Demnächst wird die Kittelschürze aussterben. Das behaupte ich, und ich habe auch Beweise. Es gibt nur noch wenige Exemplare in der Nachbarschaft, und ich stelle fest, dass ich anfange ihren seltenen Anblick zu genießen. Auch ihre kleine Schwester, die gemeine geblümte Hausschürze wird bald Vergangenheit sein.

All die Hausfrauen, die durch das Tragen der Schürze für immer ihr Heimchen-am-Herd-Schicksal besiegelten, sterben aus. Unsereins bespritzt sich lieber das kleine Schwarze mit Pfannkuchenteig als sich eine Schürze anzutun.

Früher hatte ich eine junge Nachbarin, die bei der Hausarbeit eine blütenweiße Rüschenschürze trug. Sie wohnte in einem Jugendstilhaus, und die Schürze passte perfekt in den Raum. Sie passte nur nicht in die Zeit. Die Nachbarin sah darin aus wie ihr eigenes Dienstmädchen. Eine verwirrender Anklang an längst vergangene Tage.

Zurück zur gemeinen geblümten Hausschürze. Die Schleife war wichtig, sie musste gut sitzen. Und am Wochenende musste es eine frische Schürze sein, und die Schleife musste schön sitzen. Genau in der Mitte des Rückens, das Schürzenband mit den Fingern zu ganzer Breite geglättet, beide Schlaufen möglichst gleich groß, die Enden nicht zu lang und nicht zu kurz. Es war eine Kunst, die Schweißperlen auf die Oberlippe treiben konnte.
Die Sonntagssonne schien derweil mild lächelnd auf den alten Küchentisch, sommers wie winters. Die Fliegen surrten friedlich um die Lampe und schissen auf den klebrigen Fliegenfänger, der mitten im Raum von der Decke baumelte. Beiläufig tickte die Küchenuhr.

Ich fange an zu träumen.

Ich werde wieder Schleifenbinden trainieren. Das innere Gleichgewicht durch das Binden perfekