. Dabei schaut er unbemerkt in Richtung Janine und Chris. Beide gehen zum Haus. Sein Boss muss seine Frau stützen. Sie ist von der erschütterten Nachricht, die ihr ihr Mann soeben mitgeteilt hat, nicht mehr in der Lage, allein zu gehen. Pohl fühlt sich innerlich so schmutzig. Selbst der unschuldige Blick von Rebecca läßt ihn erschaudern. Er bildet sich ein, dass ihre Augen ihn strafend ansehen und sie denkt: Du bist Schuld daran, dass mein Bruder nicht bei mir ist und mit mir spielen kann.

Chris hat seiner Frau geholfen, sich auf das Sofa zu setzen. Wie ein Häufchen Unglück sitzt sie da, das Shirt ihres Sohnes hält sie in der Hand. Dabei laufen ihr Tränen von Hilflosigkeit und Verzweiflung übers Gesicht und verschmieren so ihren Eyeliner. Dunkle Spuren gehen von ihren Augen bis hin zu ihrem Kinn. Sie sieht gleich 10 Jahre älter aus. Chris hat ihr eine Decke umgelegt, da sie am ganzen Körper zittert. Nun sitzt er vor ihr, hält ihre eiskalten Hände und weiß nicht, wie er sie trösten soll. Auch er sieht auf das Shirt seines Sohnes, was sie jetzt gemeinsam in ihren Händen halten. "Ich werde diesen Leuten geben was sie wollen. Das schwöre ich dir. Und vielleicht schon Morgen haben wir Justin wieder." Innerlich völlig am Boden zerstört sieht ihn seine Frau an und sucht in seinem Gesicht einen Funken, dass er wirklich an das glaubt, was er sagt. Chris versucht aufmunternd zu lächeln, was ihm nicht wirklich gelingt. Doch es scheint Janine etwas Hoffnung zu geben. "Was hat Doktor Meyer gesagt? Kommt Maik durch?"
Erneut lächelt Chris, diesmal ist es ehrlich gemeint. "Ja. Er hat Maiky untersucht und gesagt, dass es nur ein Streifschuss war. Dieser muß aber irgendeine Arterie verletzt haben, deshalb das viele Blut. Der Dok. wird Maik einige Bluttansfusionen geben und wenn keine Entzündung dazu kommt, ist er nächste Woche schon wieder daußen."
"Schön zu hören. Woher kennst du diesen Doktor Meyer?" fragt Janine.
"Er ist mal mit seinem Porsche auf der Autobahn liegen geblieben und ich habe ihm geholfen. Seit dem kommt er regelmäßig in die Werkstatt."
Chris sieht auf seine Hände und merkt jetzt erst, dass sie noch mit Maiks Blut verschmiert sind. Er fragt seine Frau: "Kann ich dich mal 5 Minuten alleine lassen? Ich muß mich umziehen und mir die Hände waschen." "Ja." So steht Chris auf, legt seine rechte Hand unter das Kinn seiner Frau und hebt ihren Kopf etwas an. Er lächelt: "Du wirst sehen, Justin wird nichts passieren." Ihre ansonst leuchtenden und fröhlichen Augen sind leer. Das tut Chris so weh. Doch er will ihr Stärke geben, für sie der Fels in der Brandung sein, der ihr Zuflucht und Hoffnung gibt. Er greift in seine Hosentasche und legt das Handy der Entführer auf den Tisch. Noch 35 Minuten, dann ist die Zeit um. Chris geht in das Bad was sich im Erdgeschoss befindet. Das Bad, in dem Maik gestern ebenfalls war und Chris die Schußverletzungen auf dessen Rücken gesehen und ihm dann sein Misstrauen entgegen gebracht hatte. Jetzt schämt er sich dafür. Sein Freund hatte heute fast sein Leben für das seines Sohnes gegeben. Völlig uneigennützig und keine Sekunde darüber nachdenkend, selbst getötet zu werden.
Chris wäscht sich schon seit einiger Zeit die Hände. Das Blut ist längst nicht mehr zu sehen, aber innerlich sieht er es noch. Wieder nimmt er Seife aus dem Spender und seift sich ein. Er bekommt das Blut einfach nicht ab. Sein Herz erhöht erneut seine Schlagkraft und auch sein Puls steigt an. Seine Augen registrieren nicht mehr was er tut, sondern ein anderes Bild schiebt sich in sein Unterbewußtsein, was er nie wieder aus seinem Kopf bekommen wird. Er hat ein Déjá-vu, sieht sich, wie er den Kofferraum des Mustangs öffnet und wie sein Freund in diesem liegt. Völlig blutig und fast nicht mehr am Leben. Dann schiebt sich ein anderer Gedankenfetzen in seinen Kopf, wie er seine Jacke auszieht und verzweifelt versucht, sie auf die Schussverletzung von Maik zu drücken um die Blutung zu stoppen.

"Ed. Die Zeit ist um, hol den Jungen." sagt Alexej zu dem Mann mit dem er sich vorhin fast angelegt hat. Dieser geht zum Caddy um Justin zu holen. Währenddessen befestigt sein Boss einen Voice Changer an seinem Handy, damit Evans nicht die wahre Stimme von Alexej zu hören bekommt. Ed öffnet die angelehnte Ladetür des VW´s, öffnet die Kiste in der der Junge liegt . . . liegen müßte. Sie ist leer. "Verdammt, dieser kleine Mistkerl ist abgehauen." sagt Ed und sieht zu Alexej. Dieser glaubt, sich verhört zu haben. Wie konnte der Junge fliehen, das war völlig unmöglich. Hier wimmelt es von seinen Leuten. Nicht mal eine Maus käme unbemerkt aus dem Gebäude, also, wie soll es ein Kind schaffen? Ein verängstigtes Kind. Die 5 Männer die in unmittelbarer Nähe von Alexej stehen sehen, wie seine Gesichtsfarbe von normal zu rot wechselt. Er stützt seine Hände auf die Tischplatte, sieht auf das Handy mit dem Stimmenverzerrer und schweigt. Plötzlich schlägt er mit der rechten Hand wutig auf den Tisch und brüllt: "Was steht ihr noch so dumm rum. Schafft mir den Balg wieder ran!" Sofort rennen seine Männer los um den Jungen zu suchen. Er muss noch irgendwo auf dem Gelände sein. Wie soll er auch durch die Umzäunung kommen. Außerdem stehen weitere 3 Männer auf dem Dach und beobachen die Gegend. Sie hätten Justin auf alle Fälle gesehen wenn er Richtung Zaun gerannt wäre. Doch sie hatten keinen Alarm gegeben. Und es stimmt. Der Junge ist noch in der Nähe des Gebäudes. Er hatte die Männer auf dem Dach reden gehört und sich sofort dicht an die Außenmauer gedrückt. Eigentlich wollte er einfach loslaufen, doch das kann er nun vergessen. Aber verstecken kann er sich und vielleicht geben die Männer irgendwann auf nach ihm zu suchen.
Als Justin munter geworden war, hatte er sich daran erinnert, dass er entführt wurden ist. Außerdem, dass die Männer auf seinen Onkel Maik geschossen hatten und er getroffen war. Ob er noch lebt, das weiß Justin nicht, aber er hofft es sehr. Evans Sohn hatte sich in der Kiste ruhig verhalten und als es günstig für ihn schien, schlich er sich aus der Metallbox, krabbelte nach vorn ins Fahrerhaus und verschwand durch die Beifahrertür. Diese stand am weitesten an der Wand und so konnte niemand sehen, wie er aus dem Auto gestiegen war und ganz langsam, auf allen Vieren, hinter alten Platten die an der Wand lehnten, aus dem Gebäude geschlichen und sich zwischen den beiden Fliegerhallen versteckt hatte.
Soeben hört er einen Mann laut brüllen, warum die Männer noch da sind, sie sollen den Balg suchen. Damit ist definitiv er gemeint. Was jetzt? Justin bekommt Panik. Wenn er hier bleibt, werden sie ihn ganz schnell finden, aber wo soll er sich verstecken ohne gesehen zu werden. Da sieht er einen großen Busch, etwa 50 Meter hinter den beiden Fliegerhallen stehen. Wenn er ungesehen dorthin kommt, ist er besser dran als hier. Er könnte sich zwischen den Ästen verstecken. Aus irgendeinem Grund hat er nicht mehr sein eigenes T-Shirt an, sondern ein anderes. Es ist grün und vorn sind die Ninja Turtles zu sehen. Man, das Ding ist voll peinlich. Schließlich ist er nicht mehr 8 und steht auf so einen Kinderkram. Aber jetzt ist es praktisch, denn durch die Farbe kann er sich noch besser in dem Busch verstecken. Doch es gibt immer noch dieses Problem, wie kommt er ungesehen dorthin. Da hört er die Stimme eines Mannes. Sofort geht er instinktiv in die Hocke um nicht entdeckt zu werden. Er hält sich seine Augen zu, nach dem Motto: Sehe ich niemanden, werde ich auch nicht gesehen. Sein kleines Herz rast vor Angst. Ganz in seiner Nähe hört er schnelle Schritte und jemanden sagen: "Hier ist er auch nicht. Ich suche am Rand des Flugfeldes nach ihm." Gott sei Dank entfernen sich die Schritt. Aber Justin hört auch, wie die Männer oben auf dem Dach ständig hin- und herlaufen und die Gegend wachsam beobachten. Wieder sieht Justin zu dem Busch der ihm Sicherheit geben wird. Als es einigermaßen ruhig ist, steht er vorsichtig und leise auf. Bloß keinen Krach machen. Obwohl, durch Krach kann er die Männer vielleicht in eine falsche Richtung locken. So hebt Justin einen Stein auf und wirft ihn so kräftig er kann in die entgegengesetzte Richtung des Busches. Er schlägt laut auf einen Haufen alter Blechteile auf. Ein Mann auf dem Dach sagt: "Habt ihr das gehört?" Dann sind Schritte zu hören die sich der Seite des Gebäudes nähern, wo der Stein gelandet ist. Ein anderer Mann ruft: "Der Junge muß sich zwischen den Metallplatten verstecken!" Das ist genau der richtige Zeitpunkt für Justin um zu dem Busch zu rennen. Sein Adrenalinspiegel steigt und pumpt alle Kraft in seine Beine um schnell laufen zu können. Doch sein Vorhaben wird jäh zunichte gemacht. Als er sich umdreht um loszurennen, steht plötzlich einer von Alexej´s Leuten vor ihm. Dieser sieht nur böse grinsend auf den Jungen und sagt: "Du kleine Mistkröte. Wie bist du blos aus dem Auto gekommen?" Dann greift der Mann blitzschnell nach Justins linkem Ohr und dreht es herum. Der Junge schreit vor Schmerz auf und versucht die Hand des Mannes von seinem Ohr zu bekommen. Dieser zieht aber nur noch derber daran. So bringt er den jammernden Jungen zurück zu Alexej. Als beide vor ihm stehen, läßt der Mann endlich los und Justin reibt sich sein Ohr. Es tut höllisch weh und ist ganz rot. Eine Träne kullert ihm über die Wange. Alexej lehnt mit seinem Rücken an einem Tisch, die Arme vor seinem Körper verschränkt und in seinem Hosenbund steckt eine Pistole. Der Mann mit der Narbe auf der linken Gesichtsseite flöst Justin Angst ein. "Diese Kinder von heute, haben einfach keine Angst mehr." sagt Alexej spöttisch, aber Justin kontert mutig. "Ich bin kein Kind mehr." Wieder lacht der Mann, auch die anderen Männer in der Halle lachen. "Oh nein, mit 10 ist man ja schon so erwachsen."
"Mein Vater und mein Onkel, sie werden mich finden und dann kommt ihr in den Knast." Solche Worte aus dem Mund eines 10jährigen klingen ungewöhnlich und so nimmt sie Alexej auch nicht ernst. Lächelnd sieht er zu ihm, dieser reibt sich noch immer sein Ohr, aber ansonsten beweist er Mut. "Dein Vater wird brav das tun, was ich ihm sage, ansonsten bekommt er dich Stückchenweise zurück. Klar? Und um deinen Onkel brauchen wir uns ebenfalls keine Sorgen machen, der ist schon längst auf dem Weg ins Paradies." Dies trifft Justin sehr. Sein Onkel ist Tod und das nur wegen ihm. Schuld am Tod eines lieben Menschen zu sein, das läßt das kleine Herz von Justin zusammenkrampfen und es tut so weh.
Alexej schaut auf seine Uhr, es ist kurz nach 19 Uhr. Eigentlich wollte er sich schon längst bei Evans gemelden haben und seine Bedingungen durchgeben, aber dieser kleine Junge hatte ihm einen Strich durch den Plan gemacht. Der Drogendealer beugte sich zu dem Jungen hinunter, stütze seine Hände auf seine Oberschenkel und sagt: "Wir rufen jetzt deinen Daddy an und du wirst ihm sagen, dass es dir gut geht. Mehr nicht. Hast du verstanden?" Justin nickt. "Und damit ich mir 100%ig sicher sein kann dass du wirklich verstanden hast, wird dir Kevin zeigen wo du die nächste Zeit verbringst wenn du nicht das tust, was ich sage." Alexej sieht den Mann der neben dem Jungen steht an. Dieser faßt ihn derb ins Genick und bringt ihn in eine Ecke des Gebäudes. Ihm folgt ein zweiter Mann. Vor einem großen runden Gully bleiben sie stehen und der andere Mann hieft mit Hilfe einer Eisenstange die schwere Abdeckung beiseite. Dieser Kevin faßt Justin noch derber ins Genick und bringt ihn bis zum Rand, damit dieser hineinsehen kann. Das Loch ist so groß, dass Evans Sohn ohne weiteres hineinpaßt. Das etwa 2 Meter tiefe fast schwarze Loch verängstigt Justin. "Da unten gibt es Ratten, die sind so groß wie Meerschweine. Die freuen sich über alles, was sie anknabbern können." flüstert Kevin dem Jungen ins Ohr. Dann bringt er ihn zurück zu Alexej. Der andere Mann bleibt aber am Gully stehen und läßt ihn auch offen. Justin steht leichenblass vor Alexej, dieser sieht lächelnd auf den Jungen. Nun weiß er mit Sicherheit, dass der Junge nur noch das tun wird, was er von ihm verlangt. Hin und wieder ist Alexej gezwungen dem ein oder anderen Kind mit dem Kanalschacht eine heiden Angst einzujagen, aber bis jetzt war er noch nie so weit gegangen. Der Anführer dreht sich zu dem Tisch, holt von dort ein Handy auf dem so ein komisches Teil steckt und wählt eine Nummer.

Chris und Janine warten schon seit 15 Minuten auf den Anruf. Sie sitzen auf dem Sofa, starren auf das Telefon das auf dem Tisch vor ihnen liegt und fragen sich: Warum melden sich die Entführer nicht? Ist mit ihrem Sohn etwas passiert. Ihre Anspannung steigt ins unermeßliche. Hätten sie auch nur im entferntesten geahnt was ihr Sohn bis zu diesem Zeitpunkt bereits durchmachen mußte, dann wären sie verrückt geworden. Endlich, das erlösende Klingeln. Janine ist wie erstarrt, sie ist nicht in der Lage nach dem Hörer zu greifen. Auch ihr Mann zögert, aber einer muß mit den Entführern reden. So greift Chris mit zitternden Händen nach dem Handy und meldet sich: "Wie geht es unserem Sohn?" Als der Entführer antwortet, schaltet Chris auf laut und so kann Janine mithören. Eine verzerrte Computerstimme meldet sich: "Justin geht es gut und damit es so bleibt sage ich noch einmal, keine Polizei. Falls ich mitbekomme dass sie die Bullen einschalten, werden sie bereits 1 Stunde später die rechte Hand ihres Sohnes per Post zugeschickt bekommen." Janine stöhnt erschrocken auf, hält sich ihre Hände vor den Mund und schon wieder laufen ihr Tränen übers Gesicht. "Wir werden alles machen was sie verlangen, aber bitte, tun sie unserem Sohn nichts." bettelt Chris. Seine Stimme zittert dabei. "Dann wäre das also geklärt und nun zu meinen Bedingungen . . . Ich rufe in 4 Tagen wieder an. Bis dahin sollten sie 15 Millionen in kleinen, nicht fortlaufend nummerierten Scheinen bereit liegen haben. Wenn ich sie anrufe erfahren sie auch, wohin sie das Geld bringen sollen. Alles verstanden?" "Ja, ja. Sie bekommen ihr Geld. Aber bitte, lassen sie mich kurz mit Justin reden." Es knackt in der Leitung, obwohl die Verbindung noch steht. Voller Angst sieht Chris zu seiner Frau. Sie starrt vor sich hin, scheint nichts mehr mitzubekommen. Jetzt hören sie die Stimme von Justin: "Daddy, Mam, mir geht es gut. Macht euch keine Sorgen." Sofort ruft Chris aufgeregt in den Hörer: "Justin, haben die Männer dir was getan?" aber schon ist wieder die Computerstimme zu hören: "Wie sie hören, ihrem Sohn geht es gut. Ich melde mich in 4 Tagen." Damit wird die Verbindung abgebrochen. Janine heult und Chris nimmt sie tröstend in die Arme.

Alexej sieht zu Justin und lobt ihn: "Das hast du fein gemacht." Dann sieht der Mann zu Kevin und befielt ihm: "Bring den Jungen zu den anderen." Dieser schuppst das Kind nach rechts und folgt ihm wortlos. Vor einer Tür bleiben sie stehen und der Mann schiebt einen Eisenriegel beiseite. Quitschend öffnet sich die massive Tür und Justin kann in einen Raum sehen in dem sich noch mehr Kinder befinden. Alle im Alter zwischen 5 und 10 Jahren. Kevin stößt den Jungen hinein und verschließt die Tür. Sieben ängstliche Kinder schauen Justin an. Auf dem Boden liegen zahlreiche schmutzige Matratzen auf denen sie sitzen oder liegen. Die Fenster sind mit weißer Farbe bemalt und davor sind Gitter angebracht. So kann keins der Kinder nach draußen sehen oder fliehen. Justin´s Ohr brennt noch immer und auch sein Herz rast nach wie vor. Auf einer Matratze sitzen 2 Kinder und halten sich gegenseitig fest. Es sind Lukas und Antonia. Das Mädchen hält ihre Puppe ganz fest und schaut fragend zu dem neuen Kind.

Schon vor dem Anruf der Entführer hatte Janine ihre kleine Tochter ins Bett gebracht. Sie hatte versucht wie immer zu sein, aber Rebecca spürte irgendwie, dass etwas anders war. Sie fragte heute auffallend oft nach ihrem Bruder. Janine hatte versucht ihre Tränen zurückzuhalten, was ihr nur schwer gelang. Immer wenn sie etwas sah, was sie an Justin erinnerte, hätte sie losheulen können. Endlich schlief die Kleine.
Chris hatte Pohl gesagt, dass er Feierabend machen könne, er brauche ihn heute nicht mehr. Er solle aber Morgenfrüh um 9 wieder hier sein. Justin´s Eltern hatten sich dazu entschieden, Rebecca für die nächsten paar Tage zur Oma zu bringen.
Schon seit 30 Minuten hängt Chris nur am Telefon. Er versucht seinen Börsenmakler zu erreichen. Dieser ist etwas überrascht, dass Evans so plötzlich 15 Millionen braucht und so fragt er ihn, ob alles in Ordnung sei. Was sein Klient bejaht, aber er glaubt ihm nicht so richtig. Aber das geht ihn nichts an. So verspricht er dem Herrn Evans eine Rechnung aufzustellen, was seine ganzen Aktien und Anleihen bringen. Aber er muß mit hohen Verlusten rechnen, denn der Markt ist z. Zt. ziemlich instabil, bedingt durch die Wirtschaftskrise.

Die Männer von Alexej spielen Karten, trinken Bier und grölen rum wenn jemand von ihnen unverhofft gewinnt. Er selbst steht am Eingangstor zur Fliegerhalle, raucht eine Zigarette und läßt den Tag Revue passieren, dabei beobachtet er die wunderschöne Abenddämmerung. Die Sonne verschwindet so langsam hinter den Hochhäusern der Großstadt, die ein ganzes Stück weg ist. Dabei spiegeln sich die letzten Strahlen in den großen Fensterscheiben der riesigen Bauten aus Stahl und Beton. Vereinzelt brennen schon Lichter in den Wohnungen. So langsam kommt die Stadt zur Ruhe. Eine Amsel sitzt irgendwo und ihr Abendlied ist zu hören. Ihr lauter, aber trotzdem melodischer Ruf läßt sogar die Stimmen der kartenspielender Männer in den Hintergrund rücken. Alexej ist im großen und ganzen recht zufrieden wie der Tag verlaufen ist. Gut, es gab das ein oder andere kleine Problem, aber schließlich hatten sie den Jungen und nur das zählte. Bei der Entführung hatte es auf beiden Seiten Verluste geben. Patrick war getötet worden, aber auch sein Mörder hatte den Tag nicht überlebt. Das befriedigte Alexej etwas.
In Gedanken verloren, aber nie richtig abschaltend, sieht der Mann am Tor, wie ein Auto die kleine Landstraße entlang fährt. Der Fahrer hat bereits das Licht eingeschalten. Seine Männer sind alle da und Alexej erwartet auch keine Käufer für seine Drogen. Vielleicht hat sich der Kerl bloß verfahren, dass kommt hin und wieder vor. Doch dann schaltet sich das Funkgerät ein, was Alexej in seiner Hosentasche ständig bei sich trägt. Ein Mann vom Tor meldet sich: "Alexej, Pohl ist hier. Er will unbedingt mit dir reden." Was will der Kerl hier? fragt sich Alexej. Er wird noch alles auffliegen lassen. Etwas verärgert antwortet er seinem Mann: "Dann lass ihn rein." Kurz darauf fährt der Lincoln vor die Fliegerhalle und Pohl steigt aus. Aus irgendeinem Grund ist er aufgebracht.
"Was willst du hier?" fragt Alexej den unerwünschten Gast.
"Ich muss unbedingt mit euch reden!"
"Warum?"
"Weil ihr mich angelogen habt. Ihr hattet mir versprochen, dass niemand zu Schaden kommt und jetzt hat ein Mann von euch diesen Freund von Evans angeschossen."
"Ich habe von meinen Leuten gehört, dass er Tod ist." fragt Alexej etwas verwundert nach und schaut dabei zu den Männern die am Tisch sitzen. Diese hatten sofort nach dem Erscheinen von dem Chauffeur von Evans ihr Spiel unterbrochen.
Kevin steht erbost auf. "Der Kerl ist Tod. Als wir ihn in den Kofferraum seines Wagens geschmissen haben, war er schon halb auf dem Weg in den Himmel. Wir haben ihn und den Wagen so gut versteckt, dass er verblutet ist."
"Nein, ist er nicht. Wir haben ihn noch rechtzeitig gefunden."
"Wie?" will Kevin wissen.
"Als Evans erfahren hat, dass sein Sohn entführt wurde, wollten wir schon wieder nach Hause fahren. Aber aus irgendeinem Grund hat er seinen Freund angerufen, weil der spurlos verschwunden war und da haben wir das Handy von ihm gehört. Es befand sich in dem Mustang und so sind wir dem Ton gefolgt."
"Shit, dieses verdammte Handy habe ich übersehen." ärgert sich Kevin über seinen eigenen Fehler. Er zieht seine Glock 20 aus dem Hosenbund und fragt Pohl: "Wo ist der Kerl jetzt? Ich bereinige den Fehler noch Heute. Er hat unsere Gesichter gesehen."
"Ich weiß es nicht. Evans hat einen Bekannten angerufen der Arzt ist und der hat diesen Tayler irgendwohin gebracht."
"Schluss, es reicht! Haltet beide endlich eure Klappen!" schreit Alexej, dessen Gesicht ist vor Wut blutunterlaufen. Dann wendet er sich an Pohl. "Was zum Teufel willst du hier?"
Der Chauffeur begreift nicht in was für einer gefährlichen Situation er sich befindet und redet weiter: "So war das nicht geplant. Niemand sollte verletzt werden. Ich steige aus der Sache aus. Ich will die 3 Millionen nicht mehr."
"Du willst aussteigen?" fragt Alexej, aber wie er das fragt, dies hinterläßt einen eiskalten Schauer auf Pohls Körper.
Doch er bleibt mutig bei seiner Entscheidung. "Ja, ich steige aus. Aber ihr braucht keine Angst zu haben. Ich werde niemanden von euch erzählen."
Alexej lächelt und sagt: "Puh, da bin ich aber beruhigt. Wie kann ich dir dafür danken?" Dabei legt er seine rechte Hand erleichtert auf sein Herz. Pohl kommt sich von diesem Mann irgendwie verarscht vor und er spürt in derselben Sekunde, dass seine Idee hierherzukommen gar nicht gut war.
"Gut, du verzichtest auf die 3 Millionen. Aber für deinen Aufwand möchte ich dich trotzdem entschädigen. Was hälst du von 20?" will Alexej wissen.
"Was 20?" fragt Pohl. Er versteht nicht, was der Mann meint.
Freundschaftlich legt Alexej seine linke Hand auf die rechte Schulter des Chauffeurs. Dann sieht er lachend zu seine Männer und fragt sie: "Was denkt ihr, ist seine Hilfe für uns 20 oder 9 Wert?" Da seine Männer unterschiedlicher Meinung sind, wendet sich Alexej wieder an Pohl. "Was ist dir lieber, 20 oder 9?" Da dieser Mann nur mit großem Geld umgeht, sagt Pohl 20 und hofft, dass Alexej ihm für seine Mühe und Verschwiegenheit 20.000 Euro gibt. Doch damit liegt er völlig daneben. Denn plötzlich greift der Drogendealer hinter seinen Rücken und zieht ein Survival-Messer mit einer Klingenlänge von 20 cm aus einer Halterung am Gürtel und rammt das Messer mit voller Wucht in Pohl´s Bauch. Die gezackte Klinge bohrt sich ohne große Schwierigkeiten in den Leib das Chauffeurs. Dieser reißt entsetzt seine Augen auf. Er ist so überrascht, dass er nicht einmal schreien kann. Aber Alexej gibt sich damit nicht zufrieden. Er dreht das Messer in der Wunde herum, dann drückt er es mit aller Kraft nach oben und schlitzt Pohl den Bauch auf. Dieser spürt einen brennenen Schmerz der wie ein Blitz durch seinen Körper schießt und sein Herz zum rasen bringt. Doch seine Arterien und Venen können es nicht mehr mit dem notwendigen Blut versorgen, da es aus der gut 10 cm langen Wunde kommt. Alexej hat ihm mit der scharfen Klinge Darm, Magen und Leber zerstört. Pohls Augen werden starr und seine Gesichtsfarbe ändert sich. Seine Beine können seinen Körper nicht mehr tragen und er geht langsam zu Boden. Dabei hält ihn Alexej noch immer fest. Die linke Hand in Pohls Genick und seine Rechte krampfhaft den Messergriff umfassend. Der Mann in seinen Armen röchelt nur noch als er ihn endlich auf der Erde ablegt und zusieht, wie er verblutet. Blut schießt aus Pohls Mund und er bekommt keine Luft mehr. Dabei drückt er seine beiden Hände auf seinen Bauch. Die rote Flüssigkeit des Lebens kommt unaufhörlich aus der klaffenden Verletzung und nach einigen Sekunden ist Pohl Tod. Grinsend bückt sich Alexej und zieht das Messer mit einem Ruck aus der Wunde, wischt das Blut an dem Hemd des Chauffeurs ab und steckt es wieder in die Lederscheide die er am Rücken seines Gürtels trägt. Keiner von seinen Männer ist entsetzt über das was sie soeben gesehen haben. Alle kennen Alexej schon seit Jahren und sie kennen seine Methoden. Hätte sich Pohl für die 9 entschieden, dann hätte Alexej ihn mit seiner 9 mm Tula-Tokarew erschossen.
"Sascha, du übernimmst ab Morgen die Stelle des Chauffeurs. Sag den Evans, dass Pohl plötzlich erkrankt ist und du seine Vertretung bist. Dich kennen sie noch nicht und dich kennt auch dieser Tayler nicht. Vielleicht bekommst du heraus, wo der ist. Wenn er ausgeschalten ist, dann gibt es niemanden mehr der uns identifizieren kann. Außer diese Bälger und die haben Angst."

16.

Es ist nach Mitternacht. Die Stadt liegt in tiefem Schlaf, nur selten durchbricht ein Auto die nächtliche Stille. Die meisten Bewohner müssen Morgen auf Arbeit und schlafen bereits. Nur 2 Menschen finden die erholsame Auszeit für Körper und Geist nicht. Sie drehen und wälzen sich in ihrem Bett herum. Schließlich steht einer von ihnen ganz leise auf, um den Partner nicht zu wecken und verläßt das Schlafzimmer. Chris schließt fast geräuschlos die Tür und geht in die untere Etage. Er kann einfach nicht schlafen. Immer wieder macht er sich Vorwürfe, dass er seinem Sohn nicht helfen konnte. Er hat auch Gewissensbisse gegenüber Maik. Hätte er ihn nicht gebeten mit Justin vorzufahren, dann würde er jetzt nicht angeschossen in der Klinik liegen und um sein Leben kämpfen. Hätte Chris einfach zu seinen Sohn gesagt, dass er einen wichtigenTermin hat und sie den Vater-Sohn-Tag auf den nächsten Tag verschieben, dann wäre vielleicht alles anders gekommen. Vielleicht ! Denn die Entführung von Justin schien keine Hauruck-Aktion gewesen zu sein, sondern ein gut geplantes Kidnapping. Hätten sie ihn nicht heute entführt, dann vielleicht Morgen oder Übermorgen. Die Gedanken überschlagen sich im Kopf vom Chris. Und noch eins beschäftigt den Geschäftsführer von repair station: Woher wußten die Kerle von der Badestelle und wann sie dort sein werden? Es muß ihnen jemand einen Tipp gegeben haben, aber wer? Einige aus seinem engsten Bekanntenkreis wußten von der Stelle und dass er heute mit Justin dorthin fahren wollte. Seine Sekretärin. Tom, mit dem er hin und wieder ein Bier trank. Thomas, sein Stellvertreter und natürlich Pohl. Keinen von ihnen würde er zutrauen an der Entführung seines Sohnes, wie auch immer, beteiligt zu sein. Aber woher sonst wußten die Kerle von eben genau dieser Stelle? Chris gießt sich einen 3-fachen Jack Daniels Whisky ein, setzt sich aufs Sofa und schaltet den Fernseher an. Vielleicht bringt ihn das auf andere Gedanken.
Janine hat ebenfalls bis jetzt kein Auge zugemacht. Sie hatte gespürt, dass auch ihr Mann schon seit Stunden schlaflos auf der Seite seines Bettes lag. Sich immer wieder hin und her wälzend, war er schließlich vor einiger Zeit aufgestanden und hatte das Schlafzimmer verlassen.
Seine Frau liegt auf der Seite und schaut aus dem Schlafzimmerfenster. Ein fast voller Mond leuchtet hell am Nachthimmel, so hell, dass man keine Sterne sehen kann. Der Wind weht sachte durch die Blätter der Bäume und läßt diese leise Rauschen. Es klingt wie das sanfte Rauschen des Meeres. Bei diesen Gedanken drängt sich der letzte Urlaub in Janine´s Unterbewußtsein. Sie sieht ihren Sohn, wie er auf den Malediven im Meer herumtollt. Sich immer wieder ins Wasser fallen läßt oder versucht zu schnorcheln. Dabei kommt er mit dem obersten Teil des Schnorchels hin und wieder zu tief ins Wasser, so daß er Wasser schluckt. Aber er gibt nicht auf, versucht es immer und immer wieder. Ein richtiger Kämpfer ist Justin. Hoffentlich hilft ihm dies auch, über die schreckliche Zeit seiner Entführung hinweg zu kommen. Janine dreht sich auf den Bauch, zieht sich das Kopfkissen unter ihren Kopf und heult fast lautlos hinein. Sie weint fürchterlich und ihr gesamter Körper bebt bei jedem Atemzug den sie macht.
Von alledem nichts ahnend, sitzt Chris im Wohnzimmer auf dem Sofa. Er hat sich bereits den 3 Whisky eingegossen und schaut sich eine aufgenommene DVD an, Weihnachten im letzten Jahr. Da hatte Justin seine lange gewünschten Carrera-Bahn bekommen. Sein Sohn und er, beide hatten fast das ganze Weihnachten mit der Bahn gespielt. Schon lange nicht mehr war er mit Justin so ausgelassen. Wenn sie ihn zurück haben, dann will Chris arbeitsmäßig definitiv kürzer treten. Wozu hat er einen Stellvertreter. Thomas ist ein guter Mitarbeiter und durchaus fähig, das Unternehmen als zweiter Chef zu führen. So hätte Chris mehr Zeit für seine Familie.
Wieder steht er auf, diesmal aber ohne Glas. Er geht zur Bar und holt sich die ganze Flasche. Vielleicht
kann er seine Gedanken in Alkohol ertränken und so wenigstens für paar Stunden Schlaf finden. Nachdem er neu eingegossen hat, sieht er wieder in den Fernseher. Sein Sohn lacht gerade herzhaft als das Auto seines Vaters aus der Carrera-Bahn fliegt und Justin gewinnt. Chris treibt es Tränen in die Augen. Wie wird es seinem Sohn gehen? Wird er ebenfalls keinen Schlaf finden? Werden die Männer ihm genug zu Essen und Trinken geben? Chris trinkt sein Glas mit einem Zug aus und gießt erneut ein. Dabei sieht er auf der DVD wie Justin soeben versucht, seiner kleinen Schwester den Umgang mit den Joystick beizubringen. Sie ist dafür aber noch viel zu klein. Ein kurzes Lächeln huscht über das Gesicht des Vaters.

Außer Rebecca findet in dieser Nacht, in diesem Haus, keiner den ersehnten und krafttankenden Schlaf. Aber Kraft werden Janine und Chris für die nächten 4 Tage brauchen, körperlich wie seelisch.


17.

So langsam erwacht die Stadt aus ihrem Schlaf. In immer mehr Fenstern kann man künstliches Licht sehen. Die einzigsten die um diese frühe Zeit bereits hellwach sind, sind die Singvögel. Sie übertreffen sich gegenseitig mit ihrem Gesang. Doch kaum ein Mensch achtet auf diese kleinen Künstler. Unscheinbar sitzen sie auf Häusern oder in Bäumen und bringen ihr ganzen Können zu Gehör. Die Menschheit ist einfach zu sehr mit sich und ihren Problemen beschäftigt, um auf die kleinen schönen Dinge des Lebens zu achten und sie bewußt zu genießen. Amsel, Zaunkönig und Rotkehlchen begrüßen den Tag mit ihren Liedern. Sie scheinen zu wissen, dass es auch Heute ein wunderschöner sonniger Tag werden wird. Die Sonne geht am Firmament auf. Die wenigen Wolken die am Himmel zu sehen sind, werden in leuchtendes Rot und Orange getaucht. Es ist ein wunderschönen Sonnenaufgang, doch nur wenige in der Stadt erkennen dies. Die Nacht war ziemlich kühl und überall auf den Wiesen und den Bäumen kann man den morgendlichen Tau sehen. Spinnennetze funkeln wie kleine Kunstwerke in der aufgehenden Sonne. Die Tropfen des Taus sehen auf den hauchdünnen Fäden wie kleine Diamanten aus. Über den Wiesen liegt ein Mantel aus Morgennebel, fast wie ein unsichtbarer Schleier hüllt er die zarten Halme ein.
Eine Amsel sitzt auf einem kleinen dünnen Ast eines Busches und begrüßt den Tag mit ihrem ganz persönlichen Lied. Der leichte Wind läßt den Ast fast zärtlich hin und her schwingen und spielt mit dem Gefieder des Sängers. Der melodiöse Gesang ist weithin zu hören. Bereits seit einigen Minuten zwitschert der Vogel. Doch ein plötzlicher lauter Knall läßt ihn aufschrecken und davonfliegen. Der Ast auf dem er noch vor paar Sekunden gesessen hatte, bricht ab und fällt fast lautlos zu Boden. Die Stimme eines Mannes ist zu hören: "Was ist los? Warum hast du geschossen?" Ein anderer antwortet ihm: "Das Mistvieh geht mir schon seit paar Tagen auf die Nerven. Ständig kurz nach 4 fängt er an und hört nicht wieder auf." Der Mann der geschossen hatte, befindet sich in einem kleinen Wachhäuschen am Tor eines alten Flugplatzen. Er regelt sich Müde auf dem Stuhl auf dem er schon seit Stunden sitzt. Seine Knochen und Gelenke sind steif von der unbequemen Haltung.
Schon wieder hatte ihn Alexej zur Nachtwache eingeteilt. Er würde viel lieber mal eine gemütliche Nacht in einem warmen Bett verbringen. Stattdessen mußte er Wache schieben und sich bei den kühlen nächstlichen Temperaturen den Arsch abfrieren. Klar konnte er mit Alexej reden, doch das war gleichzusetzen mit russisches Roulette. Niemand konnte vorhersagen wie dieser Mann reagiert. Er war einfach eine tickende Zeitbombe die jederzeit hochgehen konnte.

Justin hatte in dieser Nacht kaum geschlafen. Er konnte nicht nur wegen seiner Entführung kein Auge zumachen, sondern auch, weil die Matratzen, die auf dem Boden lagen, ziemlich unbequem waren. Außerdem hatte des Nachts immer mal wieder eins der Kinder im Schlaf laut geschrien.
Durch einen Schuss war Justin aus seinem Halbschlaf geschreckt und lauschte nun, was draußen passiert. Vielleicht hatte sein Vater doch die Polizei eingeschalten und die stürmten nun das Gebäude. Das Herz des Jungen schlägt schneller. Aber alles bleibt ruhig. Keine weiteren Schüsse oder Polizeisirenen sind zu hören. Plötzlich hämmert jemand an die Eisentür und brüllt: "Los aufstehen! Ihr habt lange genug geschlafen! In 40 Minuten seit ihr fertig!" Die Kinder die schon länger hier sind und geschlafen hatten, schrecken aus ihren unruhigen Träumen. Einige von den Kleineren fangen an zu heulen. Unter ihnen auch Antonia. Lukas nimmt sie sofort in seine Arme und sagt leise zu ihr: "Du mußt nicht weinen. Du wirst sehen, schon bald bist du wieder bei deinen Eltern." Durch diese tröstenden Worte beruhigt sie sich. 3 von den älteren Kindern stehen müde auf und gehen in einen anderen Raum. Dieser war Justin gestern gar nicht aufgefallen. So steht er auf und folgt den Kindern. Vorsichtig öffnet er die Tür. Der angrenzende Raum ist ziemlich klein, nur ein kleines Fenster, fast unter dem Dach, erhellt ihn etwas. 3 schmutzige Waschbecken hängen an der Wand, darin waschen sich die Kinder notdürftig. Gegenüber von den Wachbecken befinden sich 2 Klos. Sie sind von Holzwänden umgeben wie in den öffentlichen WC´s der Einkaufscentern. In dem Raum stinkt es fürchterlich. Überall auf dem Boden liegen alte Zeitungen und anderer Unrat. Wann hier das letzte Mal saubergemacht wurden war, konnte man nur schätzen. Doch der ganze Müll stammte nicht von den Kindern, der mußte schon vorher dagewesen sein. Justin wagt einen Blick in die Klos und ihm wird fast schlecht. Sie sind schmutzig und mit Urinstein versetzt. Wie kann man hier nur sein Geschäft verrichten. Dem Jungen läuft eine Träne übers Gesicht. Er sehnt sich so sehr nach seinem zu Hause, nach Mutter und Vater und auch nach seiner kleinen Schwester. Auch wenn sie hin und wieder nervt und viel kaputt macht, doch so sehr wie heute hat er sie noch nie vermißt.
Zur selben Zeit schrickt Rebecca aus ihrem Schlaf und sie fängt an zu heulen. Es ist wie ein unsichtbares Band was Bruder und Schwester verbindet, fast wie bei eineiigen Zwillingen. Die Kleine scheint zu spüren, dass ihr Bruder gerade an sie denkt und dass es ihm nicht gut geht. Müde sieht die Mutter der beiden auf den Wecker der neben ihr auf dem Nachttischschrank steht. Es ist 4.30 Uhr. So früh war Rebecca noch nie wach, denkt sie sich. Sie steht erschöpft auf. Die Nacht war die Hölle gewesen. Wenn es hoch kam, hatte sie vielleicht 2 Stunden geschlafen, so fühlt sie sich auch. Aber sie muß stark sein, stark für ihren Mann und ihre Tochter. Gezeichnet von einer schlaflosen Nacht, geht Janine in das Zimmer ihrer Tochter. Diese liegt in ihrem rosa Kinderbettchen und schreit. "Was ist denn meine Kleine?" fragt Janine sie lieb. Doch ihre Tochter scheint sich nicht beruhigen zu können. So nimmt Janine sie aus dem Bett und wiegt sie tröstend in ihren Armen, dabei singt sie leise ein Schlaflied. Nur schwer kann sie Rebecca beruhigen. Aber nach 5 Minuten kann der kleine zarter Körper nicht mehr. Er ist am Ende seiner Kraft. Ihr Heulen geht in Schluchzen über. Dabei nuckelt sie an ihrem Daumen und sieht ihre Mutter aus roten verheulten Augen an. Langsam fangen ihre Augen an Müde zu werden und Rebecca macht sie immer länger zu. Mit der Vorsichtigkeit wie sie nur eine Mutter haben kann, legt Janine ihre kleine Tochter zurück in ihr Bettchen. Sie deckt sie ganz sachte mit der Zudecke zu, dabei schluchzt die Kleine noch einmal so sehr, dass ihr ganzer Körper zittert. Lautlos verläßt Janine das Zimmer. Bevor sie die Tür anlehnt, sieht sie noch einmal zu ihrer Tochter. So wie heute hat sie noch nie geschrien. Ahnt sie vielleicht, dass ihr Bruder in Gefahr ist. Bei diesen Gedanken merkt Janine, wie auch in ihr Tränen aufsteigen. Noch schlimmer wird es, als sie die Zimmertür ihres Sohnes sieht. Sie glaubt ihren Sohn im Schlaf atmen zu hören. Ihr wird bei diesem Gedanken ganz kalt und sie fängt an zu zittern. Sie schließt ihren Morgenmantel den sie sich nur schnell übergezogen hatte. Wie von einer unsichtbaren Hand angezogen, geht sie zum Zimmer ihres Sonnes. Sie sieht hinein, sieht das leere Bett und ihr Mutterherz krampft zusammen. Eine Träne rollt ihr über die Wange. Auf dem Boden in einer Ecke liegen die Spielsachen von Justin mit denen er am Vortag gespielt hatte. Er liebte die Plastikfiguren von Superman, Hulk, Batman und Co. Immer wieder ließ er sie gegeneinander kämpfen und konnte so stundenlang spielen. Gestern hatte er sich aus Kartons und Büchern eine Art Burg gebaut. Janine hatte ihn bis in die Küchen spielen gehört. Doch plötzlich rief er böse: "Mam, Rebecca macht schon wieder alles kaputt!" Sie war sofort nach oben gegangen und beide Kinder im Zimmer ihres Sohnes angetroffen. Rebecca saß auf dem Fußboden, hatte die Spielfigur von Spiderman in der Hand und zeigte sie mit einem Lächeln ihrer Mutter. "Nicht Becca ihre Figur." sagte sie. Als Janine diese Szene vor sich sich, muß sie noch mehr heulen. Sie wischt sich mit ihrer rechten Hand die Tränen aus dem Gesicht. Sie hat alles um sich herum vergessen, ist in Gedanken in das Gestern zurückgekehrt. Nun sieht sie sich, wie sie sich zu ihrer Tochter hinunterbückt und ihr sagt: "Ja, das ist nicht Rebecca ihr Spielzeug, sondern das gehört Justin. Sei lieb und gib es ihm zurück." Die Kleine lächelt, sieht zu ihrem Bruder und hält ihm die Figur hin: "Da. Ditte." Ohne ein Danke nimmt Justin die Figur und spielt weiter. In diesem Moment konnte Janine ahnen, dass ihr Sohn lieber weiterhin Einzelkind geblieben wäre, aber sie wußte auch, ganz tief in ihrem Jungen drinnen, liebte er seine kleine Schwester doch. Der Wecker von Justin läßt sie aus ihren Gedanken schrecken. Es ist genau 5 Uhr. Sie geht schnell zum Nachttischschrank und macht ihn aus, damit Rebecca nicht wieder wach wird. Sie lauscht, doch alles bleibt still. Jetzt hört sie erst, dass im Wohnzimmer der Fernseher läuft. Chris muß unten sein. Janine wischt sich ihre Tränen ab und geht leise in die untere Etage. Ihr Mann liegt auf dem Sofa und schläft, eine halbvolle Flasche Whisky und ein leeres Glas stehen auf dem Tisch. Im Fernsehen läuft noch immer die Weihnachts-DVD. Janine macht sie aus, gibt ihrem Mann einen zärtlichen Kuss und deckt ihn mit einer Wolldecke zu. Dann geht sie wieder nach oben.

Die Metalltür zu Justins Gefängnis wird geöffnet und ein Mann taucht auf. Er hat eine Mini Uzi in der Hand, sagt: "Los, raus mit euch." Die Kinder verlassen diesen Teil der Fliegerhalle. Draußen werden sie von Alexej Männern in Empfang genommen. In dem großen Gebäude parken 2 Autos. Ein dunkelblauer VW Transporter und wieder dieser grüne Caddy mit dem sie Evans Sohn hierhergebracht hatten. Dieser Mann mit der Narbe ist auch dabei. Vor dem hat Justin etwas Angst. Auf dem Tisch liegen einige belegte und mit Frischhaltefolie verpackte Brötchen und 8 kleine Flaschen Mineralwasser. Die Kinder gehen sofort dorthin. Jedes nimmt sich eine Semmel, packt sie aus und ißt sie hungrig. Justin sieht sofort, dass sie mit Essen kurz gehalten werden. Er bleibt als einzigster stehen. Alexej sieht ihn an und fragt: "Was ist mit dir? Hast du keinen Hunger?"
"Doch, aber zum Frühstück esse ich immer Müsli."
Der Mann lacht. "Damit kann ich leider nicht dienen. Du mußt schon mit dem vorliebnehmen, was auf dem Tisch liegt oder du bleibst hungrig."
Doch Justin hat Hunger, so geht er zum Tisch und nimmt sich die letzte belegte Semmel. Er wickelt sie langsam aus, die Folie legt er zurück. Während er ißt sieht er einen Aufkleber, mit dem wurden die Enden fixiert: Guten Appetit wünscht ihnen ihre Ludolf-Tankstelle. Was für ein komischer Name, denkt sich Justin, aber gut schmecken tut die Semmel. Während die Kinder essen, unterhalten sich die Männer leise. Kaum haben die Jungen und Mädchen ihr karges Frühstück beendet, wendet sich Alexej an sie. "Eine bzw. Einer von euch wird uns heute verlassen. Und es wird sein . . . " Der Mann sieht jedes Kind für einige Sekunden an. Er genießt es in ihre ängstlichen aber auch erwartungsvollen Augen zu schauen. 7 der 8 Kinder werden enttäuscht sein, dass Alexej nicht ihren Namen nennt, denn jedes von ihnen will so schnell wie möglich zu den geliebten Eltern zurück. "Der Glückliche ist . . . Lukas." Kaum hat der Russe den Namen ausgesprochen, sieht Antonia erschrocken ihren neu gewonnen Freund an. *Nein, nicht er.* denkt sie sich. *Wer soll sie und ihre Puppe jetzt vor diesen bösen Männern beschützen?* Ihre Augen werden feucht. Lukas hingegen freut sich. Endlich darf er wieder nach Hause. Seine Eltern haben das Geld für ihn bezahlt und er darf gehen. Doch seine Freude wird in dem Moment getrübt, als er Antonia ansieht. Sie hat Tränen in den Augen und hält ihre Puppe ganz fest an sich gedrückt. Er versucht ein Lächeln aufzusetzen und sagt: "Du wirst sehen, bald darfst du auch gehen und dann besuche ich dich zu Hause."
"Wirklich?" fragt sie mit zitternder Stimme.
"Ja, versprochen. Aber jetzt mußt du mir auch noch was versprechen."
"Was denn?" fragt sie traurig darüber, dass er geht.
"Versprich mir, dass du nicht mehr weinen wirst und immer auf die Männer hörst."
"Aber sie machen mir und Babet doch so große Angst." sie sieht Lukas an, dabei kullert ihr eine Träne übers Gesicht und ihre Mundwinkel hängen traurig nach unten. Da sie weint, läuft ihr auch die Nase und sie zieht den Inhalt dieser immer wieder nach oben.
"Paß auf." sagt Lukas und faßt in seine Hosentasche. Er holt eine Figur aus einem Ü-Ei heraus. Es ist Rex Bell aus der neuen Reihe, die Großstadthunde. "Immer wenn du große Angst hast, dann nimmst du Rex, hälst ihn ganz fest und denkst an was schönes. Das hilft garantiert."
Wieder zieht Antonia den Inhalt ihrer Nase nach oben. "Echt?" will sie wissen.
"Ja. Das habe ich auch immer heimlich gemacht wenn ich Angst hatte und mir hat es geholfen." lügt Lukas das kleine Mädchen an. Zögerlich greift sie zu. Selbst Justin werden die Augen feucht als er das Gespräch der Zwei verfolgt.
"Ach, wie herzzerreißend." sagt Alexej spöttisch. Dann wendet er sich an einen seiner Männer. "Ed, schnapp dir endlich die restlichen Kinder und mach dich mit ihnen auf den Weg. Meine Kunden bezahlen nicht für leere tote Briefkästen."
Dieser Ed geht zu Antonia, zieht sie von Lukas weg und nimmt sie auf den Arm. Dann geht er mit ihr in Richtung des blauen Transporters. In der einen Hand hält sie ihre Puppe Babet und in der anderen den Hund, den sie von Lukas geschenkt bekommen hat. 2 weitere Männer bringen die anderen Kinden ebenfalls in Richtung des Autos. Diesmal fahren sämtliche Jungen und Mädchen mit. Doch plötzlich ruft Alexej: "Halt, wartet mal!." Alle bleiben stehen und sehen zu ihrem Boss. "Du nicht! Nach deiner Aktion von Gestern traue ich dir noch nicht so richtig!" sagt der Mann mit der Narbe und sieht Justin an. "Du wirst schön hier warten, bis die anderen zurück sind." Der Mann mit der Uzi, der auch die Kinder aus ihrem Gefängnis geholt hatte, geht zu Justin. Er faßt ihn derb an sein Shirt, bringt ihn zu der Eisentür und sperrt ihn wieder ein. Als alle Kinder in dem Transporter sind, steigen die 2 Männer dazu, schließen die Tür und Ed fährt los. Das Tor der Fliegerhalle ist jedoch verschlossen. So wird es immer gemacht, wenn die Kinder aus ihrem Gefängnis geholt werden. Der Fahrer hupt einmal und das Tor wird von außen geöffnet. Langsam verläßt das Fahrzeug den Hangar. Durch diese Sicherheitsmaßnahme will Alexej zum einen verhindern, falls die Kinder auf die Idee kommen sollen, plötzlich alle wegzulaufen, dass sie nicht bis nach draußen kommen und zum anderen. So konnte keins der Kinder sehen wo sich ihr Gefängnis befindet. Sich evtl. etwas markantes merken und es den Bullen sagen. Das gestrige unerfreuliche Ausbüxen des Evans Stammhalters bestätigte Alexej, dass er mit dieser Sicherheitsmaßnahme goldrichtig liegt.

18.

In einem romantischen Park mit vielen Bäumen sowie gepflegten Rasenflächen und ebensolchen Wegen, steht eine 3 geschossige Villa aus der Gründerzeit. Sie wurde aufwendig restauriert, das kann man schon auf den ersten Blick und auch als Laie sehen. Die ehemals kleinen Fenster wurden durch große Glasscheiben ersetzt, die der Sonne gestatten, ihre ganze Schönheit und Wärme den Bewohnern in den einzelnen Zimmern zu präsentieren. In der obersten Etage sind an einigen Wohneinheiten Balkons angebracht, ebenfalls aus Glas. Aber aus anderem als die Fensterscheiben, sie sind aus bruchfestem Sicherheitsglas. Vor der Villa stehen auf einer erst vor kurzem gemähten Rasenfläche zahlreiche Liegen. Schirme schützen die dort träumenden Menschen vor der Sonne. Doch um dieser frühe Tageszeit sind sie noch leer. Ganz in der Nähe plätschert ein künstlich angelegter See. Auch hier wurde nicht mit Geld gespart. Eine kleine Holzbrücke führt darüber. In dem Teich sprudelt eine Quelle und läßt die Sonnenstrahlen des frühen Tages in allen Regenbogenfarben leuchten. Teure Kois schwimmen in dem Wasser und sie genießen die wärmenden Strahlen der aufgehenden Sonne. Für Laien sehen diese Tiere wie übergroße Goldfische aus. Ihre Farbenvielfalt in diesem See ist atemberaubend und würde jedes Kennerherz höher schlagen lassen. Gemächlich schwimmen sie zwischen den Wasserpflanzen herum. Ihre Schuppen glänzen in der Sonne als wären sie aus Gold. Alles hier strahlt Ruhe und Frieden aus. Doch diese Ruhe wird plötzlich durch eine Sirene von einem Einsatzfahrzeug durchbrochen. Kurz darauf fährt ein Krankenwagen vor der Villa vor und hält. Der Fahrer hatte den durchdringenden Ton abgestellt um die Bewohner dieser Prunkvilla nicht zu wecken, denn es war erst 6 Uhr. Sofort kommen 4 Frauen aus dem Haus gerannt. Alle tragen weiße Kittel, die typische Arbeitskleidung für Krankenschwestern. In der Zeit ist der Fahrer des Rettungsfahrzeuges ausgestiegen und nach hinten gegangen. Er öffnet die beiden großen Flügeltüren des Autos und hilft einem 2. Mann, der im hinteren Teil gesessen hat, eine Trage herauszuziehen. Darauf liegt ein älterer Mann, angeschlossen an verschiedene Maschinen. Sofort gibt der Rettungsassistent einen Kurzbericht über den Gesundheitszustand des Mannes an die Krankenschwestern weiter. Diese begleiten die Trage, die jetzt auf Rollen steht, in Richtung Eingang.
Von alledem nichts mitbekommend, liegt ein jüngerer Mann in einem von Sonnenlicht durchfluteten Zimmer. Er hat eins von den für Krankenhäuser charakterisches Hemdchen an, was hinten offen ist. Auch hier, in diesem doch eher nobleren Krankenhaus ist dieses Kleidungsstück für alle diejenigen, die völlig unerwartet eingeliefert werden. Der Patient atmet ruhig und gleichmäßig. Er scheint fest zu schlafen. Eine Venenverweilkanüle steckt in dessen rechten Handrücken, fixiert mit Heftpflaster um ein herausrutschen zu verhindern. Von dort geht ein dünner durchsichtiger Schlauch nach oben zu einem Gestell wo eine Infusionsflasche mit einer isotonischen Kochsalzlösung hängt. Diese versorgt den Patienten mit der nötigen Flüssigkeit bzw. Nahrung. Obwohl dieses Zimmer eindeutig ein Krankenzimmer ist, erinnert die Einrichtung nicht daran. Denn die Wände sind in beruhigendem Beige gestrichen und Bilder von herrlichen Landschaften hängen daran. Selbst das verstellbare Bett erinnert nicht an das so ungeliebte Krankenhaus, denn es ist mit gelber Bettwäsche bezogen und riecht herrlich frisch. Doch alles dies bekommt der Mann der hier liegt, nicht mit. Das Fenster in seinem Zimmer steht einen Spalt breit offen und läßt die wohltuende Morgenluft herein. Draußen im Park singen Vögel und der Wind spielt mit den Blättern der Bäume. Leise wird die Tür geöffnet und eine Krankenschwester tritt herein. Die junge Frau geht zu dem Patienten, kontrolliert die Infusionsflasche ob sie noch voll ist. Dann umfaßt sie mit 3 Fingern das Handgelenk des Mannes und kontrolliert dessen Puls. Sie schaut auf ihre Uhr und zählt leise mit. 63 Schläge pro Minuten, dass ist für einen Mann mit seinem Verletzungsbild gut. Als sie damit fertig ist, geht sie zum Fußende des Bettes, zieht aus einer Halterung die Krankenakte heraus und trägt den Puls in eine Liste ein. "Wo bin ich?" hört sie auf einmal ihren Patienten leise fragen. Auf ihrem hübschen Gesicht taucht ein Lächeln auf. "Guten Morgen Herr Tayler." sagt sie. "Schön, dass sie wieder unter den Lebenden weilen." Langsam und noch etwas kraftlos öffnet Maik seine Augen. Doch er erkennt die Krankenschwester nur schemenhaft. Er wiederholt seine Frage: "Wo bin ich?" Sie geht noch einmal zu ihrem Patienten, stellt sich neben seinem Bett hin und sagt freundlich: "Sie befinden sich in der Privatklinik des Prof. Dr. med. Meyer."
"Wie komme ich hierher?"
"Der Herr Doktor hat sie gestern Nachmittag hier einliefern lassen. Sie hatten eine ziemlich schlimme Verletzung an der linken Hüfte. Wissen sie noch, wie sie sich die zugezogen haben?"
Maik überlegt, aber ihm fehlt ein Stückchen Film. "Ich weiß nicht." sagt er schließlich.
"Nach einiger Zeit wird es ihnen bestimmt wieder einfallen. Jetzt ruhen sie sich erst einmal aus und kommen wieder zu Kräften. Ich sage dem Doktor Bescheid, dass sie wach sind."
Die Frau verläßt das Zimmer und Maik schließt erneut seine Augen. Wieso verdammt noch mal ist er hier? Er zermartert sich sein Gehirn, aber er hat einen Blackout. Das letzte woran er sich erinnert ist, dass er mit seinem Mustang in der Stadt auf Jobsuche war, dann hatte aber sein Freund Chris Evans angerufen um ihn zu bitten, mit seinem Sohn baden zu fahren. Heute war zwar Vater-Sohn-Tag, aber ein wichtiger Kunde wäre plötzlich aufgetaucht und so mußte Chris etwas länger im Büro bleiben. Was danach geschehen ist? Maik weiß es nicht. Erneut geht die Tür auf und ein älterer Mann, bestimmt schon kurz vor der Rente und mit Vollbart, betritt das Zimmer. Er lächelt den Patienten an. "Mein Name ist Prof. Meyer. Mir gehört diese kleine Klinik. Das freut mich Herr Tayler, dass sie sich so schnell erholen. Ihre Verletzung war ziemlich schlimm und sie haben viel Blut verloren."
"Wie und wo haben sie mich gefunden?" will Maik wissen, dabei richtet er sich etwas auf. Doch ein plötzlicher heftiger Schmerz an seiner linken Hüfte läßt ihn aufstöhnen und seinen Blutdruck schlagartig nach oben schnellen.
"Machen sie vorsichtig, sonst gehen die Wundfäden wieder auf." sagt dieser Doktor Meyer und hilft dem Mann, sich etwas aufzurichten. Dann nimmt er sich einen Stuhl der an der Wand steht und stellt ihn neben das Bett. Als er darauf sitzt, fragt er seinen Patienten: "Was ist das Letzte, woran sie sich erinnern können?"
"Mein Freund, Chris Evans, hat mich gebeten, ob ich mit seinem Sohn nicht schon vorfahren könnte. Er wollte mit ihm Baden fahren, aber er würde sich durch einen dringenden geschäftlichen Termin verspäten." Maik schweigt. Was war danach geschehen? Es will ihm perdu nicht einfallen. Hilfesuchend sieht er zu dem Arzt. Dieser sagt: "Ihr Gedächnisverlust ist auf einen hypovolämischen Schock zurückzuführen, oder wie man auch sagen kann, auf einen Blutungsschock. Sie haben sehr viel Blut verloren und dadurch wurde ihr Gehirn nicht mehr richtig versorgt. Aber das gibt sich in einigen Tagen wieder."
"Damit haben sie mir meine Frage noch nicht beantwortet. Wo und wie haben sie mich gefunden?" Erneut versucht sich Maik aufzurichten. Diesmal ist er aber auf den Schmerz gefaßt. Trotzdem verzieht er sein Gesicht und stöhnt leise auf. Der Arzt scheint zu überlegen, ob der Patient für die Wahrheit schon stark genug ist. "Also gut, ich sage es ihnen. Sie müssen mir aber versprechen ruhig zu bleiben, sonst könnte die Naht wieder aufplatzen und ich müßte erneut Operieren."
"Spannen sie mich nicht länger auf die Folter." sagt Maik ungeduldig.
"Der Herr Evans hat mich gestern Nachmittag, so gegen 17.30 Uhr angerufen. Er war völlig aufgeregt, sagte etwas von einer Schießerei und jemanden der verletzt sei. Er könnte aber keinen Krankenwagen rufen. Bevor ich fragen konnte warum, hatte er schon wieder aufgelegt. Ich fuhr also sofort zu der beschriebenen Stelle und fand den Herrn Evans und seinen Chauffeur an besagter Stelle am Rhein. Beide standen am Kofferraum eines völlig demolierten orangenen Mustangs und ihre Sachen waren mit Blut verschmiert. Ihrem Blut Herr Tayler."
Maik wird schlecht und er merkt, wie das Adrenalin in seinem Körper ansteigt. Plötzlich fällt ihm alles wieder ein. Er sieht Bilder des Erlebten in schnellen Fetzen vor seinem inneren Auge aufblitzen. Dieser grüne Caddy, die Schießerei, wie er getroffen wurde und wie ein Mann Justin niederschlägt. Alles dreht sich um ihn herum und er hat ein Rauschen in den Ohren, als ob er unter Wasser wäre. Diese schreckliche Erinnerung läßt auch seinen Blutfluss schneller werden. In seiner Wunde pulsiert es schmerzhaft und sein Herz leistet Höchstarbeit um einen erneuten Schock zu verhindern. Dabei bildet sich kalter Schweiß auf seinem Körper und läßt seine Haut blass werden. Ebenfalls beschleunigt sich seine Atmung bedrohlich. Sofort steht der Doktor auf. Er kennt die Symptome eines einsetzenden Schocks und ergreift sofort Gegenmaßnahmen. Gleichzeitig geht die Tür auf und die Krankenschwester von vorhin sieht kurz ins Zimmer. Sie sagt: "Herr Doktor, ich soll ihnen ....." weiter kommt sie nicht, denn der Arzt weist sofort an. "Helfen sie mir, der Mann steht kurz davor, einen posttraumatischen Schock zu bekommen. Geben sie ihm 30 mg Paroxetin, aber schnell!" Die Schwester geht eilig zu einem Arzneischrank, öffnet ihn und zieht die angeordnete Dosis des Antidepressiva auf einer Spritze auf. Mit dieser geht sie zu dem Schockpatienten, entfernt die Luftblase aus dem Zylinder und steckt die Öffnung in die Kanüle auf dem rechten Handrücken des Mannes. Durch einen zweiten Einlaß spritzt sie das Mittel um dessen Kreislauf zu stabilisieren.

19.

Das Klingeln seines Handys läßt Chris Evans aus einem tiefen Alkoholschlaf schrecken. Er braucht einige Zeit, um sich zu orientieren. Schließlich greift er zu seinem Telefon was auf dem Sofatisch liegt, die Nummer darauf sagt ihm nichts. "Ja, hier Evans." meldet er sich. Er fährt sich mit der linken Hand durchs Haar. Ihm brummt sein Schädel von dem Whisky den er in der Nacht getrunken hatte um schlafen zu können. Doch als er die Stimme des Prof. Meyer hört, ist er plötzlich hellwach. "Ist etwas mit Maik?" will er wissen und steht vom Sofa auf. Bei dem einseitig geführten Gespräch läuft er unruhig hin und her, dabei reibt er sich mit der linken Hand seinen steifen Nacken. Sein Herz rast während er den Worten des Doktors zum Gesundheitszustand seines Freundes lauscht. Wieder sieht er ihn im Kofferraum seines Mustangs liegen. Sein Hemd im Bereich des Bauches völlig blutverschmiert und leichenblass. Nach wenigen Minuten ist das Gespräch fast beendet. Chris fragt: "Kann ich ihn trotzdem sehen?" Nach der Antwort des Arztes bedankt sich Chris und legt auf. Noch einige Sekunden sieht er auf das Telefon in seiner Hand. Er muß erst einmal verarbeiten, was er soeben erfahren hat. Gleichzeitig spürt er, wie sein Hals trocken wird und ein Klos in ihm zu stecken scheint. Trotz mehrfachen schluckens verschwindet das unangenehme Gefühl nicht. Es verstärkt sich sogar noch, seine Augen brennen und fangen an, sich mit Tränen zu füllen. Noch einmal läßt er die gestrigen Ereignisse Revue passieren und es zerreißt ihm fast sein Herz. Sein Sohn wurde entführt, sein alter Schulfreund angeschossen und dabei hatte der Tag so schön begonnen. Chris hatte sich auf den Tag nur mit seinem Sohn gefreut. Doch alles kam anders, wie so oft im Leben. Das lustige Geplapper von Rebecca bringt ihn in die Realität zurück. Er legt das Telefon auf den Tisch und geht hoch in die obere Etage. Als er das Zimmer seiner Tochter betritt, steht diese bereits in ihrem Bettchen und lacht als sie ihren Vater sieht. "Papa." sagt sie und streckt ihre Arme nach ihm aus. "Guten Morgen mein Engel." sagt er zärtlich und versucht seinen Kummer vor ihr zu verheimlichen. Kaum hat er sie auf dem Arm genommen, kuschelt sie sich liebevoll an ihn. Zu selten ist er zu Hause wenn sie aufwacht. Fast täglich fährt er spätestens um 5 Uhr in sein Büro oder in eine seiner Werkstätten. Seine Kinder wurden groß, ohne dass er es bewußt registrierte. Doch das wird sich in Zukunft ändern. Warum mußte erst so ein schreckliches Ereignis eintreten um ihn daran zu erinnern, wie wichtig ihm seine Familie ist. Sobald alles vorbei ist, werden sie einen langen Urlaub machen. Janine hatte ihn schon oft darum gebeten, doch seine Arbeit war ihm bis jetzt wichtiger gewesen. Sanft streicht er über den Kopf und die Locken seiner Tochter, sie genießt es. "Komm, wir machen für Mama und uns ein richtig schönes Frühstück." sagt er leise. Sie sieht ihn mit glänzenden Augen an und korrigiert ihn: "Dastin auch Hunger." Sofort kehrt der Klos im Hals von Chris wieder. Klar, wie kann er davon ausgehen, dass sie ihren Bruder vergißt. Mit belegter Stimme sagt er: "Justin hat heute bei einem Freund geschlafen." Mit diesen Worten geht er leise aus dem Zimmer. Er möchte seine Frau nicht wecken. Wer weiß, wann sie endlich ihren Schlaf gefunden hat. Vorsichtig öffnet er die Tür zum Schlafzimmer, doch es ist leer. Wo ist Janine? fragt er sich. Rebecca weiß genau, wo das Schlafzimmer ihrer Eltern ist. Fragend sieht sie ihren Vater an. Doch er weiß auf ihre unausgesprochene Frage keine Antwort. Vielleicht ist sie bereits in der Küche, aber das hätte er hören müssen. So geht er in Richtung Treppe. Er muß an dem Zimmer von seinem Sohn vorbei. Die Tür ist nur angelehnt und so sieht er hinein. Seine Frau liegt im Bett von Justin. Sie hält den Schlafanzug ihres Sohnes fest umklammert und schläft. "Mama noch deidei machen." stellt Rebecca fest. Bei dem Anblick seiner geliebten Frau schießen Tränen in die Augen von Chris. Er hat Mühe sie zurückzuhalten. Seine Tochter sieht ihn verständnislos an. "Papa hat was ins Auge bekommen." sagt er und setzt ein falsches Lächeln auf. Doch die Worten ihre Vaters lassen das Gesicht des Kindes wieder strahlen. Leise gehen sie nach unten in die Küche, um das Frühstück vorzubereiten.

Eine Stunde später erwacht Janine aus ihrem unruhigen Schlaf. Sie fühlt sich Hundeelend, fast so, als hätte sie gar kein Auge zugemacht. Sie schaut müde auf den Wecker, der auf Justin´s Nachttisch steht. 8 Uhr und 12 Minuten. Sie hatte 2 Stunden geschlafen. Von der unteren Etage her hört sie Teller klappern und die Stimmen von ihrem Mann und ihrer Tochter. Kaffee- und frischer Brötchenduft liegt in der Luft, das bekommt Janine jetzt erst mit. Sie setzt sich auf, hält den Schlafanzug ihres Sohnes noch immer fest in ihren Armen. Wie wird es ihm gerade gehen? fragt sie sich. Aber sie weiß auch, er ist stark und in 3 Tagen wird sie ihn wieder an sich drücken können.
Chris sitzt am Frühstücksstisch und schneidet gerade ein Brötchenen in kleine Stücke, belegt mit Rebeccas Lieblingsmarmelade, Erdbeer-Vanille. Die kleinen mundgerechten Teile legt er auf einen Teller und stellt diesen auf das Abstellbrett des Babystühlchens. Sofort fängt das Mädchen an, ein Stück Brötchen in ihre kleinen Finger zu nehmen und in den Mund zu stecken. Sie hat Hunger. Ganz im Gegensatz zu Chris. Er würde am liebsten gar nichts essen, denn in seinem Magen scheint ein großer Stein zu liegen. So konzentriert er sich auf seine Tochter. Noch nie hat er ihr so bewußt beim Essen zugesehen. Wieviel sein Engelchen schon kann, denkt er sich. Rebecca nimmt ein Stück Brötchen, obwohl ihr Mund noch voll ist. Aber sie ißt es nicht selbst, sondern hält es ihrem Papa hin. Chris lächelt und läßt es sich in seinen Mund stecken. Dann reibt er sich mit seiner rechten Hand kreisförmig über den Magen und sagt: "Mmmm, lecker." Die Augen der Kleinen leuchten und sie lacht. Das nächste Stück steckt sie sich wieder selbst in den Mund. Dieser ist mit der roten Marmelade völlig verschmiert. Plötzlich dreht sie ihren Kopf etwas zur Seite, sieht an ihrem Vater vorbei, lacht und zeigt in die Richtung hinter Chris. "Mama." Chris dreht sich herum und erblickt seine Frau. Sie hat tiefe Ringe unter ihren Augen und auch so wirkt sie geschwächt und zerbrechlich. Ihr Mann steht auf und sagt: "Du kommst genau richtig. Der Kaffee muß gerade durch sein und die Semmeln sind auch noch warm." Sie lächelt, sagt traurig: "Danke, lieb von dir, aber ich habe keinen Hunger." Er geht zu ihr, nimmt sie in seine starken Arme und gibt ihr Geborgenheit. Sie flüstert ihrem Mann ins Ohr: "Wie wird es unserem Sohn gehen?" "Ich weiß nicht, aber er ist garantiert gesund und munter." Rebecca ist mit dieser Situation völlig überfordert. Ihr Papa ist heute früh da, ihr Bruder aber nicht und auch Mama ist anders als sonst. Sie lacht nicht und macht mit ihr Blödsinn. Die Kleine ist zwar erst 1 Jahr alt, aber sie scheint etwas zu ahnen. Sie sieht, wie der Papa ihre Mama umarmt und wie sich beide ganz leise unterhalten. Janine schaut ihre Tochter mit tränengetränkten Augen an und ihr fragender Blick bohrt sich wie ein Pfeil tief in ihr Mutterherz. So reißt sie sich zusammen, lacht und sagt: "Guten Morgen meine Maus. Machst du mit Papa Frühstück?" Jetzt kehrt auch das Lächeln in Rebeccas Gesicht zurück. Janine geht zum Tisch, gibt ihrer Tochter einen Kuss und setzt sich zu ihr. Chris holt den Kaffee den er seiner Frau in die Tasse gießt. Anschließend setzt auch er sich, reicht seiner Frau den Brötchenkorb. "Ich mag nicht." sagt sie liebevoll. "Du mußt etwas essen, Bitte." So greift sie doch zu und ißt völlig appetitlos eine halbe Semmel. "Übrigens. . ." sagt Chris. ". . . Der behandelnte Arzt von Maik hat heute früh angerufen."
"Wie geht es Maiky?" will Janine wissen. "Gut. Er hat die OP überstanden und ist auf dem Weg der Besserung." Bewußt verheimlicht er seiner Frau, was ihm der Doktor Meyer noch gesagt hatte. Nämlich, dass ihr alter Schulfreund, Maik Tayler, heute Früh einen Anfall hatte und daran fast gestorben wäre.


20.

Pünktlich 9 Uhr fährt der Lincoln auf das Grundstück der Familie Evans. Vor dem Haus bleibt er stehen. Pohl der Chauffeur steigt jedoch nicht aus, sondern bleibt im Fahrzeug sitzen. Er muß nicht lange warten und die Tür der prächtigen Villa geht auf. Chris Evans und seine Frau erscheinen darin. Janine hat ihre Tochter auf dem Arm. Jetzt öffnet sich die Fahrertür der schwarzen Limosine. Doch es ist nicht Pohl der aussteigt, sondern ein fremder Mann. Irritiert sehen Chris und Janine ihn an. Der Mann lächelt und sagt: "Guten Morgen. Pohl ist leider krank geworden und da hat er mich gebeten, für ihn einzuspringen. Mein Name ist Sascha. Ich hoffe es stört sie nicht, wenn ich ab heute ihr Chauffeur bin?" Die nette Art des Mannes zerstreut sofort jeden Argwohn und Chris sagt: "Nein nein. Es ist nett von ihnen, für Pohl einzuspringen. Was hat er denn?" "Er hat irgendsoeine Magen-Darmgeschichte." sagt Sascha, was gar nicht mal gelogen ist. Denn sein Boss, Alexej, hatte Pohl ein Messer genau in diese Bauchgegend gerammt, da er anfing, Zweifel an der Richtigkeit der Entführung des Jungen zu hegen. "Wenn sie ihn sehen, sagen sie ihm Gute Besserung." Wieder lächelt der Mann. "Ja, das werde ich machen." Chris kommt mit einem Aktenkoffer in der Hand die Treppe nach unten. Sascha öffnet ihm die hintere Tür auf der Beifahrerseite. Sein Passagier dreht sich noch einmal zu der Frau um, sagt: "Grüß Maiky von mir und ich werde mal versuchen, ob ich seinen geliebten Mustang wieder hinbekomme." Janine lächelt. "Da wird er sich bestimmt freuen." Dann winkt Chris Evans noch zu seiner Tochter. "Tschüß meine Kleine und sei lieb bei Oma und Opa." Rebecca winkt zurück. Der Geschäftsführer von repair station steigt in das Fahrzeug, der Chauffeur schließt die Tür und setzt sich hinter das Lenkrad des teuren Nobelautos. Doch plötzlich sagt er: "Oh, das hätte ich doch fast vergessen. Pohl hat mich gebeten in der Garage nach seinem Adressbuch zu schauen. Er muß es dort liegengelassen haben." "Aber bitte beeilen sie sich." ermahnt ihn Chris, denn er möchte so schnell wie möglich in seinem Büro kommen um sich dort mit seinem Makler zu treffen. Dieser will 10 Uhr da sein und dann Chris Evans über den Stand der Verkaufsverhandlungen seiner Aktien informieren. In 4 Tagen 15 Millionen flüssig zu machen ist selbst für einen reichen Mann wie Evans, den Besitzer einer großen Auto-Reparaturkette "repair station", nicht einfach. Der Chauffeur geht in Richtung der Garage und Janine kommt die Treppe nach unten. "Was ist denn?" will sie von ihrem Mann wissen. "Nichts weiter. Pohl hat sein Adressbuch in der Garage liegen lassen und dieser Sascha soll es ihm bringen." Doch Sascha sucht nicht nach dem angeblich liegengelassenen Adressbuch, sondern er telefoniert heimlich. Dabei ist er in der Garage und schaut aus einem sicheren Versteck zu dem Ehepaar nebst Tochter. Sascha spricht leise, damit ihn niemand hört. "Ich bin´s. Pohl hatte Recht, dieser Mistkerl lebt noch. Die Frau von unserem Goldesel will ihn anscheinend besuchen. Soll ich mal versuchen herauszubekommen in welchem Krankenhaus er liegt?" Am anderen Ende der Leitung ist Alexej. "Nein, auf keinen Fall, nicht dass sie Lunte riechen. In 45 Minuten kann ein Auto am Grundstück der Evans sein. Das wird dann die Frau verfolgen. Bis dahin darf sie das Grundstück nicht verlassen."
"Wie soll ich das machen?"
"Laß dir was einfallen."
"Und was?" Doch Alexej hat die Verbindung schon abgebrochen.
Na Klasse, denkt sich Sascha. Sein Boss macht es sich wie immer leicht. *Laß dir was einfallen.*, hatte er gesagt. Doch das war leichter gesagt als getan.
Nach 5 Minuten kommt Sascha aus Richtung Garage, er hat ein schwarzes kleines Buch in der Hand. "Ich habe es gefunden." sagt er und steckt es in seine Chauffeuruniform. Er kommt zurück zum Auto, dabei muß er bei Janine und Rebecca vorbei. Zärtlich streicht er mit der Rückseite seines rechten Zeigefinger über die Wange des Kindes. Er lächelt, sagt: "Du bist aber eine Süße. Kommst ganz nach deiner Mutter." Hätte Janine gewußt, dass dieser Mann an der Entführung ihres geliebten Sohnes beteiligt war, hätte sie ihm ins Gesicht gespuckt. Doch so war sie angetan von dem Kompliment des Mannes. Ja, sie wurde sogar rot dabei. Wenig später verläßt der Lincoln das Grundstück und fährt in Richtung Stadt.

Janine geht mit ihrer Tochter zurück ins Haus. Die Reisetasche mit den Sachen von Rebecca steht schon gepackt neben der Tür. Die Hausherrin nimmt diese, lächelt die Kleine an und sagt: "Komm, wir 2 fahren jetzt zu Oma und Opa." Das Kind lacht, denn sie ist gern bei ihren Großeltern. Kurz darauf ist Janine an ihrem Auto, einem hellblauen metallicfarbenen Mini Countryman. Sie setzt ihre Tochter in den Kindersitz der auf dem Beifahrersitz festgemacht ist. Nachdem die Kleine sicher angeschnallt ist, geht ihre Mutter nach hinten zum Kofferraum. Öffnet diesen und stellt die Reisetasche hinein. Sie schaut auf die Uhr an ihrem Handgelenk. Chris ist vor 10 Minuten losgefahren und wird in spätestens 20 Minuten im Büro ankommen. Sie allerdings hat einen wesentlich längeren Weg. Erst gegen Mittag wird sie bei ihren Eltern eintreffen. Sie hatte sie angerufen und gefragt, ob sie Rebecca für einige Tage nehmen könnten, denn sie wollte ihren Mann auf eine Geschäftsreise nach New York begleiten. Justin sei von der Schule aus in einer Jugendherberge. So hätten Janine und Chris endlich mal etwas Zeit für sich. Wie zu erwarten war, hatten ihre Eltern sofort zugesagt die Kleine zu nehmen. Viel zu selten sahen sie ihre Enkel.
Janine ist fertig, will einsteigen. Doch dann sieht sie, das der linke Vorderreifen luftleer ist. Auch das noch?, denkt sie sich. Als sie ihren kleinen geliebten Stadtflitzer vor 2 Tagen in der Garage abgestellt hatte, waren alle 4 Reifen in Ordnung. Sie untersucht das Rad und stellt fest, dass im Profil ein großer Nagel steckt. Wo hatte sie sich den eingefahren? Bei der Größe des Nagels bzw. des Loches hätte sie nach spätestens 5 Minuten gemerkt, dass das Fahrzeug komisch fährt. Doch sie hatte nichts dergleichen festgestellt. Aber was hilft es, sich darüber Gedanken zu machen. Andere Frauen hätten jetzt den ADAC gerufen, doch Janine ist mit Jungs groß geworden. Ein Rad zu wechseln, ist für sie eine Kleinigkeit.
Schon 10 Minuten später ist sie damit fertig. Sieht dadurch aber auch aus, also ob sie in einer Autowerkstatt arbeiten würde. Ihre Hände sind dreckverschmiert und ihre weiße Hose hat einige Flecken abbekommen. Sie muß sich erst umziehen bevor sie losfahren kann. So öffnet sie die Beifahrertür und will Rebecca noch einmal herausnehmen. Aber die Kleine schläft in ihrem Kindersitz. Leise und mit einem Lächeln schließt sie die Autotür. Wie gerne würde sie mit ihrer Tochter tauschen. Diese schläft völlig entspannt und unschuldig, nichts ahnend von dem, was ihre Eltern und ihr Bruder gerade durchmachen müssen.

Ein Chevrolet Suburban steht an einer der vielen kleinen und verträumt daliegenden Straßen, die es hier in diesem Wohngebiet gibt. Ältere Frauen gehen mit ihren Hunden spazieren. Aber nicht wie in anderen Wohngebieten im Jogginganzug oder anderer Freizeitbekleidung. Nein. Selbst beim Gassigehen tragen die hier teure Markenklamotten.
In dem Fahrzeug sitzen 2 Männer, es sind Leute von Alexej. Er hatte sie hierhergeschickt um die Frau Evans zu verfolgen und so den Aufenthaltsholt von diesem Maik Tayler herauszubekommen. Die Männer sitzen ziemlich gelangweilt in ihrem Auto. Der Beifahrer hat die Scheibe etwas offen. Er ist in seinem Sitz nach unten gerutscht, hat seine Arme vor der Brust verschränkt und sieht vom Auftrag genervt, in Richtung Evans Anwesen. Doch dort tut sich nichts. "Wo bleibt die Alte bloß? Da hätten wir auch nicht so rasen brauchen. Man, ich war gerade dabei die Kleine von gestern Abend flachzulegen, als mich Alexej angerufen hat und mich zu diesem Scheißjob verdonnert hat." Der Fahrer grinst. "Warum hast du ihm nicht gesagt, dass du noch nicht zum Schuss gekommen bist und du noch etwas Zeit brauchst?" Sein Beifahrer schaut ihn an. "Ha ha. Hast du noch so einen Brüller auf Lager? Wenn ich ihm das gesagt hätte, hätte ich auch wählen können zwischen 20 und 9." Eine ältere Dame nähert sich dem Fahrzeug. Sie hat einen kleinen Chihuahua an der Leine und schaut argwöhnisch zu dem Chevrolet und zu den beiden Männern die sie hier noch nie gesehen hat. "Man, ist die Töle häßlich." sagt der Beifahrer leise. "Paßt doch voll zu der Alten." bestätigt sein Freund und beide müssen grinsen. Der Hund bleibt wenige Meter vor dem Fahrzeug stehen und pinkelt an einen Lichtmast. Dabei läßt die Frau kein Auge von dem verdächtigen Fahrzeug. Die Männer darin lächeln freundlich. Als sie bei ihnen vorbei geht, sagt der Kerl auf dem Beifahrersitz: "Hübscher kleiner Wauwau." Ohne darauf zu Antworten, geht die Frau weiter. Sie schaut sich hin und wieder nach dem Chevrolet um. Die Männer sehen es in ihren Außenspiegeln. Nun sagt der Fahrer: "Wenn die Alte von Evans nicht bald das Grundstück verläßt, müssen wir uns woanders hinstellen. Nicht, dass die abgetakelte Hundebesitzerin noch die Bullen ruft, weil wir ihr verdächtig vorkommen." Plötzlich stößt sein Mitfahrer ihn an und sagt: "Sie muß es gehört haben." Sein Partner sieht in Richtung Evansgrundstück und tatsächlich, das große Metalltor am Eingang öffnet sich automatisch und der Mini verläßt das Anwesen.

21.

Eine leichte Brise weht durch den kleinen Park und spielt mit den Blättern der Bäume. Die Sonne hat ihren Höchststand bereits überschritten. Leise und beruhigend plätschert das Wasser in dem dazugehörigen Teich vor sich hin. Einige Krankenschwestern und Pfleger sitzen auf Parkbänken und genießen ihre Mittagspause. Sie sonnen sich in den warmen Strahlen oder lesen verträumt ein Buch. Noch halten ihre Patienten Mittagsruhe, aber schon bald geht der Stress zwischen Verbände wechseln, Injektionen und Medikamente verabreichen sowie das Bringen von Bettpfannen wieder los. Einzelne Angestellte des Pflegepersonal gehen bereits zurück auf ihre Station.
In einem der 20 Zimmer dieser Privatklink steht die Balkontür offen und der Wind bewegt die Gardine ganz sachte, dabei spiegelt sich ihr Muster auf der gegenüberliegenden Wand wieder. Der Mann der hier in diesem Zimmer Patient ist, ist Maik Tayler. Er hat seine Augen geschlossen, scheint zu schlafen. Doch seine schnelle Atmung verrät, dass er nicht wie die vielen anderen Patienten seine Ruhe findet. Auch wenn die Lage der Klinik ein Mekka für Kranke ist. Seine Wunde kann hier heilen, aber nicht sein Selbstzweifel schrecklich versagt zu haben. Was für ein Special Agent ist er eigentlich, wenn er nicht mal eine Gefahr erkennt, die ihm quasi ins Gesicht springt, wie dieser grüne Caddy. Wie verdächtig hätte das Fahrzeug noch sein sollen, etwa mit einem großen Schild an der Heckklappe auf dem steht: Bad Boys? Schon als ihm dieser Caddy verdächtig vorkam, hätte er sich sofort ins Auto setzen müssen und mit Justin den Ort verlassen sollen. Vielleicht wäre dann alles gut ausgegangen. Aber so war er Mitschuld an der geglückten Entführung. Sein Freund und Janine werden es ihm nie verzeihen. Wenn er wirklich ein so großer Versager ist, vielleicht war er dann auch Mitschuld am Tod von Bianca? Wieder kommen Zweifel in Maik hoch, dass er seine Freundin vielleicht doch hätte retten können.
Es klopft an der Tür und die Krankenschwester von heute Früh kommt herein. Sie hat ein Tablett in der Hand. Darauf liegt Verbandsmaterial und eine gefüllte Spritze. Gutgelaunt fragt sie den jungen Mann: "Und, haben sie gut geschlafen?" "Es geht so." antwortet Maik. Die Frau stellt das Tablett auf den Nachttischschrank neben seinem Bett. "Ich möchte jetzt ihren Verband wechseln. Würden sie bitte ihre linke Hüfte freimachen." sagt sie und desinfiziert bereits ihre Hände mit Betadine-Spray, einem bekannten Desinfektionsmittel. Maik schlägt die Bettdecke beiseite und muß seinen Körper leicht anheben um das Krankenhausnachthemd zur Seite zu ziehen, damit die Wunde frei liegt. Dabei stöhnt er schmerzvoll auf und verzieht sein Gesicht.
"Soll ich ihnen helfen?" will die nette Krankenschwester wissen und lächelt den Mann an.
"Nein Danke. Ich lasse mir von Frauen zwar ganz gerne beim Ausziehen helfen, aber das ist ein anderes Kapitel." scherzt Maik.
"Das kann ich mir vorstellen." kontert die hübsche Schwester mit einem verführerischen Lächeln. Als sie den Verband berührt und dabei an die Haut von Maik kommt, zuckt dieser zusammen.
"Tut es weh?" will sie wissen.
"Nein, aber sie haben eiskalte Hände. Haben sie die vorher noch schnell ins Tiefkühlfach gesteckt?"
"Ja, das mache ich immer, damit sich bei meinen männlichen Patienten nichts regt."
"Hey, in ihnen steckt wohl eine kleine Sadistin?" fragt Maik und ruft dann in Richtung Tür: "Herr Doktor, ich möchte bitte eine andere Schwester. Vor der hier habe ich ein bisschen Angst." Doch das war nur ein Scherz.
"Wenn sie möchten, kann ich ihnen auch einen Pfleger holen?"
"Eine männliche Krankenschwester? Nein Danke, da begebe ich mich lieber in ihre zärtlichen Hände." Den letzte Satz sagt Maik liebevoll, aber etwas sarkastisch. Nun versucht die Schwester so wenig wie möglich an die Haut des Mannes zu kommen. Dieser hat sich zurück auf das Bett gelegt und läßt die Frau ihren Job machen. Doch hin und wieder stöhnt er vor Schmerz auf. Besonders, als sie den Wundverband entfernt. "Das sieht doch schon ganz gut aus." stellt sie fest. Maik stützt sich auf seine Ellenbogen und schaut auf seine linke Hüfte. Von wegen gut, denkt er sich. Zwischen Bauch und Hüfte hat er eine 10 cm lange Narbe, verursacht bei der Schießerei am Rheinufer. Ein Streifschuss hatte ihn dort getroffen. Die Wunde ist mit etlichen Stichen verschlossen. Rings um diese Verletzung ist noch das braune Desinfektionsmittel von der OP zu sehen und verkrustetes Blut, was sich mit den Fäden verbündet hat. "Wie sieht bei ihnen dann schlecht aus?" fragt Maik nach.
"Ich möchte bloß wissen wer die Lüge verbreitet hat, dass Männer harte Kerle sind?" fragt sie leise. Doch auch Maik weiß, dass sie nur scherzt. Dieses kleine spielerische Geplänkel läßt den Ex-SEK-Mitarbeiter die Realtität vergessen, wenigstens für die nächsten paar Minuten. Kurz darauf ist der neue Verband auf der Wunde. Beim reinigen derselben ist der Mann hin und wieder zusammengezuckt. Die Schwester weiß natürlich, dass die Säuberung einer so frischen Wunde sehr schmerzhaft ist. Erneut klopft es an der Tür und Janine schaut vorsichtig herein. Sofort strahlt Maik. Nie hätte er gedacht, dass sie ihn nach seiner kläglichen Niederlage, ihren Sohn zu beschützen, so schnell besucht. "Hallo Janine." sagt er freudig. "Darf ich reinkommen." will sie wissen. Die Schwester ist auf einmal wie ausgewechselt, sagt dienstbeflissen: "Aber natürlich. Den Rest kann ich auch später machen. Ich werde sie erst einmal mit ihrem Mann alleine lassen." Sie verläßt das Zimmer. Janine schaut ihr nach. Dann blickt sie zu Maik. "Wieso denkt sie, dass ich deine Frau bin?"
"Ich habe keine Ahnung." sagt Maik. "Habt ihr schon was von den Entführern gehört?" will der gemeinsame Freund der Evans wissen. "Ja, sie wollen 15 Millionen haben. In 3 Tagen melden sie sich wieder und sagen uns, wohin wir das Geld bringen sollen." Janine geht zum Bett und setzt sich auf einen Stuhl der daneben steht. Maik weicht ihrem Blick aus. Er hat Angst davor, was er in ihren Augen lesen könnte, Verzweiflung und vielleicht sogar Wut auf ihn, weil er die Entführung nicht verhindert hatte. "Du hast ein wirklich hübsches Zimmer. Nicht so steril wie in den üblichen Krankenhäusern und die Schwestern scheinen auch ganz nett zu sein." sagt Janine. Maik lacht gekünstelt. "Hast du eine Ahnung. Die Schwester eben hätte mir mit ihren eiskalten Händen fast nen Herzinfarkt beschert." Janine lächelt und sieht zu Maik. Dieser weicht noch immer ihren Blick aus, doch sie bekommt es mit. "Ist deine Verletzung sehr schlimm? Chris hat mir gesagt, als sie dich gefunden haben, warst du mehr Tod als lebendig." Maik legt seinen Kopf auf das Kopfkissen und starrt an die Decke. Dann sagt er: "Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn ich es nicht geschafft hätte."
Entsetzt über diese Worte fragt Janine: "Wie kommst du auf den Blödsinn?"
"Mir hätte dieser Caddy von Anfang an verdächtig vorkommen müssen. Vielleicht wäre dann alles anders gekommen und Justin wäre zu Hause und nicht wer weiß wo."
"Stimmt, vielleicht wäre alles anders gekommen. Nämlich, dass nicht nur du verletzt wärst, sondern auch Justin. Du hast ihn so gut es ging vor diesen Männern beschützt. Ihm geht es gut und er ist unverletzt, nur das zählt. Und falls du dir über die 15 Millionen Sorgen machst, dass ist nur Geld und nie so wertvoll wie ein Menschenleben."
Maik dreht seinen Kopf in Richtung Janine. Sie erkennt Tränen in seinen blauen Augen. "Hast du wirklich gedacht, wir würden dir die Schuld an der Entführung unseren Jungen geben?" will sie wissen. Er antwortet nicht. Sie sieht aber, wie sich sein Adamsapfel bewegt und er schlucken muss, um seine Enttäuschung über sich selbst zu unterdrücken. "Für dich zählt jetzt nur, gesund zu werden und nichts anderes. Mach dir um Justin keine Sorgen. Diese Kerle werden ihr Lösegeld bekommen und wir unseren Sohn zurück." Maik ist erleichtert und lächelt verlegen. Diese Frau ist einfach einzigartig, sie ist stark, trotz des Schmerzes in ihrem Herzen. Wie konnte er sie damals nur seinem Freund so kampflos überlassen.
Nach einer viertel Stunde öffnet sich die Tür von Maiks Krankenzimmer. Janine kommt heraus, sagt noch zu ihrem Freund: "Ach, ich soll dir von Chris aus sagen, dass er versucht, dein Baby wieder hinzubekommen. Kann aber paar Wochen dauern." Janine geht. Auf dem Weg zum Ausgang läuft ihr die Krankenschwester von vorhin in die Arme. "Ich gehe jetzt, sie können also wieder reingehen." Dann sagt sie noch ganz leise zu ihr: "Könnten sie bitte ein Auge auf Maiky werfen. Er kommt mir ziemlich niedergeschlagen vor. Mein Mann und ich, wir würden uns dafür sehr erkenntlich zeigen." "Aber natürlich, sehr gern." sagt die junge Schwester freudestrahlend. Sie freut sich aber nicht über die versprochene Erkenntlichzeigung, sondern darüber, dass die Frau nur eine Freundin ist. Irgendwie hatten die blauen Augen des Mannes ihr es angetan. Nicht nur seine verführerischen Augen, sondern auch seine ganze Art und Weise. Schon oft wurde sie von Patienten angebackert, meistens von alten reichen Säcken die sich dachten, mit ihrem Geld alles kaufen zu können. Dieser Mann war anders. Sie spürte, wie sie in seiner Nähe nervös wurde und es in ihrem Bauch anfing zu kribbeln. War sie vielleicht verliebt in ihn? Doch dies wird sie sich nie anmerken lassen. Schließlich ist sie kein dummer Teeny mehr, der sich von paar schönen Augen und netten Worten gleich in den 7. Himmel wägt. Sie geht in das Zimmer des Patienten Maik Tayler zurück. Er schaut nach draußen und scheint gedankenabwesend zu sein. Diskret räuspert sich die junge Frau und sagt: "So, ich habe mir diesmal die Hände warm gemacht, jetzt kommen wir zu ihrer ärztlich verordneten Injektion." Maik sieht sie an, aber seine Augen sind traurig. "Alles in Ordnung bei ihnen?" will sie wissen. Ihr Patient versucht zu lächeln, schweigt aber. Die Schwester kommt näher, nimmt die Injektionsspritze die noch auf dem Tablett liegt und entfernt die Luftblase daraus. "Das ist nur etwas Ketamin gegen ihre Schmerzen und ein Antibiotikum." Noch immer schweigt ihr Patient. Da Maik noch die Venenkanüle in seinem rechten Handrücken stecken hat, braucht die Schwester nicht neu zu stechen, sondern spritzt das Medikament durch eines der Öffnungen. Dabei schaut sie ihn an. "Falls sie reden wollen, ich bin eine gute Zuhörerin." "Danke, vielleicht später." sagt Maik und lächelt versöhnlich. Sekunden später ist die Frau mit dem Tablett in Richtung Tür unterwegs. "Falls sie es sich anders überlegen, brauchen sie nur zu klingeln. Ich habe noch bis 20 Uhr Dienst." "Lieb von ihnen Schwester .... Ich kenne nicht mal ihren Namen." "Bianca." Maik trifft es, also ob diese nette Krankenschwester ihm die Spritze mitten ins Herz gestochen hätte. Sie trägt denselben Namen wie seine tote Freundin. Wieso läßt ihn das Schicksal nicht endlich in Ruhe, wieso muß er ständig an das grausame Gestern erinnert werden?

22.

Der Börsenmakler von Chris hat es noch nicht geschafft, die 15 Millionen zusammenzubekommen. Viele Aktien von seinem Klienten muß er weit unter dem Einkaufswert verkaufen. Die Kurse stehen ziemlich schlecht, was noch immer an den Auswirkungen der weltweiten Wirtschaftskrise liegt. Wenn Evans wenigstens 1/2 Jahr mit dem Verkauf warten würde, vielleicht hätte sich der Aktienmarkt bis dahin erholt. Aber durch den Blitzverkauf muß der Geschäftsführer von repair station mit einem Verlust von 20 % rechnen. Selbst als ihn sein Makler darauf hingewiesen hatte, bestand er auf den Verkauf. Irgendetwas gravierendes muß bei der Familie Evans vorgefallen sein, das ahnt der Makler. Aber auf Fragen seinerseits war Chris Evans ständig ausgewichen. Eigentlich geht es ihn auch nichts an, warum sein Klient das Geld braucht. Vielleicht läuft seine Firma nicht so und er hat sich mit den vielen Filialen verausgabt, oder, was auch eine Möglichkeit ist, er liegt in Scheidung und will das Geld vor seiner Frau in Sicherheit bringen. Doch so schätzt ihn der Makler nicht ein. Er wird jedenfalls weiterhin versuchen, einen guten Kaufpreis herauszuschlagen und so den Verlust in Grenzen zu halten. Schließlich ist Evans ein guter Kunde. Durch ihn hat der Makler in den letzten Jahren eine 6 stellige Provision kassieren dürfen und so kann er sich mit seiner Frau ein schickes Häuschen in einer ziemlich teuren Wohngegend leisten. Doch die Summe von 15 Millionen die Evans durch den Verkauf erzielen will, ist völlig unrealistisch, noch dazu in 2 Tagen.

Chris sitzt in seinem Büro. Da er seine Frau in den nächsten Tagen nicht allein lassen will, will er Urlaub nehmen. Doch die Firma muß weiterlaufen, so überträgt er in dieser Zeit alle Geschäfte seinem Stellvertreter Thomas Edkins. Immer wenn Evans auf Geschäftsreise war, hatte ihn Edkins vertreten und er war gut darin. Es gab nach seiner Rückkehr nie Beanstandungen. Und schließlich ist Chris auch nicht aus der Welt. Sein Stellvertreten kann jeder Zeit anrufen. Doch da Evans so plötzlich eine Auszeit nimmt, müssen noch Vorbereitungen getroffen werden. So stellt Chris im Computer einen Plan zusammen, auf was Edkins achten muss. Welche Kunden er unbedingt zurückrufen muß, welche Bestellungen raus müssen und auch mit dem Herrn Miller aus London muß sein Stellvertreter in Kontakt bleiben. Schließlich geht es dabei um die Erste Filialeröffnung im Ausland. Aber der Geschäftsführer von repair station hat bei Thomas ein gutes Gefühl.
Es klopft an der Tür und ein Mann tritt ein. Er ist etwas jünger als Evans, schlank und seine Haare sind vorbildlich geschnitten. Der Anzug den er trägt, ist ihm wie auf dem Leib geschnitten. Er fühlt sich wohl in diesem, dass verrät auch sein sicheres Auftreten. Mit einem freundlichen Lächeln tritt er ein und fragt: "Du willst Urlaub nehmen? Wie kommt denn das so plötzlich? Hat dir Janine endlich mal die Hölle heiß gemacht, dass du mehr Zeit mir ihr und den Kindern verbringen sollst? Das sage ich dir schon seit Jahren. Aber du hörst ja nicht auf mich." Evans steht auf, lächelt und gibt dem Mann die Hand. "Danke Thomas, dass du so schnell kommen konntest, obwohl du noch 3 Tage frei hättest." Der Mann erwiedert den freundschaftlichen Händedruck. "Ich müßte dir für deinen Anruf sogar dankbar sein." Chris sieht den Mann fragend an. Dieser lächelt erneut und setzt sich auf einen Stuhl, der vor dem Schreibtisch steht. Dann spricht er weiter. "Weißt du nicht mehr? Meine Schwiegereltern sind doch für eine Woche zu Besuch." Jetzt fällt es Chris wieder ein. Er fragt: "Sind sie denn wirklich so schlimm?" "Hast du eine Ahnung. Die Mutter von meiner Frau nervt mich dauernd, warum noch kein Enkel unterwegs ist und mein Schwiegervater erzählt mir ständig von seinem Vietnameinsatz und wie schwer es seine Frau ganz alleine mit den 3 Kindern hatte. Als du angerufen hast, da haben wir 4 uns gerade fertig gemacht um nach Karlsruhe in die Oper zu fahren. Die spielen heute Abend: Samson und Dalila. Ich hasse diese Musik, aber wen interessiert das? Also habe ich meiner Frau und meinen geliebten Schwiegerelten .... " die letzten beiden Worte sagt der Mann mit etwas Verachtung in seiner Stimme. ".... gesagt, dass bei dir was schlimmes passiert ist und du Urlaub nimmst. Deshalb willst du mich sofort im Büro sehen, um noch wichtige Details für die Zeit deiner Abwesenheit durchzusprechen. Es könnte also spät werden und so kann ich leider nicht mit in die Oper fahren." Wie recht der Mann mit seiner Lüge hatte, dass Chris wegen etwas schlimmes Urlaub nimmt, konnte er jedoch nicht wissen. Was kann auch schlimmer sein, als die Entführung seines eigenen Sohnes. Doch dies kann Chris seinem Stellvertreter nicht sagen, so lügt auch er. "Ja, Janine hat mich vor die Wahl gestellt, entweder ich nehme paar Tage Urlaub den ich mit ihr und den Kindern verbringe. Oder sie fährt mit ihnen zu ihren Eltern und reicht die Scheidung ein." "Oh, bei dir scheint die Kacke wirklich am Dampfen zu sein. Also, was muß ich wissen?" fragt Thomas, steht auf und geht zu seinem Boss.

Soeben fährt ein Chevrolet Suburban auf das alte Flugplatzgelände. Vor der Halle hält das Auto und 2 Männer steigen aus. Sie gehen hinein. Drinnen sitzt Alexej an dem Tisch und putzt seine Waffe. "Und? habt ihr herausgefunden in welchem Krankenhaus sich der Kerl versteckt?"
"Ja. Die Mutter von dem Bengel ist heute Nachmittag in eine Privatklinik gefahren. Wir vermuten ganz stark, dass sie dort diesen kleinen schießwütigen Kerl Tayler oder wie der hieß, besucht hat."
"Gute Arbeit. Da wissen wir wenigstens wo der steckt, falls er mir bei meinem kleinen Geschäft in die Suppe spucken will. Ihr 2 fahrt zurück zu der Klinik und paßt auf, dass sich der Scheißer nicht heimlich verdückt."
Der Fahrer des Chevrolet sieht seinen Kumpel an und sagt grinsend: "So wie es aussieht, kommst du wohl heute Abend auch nicht dazu, deine kleine Freundin aus der Bar flach zulegen. Hoffentlich explodiert in deine Hose nicht was wegen Überdruck." Der angesprochene Mann hebt einen Stein auf und wirf ihn nach seinen Kumpel. Dieser dreht sich lachend zur Seite, bekommt den Stein aber noch ab. Doch er trägt keine Verletzungen von sich. "Laßt den Quatsch." blafft Alexej sie an. "Schiebt euren Arsch ins Auto und macht euch auf den Weg. Falls ihr etwas verdächtiges mitbekommt, will ich sofort angerufen werden. Klar?" Beide Männer bestätigen den Befehl und verlassen die Halle. Alexej ruft ihnen nach: "Ach Kevin." Der Mann der auch heute Abend ohne Freundin sein wird, dreht sich zu seinem Boss. "Ja." Sein Kumpel wartet ebenfalls. "Falls ich erfahre, dass du wegen einem Weib deinen Posten verläßt, liegst du kurz danach neben Pohl und Sergej. Ich hoffe, ich habe mich verständlich ausgedrückt." "Ja. Ich hab´s kapiert."

Als das Fahrzeug das Gelände verläßt, treffen sie auf den VW Transporter der soeben die Kinder zurück bringt. "Wo macht ihr denn schon wieder hin?" will der Mann wissen. "Wir sollen diesen Tayler in der Klinik beobachten. Alexej hat Angst, dass der sich heimlich verdrückt. So ein quatsch, warum sollte er?" sagt der Fahrer. "Das ging aber schnell, daß ihr den Kerl gefunden habt. Viel Spaß bei der Überwachung. Nehmt euch lieber paar Decken mit. Heute Nacht soll es ziemlich kalt werden. Nicht, dass ihr euch eure Hintern abfriert oder was ganz anderes was ihr vielleicht noch mal gebrauchen könntet." Der Mann lacht und der Fahrer des Chevrolet zeigt ihm mit seiner linken Hand den Stinkefinger, dann fährt er los.
Als der Transporter in die Halle fährt, schließen sofort 2 Männer das Tor. Alexej hat seine Tokarew wieder zusammengebaut, steckt sie in seinen Waffenhalter am Gürtel und steht auf. Der Fahrer des VW´s steigt aus. "Gab es was?" will Alexej wissen.
"Nein, alles lief problemlos."
"Was ist mit der Kleinen, dieser Antonia?"
"Sie war ganz lieb, heult nur noch ganz selten. Wann ist sie eigentlich dran nach Hause zu gehen?"
"Morgen müßten ihre Eltern das Lösegeld zusammen haben. Wenn alles glatt läuft, kann das Mädchen am Nachmittag bereits bei ihren Eltern sein. Wieso fragst du?" Alexej sieht seinen Mann skeptisch an. Wird etwa einer seiner Leute weich? Falls das der Fall ist, könnte der Mann zur Gefahr werden und Alexej müßte ihn ersetzen.
"Warum ich frage? Ich weiß nicht. Vielleicht, weil ich mal Urlaub brauche und mir das tägliche Gejammer und Geflenne der Kinder langsam aber sicher auf den Sack geht."
"Wenn das wirklich der Grund ist, dann kannst du dir nach der großen Waffenlieferung in 3 Tagen mal für eine Woche Urlaub nehmen. Fahr zu deinen Eltern und Besuch sie mal wieder." sagt Alexej und klopft seinem Mann aufmunternd auf die Schulter. "Aber jetzt bring die Kinder in ihr Quartier. In einer Stunde bekommen wir Besuch von einem Waffeninteressenten."
Der Fahrer öffnet die hintere Tür und sagt: "So, raus mit euch." 2 weiter Männer von Alexej steigen mit aus und helfen den Kleinsten von der Ladekante zu kommen. Dann werden sie in ihr altes Quartier gesperrt. Dort saß Justin den ganzen Tag alleine. Endlich sind seine Leidensgenossen wieder da und er fühlt sich nicht mehr so einsam. Nach wenigen Minuten geht die Tür erneut auf und ein Mann wirft 2 Plastikbeutel auf den Boden, dann verschließt er die Tür wieder. Die Kinder wissen, dass es ihr Essen ist. Sie gehen dorthin. Jedes nimmt sich ein Brötchen und eine kleine Flasche Limonade heraus, setzt sich vom Tag erschöpft in eine Ecke und fängt an zu Essen. Justin setzt sich mit seinem neben einem etwa gleichaltrigen Jungen. "Wo wart ihr den ganzen Tag?" will er von ihm wissen.
"Wir müssen Beutel mit einem weißen Pulver an bestimmte Stellen verstecken. Das geht den ganzen Tag so. Ständig halten wir woanders."
"Hast du schon mal versucht, andere Leute auf dich aufmerksam zu machen?"
"Dort wo wir rausgelassen werden, gibt es keine andere Leute. Dort gibt es nur alte Fabrikhallen oder stillgelegte Gewerbegebiete."
"Wieso versuchst du nicht wegzurennen und dich zu verstecken?"
"Weil die Männer uns gesagt haben, dass, wenn wir das versuchen, sie unsere Geschwister und Eltern umbringen werden. Ich habe Angst, dass sie es auch tun werden."
Hungrig ißt der Junge. Justin sieht ihm dabei zu. Er selbst hat keinen Appetit. Irgendwie schlägt ihm die ganze Entführung auf den Magen. "Willst du meine noch?" fragt er den Jungen.
Dieser sieht ihn mit großen Augen an. "Wirklich? Magst du deine nicht?"
"Ich bekomme einfach nichts runter."
Sofort greift der Junge zu und ißt auch Justins Brötchen gierig.

Gegen Abend kommt die nette Krankenschwester noch einmal in Maiks Zimmer. Sie hat etwas über ihrem rechten Arm hängen. "Ich habe in 2 Stunden Feierabend und wollte sie fragen, ob sie Lust haben in dem Park zu gehen?" Maik richtet sich vorsichtig auf. Er hatte in den letzten Stunden etwas geschlafen. Das Ketamin was ihm die Schwester gespritzt hatte, hatte ihm seine Schmerzen genommen und er fand endlich den wohltuenden Schlaf. Er lächelt die Schwester an und fragt schelmisch: "Soll das etwa ein Date werden?" Sie lächelt vielsagend und wunderschön. "Wenn sie es so ausdrücken wollen, vielleicht." Sie wird sofort rot und dies ist ihr sichtbar unangenehm. So sagt sie: "Ich habe ihnen einen Jogginganzug mitgebracht. Er müßte ihnen passen. Falls sie ihn nicht wollen, können sie auch das nette Flatterhemd anlassen. Doch es könnte hinten herum vielleicht bisschen kühl werden." Maik lacht. "Da könnten sie vielleicht Recht haben. Nicht, dass ich mit meinem entblösten Hintern noch ältere Damen in den Herzinfarkt treibe." Auch die Schwester muß schmunzeln, dabei wird sie knallrot. "Ich komme in einer viertel Stunde wieder." sagt sie und verläßt eilige das Zimmer. Davor trifft sie auf eine gleichaltrige Krankenschwester. "Hey Bianca. Du bist ja knallrot im Gesicht. Was ist denn?" Die Schwester liest das Namensschild was neben der Tür angebracht ist. "Maik Tayler. Ist das etwa der Kerl, von dem du mir erzählt hast? Ich glaube, du bist über beide Ohren verknallt." sagt sie. Bianca wehrt ab. "Erzähl nicht so einen Quatsch. In dem Zimmer ist es bloß ziemlich warm gewesen." Die andere Schwester lacht und sagt zynisch: "Ach, bloß zu warm." "Ja und jetzt muß ich auf die Toilette." sagt Bianca und läßt die Frau stehen. Als sie im Klo verschwunden ist, klopft die andere Krankenschwester an Maik´s Zimmertür und tritt ein. Er ist gerade dabei sich umzuziehen, steht daher splitternackt da. Sofort dreht sich die Schwester um und sieht in Richtung Tür. "Oh pardon, ich wußte nicht, dass sie nichts anhaben." dabei muß sie schmunzeln. Was sie mit ihrem Blick erhaschen konnte, gefiel ihr. Ihre Freundin Bianca hat schon einen tollen Geschmack was Männer betrifft. Mühsam und vor Schmerz immer mal wieder aufstöhnend, zieht Maik die Hose an. "So, jetzt können sie." sagt er schließlich. Die Schwester dreht sich um, hält eine Hand vor ihren Mund und sagt lächelnd: "Ich möchte mich tausendmal entschuldigen. Ich wußte wirklich nicht, dass sie nichts anhaben." "Woher sollten sie das auch wissen. Aber ich denke, sie haben nichts gesehen, was sie nicht schon kennen." Sagt Maik und lächelt ebenfalls. Dabei hat er wieder seine Grübchen in den Wangen und seine blauen Augen leuchten freundlich.
Jetzt wird auch die zweite Schwester unsicher und nervös. Doch sie bekommt sich schnell wieder in Griff, sagt: "Ich wollte mal nach der Heizung sehen. Bianca sagte mir, dass es bei ihnen im Zimmer sehr warm sein soll." Warm ist ihr jetzt auch, aber das liegt nicht etwa an einer offenen Heizung. Sie geht zum Fenster und faßt an den Heizkörper. Der ist, wie sollte es auch anders sein, eiskalt. "Die Heizung ist aus. Bianca hat sich bestimmt in der Zimmernummer geirrt." Eilig verläßt die Krankenschwester das Zimmer des Patienten und geht in Richtung Toiletten. Dort trifft sie ihre Freundin.
"Der Kerl ist ja wirklich richtig süß und seine Augen." Die Frau faßt sich ans Herz und schließt genußvoll ihre Lider.
"Du warst bei ihm im Zimmer? Warum?"
"Du hast doch gesagt, dass es dort sehr warm gewesen sei und ich dachte mir, vielleicht ist die Heizung offen. Da wollte ich einfach mal nachsehen. Nicht, dass es Beschwerden gibt."
"Ja ja, von wegen." sagt Bianca. Sie weiß genau, dass ihre Freundin nur den Kerl sehen wollte, der Bianca noch erröten läßt. "Und, wie findest du ihn?" will sie wissen.
"Was ich so sehen konnte, fand ich schon süß." Sie verrät ihrer Freundin aber nicht, was sie alles gesehen hatte.
"Kann ich so gehen?" will Bianca wissen und macht ihre langen Haar noch einmal zurecht.
"Ja, du siehst sehr hübsch aus. Jetzt geh, aber laß dich nicht von der Oberschwester erwischen, dass du bisschen mehr von dem Patienten willst."

Maik macht gerade den Reißverschluss von der Jacke zu, als Bianca das Zimmer betritt. Sie schiebt einen Rollstuhl vor sich her. "Das ist nicht euer ernst?" fragt Maik amüsiert.
"Doch. Sie setzen sich brav hinein und ich schiebe sie."
"Ich habe aber nichts an meinen Beinen, also kann ich auch laufen."
"Gut, wenn sie es ganz alleine von ihrem Bett bis zum Fahrstuhl schaffen, bleibt das Ding hier."
"Das schaffe ich mit links." sagt Maik und läuft los. Die Schwester steht mit verschränkten Armen da und lächelt. Sie weiß genau, dass es ihr Patient nicht schaffen wird. Doch wer nicht hören will .... Als Maik 5 Minuten später endlich an der Zimmertür steht, rast sein Herz vor Angstrengung und seine Wunde schmerzt. "Ok. Ich gebe mich geschlagen. Sie dürfen mich schieben." Bianca holt den Rollstuhl und hilft ihrem Patienten sich hineinzusetzen.

Der Chevrolet parkt in der Nähe der Klinik. Der Fahrer ist einen kleinen Waldweg hineingefahren. Hier wird sie niemand bemerken und von hier ist die Sicht auf das Gelände hervorragend. Kevin hält ein Fernglas vor seine Augen und schaut das Gebäude ab. Vielleicht kann er an einem Fenster die Zielperson sehen. Dann wissen sie auch gleich sein Zimmer. Doch bis jetzt hat er kein Glück. Er schaut auf seine Uhr, 18.22 Uhr. So langsam wird es ruhig auf dem Gelände. Sein Kumpel hat sich bereits zur Ruhe begeben. Er hat seinen Sitz nach hinten gestellt und scheint zu schlafen. Das Wartungs- und Landschaftspersonal hat bereits 18 Uhr die Klinik verlassen. Auch einige Pfleger und Schwestern haben ihren Dienst beendet und begeben sich in ihren wohlverdienten Feierabend. *Toll, die dürfen nach Hause.* Denkt sich Kevin frustriert und er darf sich wieder mal die Nacht um die Ohren schlagen. Was wird wohl sein kleine Bardame gerade machen. Zu gerne hätte er sie heute wiedergetroffen und das zu Ende gebracht, wobei ihm Alexej gestört hatte. Gerade als er so seinen Gedanken nachhängt, verläßt eine Schwester mit einem Rollstuhl und einem Patienten darin die Klinik. Beide gehen einen Weg entlang. Sie laufen langsam und unterhalten sich. An einem kleinen Teich bleiben sie stehen. Die Schwester setzt sich auf eine Bank und unterhält sich weiter mit dem Mann. Erst nach einigen Minuten registriert Kevin, dass er den Mann kennt. Augenblicklich nimmt er das Fernglas hoch und schaut hindurch. Sein Gefühl hat ihn nicht belogen, dass ist dieser Maik Tayler. "Der amüsiert sich hier mit einer süßen Krankenschwester und läßt es sich gut gehen und ich muß wegen ihm auf mein persönliches Vergnügen verzichten." sagt Kevin leise und frustriert. Sein Freund fragt ihn mit geschlossenen Augen. "Wer amüsiert sich mit einer Krankenschwester?" "Dieser schießwütige Türsteher." "Was?" sagt der Mann und richtet sich auf. Dann nimmt er das Fernglas von seinem Freund und schaut hindurch. "Tatsächlich. Der Kerl ist wirklich hier. Hat nen guten Geschmack. Die Kleine ist wirklich süß." Dann drückt er seinem Kumpel das Fernglas wieder in die Hand und legt sich in seinen Sitz zurück. "Dann beobachte mal schön weiter. Ich penne ne Runde. Kannst mich ja gegen Mitternacht wecken."

Maik und Bianca unterhalten sich prächtig. Beide erzählen sich gegenseitig ihre kleinen Streiche, die sie auf der Uni gemacht hatten. Immer wenn die Frau herzhaft lacht, erinnert sie Maik an seine verstorbene Freundin. Auch die ein oder andere Geste kommt ihm irgendwie vertraut vor. Der ehemalige Polizist fühlt sich in der Nähe der Krankenschwester geborgen. Er ist zwar durch und durch Realist, aber als er Bianca mal einige Zeit schweigend beobachtet und ihr beim erzählen zuhört, kommen ihm Gedanken in den Kopf, die er noch nie zuvor hatte. Gibt es etwa doch eine Wiedergeburt nach dem Tod? Diese Krankenschwester ist wie eine Reinkarnation von Bianca. Oder fängt Maik jetzt an, durch den schmerzhaften Verlust seiner geliebten Lebensgefährtin, verrückt zu werden und Dinge zu sehen, die es so gar nicht gibt. Als ihr Patient auf eine Frage ihrerseits nicht antwortet, will die Krankenschweser wissen: "Geht es ihnen nicht gut? Soll ich den Dok rufen?" Maik lächelt und sagt: "Nein nein. Mir geht es gut. Aber sie erinnern mich an eine gute Feundin, die ich vor kurzem verloren habe." Sofort wird Bianca ernst und sagt: "Das tut mir wirklich Leid. Wollen sie darüber reden?" Aber das will Maik auf alle Fälle nicht. Zu frisch sind noch die Wunden in seinem Herzen. Er geht nicht auf die Frage ein, sondern sagt: "Mir wird langsam frisch. Könnten sie mich bitte wieder in mein Zimmer fahren?" Die Krankenschwester begreift sofort, dass ihr Patient nicht darüber reden will und das respektiert sie. "Natürlich." Sie steht auf und schiebt den Mann mitsamt dem Rollstuhl zurück in die Klinik. Dabei werden sie von dem Mann in dem Chevrolet beobachtet. Dieser sieht kurz darauf die Krankenschwester an einem Fenster in der obersten Etage. Sie schließt die Balkontür. "Na also, du kleiner Bastard. Dort ist also dein Zimmer."
Bianca will gerade gehen als Maik sagt: "Es tut mir Leid, falls ich sie beileidigt habe. Aber ich kann einfach noch nicht über den Tod meiner Freundin reden." Die Frau wendet sich noch einmal um und sagt veständnisvoll: "Sie brauchen sich doch nicht zu entschuldigen. Als meine Eltern bei einem Verkehrsunfall gestorben sind, konnte ich auch lange Zeit nicht darüber reden. Aber ich kann ihnen garantieren, irgendwann werden sie es können und das wird ihnen auch gut tun. Doch wann das sein wird, dass müssen sie ganz alleine wissen. Ich werde jedenfalls für sie immer ein offenes Ohr haben. Aber Morgen habe ich Spätschicht. Also, falls sie reden wollen, dann müssen sie sich bis zu meinem Dienstbeginn 14 Uhr gedulden. Doch dann können sie über mich verfügen. Jetzt ruhen sie sich aus und schlafen sie gut." "Sie auch." sagt Maik lächelnd und legt sich auf sein Bett.


23.

So langsam verschwindet die Sonne am Horizont und es wird kühler. Ein sonniger Tag geht zur Neige. Alles kommt zur Ruhe. Die Fahrzeuge in der Stadt werden weniger und die Lichter in den Häusern mehr. In den Gaststätten treffen mehr und mehr hungrigen Gäste ein. Die wärmenden Sonnenstrahlen des Tages haben die asphaltierten Straßen und die Häuserfassaden aufgeheizt. Diese Wärme geben sie jetzt an ihre Umgebung ab und daher laufen in der Stadt noch viele Leute kurzärmlig herum. Von dieser Wärme spürt man außerhalb der City nichts. Hier ist es bereits sehr kühl und der seit einiger Zeit auffrischende Wind verstärkt noch dieses Gefühl. Er bläst über die leuchtend gelben Rabsfelder und die Wiesen in sattem Grün. Auch die Blätter von den Bäumen und Büschen werden von den frischen Böen nicht verschont. Sie rauschen mal mehr und mal weniger. Doch eine Amsel scheint es nicht zu stören. Der Wind hält sie nicht davon ab, ihr Abendlied zu singen. Weit hin ist ihr fröhliches Gezwitscher zu hören. Ein dumpfer Knall läßt sie kurz verstummen, aber nicht davonfliegen. Das Geräusch klingt so, als ob eine Sektflasche geöffnet wird. Doch es war kein Sektkorken, sondern ein Schalldämpfer der den Abschussknall einer Kugel lautloser macht. Bevor die Amsel registriert, dass dieses unbekannte Geräusch für sie zur Gefahr wird, fällt sie schon Tod von dem Zweig auf dem sie gesessen hat. Aus der Dunkelheit der anbrechenden Nacht ist die Stimme eines Mannes zu hören: "Ich habe dich gewarnt du Mistvieh." Zufrieden legt der Schütze seine Waffe auf den kleinen Tisch, der sich in einem Wachhäuschen unmittelbar an der Einfahrt eines alten Flugplatzes befindet. Auf dem Tisch liegt ebenfalls ein Funkgerät. Dieses schaltet sich soeben ein und die Stimme von Alexej ist zu hören. "Noch immer nichts?" will er wissen. "Nein, noch immer nichts." sagt sein Mann, doch dann sieht er, wie sich die Lichter eines Fahrzeuges nähern. "Warte mal." sagt er und steht von seinem Stuhl auf. "Es nähert sich gerade ein Auto. Das könnte unser Kunde sein." "Falls er es ist, schicke ihn zur Halle." "Geht klar." Wenig später hält ein schwarzer Mercedes-Benz vor dem Tor. In dem Fahrzeug sitzen 4 Männer in dunklen Anzügen. Die Wache öffnet das Tor und sagt zu dem Fahrer: "Alexej wartet schon. Ihr müßt etwas 100 Meter geradeaus fahren, dann sehen sie bereits die 2 Fliegerhallen. Mein Boss wartet in der Rechten." Ohne zu Antworten fährt der Fahrer los.
Alexej steht bereits vor der Fliegerhalle und wartet auf das Eintreffen seines Kunden. Der Mercedes hält vor dem hellerleuchteten Tor. Fahrer und Beifahrer steigen aus. Sie sehen sich kurz um und als sie nichts verdächtiges bemerken, öffnen sie die hinteren Türen. Ein grauhaariger älterer Mann steigt aus. Man erkennt sofort an seiner Haltung und seinem Auftreten, dass er der Boss ist und die anderen vermutliche seine Bodyguards. Die 3 Männer folgen ihrem Chef, als dieser zu Alexej geht. Er lächelt den russischen Drogen- und Waffendealer an. "Hallo Alexej. Schön, dass du mir meine Ware so schnell liefern kannst." Dabei reicht er dem Mann mit der Narbe auf der Wange die Hand. Dieser erwidert die freundschaftliche Geste, sagt: "Für gute Kunden habe ich doch immer was in Reserve." Beide Männer gehen in die Ecke, wo die Waffenkisten stehen. Dort wartet bereits einer von Alexej´s Leuten. Die Bodyguards des Käufers warten in diskretem Abstand. Hochkonzentriert beobachten sie jeden Mann der zu dem Russen gehört. Ihre Anzugjacken sind offen und man kann im Hosenbund Handfeuerwaffen sehen, die sie ohne zu Zögern benutzen würden, falls ihr Boss in Lebensgefahr gerät. Alexej nimmt aus einer der Kisten eine Waffe. "Das hier ist eine Heckler & Koch MP 5. Bei der Abzugsbetätigung ist der Verschluss bereits geschlossen, was zu einer hohen Schuss-Präzision führt. Ihr könnt die Abzugsart individuell einstellen: Einzel-, 3-Schuss- oder Dauerfeuer. Da der Schaft aus Kunststoff ist, ist die Waffe sehr leicht." Alexej reicht dem Kunden die Maschinenpistole. Dieser nimmt sie in die Hand und wiegt ihr Gewicht. "Wirklich, die ist angenehm leicht. Wie weit schießt sie?" "70 Meter." Einer von den Bodyguards nähert sich und sein Chef wirft ihm die Waffe zu. Der Mann kontrolliert mit geübten Griffen, ob diese wirklich funktioniert. Als er soweit zufrieden ist, sieht er zu Alexej und fragt ihn: "Darf ich?" "Aber natürlich." Dann gibt der Mann 3 Probeschüsse auf eine Wand ab.
Justin zuckt zusammen als er dies hört. Doch die anderen Kinder scheint es nicht zu stören. Sie haben es wahrscheinlich schon oft erlebt, dass draußen geschossen wird. Sie wachen nicht einmal aus ihrem Schlaf. So legt sich auch Evans Sohn zurück auf seine dreckige Matratze.
Wieder schaut der Mann zu seinem Boss und nickt zufrieden. "Gut, von denen nehme ich 3 Kisten und dazu 70 Magazine mit jeweils 30 Patronen." sagt dieser zu dem Waffenhändler. "Wenn ihr 5 Kisten nehmt, kann ich mit dem Preis etwas nach unten gehen." schlägt Alexej vor. Ein kurzer Blickkontakt zwischen Bodyguard und seinem Chef und der Kauf ist akzeptiert. Zufrieden läßt der Russe von seinem Mann eine weiter Kiste öffnen. Wieder holt er eine Maschinenpistole heraus. Dabei lächelt er und sagt: "Und das hier ist die gute alte Kalaschnikow AKSU-74. Ich denke, dazu muß ich euch nichts erzählen." Wieder gibt der Käufer die Waffe an seinen Bodyguard weiter und abermals kontrolliert dieser, ob sie funktioniert. Nach einigen Probeschüssen nickt der Mann erneut zufrieden. "Davon brauche ich 7 Kisten und 120 Magazine." "Wollt ihr einen Volksaufstand anzetteln?" fragt Alexej scherzhaft. Doch sein Kunde reagiert nicht auf die Frage, was den Russen nicht wirklich wundert. Denn was geht ihm an, wofür der Kerl die ganzen Waffen braucht. Hauptsache er zahlt. Alles andere ist dessen Sache. "Kann ich euch mit noch etwas dienen? Vielleicht mit bisschen TNT oder C 4?" "Nein Danke. Die Lieferung erfolgt wie vereinbart in einer Woche. Heute bekommt ihr 35.000 und den Rest bei Lieferung." Alexej lächelt. "Genau, so war es vereinbart." Sein Kunde schaut zu einen seiner Leute der am Tor stehengeblieben war. Dieser versteht und verläßt den Hangar um zum Auto zu gehen. Er öffnet den Kofferraum, holt von dort einen schwarzen Aktenkoffer und kommt zurück. In der Zeit sind Alexej und sein Käufer zum Tisch gegangen. Darauf steht eine Flasche Smirnoff Wodka und 2 Gläser. Der Bodyguard legt den Koffer auf den Tisch und öffnet ihn. Darin befinden sich die 35.000 Euro Anzahlung. Zufrieden lächelt Alexej und zählt nach. In der Wartezeit schaut sein Kunde auf den Tisch und entdeckt dort eine Akte. Ein Teil von einem Bild ist zu sehen und er zieht es ganz heraus. Es ist ein Foto von Maik. "Es ist alles da, bist auf den letzten Cent." sagt der Russe scherzhaft. Dann öffnet er die Flasche Smirnoff und gießt die 2 Gläser voll. Eins reicht er seinem Käufer, prostet ihm zu und sagt: "Es immer schön, mit ihnen Geschäfte zu machen Herr Schmidt." Alexej glaubt zwar nicht, dass das der Richtige Name von seinem Kunden ist, aber das ist ihm ebenfalls egal. Als der Waffenhändler sein Glas an den Mund setzt um zu trinken, nimmt dieser Herr Schmidt das Foto von Maik in die Hand und fragt: "Habt ihr mit diesem kleinen Undercoverbullen auch Ärger?" Alexej verschluckt sich fast an seinem Wodka. Er glaubt falsch verstanden zu haben. Doch einer seiner Männer sagt sofort: "Wußte ich es doch! Der Kerl ist nie und nimmer ein Türsteher!" "Ihr kennt den Mann?" will Alexej zur erneuten Bestätigung wissen. Jetzt trinkt auch sein Kunde einen Schluck. "Ja. Er hat mich um ein riesen Geschäft in 7 stelliger Höhe gebracht. Aber beim 2. Mal haben wir den Spieß umgedreht und ihn und seine Bullenfreunde in einen Hinterhalt gelockt. Ich war mir bis jetzt sicher, dass er dies nicht überlebt hat. Aber so kann man sich täuschen." Wütend sagt Alexej: "Der Kerl scheint 9 Leben wie eine Katze zu haben. Aber ich persönlich werde dafür sorgen, dass er in Kürze seine restliche Leben verliert." "Ich will euch zwar nicht reinreden, aber der Kerl ist gefährlich gut. Wir haben 2 Monate gebraucht ehe wir herausbekommen haben, wer die undichte Stelle ist. Dabei habe ich 4 meiner besten Männer verloren. Doch ich habe mich gerächt. Als wir ihn in die Falle gelockt haben, da habe ich seine Freundin ebenfalls dorthin bestellt. Und als es dann zum Schusswechsel kam, habe ich sie mit einem Halsschuss quasi Hingerichtet. Leider hat es dieses kleine Bullenschwein nicht gesehen. Schade eigentlich. Viel lieber hätte ich seine Bettgespielin vor seine Augen erschossen." Nun trinkt dieser Herr Schmidt auch seinen Wodka aus und stellt das Glas auf den Tisch, daneben legt er das Bild von Maik.

Der Wind weht durch den dunklen Wald, der sich rings um die Klinik befindet. Hin und wieder fällt, infolge der kräftigen Böen, ein Ast auf die Erde. Dumpf schlägt er auf den feuchten Waldboden auf. Unter den Blättern raschelt es von flüchtenden Mäusen. Ein Waldkauz der ganz in der Nähe sitzt, beobachtet mit seinen guten Augen den Boden um nach Beute Ausschau zu halten. Hin und wieder drinkt sein Ruf durch die Nacht. Nur das Licht des Vollmondes läßt diese Gegend etwas weniger unheimlich erscheinen. In einem Chevrolet-Geländewagen liegt ein Mann auf dem Fahrersitz. Dieser ist nach hinten geklappt und der Fahrer schläft. Doch das angehende Funkgerät reißt ihn aus seinen tiefen Schlaf. Erschrocken und erst einmal orientierungslos setzt er sich auf. Wo ist er? Doch dann fällt es ihm wieder ein. Er steht vor dieser Privatklinik. Aber wo ist sein Beifahrer. Der Sitz ist leer. Kevin wird doch nicht etwa .... Nein, so lebensmüde ist sein Partner nicht. "Verdammt, meldet euch!" ist die aufgebrachte Stimme von Alexej aus dem Funkgerät zu hören. "Ja doch, gleich." sagt der Mann, richtet sich auf und greift nach dem Gerät. "Hier ist Niklas. Was gibt es denn?" "Warum meldet ihr euch nicht?" brüllt sein Boss sofort los. Aber ohne auf eine Antwort zu warten, fragt er: "Ist Kevin bei dir?" Was soll er machen? Seinen Kumpel verraten oder für ihn Lügen? Doch wenn Kevin wirklich zu seiner Tusse gefahren ist, dann muss er auch mit den Konsequenzen leben. "Ich bin alleine. Ich weiß nicht, wo Kevin ist. Er sollte mich gegen Mitternacht wecken." Plötzlich geht die Beifahrertür auf und Kevin steigt ein. Er hat den Kragen seiner Jacke hochgeschlagen und friert sichtlich. "Man ist das eine Kälte." sagt er. "Wo warst du verdammt noch mal? Ich versuche euch schon seit paar Minuten zu erreichen?" blafft Alexej. Niklas gibt Kevin das Funkgerät. "Ich war nur mal für paar Minuten draußen, um eine zu Rauchen und schiffen zu gehen."
"Ist dieser Tayler noch in der Klinik?" will sein Boss wissen.
"Ja. Warum?"
"Weil mir gerade ein Waffenkäufer gesteckt hat, dass dieser Kerl nicht das ist, wofür er sich ausgibt."
"Ich habe es doch gewußt." sagt Kevin. "Soll ich mich reinschleichen und ihn umlegen?"
"Nein, ihr beide paßt nur auf, dass sich dieser Hurensohn nicht heimlich aus den Staub macht. Morgen früh wird euch Ed ablösen. Er wird den Kerl heimlich umlegen und es wie einen Herzinfarkt aussehen lassen. Alles andere würde sofort die Bullen auf den Plan rufen. Habt ihr beide das verstanden?!"
"Ja." bestätigen beide Männer die unmißverständliche Anweisung.

Wenn Maik gewußt hätte, dass sein Leben bald zu Ende geht, würde er nicht so seelenruhig in seinem Zimmer schlafen. Doch er ahnt nichts von der für ihn schlechten Entwicklung.

24.

Als der Morgen dämmert, wacht Maik wegen irgend etwas auf. Er kann nicht sagen warum, aber etwas beunruhigt ihn. Sein Herzschlag verdoppelt sich und er konzentriert sich voll auf seinen Gehörsinn, denn um etwas zu sehen, dafür ist es einfach noch zu dunkel. Plötzlich hört er, wie seine Zimmertür ganz langsam geöffnet wird. Maik versucht seine Atmung nach unten zu bekommen um dem Unbekannten vorzumachen, dass er noch schläft. Fast geräuschlos schließt sich die Tür. Doch der ehemalige Polizist spürt, dass noch jemand im Zimmer ist. Die Person atmet schnell. Alles bleibt ruhig. Plötzlich stößt derjenige irgendwo an, da er genaussowenig sieht, wie der Patienten der in diesem Zimmer liegt. Fast wäre Maik zusammengezuckt, ein gut ausgebildeten Angreifer hätte dies sofort gehört und erkannt, dass er wach ist. "Shit Rollstuhl." hört er die leise Stimme eines Mannes. Maik tut so, also ob er sich im Schlaf auf die rechte Seite drehen würde. Augenblicklich bleibt der Mann unbeweglich stehen, solange, bis der Patient wieder ruhig daliegt. Der ehemalige Polizist greift ganz langsam zwischen Matratze und Bettgestellt. Dort hat er vom letzten Abendbrot ein Messer versteckt. Man weiß ja nie. Wieder bewegt sich die unbekannte Person, sie öffnet die Tür einen Spalt breit und sieht nach draußen. Dass ist der richtige Moment. Maik dreht sich herum, greift mit der linken Hand zum Lichtschalter und schaltet die Lampe über seinem Bett ein. Dabei ruft er ganz laut: "Halt stehen bleiben, sonst werfe ich das Messer!" Vor ihm an der Tür, steht ein junger Mann, höchstens 20 Jahre alt. Er wird leichenblass, hebt seine Hände und kann sich vor Angst nicht rühren. Maik sitzt im Bett, hält das Messer an der Klinge fest, wie ein Wurfmesser. Doch er erkennt sofort, von diesem Mann geht keine potenzielle Gefahr aus. "Wer seid ihr und was macht ihr in meinem Zimmer?" Die erhobenen Hände des Eindringlings zittern und mit ebenfalls zitternder Stimme antwortet er: "Ich liege 2 Zimmer weiter und bin gerade auf dem Rückweg vom Schwesternzimmer." Was der Mann dort gemacht hat, kann sich Maik sehr wohl vorstellen.
"Das erklärt immer noch nicht, warum ihr in meinem Zimmer seit." "Weil die Oberschwester gerade zum Dienst erschienen ist. Früher als sonst. Wir haben ihr Auto vom Schwesternzimmer aus gesehen. Wenn sie mich mit Schwester Bea erwischt, wird sie sofort entlassen. Das möchte ich nicht. Bevor ich jedoch in meinem Zimmer ankam, war die Oberschwester bereits auf der Station. Da habe ich mir nicht anders zu helfen gewußt und bin halt in das erstbeste Zimmer geflüchtet."
Maik lächelt, sagt: "Ihr könnt die Hände runternehmen und dann ab, in euer Zimmer."
"Bitte, sagt nichts der Oberschwester." bettelt der junge Mann. "Versprochen." Jetzt ist ein Lächeln auf dem Gesicht des Jungen zu sehen und nach einem kurzen Blick auf den Gang verschwindet er. Der Freund von Chris Evans läßt sich auf sein Bett zurückfallen, schaut an die Decke und denkt sich: *Man, was für ein verrückter Morgen.* Sein Adrenalinspiegel ist von der Aufregung noch viel zu hoch, auch seine Atmung. Er hatte wirklich angenommen, dass es jemand auf ihn abgesehen hat. Doch wer sollte das sein? Aber wenn man mit Herz und Seele ein Polizist ist, kann man dies nicht einfach ablegen und zum normalen Alltag übergehen.

Eine Stunde später geht die Sonne auf. Die Wiesen sind vom nächtlichen Tau nass. Auch das Auto was die ganze Nacht im Wald gestanden hat, ist feucht vom Niederschlag. Gerade laufen auf der Frontscheibe 2 Tropfen nach unten in Richtung Motorhaube. Auf dem Weg dorthin, vereinen sie sich zu einem Großen. Kevin schläft noch tief und fest. Seine Jacke hat er ausgezogen und sich über den Oberkörper gelegt. Niklas hatte seit Mitternacht die Wache übernommen. Jetzt ist er Hundemüde und will nur noch in sein Bett. Er friert, ist hungrig und ziemlich schlecht gelaunt. Seine Glieder sind von der Kälte steif und seine Augen brennen. Frustriert über diesen scheiß Job, fährt er sich mit den Händen übers Gesicht. Auf einmal wird der Chevrolet von 2 dumpfen Schlägen getroffen. Sofort greift Niklas nach seiner Glock 20, am Fahrerfenster erscheint grinsend Ed. "Hab ich euch geweckt?" fragt er blöd. "Wenn du das noch einmal machst, leg ich dich ausversehen um." sagt Niklas und seine Laune verschlechtert sich noch mehr. "Hey, warum gleich so aggressiv? Ich habe euch zweien sogar nen richtig schönen heißen Kaffee mitgebracht." Der Fahrer des Geländewagens steigt aus, streckt seine Glieder und gähnt länger. In der Zeit geht Ed zu seinem Wagen, den er gleich hinter dem Surbuban geparkt hat. Er greift ins Innere und holt einen Starbucks-Kaffeebecher mit Plastikdeckel heraus. Diesen gibt er Niklas. Er hält ihn zwischen seine Hände und wärmt sich daran. "Man, das war heute Nacht vielleicht scheiße Kalt." Er trinkt einen Schluck und sogleich merkt er, wie sich die wohltuende Wärme in seinem Körper ausbreitet. "Und du sollst diesen Tayler also ins Jenseits verfrachten, ohne das es jemand mitbekommt. Wie willst du das anstellen?" "Ich habe mir schon was überlegt."
"Was denn?" "Das bleibt mein kleines Geheimnis." sagt Ed grinsend und zündet sich eine Zigarette an. Der Rauch den er ausbläst, ist durch die Kälte noch intensiver. "Was ist denn mit Kevin?" fragt er und nickt in Richtung Geländewagen. Auch Niklas dreht sich um. "Der pennt noch. Ich beneide ihn um seinen Schlaf. Dem kannst du den Sitz unterm Arsch wegziehen und der pennt noch weiter." "Mal sehen, ob ich ihn munter bekomme." sagt Ed hämisch und geht um das Auto herum auf die Beifahrerseite. Kevin sitzt schräg in seinem Sitz, den Oberkörper gegen die Tür gelehnt und den Kopf an der Scheibe. Ed reißt die Tür auf und Kevin fällt fast aus dem Auto. Er kann sich geradenoch schlaftrunken am Amaturenbrett festhalten. Doch durch diese Aktion ist er sofort hellwach. "Spinnst du?" fragt er seinen Kumpel. "Ich habe gerade geträumt, dass ich mit 2 scharfen Schnitten im Bett liege und mich richtig verwöhnen lasse." "Dann war es ja Zeit, dass ich dich in die Realität zurückhole. Warum soll es dir besser gehen als uns?" Ebenfalls Müde und Frierend kommt Kevin um das Auto herum und geht zu Nicolas und Ed. Er hat sich seine Jacke angezogen und schließt den Reißverschloss bis zum Hals hoch. Ed drückt ihm den 2. Kaffeebecher in die Hand.

25.

Die morgendliche Visite ist vorbei und Maik hat erfahren, dass er, falls sich die Wunde nicht entzündet, in einer Woche entlassen werden kann. Bis dahin wird Justin schon wieder zu Hause sein. Hoffentlich übersteht er alles unbeschadet. Maik hatte schon einige Entführungsopfer bei SEK-Operationen befreit. Und viele von ihren waren trotz intensiver Betreuung durch einen Psychiater nie mehr die Alten. Sie litten an Schlaflosigkeit und ständigen Angstattacken. Dies wünscht er sich nicht für Justin. Der Junge hat noch sein ganzes Leben vor sich und nur weil es geldgierige Subjekte gibt, kommen unschuldige Menschen zu Schaden. Falls es durch das Kidnapping bei Justin zu irgendwelchen bleibenden gesundheitlichen Nachwirkungen kommen sollte, dann wird Maik diese Typen jagen. Denn dann wird die Sache persönlich. Und er wird erst aufgeben, wenn er den Kopf dieser Bande zur Strecke gebracht hat.
Das Telefon neben seinem Bett klingelt. Er nimmt den Hörer ab und erkennt die Stimme seines Freunde. "Hallo Chris. Wie geht es euch beiden? .... Macht euch keine Sorgen. Justin wird es gut gehen. Schließlich wollen die Kerle das Lösegeld." Es klopft an Maiks Tür und ein Pfleger tritt ein. "Warte mal." sagt Maik in den Hörer. "Ich soll ihnen nur ihre tägliche Antibiotikaspritze geben." erklärt der Mann und hebt die Spritze in seiner Hand etwas an. Der Polizist kann nicht wissen, dass dieser Mann einer von Alexej´s Leuten ist. "Ja, dann machen sie mal." sagt er ahnungslos und telefoniert weiter. "So, ich bin wieder dran. Ich bekomme nur soeben meine täglichen Drogen. Und wie geht es Janine?" Der Pfleger kommt näher, tritt neben das Bett, entfernt die Luftblase aus der Spritze und will sie gerade in die Venenkanüle auf Maiks rechten Handrücken stecken. Doch durch einen dummen Zufall sieht Maik gerade in Richtung Balkon und in der großen Tür, die bis zum Boden geht, spiegelt sich die Rückseite des Mannes wieder. Er trägt zwar einen Krankenhauskittel und auch eine passendene Hose, aber irgendetwas stimmt nicht. Plötzlich fällt es Maik auf, die Schuhe. Der Mann trägt Springerstiefel. Alle Alarmglocken gehen in Maiks Gehirn an und er fragt den Pfleger. "Wieso gibt mir Bianca nicht meine Spritze. Sie wollte doch gleich zurückkommen." Dies war eine Fangfrage, denn Maik weiß, dass die Krankenschwester heute Spätdienst hat und nicht vor 14 Uhr anfängt. Der Mann lächelt. "Schwester Bianca mußte bei einem Notfall helfen und da hat sie mich gebeten, ihnen die Injektion zu geben." Maik zieht seine Hand weg. Irritiert über diese Aktion, sieht ihn der Pfleger überrascht an. Der Polizist sagt: "Bianca hat heute Spätdienst. Also, wer sind sie?" Der Mann läßt die Spritze fallen und greift blitzschnell mit seiner rechten Hand hinter seinen Rücken. Dort hat er garantiert eine Waffe stecken. So reagiert auch Maik im Bruchteil einer Sekunde. Schnell und mit aller Kraft schlägt er dem Mann das Telefon ins Gesicht. Dieser geht von dem Schlag etwas benommen in die Knie. Doch er erholt sich erstaunlich schnell und greift sofort an. Er wirft sich auf Maik und beide fallen vom Bett auf den Boden. Der Aufschlag trifft den Polizisten wie der Tritt eines Elefanten. Sein Angreifer ist auf ihn gefallen, hat ihm dabei mit den Ellenbogen genau auf die Wunde getroffen. Maik hat sofort gespürt, dass einige Fäden aufgegangen sind. Der Schmerz ist unbeschreiblich und Maik merkt, wie seine linke Hüftseite warm wird. Er blutet wieder. Der Mann von Alexej zieht den Kittel aus, da er ihn im Kampf behindet. Wütend über den verpatzten Mordversuch wirft er ihn in eine Ecke. Anschließend zieht er seine Waffe hinter dem Rücken hervor, will auf dem am Boden liegenden Mann schießen. Da seine Smith & Wesson einen Schalldämpfer hat, wird niemand vom Krankenhauspersonal den Schuss hören und Ed kann nach dem Mord an diesem verfacken Bullen noch fliehen. Maik hatte diesen Kerl mit dem Telefon so getroffen, dass ihm die rechte Augenbraue aufgeplatz war und Blut läuft ihm nun ins Auge. Es scheint zu brennen, denn er muß seine Augen kurzzeitig schließen. Das genügt Maik, um wieder anzugreifen. Er schlingt seinen rechen Fuß um die Knöchel des Mannes und holt ihn so von seinen Füßen. Dabei reißen die Ösen der Springerstiefel Maik´s Füße auf. Ein Schuss löst sich und geht fast lautlos in die Decke. Der ehemalige Polizist greift nach hinten und bekommt den Fuß des Infusionsgestelles zu fassen. Mit dem anderen Ende schlägt er Alexej´s Mann erneut ins Gesicht. Der Schlag ist so hart und präzise, dass dem Kerl für einige Sekunden die Sinne wegbleiben. Maik legt sich völlig erschöpft und an Bauch und Füßen stark blutend auf den Boden. Er ringt nach Atem und sein Herz pocht in seinem Brustkorb als wollte es die Rippen sprengen. Er versucht um Hilfe zu rufen, doch er hat keine Kraft mehr. Mühsam dreht er sich auf die Seite, dabei stöhnt er vor Schmerz. Er hält sich seine Hüftverletzung und durch seine Hand quillt sein Blut. Maik kriecht zum Bett und versucht sich dort hochzuziehen. Irgendwie schafft er es und kommt wieder auf die Beine. Dabei tut ihm das Stehen weh. Alexej´s Mann scheint noch immer gegen die drohende Ohnmacht anzukämpfen. Er liegt am Boden auf dem Rücken und atmet schwer. Seine Waffe ist ihm durch Maik`s Schlag mit dem Tropfhalter aus der Hand gerutscht und liegt nun etwa 1 Meter von ihm entfernt. Der SEK-Mann schleppt sich zu der Waffe, dabei hinterläßt er blutige Fußspuren auf den Fliesen. Blut tropft ihm ebenfalls von der Hand, die er auf seiner linke Hüfte gedrückt hält. Gerade als Maik nach der Waffe greifen will, dreht sich Ed zur Seite und schiebt das Telefon kräfig über den Boden. Es trifft den Waffengriff hart und sorgt dafür, dass diese soviel Schwung bekommt, dass sie erst auf den Balkon und dann über die Brüstung rutscht und so nach unten fällt. Maik kann nicht mehr. Erschöpft und am Ende seiner Kraft, fällt auf seine Knie, stützt sich mit der rechten Hand vom Boden ab und versucht mit seiner Linken die Blutung an der Hüfte zu stoppen. Sein Gegner erhebt sich und kommt näher. Er holt mit seinem Fuß aus und tritt Maik genau auf die Wunde. Dabei brechen ihm die harten Springerstiefel seinen Ringfinger. Er spürt, wie der Knochen splittert und danach, wie die restliche Fäden, die seine Wunde bis jetzt noch zusammen gehalten hatten, reißen. Wie unter Trance hört Maik, das jemand versucht gewaltsam die Zimmertür zu öffnen. Doch sie bleibt verschlossen. Der ehemalige Polizist liegt auf seinem Rücken, sein Brustkorb hebt und senkt sich schnell. Es ist eine Frage der Zeit, bis ihn der hohe Blutverlust ins Reich der Bewußtlosigkeit holt. Nur verschwommen bekommt er mit, daß der Mann von Alexej zur Balkontür geht. Dort liegt das Telefon. Ed hebt es auf und reißt das Anschusskabel heraus.
Wenn ein menschlicher Körper an einem Punkt angelangt ist, wo er nicht mehr kann, schaltet das Gehirn zum Selbstschutz ab und es spürt keinen Schmerz mehr. An diesem Punkt ist Maik jetzt angelangt. Bei ihm ist nur noch der menschliche Urinstinkt aktiv, der des unbedingten überlebens. Mühsam dreht er sich auf die linke Seite und versucht zur Tür zur kommen. Wie ein verwundetes Tier, dass vor seinem Jäger zu flüchten versucht, robbt sich Maik Centimeter für Centimeter vorwärts, hinterläßt auf seinem verzweifelten Weg dem Tod zu entkommen, auf dem Boden eine Blutspur. Doch dieser unerbittliche Überlebenswille des Mannes ringt Ed nur ein müdes Lächeln ab. Langsam nähert er sich seinem Opfer. Dabei wickelt er sich die Enden des Telefonkabels um seine Hände. "Du entkommst mir eh nicht." sagt Ed mit einem Grinsen zu dem Schwerverletzten. Alexej´s Mann ignoriert ebenfalls die lauten Rufe vor der Tür. Diese ist fest verschlossen und stabil, wird also erst nachgeben, wenn er seinen Auftrag zu Ende gebracht hat. Langsam nähert er sich Maik. Dabei zieht er seine Hände auseinander und stafft so das Telefonkabel, was sich dazwischen befindet. "Du solltest zwar anders sterben. Aber gut, was nicht sein soll, soll halt nicht sein. Machen wir es eben auf die altmodische Art und Weise, der guten Strangulierung." Alexej´s Mann steht nun neben Maik. Einerseits bewundert er den Überlebenswillen des Mannes, andererseits hätte er schon längst wieder auf den Weg zur Fliegerhalle sein können. Ed stellt sich so, dass sein Opfer genau zwischen seinen Beinen liegt. Nun kniet er sich auf den Boden, setzt sich leicht auf Maiks rechte Hüfe die nach oben zeigt und hindert ihn so, weiter in Richtung Tür zu kommen. Mit einem fiesen Lächeln legt er ihm das Telefonkabel um den Hals. Dort überkreuzt er es, zieht es langsam und mit einem Anflug an innerer Zufriedenheit straff. Er wird nicht viel Kraft brauchen um dem Kerl sein Leben aus den Körper zu holen. Vielleicht eine, höchstens zwei Minuten, dann wird er Tod sein. Für Ed völlig überraschend, mobilisiert Maik seine letzten Kraftreserven und dreht sich herum. Dabei hebt er seine rechte Hand und rammt dem Mann eine Spritze in den Oberarm. Es ist die Spritze, die eigentlich für Maik bestimmt war. Der Mann reißt sofort seine Augen auf und versucht sie aus seinem Arm zu ziehen. Doch es ist zu spät. Der Inhalt beginnt bereits zu wirken. Im selben Moment gibt das Türschloss nach und 2 kräftige Pfleger fallen fast ins Zimmer. Für einige Sekunden ist das Personal entsetzt vom Anblick desselben. Überall ist Maik´s Blut zu sehen. Auf dem Boden und auch am Bett. Doch bevor sie sich vom ersten Schreck erholen können, folgt schon der Nächste. Der Mann der über Maik kniet, fällt nach hinten auf seinen Rücken, dann fängt er an unkontrolliert zu zittern, bekommt Atemnot, Magen- und Unterleibskrämpfe. Vor Schmerzen krümmt er sich, doch nicht lange. Langsam werden seine Krämpfe weniger und man hört, dass er nur noch stockend atmet, bis sein Herz ganz aufhört zu schlagen. Er ist Tod. "Mein Gott, an was ist er gestorben?" will eine Krankenschwester wissen. Sie hatte, ebenso wie der Doktor Meyer und die Oberschwester versucht, in das Zimmer des Patienten Maik Tayler zu kommen. "Das sieht nach einer Kaliumchloridvergiftung aus." sagt der Arzt. Er war nach einem aufgeregten Anruf des Herrn Evans, dass seinem Freund etwas passiert sein muss, mit der Oberschwester zu dem Zimmer des Patienten gegangen. Die Tür war jedoch verschlossen. Doch man konnte hören, dass etwas nicht stimmte. Geräusche eines Kampfes drangen nach außen und als dann noch eine Schwester mit einer Waffe in der Hand nach oben kam und sagte, dass sie von dem Balkon dieses Zimmers gefallen sei, stand für den Arzt fest, sie mußten unter allen Umständen in das Zimmer kommen. So holte er sich 2 kräftige Pfleger und befahl ihnen, die Tür aufzubrechen. Was sich leichter sagen ließ, als es getan war.
Während die junge Schwester noch immer Probleme damit hat, was sie sieht, kümmern sich der Arzt und die Oberschwester um Maik. Dieser liegt am Boden und auch bei ihm scheint der Überlebenswille nicht mehr ausreichend zu sein, um weiter zu kämpfen. Doch solange sein Herz noch schlägt, solange wird der Arzt nicht aufgeben. Er drückt ihm mit beiden Händen die Hüftwunde zu, damit sein Patient nicht noch mehr Blut verliert. Dabei fragt er ihn laut: "Können sie mich hören?" Doch Maik ist nicht mehr richtig bei Sinnen. Er hört zwar die Stimme des Doktors und der anderen Leute, aber weit, weit weg. Dabei kommt er sich wie in einem schalldichten Raum vor. Zwar will er antworten, aber irgendwie schafft er es nicht. Maik ist so müde. Er will nur noch schlafen. Sein Körper fühlt sich leicht als, als ob er schweben würde. Dieses Gefühl ist gar nicht so schlecht, denkt er sich und will sich diesem voll hingeben. Doch immer wieder dringt die Stimme des Arztes an sein Ohr. "Sie müssen wach bleiben. Sie dürfen nicht einschlafen. Hören sie? Sehen sie mich an." Aber Maik möchte nicht mehr. Diese innere Ruhe und dieser Frieden ist etwas wunderschönes. Schon lange war er nicht mehr so entspannt. Dann hört er auch noch von irgendwoher die Stimme seiner Geliebten: "Maik, Maiky. Schön dich zu sehen." Er lächelt und ist mit sich im Reinen. Endlich, er ist kurz davor seine geliebte Bianca wiederzusehen. Wenn nicht immer wieder diese Stimme wäre die ihn ständig anschreit: "Sehen sie mich an! Sie müssen kämpfen! Verdammt noch mal, geben sie nicht auf!" Doch wozu weiterkämpfen? Bianca wartet doch auf ihn. Solange hat er ihre zärtlichen Umarmungen vermißt, ihr Lachen und ihr verführerisches Parfüm. *Laßt mich doch endlich zu ihr gehen.* will er sagen. Aber über seine Lippen dringt kein Laut. Das Gefühl von Schwerelosigkeit ist einfach nur wunderbar. Als er seine Augen abermals öffnet, sieht er in ein grelles Licht. Ist es etwa DAS LICHT? Doch es ist nicht das, wofür Maik es hält. Sondern es ist eine 160.000 Lux starke Lampe über dem Operationstisch. Eine Schwester schneidet mit einer Schere Maik die Sachen vom Leib und legt so die Verletzung frei. Sie sieht schrecklich aus. Alle Fäden sind wieder aufgegangen und eine breite klaffende Wunde erstreckt sich von Maik`s Bauchnabel bis zur linken Hüfte. Er hat sehr viel Blut verloren. Ob er es überhaupt übersteht, kann der Arzt nicht sagen. Aber er wird sein bestes geben. Maik ist alles um sich herum egal. Er möchte nur noch Bianca in seine Arme nehmen. Plötzlich taucht vor seinem verschwommenen Blick ein anderes Gesicht auf. Das ist doch Bianca, seine Geliebte. Nein, Bianca ist es nicht. Doch woher kommt ihm dieses Gesicht so vertraut vor? Es lächelt ihn an und sagt liebevoll: "Kaum habe ich Spätschicht, passiert ihnen so etwas. Doch ich passe auf sie auf. Sie kommen wieder auf die Beine." Dann wird es um Maik herum schwarz und er fällt ihn einen tiefen, von Medikamenten verursachten Schlaf.

26.

Ein hellblauer metallicfarbener Mini fährt mit völlig unangepaßter Geschwindigkeit einen asphaltierten Waldweg entlang. Er passiert gerade ein großes Werbeplakat, was an der Straße steht. Darauf kann man lesen:





Privatklinik SUNSHINE

Hier bekommen Patienten die Zeit zum Erholen, die sie brauchen.
Sunshine ist eine idyllisch gelegene Klinik im Villenstil des 18. Jh.

Unser Personal freut sich über jeden Besucher und berät sie gern bei Fragen,
rund um ihre Gesundheit.

Das Team der Klinik



Wenn der Fahrer des Mini seine Geschwindigkeit weiter so beibehält und sein Schutzengel, sowie der seiner Beifahrerin, nur einen Moment unachtsam ist, dann werden beide ganz schnell selbst Patienten dieser Klinik werden.
Auch bei der nächsten Kurve drosselt der Fahrer kaum den R4 Zylinder-Turbodiesel. Nur mit Mühe kann er die 112 PS unter Kontrolle halten und verhindern, dass der 4 Meter lange Mini ausbricht und in den Wald rast.
Auf dem Webeschild stand, daß die Klinik idyllisch liegt, dies bedeutet: ruhig, friedlich und ungestört. Als ob der Fahrer den Werbetexter Lügen strafen will, rast er weiter, als wenn der Teufel hinter ihm her wäre.
Kaum fährt er auf den Parkplatz von Sunshine, tritt er voll auf die Bremsen und der kleine Mini kommt zum Stehen. Schnell steigen Fahrer und Beifahrerin aus. Es sind Chris Evans und seine Frau. Sie rennen in Richtung Eingang und hoch zu Maik Tayler´s Zimmer. Fragende Blicke von Patienten und Personal begleiten sie. Vor dem Zimmer von Maik bleiben sie völlig außer Atem stehen und schauen wie versteinert auf das demolierte Türschloss. Was ist hier passiert? Hatte Chris Recht mit seiner Vermutung, dass Maik etwas zugestoßen ist, was mit dem Pfleger zu tun hat? Ist er verletzt oder lebt er nicht mehr? Wer hat es auf ihn abgesehen? Und, woher wußte der Angreifer, dass Maik überhaupt hier liegt? Diese Fragen gehen Chris und Janine durch den Kopf. Aber nur wenn sie die Tür öffnen, werden sie Antworten bekommen. Doch vielleicht wollen sie gar keine Antworten auf ihr Fragen. Was, wenn Maik Tod ist. Janine faßt nach der Hand ihres Mannes und drückt sie derb. Dieser schaut seine Frau an und sagt: "Ich kann auch erst mal alleine hineingehen." Doch Janine wehrt ab. "Nein, er ist unser gemeinsamer Freund." Beiden schlägt das Herz bis zum Hals, als Chris endlich nach der Türklinke greift und sie nach unten drückt. Gleichzeitig hat sein Gehirn alle Umweltgeräusche ausgeschalten. Es konzentriert sich nur noch auf den vor Aufregung wallenden Blutfluß. Sein Herz schlägt in dreifacher Geschwindigkeit. Wie in einem schlimmen Alptraum öffnet er die Tür. Dabei spürt er, wie seine Frau seine Hand noch fester drückt. Und dann sehen beide, was ihnen einen Schock versetzt. Das Zimmer sieht wie ein Schlachtfeld aus. Das Bett steht schief, auf dem Boden liegt das kaputte Telefon mit dem Maik noch vor einer Stunde mit ihnen telefoniert hat und überall ist Blut. Doch noch mehr als das bereits gesehene, versetzt sie ein auf dem Boden liegendes weißes Bettlaken. Darunter liegt eindeutig ein menschlicher Körper. Janine wird schlecht, ihr Kreislauf droht zu versagen. Sie wird eiskalt und fängt an zu frösteln. Das Zittern ihrer Hände bemerkt auch Chris und er sieht sie an. Sie ist ganz blass und starrt wie unter Hypnose auf das Laken. Wieso straft Gott sie so sehr? Erst läßt er es zu, dass ihr Sohn entführt wird und jetzt hat er vielleicht noch Maiky geholt. Auch Chris ist flau im Magen. Aber er hat sich besser unter Kontrolle. Er löst sich aus dem krampfhaften Griff seiner Frau. Selbst wenn es sich schmerzlich bestätigen sollte, dass unter dem Laken sein Freund liegt, dann hat er wenigstens Gewißheit. Denn noch mehr als Gewißheit verängstigt Menschen das Ungewisse. Nur die bloße Annahme, dass etwas schreckliche passiert ist, kann einen Menschen verrückt werden lassen. Langsam geht Chris zu dem leblosen Körper. Er kauert sich hin, greift nach dem Laken, dort, wo sich der Kopf der Person abzeichnet. Dabei bemerkt Evans, dass auch ihm die Hand zittert. Sein Herz pocht schmerzhaft in seiner Brust. Langsam hebt er das Betttuch an und was er darunter sieht, versetzt ihn in ein kaum beschreibliches Glücksgefühl. Der Tode ist nicht Maik. Er sieht seine Frau an, sagt: "Es ist nicht Maik." Diese bricht, trotz der positiven Mitteilung, bewußtlos zusammen. Es war einfach zu viel für sie, was sie in den letzten Tagen durchmachen mußte. Dies wünscht man sich nicht einmal seinem ärgsten Feind. Eigentlich war es nur noch eine Frage der Zeit, bis ihr Körper die Notbremse zieht und ihr durch einen Zusammenbruch die notwendige Ruhe verschafft. "Mein Gott, Janine!" ruft Chris und geht zu seiner Frau. Durch den lauten Aufschrei, kommt eine Schwester ins Zimmer und hilft dem Mann, seine Frau zu versorgen. Was passiert ist, muß sie gar nicht erst fragen. Das Zimmer gibt die Antwort darauf. "Ihre Frau braucht dringend frische Luft. Auf dem Balkon steht ein Liegestuhl. Legen sie sie darauf und bleiben bei ihr. Ich hole ein Glas Wasser und etwas Ammoniumcarbonat." Mit diesen Worten geht sie schnell aus dem Zimmer. Chris hebt seine Frau vorsichtig auf und trägt sie an die frische Luft. Behutsam legt er sie in den Liegestuhl und hält ihre Hand fest. Sie ist eiskalt und blass, wie ihr gesamter Körper. Die tiefen dunklen Ringe unter ihren Augen fallen Chris jetzt erst auf. Er nimmt ihre Hand schützend in die seinen und küßt sie zärtlich. Wie viel mußte seine Frau in der letzten Zeit durchmachen. Wenn er könnte würde er alles dafür geben, um die letzten Tage ungeschehen zu machen. Doch diese Fähigkeit hat er leider nicht.
Die Schwester kommt mit einem Arzt zurück. "Ich habe gehört, dass ihre Frau bewußtlos zusammengebrochen ist." "Ja. Obwohl ich ihr sagen konnte, dass der Mann unter dem Laken nicht unser gemeinsamer Freund ist." Der Doktor sieht Evans an. "Sie sind Bekannte von Herrn Tayler?" will er wissen. "Ja. Maik ist unser Freund. Wir dachten schon, als wir das viele Blut gesehen haben, dass er ....." Chris kann nicht weitersprechen, ihm versagt die Stimme. Doch das braucht er auch gar nicht. Der Arzt versteht auch so. Er greift Janine ans Handgelenk und mißt ihren Puls. Das Lächeln was danach auf seinem Gesicht auftaucht, beruhigt Evans.

27.

In der Zeit, wo sich die Schwester um Janine kümmert, spricht Chris mit dem Arzt. Er will wissen, was hier geschehen ist. So erfährt er, dass auf Maik wirklich ein Mordanschlag verübt worden ist. Doch er hat ihn überlebt, befindet sich jetzt im OP und der Prof. Meyer versucht erneut die Schußwunde an Maiks Hüfte zu schließen. Er muß abermals sehr viel Blut verloren haben. Seit den letzten 48 Stunden steht das Lebens seines Freundes schon zum zweiten Mal auf der Kippe. Wie oft muß er noch um Maik bangen? "Wissen sie schon, wer der Tode ist?" fragt Chris den Doktor, dabei sieht er auf den Leichnam.
"Nein. Der Mann hatte keine Papiere bei sich."
"Auch keinen Autoschlüssel oder ein Handy?" will Evans wissen.
Der Arzt überlegt, schüttelt nach einigen Sekunden seinen Kopf. "Nicht das ich wüßte."
"Aber irgendwie muß der Kerl doch hierhergekommen sein."
Beide Männer stehen an der Tür zum Gang. Chris hat den Doktor extra dorthingeführt, damit Janine nichts von dem Gespräch mitbekommen. Sie ist für so ein Gespräch einfach noch nicht stark genug. Langsam geht Maik´s Freund zu dem Toden. Er kauert sich daneben und schlägt das Betttuch zurück. Ihn schaut eine schrecklich verzerrte Grimasse an. Der Mann muß unter wahnsinnigen Schmerzen gestorben sein. Wieder schaut Chris zu dem Doktor. "Wissen sie schon, an was der Mann gestorben ist?"
"Der Professor Meyer war dabei, als er starb und er vermutet, dass die Todesursache eine Kaliumchloridvergiftung ist."
"Kaliumchlorid?" fragt Chris, denn er hat als Laie keine Ahnung von Medizin.
"Ja. Wie soll ich ihnen das erklären?" sagt der Doktor leise und kommt zu Evans. Er schaut in Richtung Balkon, dort liegt noch immer die Frau in dem Liegestuhl und wird von der Schwester betreut. Sie erzählt mit ihr, versucht sie abzulenken und sorgt dafür, dass die Frau Wasser trinkt, damit sich ihr Kreislauf stabilisiert. Nun sieht der Arzt wieder zu Chris und kauert sich ebenfalls neben den Toden. "Mit Kaliumchlorid kann man einen Herzstillstand simulieren. Der Professor Meyer vermutet, daß der Mann das Mittel in einer Spritze bei sich hatte und diese war für ihren Freund bestimmt. Doch irgendetwas war schief gelaufen. Gott sei Dank. Sonst läge ihr Freund jetzt hier."
"Kommt man denn so einfach an dieses Kaliumzeug heran?"
"Ja. Sie bekommen es in jeder Apotheken und sogar in einem Gartencenter."
Chris schaut den Mann an. Will er ihn für dumm verkaufen? Was macht ein so todbringendes Medikament in einem Gartencenter? Der Doktor deutet den überraschten Blick von Evans richtig und erklärt: "Kaliumchlorid kommt in Düngemitteln oder Streusalz vor, deshalb finden sie es in jedem Baumarkt. Reines Kaliumchlorid bekommen sie allerdings nur in einer Apotheke. Dort wird es hauptsächlich von Veterinären gekauft, um Tiere einzuschläfern. In den USA ist es z. Bsp. ein Bestandteil der sogenannten Giftspritze, wie sie bei Hinrichtungen eingesetzt wird. Das KCI lähmt die Atemmuskulatur und hat eine herzschlagsenkende Wirkung."
"Wenn Maik aber so plötzlich gestorben wäre, hätte es doch eine Obduktion gegeben? Dann hätte sofort festgestanden, dass er vergiftet worden ist und dann kommt die Polizei ins Spiel. So etwas können sich die Kerle nicht leisten." stellt Chris fest.
"Nicht unbedingt. Wenn ein Mensch stirbt, steigt der natürliche Kaliumchloridwert im Blut auf das zwei- bis dreifache an. Ich vermute, dass der Kerl ihrem Freund das KCI einfach gespritzt hätte und dann weggegangen wäre. Kurz danach hätte ihr Freund einen Herzanfall bekommen und wäre gestorben. Auf dem Todenschein würde stehen: Tod durch Herzinfarkt. Denn nichts hätte auf einem Mordanschlag hingewiesen. Da der Mann als Pflegekraft unserer Klinik aufgetreten ist, hätte sich ihr Freund das Zeug anstandslos spritzen lassen."
Genau, das ist es! Wieso ist es Chris nicht gleich aufgefallen? Der Tode trägt Krankenhauskleidung. Und nicht irgendeine die man überall kaufen kann. Nein. Hier in der Klinik trägt das Personal ganz bestimmte Kleidung mit dem Logo der Klinik auf der rechten Brusttasche gestickt. Der Kerl muß sich erst hier umgezogen haben. "Haben sie einen Raum, wo die Kittel und Hosen für´s Personal aufbewahrt werden?" fragt Chris den Doktor.
"Ja, im Keller. Warum?"
"Können sie mich bitte dorthin bringen?"
"Natürlich. Ich verstehe bloß nicht, was das bringen soll."
"Falls ich mit meiner Vermutung richtig liege, hat sich der Kerl erst hier umgezogen und vielleicht finden wir in dem Raum seine wirkliche Kleidung. Wenn wir Glück haben, auch seinen Ausweis."
"Dann kommen sie, bevor noch ein Patient unangenehme Fragen stellt. Wir können keine schlechte Publissity gebrauchen. Die Klinik hat es in dieser Zeit eh schon schwer über die Runden zu kommen." Der Doktor steht auf und geht in Richtung Tür.
"Warten sie mal kurz." sagt Chris und geht zu seiner Frau. Er lächelt sie an. "Du siehst schon viel besser aus." sagt er und tatsächlich, Janine sieht nicht mehr so blass aus, ja, sie hat sogar wieder richtig Farbe im Gesicht bekommen. Er gibt ihr einen zärtlichen Kuss auf die Wange, sieht die Schwester an und fragt diese: "Können sie noch etwas bei meiner Frau bleiben?"
Die Angestellte lächelt und antwortet: "Aber selbstverständlich."
"Was hast du vor?" will Janine von ihrem Mann wissen.
"Ich will mal sehen ob ich herausbekomme, wie der Tode heißt."
"Und wie?"
"Das erzähle ich dir später. Sei lieb und hör auf das, was dir die Schwester sagt." Chris lächelt seine Frau an und verläßt sie.
Der Geschäftsführer von repair station und wie sich herausgestellt hat, der stellvertretende Chefarzt Prof. Dr. Barek, fahren mit dem Fahrstuhl in den Keller. "Wer würde versuchen, ihren Freund zu töten?" will dieser von Chris wissen. Die Wahrheit kann Evans nicht sagen, denn dann würde er das Leben seines Sohnes gefährten und das ist das allerletzte, was er will. So erzählt er nur die halbe Geschichte. "Wissen sie. Maik war noch vor kurzem Polizist. Und, nicht nur ein Kleiner, sondern bei einer Spezialeinheit. Vielleicht hat er sich da Feinde gemacht."
"Da muß er aber jemanden ganz schön auf die Füße getreten sein, wenn sie ihn sogar umbringen wollen." stellt der Doktor fest. Kurz darauf stehen sie vor einer Tür mit der Aufschrift:

Kleiderkammer.

Der Mann öffnet sie. Chris fragt verwundert: "Ist die Tür immer offen?"
"Ja, warum nicht? Wer stiehlt schon Krankenhauskleidung?"
"Da kenne ich jemanden und der liegt jetzt Tod im Zimmer meines Freundes."
Der Arzt geht nicht darauf ein, sondern macht das Licht an und tritt in den Raum. Es ist eine kleine Kammer mit etwa 5 Metallregalen auf denen verschiedene Kliniksachen liegen: OP-Kleidung, Kittel und Hosen für´s Personal sowie Krankenhaushemden für Patienten. In einer Ecke auf einem Stuhl liegt eine Jeanshose, ein gelbes Poloshirt und eine Lederjacke. "Bingo." sagt Chris lächelnd und geht zu den Sachen. Er durchsucht die Jacke und findet den Ausweis des Mannes. Außerdem einen Autoschlüssel und ein Handy. Schlüssel und Telefon legt er auf den Stuhl, schaut dann in den Ausweis und sagt: "Der Kerl heißt Ed Zimmermann, ist 64 geboren und wohnt in Düsseldorf. Was macht der Kerl dann hier?" will Chris wissen. Aber darauf kann ihm der Doktor Barek auch keine Antwort geben. Vielleicht ist er ein freiberuflicher Killer oder er ist einer von den Leuten, die mit der Entführung von Justin zu tun haben. Aber trotzdem versteht Evans nicht, wieso sie Maik Tod sehen wollen. Weiß er etwas, was den Kidnappern gefährlich werden könnte. Wenn das der Fall ist und sie bekommen mit, dass der Mordauftrag nicht ausgeführt wurde, dann schwebt Maik weiter in Lebensgefahr. Bei diesem Gedanken wird Chris heiß und kalt und noch mehr als er daran denkt, dass sich die Kerle vielleicht an seinem Sohn rächen könnten, wenn ihr Mann nicht zurück kommt. Evans kommt sich so verdammt hilflos vor. Könnte er doch wenigstens seinen Freund Maik fragen, was er machen soll. Der hätte bestimmt eine Lösung parat. Schließlich war er jahrelang bei einer Spezialeinheit. Doch er kann ihn nicht fragen, denn Maik kämpft noch immer auf dem OP-Tisch um sein Leben. Das Handy des Toden klingelt plötzlich und reißt Chris aus seinen Gedanken. Er sieht erschrocken den Arzt an. Was sollen sie tun? Rangehen oder einfach klingeln lassen? Und wenn es der Kopf der Bande ist um zu fragen, ob sein Mann den Auftag erfüllt hat. Was dann? Evans spürt, wie er anfängt zu schwitzen. Kleine Schweißperlen zeichnen sich auf seiner Stirn ab. Er nimmt das Telefon in die Hand. Bei jedem Klingeln leuchtet das Display auf und zeigt den Namen des Anrufers. Es ist ein gewisser Alexej. Verdammt noch mal, was soll Chris tun ?!?!? Was ist Richtig um das Leben seines Sohnes und seines Freundes nicht noch mehr zu gefährten? Das Klingeln verstummt und auf der Anzeige steht: 5 Anrufe von Alexej. Der Anrufer versucht hartnäckig Kontakt zu diesem Ed herzustellen, dass verunsichert Chris nur noch mehr.

Alexej hält sein Handy in der Hand, dabei steht er wieder in dieser Fliegerhalle. Wieso geht Ed nicht an sein Telefon? Etwas muß schief gelaufen sein, das hat er im Urin. "Sascha." brüllt er nach einiger Zeit ganz laut. Schon am Tonfall hört sein Mann, dass Alexej eine Laus über die Leber gelaufen sein muss. Sascha steht gerade mit einem Mann vor der Halle und raucht. Als er seinen Boss hört, wirft er sofort seine Zigarette weg und sieht den Mann neben sich fragend an. "Das hat nichts gutes zu bedeuten." sagt dieser. Doch Sascha ist bereits auf den Weg zu seinem Boss. "Was gibt es?" fragt er, als er vor Alexej steht.
Dieser sieht ihn aus zusammengekniffenen Augen an. "Wieso wollte Evans nicht mehr, daß du weiterhin sein Chauffeur bist. Jedenfalls solange, bis Pohl wieder gesund ist?"
"Er hat nur gesagt, dass er mindestens eine Woche Urlaub nimmt und dann kann seine Frau fahren. Außerdem, dass er in 14 Tagen eh seinen Führerschein wiederbekommt."
"Glaubst du ihm das?"
"Ja, wieso nicht?" will Sascha wissen.
"Und du bist dir sicher, dass er nicht spitzbekommen hat, dass Pohl Tod ist und du einer von den Bösen?"
"Nein. Mir ist jedenfalls nichts dergleichen aufgefallen. Wieso fragst du?"
"Weil Ed sich nicht meldet. Er sollte dieses Bullenschwein endgültig aus dem Verkehr ziehen."
"Vielleicht gestaltet sich das schwieriger als erwartet." wirft Sascha ein.
"Ed ist vor 5 Stunden in diese Klinik gegangen. Wenn er es nicht geschafft hätte an den Kerl ranzukommen, dann hätte er sich längst gemeldet. Nein, da muß was ziemlich gegen den Baum gelaufen sein. Vielleicht haben sie ihn sogar geschnappt."
"Denkst du, dass er reden könnte?"
Doch von Ed´s Loyalität ist Alexej überzeugt. Er arbeitet von anbeginn an mit ihm zusammen und kann sich 100%ig auf ihn verlassen. Was er nicht von jeden seiner Leuten behaupten kann. Der Russe mit der Narbe auf der Wange überlegt. Dabei scheint er alles um sich herum zu vergessen.
"Soll ich mal zu der Klinik fahren?" will Sascha nach einiger Zeit wissen.
"Ja. Ich glaube zwar kaum, daß es was bringt, aber einen Versuch ist es Wert. Falls du Ed dort nicht antriffst, dann versuche wenigstens herauszubekommen, ob dieser Hurensohn Tayler noch lebt. Ich denke, wenn du dich als Chauffeur der Evans ausgibst und in ihrem Namen einen Krankenbesuch machst, wirst du wohl ohne weiteres zu diesem Bullen vorgelassen."
"Falls er noch lebt, soll ich das zu Ende bringen wofür Ed den Auftrag hatte?"
Wieder überlegt Alexej. Falls sein Mann wirklich aufgeflogen ist, dann wird dieser Bulle bestimmt rund um die Uhr bewacht. Er kann nicht noch einen weiteren Mann verlieren. So sagt er: "Nein. Ich will nur wissen, ob dieser Tayler noch lebt."
"Geht klar." bestätigt Sascha den Befehl und geht zu seinem Auto, einem dunkelblauen Ford Mondeo. Gerade als er einsteigen will, klingelt das Telefon von Alexej. "Warte mal." ruft ihm sein Boss nach und Sascha bleibt an der offenen Autotür stehen.
"Sag mal, wo steckst du eigentlich? Ich habe schon etliche Male versucht, dich zu erreichen!" hört er seinen Chef laut ins Telefon fragen. Der Anrufer scheint Ed zu sein. Der kann sich jetzt auf nen gewaltigen Anschiss gefaßt machen, denkt sich Sascha und muß innerlich Lachen. Die arrogante Art von diesem Kerl konnte er noch nie leiden. Bloß weil er von anfang an mit Alexej zusammengearbeitet hat, dachte er immer, er ist was besseres. "Mich interessiert es einen Scheißdreck ob deine Karre ne Panne hat oder nicht. Ich will nur wissen, ist dieser Dreckskerl von Bulle Tod?" Alle in der Halle können hören, dass Alexej stinksauer auf Ed ist. Was den Wenigsten wirklich leid tut, denn auch sie finden die hochnäsige Art von Ed einfach nur zum Kotzen. "Gute Arbeit." lobt Alexej seinen Mann, aber nicht lange. Denn gleich darauf blafft er ihn wieder an. "Dann wechsel das verdammte Rad und schwing deinen Arsch umgehend hierher! Und falls du noch einmal dein Telefon überhören solltest, dann stecke ich es dir dahin, wo keine Sonne scheint! Hast du mich verstanden?!" Wütend beendet der Drogendealer das Gespräch. "War das Ed?" fragt Sascha scheinheilig. "Ja. Der Bulle ist Tod und Ed auf dem Rückweg."

Alexej hat das Telefonat schon seit einiger Zeit beendet. Trotzdem hält Chris das Handy noch immer an sein Ohr. Er ist wie erstarrt. Hatte er vielleicht eben mit dem Mann gesprochen, der seinen Sohn gefangen hält? Als Chris sich entschloss, den Anrufer zurückzurufen um Zeit zu gewinnen, hatte er versucht mit fester, sicherer Stimme zu reden und nur kurze und knappe Antworten zu geben. Schließlich lagen die Chancen bei 10 zu 90 dass diesem Alexej auffällt, dass er nicht mit Ed spricht. "Hat es ihnen der Kerl abgekauft?" will der Arzt endlich wissen. "Ich denke schon." sagt Chris leise, dabei fällt seine gesamte Anspannung mit einem mal ab und er fühlt sich schwach und verletzlich. Er muß sich auf den Stuhl setzen. Sein Magen fängt an zu rebellieren. Wenn er diesen Kerl hätte nicht überzeugen können, daß sein Mann noch lebt und Maik Tod ist, was wäre dann passiert. Hätte er vielleicht Justin etwas schlimmes angetan um sich zu rächen? Dieser Anruf war ein Spiel mit dem Teufel und Chris hätte es leicht verlieren können. Doch er hat ein gutes Gefühl, dass dieser Kerl ihm alles abgekauft hat. Aber was passiert, wenn Ed nicht auftaucht? Wie auch, wenn er Mausetod oben im Zimmer von Maik liegt. Doch erst einmal hat Chris Zeit gewonnen, wichtige Zeit. Ihm wird schon noch was einfallen.

Es ist bereits nach 17 Uhr und Ed ist noch immer nicht zurück. Auch auf Anrufe von seinem Boss hatte er nicht reagiert. Ist der Kerl lebensmüde oder einfach nur rotzfrech? Glaubt er, bloß weil er seit Jahren mit Alexej arbeitet, dass er sich alles erlauben kann? Von Minute zu Minute, von Anruf zu Anruf war die schlechte Laune bei Alexej mehr gestiegen. Schließlich hatte er vor 10 Minuten Sascha losgeschickt um Ed zu suchen. Er hatte gesagt, dass sein Auto auf dem Rückweg einen Reifenpanne hatte, vielleicht stand er noch immer dort. Aber wieso war sein Handy aus? Alexej hatte ihm doch unmißverständlich klar gemacht was passiert, wenn er seine Anrufe noch einmal ignorieren sollte. Nein, so dumm konnte Ed nicht sein. Vielleicht war auch bloß sein verdammtes Akku leer.

Gerade biegt Sascha mit seinem Mondeo von der Hauptstraße ab und fährt in Richtung der Klinik, in der dieser Bulle liegt. Bis hier hin hat er weder Ed noch dessen Auto gesehen. Und auch bei Alexej war er noch nicht eingetroffen, denn dieser wollte ihn sofort anrufen wenn Ed auftaucht. Sascha fährt gerade an einem riesigen Werbeplakat der Klinik vorbei. Plötzlich sieht er Blaulicht am Straßenrand. Sein Herzschlag wird schneller. Ist Ed vielleicht doch abtrünnig gewurden und hat mit den Bullen einen Deal ausgehandelt? Sascha wird langsamer und er überlegt umzudrehen. Doch dies würde nur die Aufmerksamkeit der Polizei auf sich ziehen. So fährt er langsam weiter und nähert sich dem Polizeiauto was kurz vor einer Kurve auf der gegenüberliegenden Fahrbahnseite steht. Ein Polizist kommt ihm entgegen und zeigt ihm mit einer Handbewegung, dass er anhalten soll. Der Blutdruck von Sascha steigt an. Was, wenn er jetzt verhaftet wird? Er muß ruhig bleiben, nur nicht auffallen. Mit einem freundlichen Lächeln hält Alexej´s Mann das Fahrzeug an und läßt seine Scheibe herunter. "Was ist denn?" fragt er freundlich den Wachtmeister. Dieser sagt höflich: "Ich möchte sie nur bitten, langsam in die nächste Kurve zu fahren. Dort hat sich ein tragisches Unglück ereignet. Der Rettungswagen und die Feuerwehr blockieren die Straße, deshalb bitten wir alle Verkehrsteilnehmer um erhöhte Aufmerksamkeit." Ein weiteres Auto nähert sich von hinten Sascha´s Ford. Er sieht es in seinem Rückspiegel und Nervosität steigt in ihm auf. Seine Hände fangen an zu schwitzen. Er fühlt sich in die Enge getrieben. Falls ihn jetzt die Polizei überwältigt, hat er keine Chance zu fliehen, denn vor ihm steht die Feuerwehr, neben seinem Auto eine Polizeistreife mit 3 Beamten und hinter ihm dieses andere Fahrzeug. Der Wachtmeister bei Sascha sagt: "Sie können jetzt weiterfahren." Dann geht er nach hinten zu dem anderen Fahrzeug. Langsam setzt Sascha sein Auto in Bewegung und nähert sich der vermeintlichen Unglücksstelle. Je näher er ihr kommt, desto mehr steigt sein Herzschlag. Er greift zum Handschuhfach und öffnet es. Darin liegt eine geladene SIG-Sauer P 226, Maik´s ehemalige Waffe. Sascha hatte sie ihm abgenommen, als sie Maik und den Jungen in ihrer Gewalt hatten. Alexej´s Mann legt die Waffe auf den Beifahrersitz und schließt das Fach. Falls es eine Falle ist, dann wird er sich nicht kampflos ergeben. Zur Not erschießt er sich selbst, denn lebenslänglich geht er garantiert nicht in den Knast. Wieder ist das Fahrzeug von vorhin hinter ihm. *Mach dich nicht verrückt.* sagt Sascha zu sich selbst und fährt langsam weiter. Unaufhaltsam nähert er sich der Kurve. Durch die Baumstämme kann er bereits einen Krankenwagen und eine Feuerwehr sehen. Ihre Warnlichter auf dem Dach blinken hin und wieder synchron und machen Sascha noch nervöser. Er wartet darauf, dass jeden Moment ein Sondereinsatzkommando der Polizei aus dem Wald springt, sein Auto stoppt und ihn verhaftet. Doch bis jetzt passiert nichts dergleichen. Langsam fährt er weiter, vorbei an der Unglücksstelle. Plötzlich trifft es ihn, wie ein Schlag Mitten in seine Magengrube. Zwischen den beiden Einsatzfahrzeugen steht ein weißer Golf mit einem Feueraufkleber über der kompletten Wagenseite. Das ist eindeutig das Auto von Ed. Was war hier passiert? Vorsichtig fährt Sascha an den Straßenrand und hält an. Er steigt aus und geht hin. Ein Feuerwehrmann hält ihn auf. "Bitte steigen sie wieder in ihr Auto. Hier gibt es nichts zu sehen."
Doch Sascha muß Gewißheit haben, so sagt er: "Ich glaube, dass ist das Auto von meinem Freund."
"Sind sie sich sicher?"
"Ja, ziemlich." Sascha ist echt geschockt und so glaubt ihm der Feuerwehrmann.
"Ist etwas mit Ed passiert? Er hat mich angerufen...." lügt Sascha und spielt den Erschütterten ".... und hat mir gesagt, dass er eine Panne hat und ich sollte ihn bitte abholen."
Langsam geht Sascha zu dem Golf und was er da sieht, dreht ihm wirklich den Magen um. Ed liegt halb unter dem Wagen, sein Gesicht ist kaum noch zu erkennen, das Fahrzeug hat es zerquetscht. Sein linkes Bein sowie sein linker Arm ist unter dem Auto eingeklemmt und der Rahmen der Fahrzeugkarosserie geht genau über sein halbes Gesicht und den halben Brustkorb. Das linke Vorderrad liegt auf der Straße und der Wagenheber halb unter dem Auto. Es sieht so aus, als ob Ed versucht hat das Rad zu wechseln. Dabei muß er auf der etwas abschüssigen Straße ausgerutscht sein, den Wagenheber umgerissen haben und danach ist das Auto wie ein Panzer auf seinen Körper gefallen, hat ihm seine Lungen und sein Gesicht zerquetscht. Sascha konnte Ed nie leiden, aber das hatte er echt nicht verdient. Er war garantiert nicht sofort Tod, sondern er hatte unter unbeschreiblichen Schmerzen mitbekommen, wie sich seine Lungen langsam mit Blut füllen bis er jämmerlich erstickt ist. Sascha wird schlecht, er muß sich übergeben. Der Feuerwehrmann stützt ihn und bringt ihn zurück zu seinem Fahrzeug. "Geht es oder soll ich ihnen einen Sanitäter rufen?" will er wissen. Doch Alexej´s Mann winkt ab. "Es geht gleich wieder." sagt er. "Es tut mir sehr leid wegen ihrem Freund." bekundet der Feuerwehrmann sein Mitgefühl. "Danke." sagt Sascha und setzt sich halb in sein Auto. Nach einigen Minuten geht es ihm besser und er schafft es, seinen Boss zu verständigen. Erst brüllt Alexej ihn an, ob er Ed nun endlich gefunden hat. Doch dann wird er ganz ruhig und sagt: "Ok. Sobald du kannst, kommst du zurück."

Der blaue Mini, gefahren von Chris, fährt gerade auf Evans Grundstück. Vor der Haustür bleibt das Fahrzeug stehen, doch keiner von den beiden Insassen steigt aus. Sie schweigen Minutenlang. Endlich fragt Janine: "War das mit dem Mann wirklich nötig? Mußtet ihr ihn unter seinem Auto einklemmen und es wie einen Unfall aussehen lassen?" Ihr Mann schweigt. Er sieht auf seine dreckigen Hände die verkrampft das Lenkrad halten. Sie sind schmutzig vom entfernen des linken Vorderrades an dem Golf. Doch was hätten sie sonst tun können. Irgendwann hätte dieser Alexej mitbekommen, dass gar nicht Ed mit ihm telefoniert hat, sondern ein anderer und dann hätte er noch mehr Leute losgeschickt die das zu Ende bringen, was dieser Ed versaut hat, die Tötung von Maik. Und diesmal hätten sie es geschafft. "Der Mann war doch schon Tod." versucht Chris sich vor seiner Frau und seinem Gewissen zu rechtfertigen. "Wir mußten diese Verbrecher auf eine falsche Fährte schicken, sonst hätten sie erst Maik umgebracht und dann vielleicht noch Justin. Das hätte ich mir nie verziehn."
"Wieso passiert uns so etwas schreckliches." will Janine wissen. "Was haben wir schlimmes getan, dass uns Gott so straft."
"Das hat nichts mit Gott oder uns zu tun, sondern nur mit der Geldgier einiger dunkler Subjekte, mit nichts anderem."
Janine fängt an zu heulen und Chris nimmt sie tröstend in seine Arme. Ihm gehen dabei noch einmal die Bilder durch den Kopf, wie er mit Hilfe von einem Pfleger aus dem Krankenhaus versucht, den toten Kerl aus Maik´s Zimmer unter das Auto zu legen und dann den Wagenheber wegzutreten. Chris mußte wegen diesem Plan nicht lange auf den stellvertetenden Klinikdirektor einreden. Er war genauso daran interessiert, dass kein schlechtes Licht auf die Klinik fällt und neugierige Paparazzis auf den Plan ruft. Als der Oberarzt Meyer aus dem OP kam, hatten sie auch mit ihm den Plan besprochen und auch er war damit einverstanden. Chris hatte Janine in der Klinik bei Maik zurückgelassen und hatte mit einem kräftigen Pfleger den Unfall inszeniert. Obwohl er seinen Plan für gut und richtig befindet, befriedigt es Evans Gewissen in keiner Weise. Aber um das Leben seinen Sohnes zu schützen, würde er sogar toten. Bei diesem Gedanken bekommt Chris Angst vor sich selbst.


28.

Auch in dieser Nacht finden Chris und Janine nicht die erhoffte Ruhe. Sie wälzen sich in ihren Betten hin und her. Janine denkt immer, sie hört eins ihrer Kinder im Schlaf reden, doch keins von ihnen befindet sich im Haus. Schon lange war dies nicht mehr vorgekommen. Das letzte mal vor fast 2 Jahren. Da war Rebecca noch gar nicht geboren, ja nicht einmal geplant und Justin hatte bei einem Freund geschlafen. Chris war an diesem Tag eher nach Hause gekommen. Er hatte einen wunderschönen Blumenstrauß bei sich, rote und weiße Rose, Janine´s Lieblingsblumen, dazu eine Flasche Asti Cinzano Sekt. Den mochte sie besonders gern. Nach einem leckeren Abendessen, was sie zusammen gekocht hatten, sagte ihr Mann zur ihr: "Ich lasse dir jetzt ein schönes heißes Bad mit ganz viel Schaum ein, so wie du es magst." Janine saß auf dem Sofa und Chris küßte sie zärtlich auf die linke Halsseite. Dabei stellten sich ihre Nackenhärchen auf und sie fing an zu frieren. Doch sie fror nicht wirklich, sondern der Kuss, genau auf diese Stelle, ließ sie erotisch erschauern. Begünstigt wurde diese Empfindung von den vielen Kerzen die brannten und natürlich auch von dem Glas Sekt. Dieser ließ ihr Blut langsam kochen und sie fühlte sich unsagbar zu ihrem Mann hingezogen. Viel zu sehr hatte sie der Alltag im Griff und viel wenig Zeit hatten sie für sich selbst. Wie auch? Chris war gerade sehr erfolgreich mit seiner Autoreparaturkette und verbrachte daher manchmal bis zu 12 Stunden im Büro und Janine hatte voll mit ihrem, damals 8 jährigen Sohn zu tun. Er mußte zum Fußball gefahren werden und zu Freunden. Damit war auch sie voll ausgelastet und die Liebe blieb irgendwie auf der Strecke. Doch an diesem Abend wollte Chris ihr zeigen, daß er sie noch genauso liebt wie an jenem Tag als sich beide zufällig in einer Autowerkstatt wiedertrafen, die er erst vor einem Monat gekauft hatte. Das war vor 12 Jahren. Danach waren sie einige Male ausgegangen und schließlich heirateten sie und kurz darauf war Justin unterwegs.
Janine dreht sich zu ihrem Mann, dieser liegt, nur mit einer Pyjamahose bekleidet, im Bett neben ihr auf dem Rücken, sein Gesicht zeigt zum Fenster. So sieht Janine nicht, dass er auch keinen Schlaf findet. Ihn plagt sein Gewissen. Er sieht wieder diesen Ed unter dem Auto liegen, noch hält der Wagenheber das Gewicht des Fahrzeuges. Mit einer fast innerlichen Befriedigung hatte Chris den Wagenheber weggetreten und der Golf krachte nach unten, genau auf den Brustkorb des Mannes. Dabei glaubte Chris gehört zu haben, wie die Rippen des Kerles brachen und er empfand nichts als Genugtuung in dieser Aktion. Was ist aus ihm geworden? Wie weit würde er noch gehen um seinen Sohn zu retten? Würde er sogar fähig sein, einen lebenden Menschen umzubringen, nur um sein eigen Fleisch und Blut zu retten? Chris weiß keine Antwort darauf, vielleicht hat er aber auch bloß Angst vor der schrecklichen Wahrheit. Janine legt ihr Hand zärtlich auf die Brust ihres Mannes. Sein Körper fühlt sich angenehm warm und weich an. Seine Atmung ist ruhig und tief. Wenigstens er scheint den erholsamen Schlaf zu finden. Sie beobachtet, wie sich ihre Hand bei jedem Atemzug ihres Mannes sachte hebt und senkt. Dieser beruhigende Rhythmus zwischen Ein- und Ausatmung läßt ihre Gedanken wieder in die Vergangenheit gehen. . . .
Sie sah sich, wie sie an jenem Abend in der Wanne lag, die ihr Mann liebevoll für sie eingelassen hatte. Dabei hatte er im ganzen Bad Kerzen aufgestellt und im Player lief eine "Kuschelrock" CD. Janine lag völlig entspannt in diesem wunderschönen warmen Wasser und hörte gerade "What If" von Kate Winslet, als ihr Mann ins Bad kam. Er hatte 2 voller Gläser Sekt bei sich und fragte: "Wie sieht es aus, hast du in der großen Wanne auch noch ein kleines Plätzchen für mich?" Seine dunklen Augen sahen sie bettelnt an. Wie konnte sie diesem Blick wiederstehen? Und Platz war in der Eckbadewanne mehr als genug. Als die CD dann einige Lieder später "Just More" von Wonderwall spielte, liebten sie sich wie frisch verliebte. Das Resultat aus dieser heißen Liebesnacht kam 9 Monate später auf die Welt, Rebecca.
Janine muß lächeln als sie an diesen Abend zurück denkt. Sie schaut zu Chris und schmiegt sich liebevoll an seinen starken männlichen Körper. Irgendwann übermannt sie der Schlaf und ihre Seele kann sich für wenige Stunden regenerieren.
Chris spürt die zärtliche Umarmung seiner Frau und er genießt ihre Nähe. Wie tapfer sie ist und wie sie die Entführung ihres Sohnes einfach so wegzustecken scheint. Doch Chris weiß auch, dass es nur Fassade ist, die sie stark erscheinen läßt. Im Inneren bangt sie, genauso wie er, um das Leben von Justin und auch um das von Maik.

29.

Als Janine am nächsten Tag wach wird, hört sie ihren Mann von unten aus dem Wohnzimmer. Er redet mit irgendjemanden ziemlich laut. So steht sie auf, nimmt ihren Morgenmantel vom Stuhl, zieht ihn an und verläßt das Schlafzimmer. Auf den Weg nach unten muß sie an den Kinderzimmern von Rebecca und Justin vorbei und ihr Mutterherz verkrampft sich. Wann werden die Kinder wieder in ihren Betten liegen und ihr fröhliches Gelächter das Haus mit Leben erfüllen? Sie weiß es nicht.
Unten angekommen sieht sie ihren Mann im Wohnzimmer aufgeregt hin- und herlaufen, dabei telefoniert er. "Ich brauche das Geld aber in spätestens 9 Stunden! . . . Dann geben sie sich bisschen Mühe, wozu bezahle ich sie sonst?" Chris fährt sich durch die Haare und ihm tut der letzte Satz sofort leid als er ihn ausgesprochen hat. Versöhnlich sagt er: "Verzeihen sie mir, das habe ich nicht so gemeint. Ich weiß doch, dass sie alles in ihrer Kraft stehende tun, um die 15 Millionen zusammenzubekommen. Aber ich brauche die gesamte Summe dringend bis 17 Uhr. . . . OK. Rufen sie mich an wenn sie genauere Zahlen haben." Chris wirft das Handy auf das Sofa, hebt seine Arme und verschränkt seine Finger hinter seinem Kopf. Wie ein angeschossenes Tier läuft er auf und ab. "Wieviel Geld haben wir z.Zt. zusammen?" fragt ihn seine Frau. Erschrocken dreht sich Chris zu ihr. Er hat sie nicht herunterkommen hören. Wie auch? Schließlich war er voll in dem Gespräch mit seinem Börsenmakler vertieft. "12,3 Millionen." sagt ihr Mann, dabei hätte er ihr doch zu gern gesagt, dass sie die geforderte Lösegeldsumme für Justin zusammen haben. Doch es fehlen noch immer 2,7 Millionen und sein Makler hatte ihm wenige Hoffnung gemacht, dass er die fehlende Summe bis 17 Uhr auftreiben kann. "Was, wenn wir das Geld nicht zusammenbekommen?" will Janine wissen und sie spürt, wie sich ihre Augen mit Tränen füllen. Chris geht sofort zu ihr, nimmt sie tröstend in seine Arme. Dabei merkt er, wie ihre heißen Tränen seine Brust hinunterlaufen. "Ich bekomme das Geld zusammen, auch wenn ich eine Niere von mir verkaufen müßte." Doch das tröstet Janine nicht wirklich. Ihr Mann ist genauso hilflos wie sie, das spürt sie. Evans kämpft ebenfalls mit seinen Tränen.
Wieder klingelt das Telefon. Hat sein Börsenmakler etwa doch das Unmögliche fertig gebracht und hat die fehlende Summe kurzfristig aufgetrieben? Ein kleiner Hoffnungsschimmer keimt in den Eltern von Justin auf, doch ein Blick auf das Handydisplay läßt den zarten Halm der Hoffnung hieß, sofort wieder eingehen. "Mein Büro." sagt Chris und überlegt, ob er überhaupt rangehen soll. Das Büro ist ihm gerade so was von egal. Doch er nimmt das Gespräch entgegen. "Was gibt es?" fragt er und versucht seine Fassung wiederzufinden. Sein Stellvertreter Thomas Edkins ist dran. "Nein! Zum hundertsten Mal, sag dem Herrn Fischer, dass ich nicht verkaufe!" Doch plötzlich hält Chris inne. Wieder keimt ein Hoffnungsschimmer am Horizont auf. Evans darf diesen zarten Trieb auf keinen Fall zerstören. "Hast du Fischer noch in der Leitung? . . . Gut, dann stell durch." Janine versteht gerade gar nichts von dem, was hier vorgeht. Doch sie erkennt in den Augen ihres Mannes einen Funken aufflammen der ihr Kraft gibt. "Guten Morgen Herr Fischer." meldet sich Chris höflich, dabei hat er den Lautsprecher angestellt. So kann Janine mithören.
"Sie sind ein sehr hartnäckiger Geschäftsmann." sagt Evans.
"Tja, nur wer hartnäckig ist, kommt an sein Ziel. Ich hoffe sie wollen mit mir reden, weil sie sich mein Angebot noch einmal durch den Kopf haben gehen lassen."
"Das stimmt. Wie hoch war ihr letztes Angebot gleich noch einmal?"
"2 Millionen."
Chris schweigt. Janine sieht ihren Mann überrascht an. Warum sagt er nicht sofort zu? Dann brauchen sie nur noch 700.000. Doch was Evans jetzt sagt, läßt Janine am Geisteszustand ihres Mannes zweifeln.
"Für 3,2 Millionen verkaufe ich ihnen das Objekt in der Paulusstraße, mit allem, was darin steht. Aber nur gegen Bar und in den nächsten 5 Stunden."
Der Anrufer ist still. Ist Chris verrückt geworden, warum nimmt er nicht die 2 Millionen? Wenn dieser Herr Fischer jetzt abspringt, dann haben sie gar nichts. "Warum nimmst du das Geld nicht?" fragt Janine leise ihren Mann. Aber dieser schüttelt seinen Kopf, hält das Mikro des Telefons zu und sagt leise: "Noch nicht." Er wendet sich wieder an seinen Teilnehmer: "Hören sie Herr Fischer. Sie wissen genau, dass das Objekt in einer erstklassigen Gegend mit viel Publikumsverkehr liegt. Es ist gut und gerne 4,5 Millionen Wert. Außerdem sind die 6 Hebebühnen nicht älter als 2 Jahre und werden ihnen in der nächsten Zeit keine Probleme bereiten, weder beim TÜV noch an Reparaturen. Das sollten sie in ihrer Überlegung einbeziehen."
"Ja schon, aber 3,2 Millionen liegen eindeutig über meinen finanziellen Mitteln." sagt dieser Mann. Stimmt dies oder will er nur den Preis drücken? Janine´s Herz rast vor Aufregung. Sie hätte schon längst zugesagt. Besser den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach. Der Interessent schweigt lange, bald zu lange und Chris ist sich nicht mehr sicher, ob er wirklich das Richtige getan hat. Seine Frau hat schon Recht, besser 2 Millionen als gar nichts. Aber trotzdem fehlen dann noch 700.000 zur Lösegeldsumme und wo er die hernehmen soll, da hat Chris keine Ahnung. Vor Aufregung merkt Janine gar nicht, wie sehr sie die Hand ihres Mannes drückt. Bange schweigsame Minuten vergehen und man hört, dass der Kerl am anderen Ende der Leitung, auf einer Tastatur herumtippt. Anscheinend rechnet er sein Budget durch. Es sind zwar nur einige Sekunden vergangen, aber Chris und Janine kommt es wie Stunden vor. Endlich sagt dieser Herr Fischer. "Ich habe noch einmal alles durchgerechnet, aber 3,2 Millionen kann ich unmöglich aufbringen." Diese Antwort trifft Janine wie ein Schlag mitten ins Gesicht. Ihr Mann hat einfach zu hoch gepokert und verloren. Sie läßt seine Hand los, geht zum Sofa, setzt sich und fängt an zu heulen. Jetzt ist alles vorbei. Nie wird sie ihren Sohn wiedersehen. Doch plötzlich hört sie den Mann aus dem Telefon, wie er sagt: "Mehr als 2,7 Millionen kann ich einfach nicht aufbringen und das ist definitiv mein letztes Angebot." Überrascht sieht Janine zu Chris. Hat sie sich eben verhört oder will dieser Herr Fischer genau die Summe geben, die sie noch brauchen um Justin wieder in die Arme schließen zu können. Sie weiß nicht ob sie vor Freude heulen oder lachen soll. Auch ihr Mann ist überglücklich als er die Summe hört und alle Last fällt mit einem mal von ihm ab. Er kauert sich auf den Boden, hält seine rechte Hand vors Gesicht, den Hörer hat er noch immer am linken Ohr. Sein Hals ist trocken und tut beim Schlucken weh, seine Magenwände krampfen sich schmerzhaft zusammen, sein Herz hämmert wie wild gegen seine Brust. "Haben sie gehört Herr Evans. Mehr als 2,7 Millionen gehen wirklich nicht." Ist wieder die Stimme des Retters zu hören. Völlig erschöpft sagt Chris: "Das ist in Ordnung. Sie bekommen meine Zweigstelle in der Paulusstraße für 2,7 Millionen. Wo wollen wir uns treffen. Ich bringe alle nötigen Papiere mit."

30.

Schon seit 18.30 Uhr sitzen Janine und Chris im Wohnzimmer ihres Hauses auf dem Sofa und warten sehnsüchtig auf den Anruf der Entführer. Vor ihnen auf dem Tisch liegt ein Aktenkoffer mit den geforderten 15 Millionen und das Handy. So ruhig dazusitzen macht Chris verrückt. Er muß aufstehen und sich bewegen. Aber auch das hilft nicht wirklich. Deshalb geht er zur Bar und gießt sich einen doppelten Jack Daniels ein. Mit einem Zug kippt er die braune hochprozentige Flüssigkeit hinunter. Er muß seine Augen schließen und sich räuspern, denn der Schnaps brennt seinen Hals hinunter. Bereits weniges Sekunden später spürt er, wie sich in seinem Körper eine wohltuende und beruhigende Hitze ausbreitet. Sonst genießt er den Geschmack der rauchigen Holzkohlenote, abgerundet durch ein leichtes Vanille- und Mandelaroma, was diesen Tennessee Whiskey so unverwechselbar macht, doch heute dient er ihm nur dazu, seinen Blutdruck zu senken und seine Aufregung zu lindern. Er schaut auf seine Armbanduhr, 18.40 Uhr. Noch 20 Minuten, dann erfahren sie endlich, wohin sie das Geld bringen müssen und ob sie ihren Sohn zurückbekommen. Aber warum sollten sie nicht, schließlich bekommen die Entführer ihr Lösegeld. Janine sitzt auf dem Sofa, sie ist ganz ruhig, hat ihren Kopf gesenkt, die Hände auf dem Schoß liegen und die Finger gegeneinander verschränkt. Sie spricht ganz leise vor sich hin, so, als ob sie beten würde. Chris denkt an seinen Sohn, seine Tochter und natürlich auch auch seinen Freund Maik. Völlig in Gedanken verloren, steckt er seine Hände in die Hosentaschen und geht zu dem großen Terassenfenster. Die Sonne ist dabei unterzugehen und die Stadt in ein trostloses Grau zu hüllen. Selbst das Wasser in dem Brunnen vor seinem Haus, scheint heute nicht so lustig wie sonst dahinzuplätschern. Dann sieht Chris nach links zu dem kleinen Spielplatz seiner Kinder. Die beiden Schaukeln wiegen sich leer und verlassen im Wind. Fast hört Evans das Lachen seiner beiden Lieblinge und er muß schmunzeln. Die bunten Förmchen von Rebecca liegen noch immer in dem Sandkasten und sie scheinen darauf zu warten, dass endlich mal wieder jemand mit ihnen spielt. Und dann das Baumhaus. Chris hatte es vor einem Jahr zusammen mit Justin gebaut. Als sie fertig waren, stand sein Sohn ganz stolz neben ihm. Seine leuchtendes Augen sieht Evans jetzt wieder ganz deutlich vor sich.
Die Glocken einer Kirchenuhr bringen Chris ist das heute und jetzt zurück. Gleichzeitig klingelt das Telefon. Janine schaut schweigend zu ihrem Mann. Dieser geht schnell zu seinem Handy und meldet sich: "Wie geht es Justin?" will er sofort wissen. Aber wie schon beim letzten Anruf der Kidnapper hört er nur eine verzerrte Computerstimme. "Ihrem Sohn geht es gut. Er schläft bereits tief und fest. Haben sie das Geld?"
"Ja. Ich möchte aber trotzdem einen Beweis, dass Justin noch lebt. Sonst können sie das Geld vergessen."
Der Anrufer lacht. "Ich glaube kaum dass sie in der Position sind, mir Vorschriften zu machen. Entweder sie schwingen in spätestens 5 Minuten ihren kleinen spießbürgerlichen Arsch in ihr Auto oder sie sehen ihren Sohn im Leichenschauhaus wieder. Ich gebe ihnen 10 Sekunden Bedenkzeit, danach ist unser Deal geplatzt und ich werde ihren Sohn erschießen."
Man hört ein metallisches Klicken. Chris und Janine wissen sofort, dass das Geräusch von einer Waffe stammt, die gerade entsichert wurde.
"Nein! Wir tuen alles was sie wollen!" schreit Janine in den Hörer.
"Oh, die Frau Evans ist auch anwesend. Nett ihre Stimme zu hören. Vielleicht sind sie vernünftiger als ihr Mann."
"Sagen sie uns einfach, wohin wir das Geld bringen sollen." spricht Chris wieder.
"Sehen sie, so kommen wir doch gleich viel weiter. Sie setzen sich jetzt in ihr Auto und verlassen die Stadt in Richtung Mannheim. Etwa 10 km nach dem Ortsausgangsschild kommt ein kleiner Parkplatz. Dort steigen sie aus und gehen für 20 Minuten am Rhein spazieren. Das Handy und das Geld lassen im unverschlossenen Auto zurück. Falls ich oder einer meiner Männer, sie in dieser Zeit in der Nähe ihres Autos sehen, dann bekommen sie ihren Sohn nur noch Tod zurück. Ist das verständlich für sie?"
"Ja. Und wann sollen wir an diesem Parkplatz sein?" will Chris wissen.
"Was glauben sie denn?" fragt der Entführer zynisch und legt auf. Chris sieht zu Janine und sagt: "Ich werde alleine fahren. Wer weiß, was mich dort erwartet."
"Vergiß es." sagt seine Frau resolut. "Was machst du, wenn dich die Polizei anhält und du keinen Führerschein hast. Ich komme mit und basta!" Schon steht sie auf, greift sich den Koffer und geht in Richtung Tür.
"Bitte Janine, sei doch vernünftig. Mit diesen Kerlen ist nicht zu spaßen." versucht Chris seine Frau von ihrem Vorhaben abzubringen.
"So vernünftig wie jetzt war ich noch nie. Zum letzten Mal, ich komme mit! Justin ist auch mein Sohn."
Evans merkt, dass er gegen den Sturkopf seiner Frau nicht ankommt und so folgt er ihr.

Nach 15 Minuten erreichen sie die Übergabestelle. Auf dem Parkplatz ist keine Menschenseele. Es ist auch nicht gerade eine ideale Zeit um einen Spaziergang zu machen. Sie Sonne ist fast untergegangen und ein kühler Wind weht über die Uferpromenade. Janine schaltet die Scheinwerfer des Lincoln aus und sieht sich um. Nichts deutet darauf hin, dass hier jemand wartet. Sie sieht zu ihrem Mann und fragt ihn: "Wollen wir?" Dieser nickt und beide verlassen das Fahrzeug. Wie die Entführer gefordert hatten, lassen sie das Handy und den Geldkoffer im unverschlossenen Auto zurück. Chris nimmt seine Frau am Arm und beide gehen in Richtung Rheinpromenade. Ihr Weg wird nur von dem spärlichen Licht der wenigen elektrischen Laternen begleitet. Sie erreichen den Betonweg der am Ufer des Flusses entlang geht und an sonnigen Tagen tausende von Besuchern zum spazierengehen einlädt. Doch um diese Zeit sind sie die einzigsten die noch unterwegs sind. Janine kann nicht anders, sie muß sich noch einmal umdrehen und zu dem Auto ihres Mannes zurückblicken. Aber durch die Dunkelheit kann man nur erahnen, wo es steht. Der Wind bläst durch die Bäume und Büsche und verursacht ein unheimliches Rauschen. Nichts weist darauf hin, dass sie von den Entführern beobachtet werden. Vielleicht sind diese noch gar nicht da. Justins Mam schlägt den Kragen ihrer Jacke hoch, hakt sich am Arm ihres Mannes ein und beide gehen los. Sie sprechen kein Wort. Jeder hat Angst davor, was sie bei ihrer Rückkehr vorfinden werden. Hoffentlich Justin. Falls nicht, was sollen sie dann tun?
In den nächsten Minuten verschwindet sie Sonne ganz und die Sichel des aufgehenden Mondes erscheint am Himmel. Der Rhein fließt ruhig in seinem Flußbett und das Wasser klitzert in den Mondstrahlen wie ein Teppich aus Silber. Enten schwimmen darauf, ihre Köpfe stecken tief in ihrem Gefieder auf dem Rücken. Sie schlafen friedlich und lasse sich dabei von den sanften Wellen schaukeln. Hin und wieder hört man den Ruf einer Eule. Janine hält den Arm von Chris fester. Ihr kommt diese Gegend umheimlich vor. Da, eine Sternschnuppe fällt von Himmel. Beide wünschen sich nur eins, dass sie ihren Sohn gesund und munter zurückbekommen. Und noch eine Zweite fällt vom Sternenzelt. Janine sagt leise: "Die ist für Maik." Nach wenigen Minuten piepst die Uhr an dem Handgelenk von Chris. "Ich glaube, wir können zurückgehen." sagt er. Er hatte seine Armbanduhr beim Loslaufen auf 10 Minuten gestellt. Sie gehen zurück. Der Rückweg kommt ihnen viel länger vor. Doch endlich erreichen sie den Parkplatz. Wieder liegt er still und verlassen da. Die Herzen von Chris und Janine schlagen lauter als das Rauschen der Blätter zu hören ist. Schritt für Schritt nähern sie sich dem Lincoln und ihre Anspannung wächst. Das Fahrzeug steht so da, wie sie es verlassen hatten. Nicht deutet drauf hin, dass sich jemand daran zuschaffen gemacht hat. Durch die Dunkelheit kann man nicht ins Wageninnere sehen. Janine ist unfähig noch einen Schritt zu gehen. So löst sich Chris aus ihrer festen Umklammerung und geht zum Auto. Sein Atmung ist schnell, sein Blut pulsiert dermaßen in seinen Adern, dass sein Kopf zu zerspringen droht. Trotzdem schafft er es, die hintere Wagentür zu öffnen. Sofort geht das Licht im Innenraum an und Evans sieht, das der Koffer vom Rücksitz verschwunden ist. Stattdessen liegt sein Sohn dort. Er scheint zu schlafen, aber ansonsten unverletzt zu sein. Brocken von Steinen fallen seinem Vater vom Herzen. Er sieht zu seiner Frau und lächelt. "Wir haben unseren Sohn wieder." sagt er und sofort kommt Janine angerannt. Sie steigt ein, nimmt ihren Sohn in die Arme und heult vor Glück. Dadurch wacht Justin auf. Er ist aber durch das Schlafmittel, was er von Alexej bekommen hatte, noch ziemlich benommen. "Mama, Papa." sagt er erleichtert und mit einem zufriedenen Lächeln schläft er in den Armen seiner Mutter erneut ein.

Eine halbe Stunde später liegt er ausgezogen in seinem Bett. Seine Eltern stehen an der Tür, fest umschlungen und sehen ihren Sohn glücklich an. "Endlich ist dieser Horror vorbei." sagt Chris erleichtert. "Ja, endlich." simmt ihm Janine zu und sie küßt ihren Mann.

Am nächsten Morgen sitzen beide am Frühstückstisch. Ihr Sohn schläft noch. Trotzdem hatte beiden mehrmals in der Nacht nachgesehen, ob Justin wirklich wieder zu Hause ist oder ob sie alles nur geträumt haben. Doch es war kein Traum, sie hatten ihren Sohn wieder. Gleich am Nachmittag wollten sie Rebecca von Oma und Opa holen und die nächsten Tage als Familie einfach nur genießen. Durch dieses schreckliche Ereignis haben sie erst schätzen gelernt, was ihnen vorher als normal vorgekommen war. Zum ersten Mal seit Tagen können Janine und Chris wieder etwas essen. "Mam, Dad!" hören sie ihren Sohn plötzlich aus dem Kinderzimmer schreien. Beide rennen nach oben. Justin sitzt auf seinem Bett, er ist völlig verstört und heult. Janine setzt sich sofort neben ihn und nimmt ihn tröstend in ihre Arme. "Es ist doch alles gut. Du bist wieder zu Hause." Doch Justin braucht lange um sich zu beruhigen. Was haben die Männer bloß seiner Kinderseele angetan. Hilfesuchend sieht Janine ihren Mann an, dabei laufen ihr Tränen übers Gesicht. Hoffentlich wird ihr Sohn dieses schreckliche Ereignis einestages verarbeiten können.
Kurze Zeit später sitzen alle 3 am Tisch und frühstücken. Doch Justin ist anders als sonst. Er ist ernst und starrt nur auf seinen Teller. Selbst seine Lieblingsmarmelade scheint ihm nicht zu schmecken. Bei diesem traurigen Anblick leiden seine Eltern ebenfalls. "Auf was hast du heute Lust? Wollen wir ein Eis essen gehen und anschließend in den Zoo oder auf den Rummel?" will Chris wissen und versucht so seinen Sohn aufzumuntern. Doch der sieht ihn aus traurigen Kinderaugen an und fragt: "Mußte Onkel Maik lange leiden bis er gestorben ist?" Diese Frage ihres Sohnes trifft die Herzen der Eltern wie ein brennender Pfeil. Justin muß die ganze Zeit gedacht haben, dass Maik Tod ist und er hat sich dafür die Schuld gegeben. "Wieso kommst du bloß darauf, dass Onkel Maik Tod sein soll?" will seine Mutter wissen. "Dieser Mann mit der Narbe im Gesicht hat es mir gesagt." antwortet der Junge. "Nein, Maik lebt. Er ist bloß noch im Krankenhaus. Aber nicht hier, sondern weit weit weg. Damit ihn die Männer nicht finden können." Doch Justin glaubt seiner Mutter nicht. So blickt er zu seinem Vater. "Deine Mam hat Recht. Onkel Maik lebt. Wir haben ihn noch vor kurzem persönlich gesprochen." "Wirklich?" will Justin wissen. "Ja, wirklich." Das erste mal seit gestern Abend sehen sie auf dem Gesicht ihres Sohnes ein Lächeln.


*********

Damit endet der 1. Teil meiner Geschichte.


© sylvi (Sylvia Heine)


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Beschreibung des Autors zu "THRILLER ! Wenn das Gestern zum Heute wird (Fortsetzungen ab sofort Dienstag & Freitag)"

In meiner Geschichte geht es um 2 alte Schulfreunde, die sich nach Jahren wiedersehen. Der Eine ist ein erfolgreicher Geschäftsmann geworden und der Andere war Special Agent bei der SEK. Dieser hat nach einem tragischen Schicksalsschlag seine Job an den Nagel gehängt. Als aber der Sohn seines Freundes entführt wird, erwacht sein Agentenherz erneut.

Ich weiß, so fangen viele Geschichten an. Doch ich verspreche einen jedem Leser Spannung und Action.

Lest einfach meine ersten paar Einstellungen und entscheidet dann.




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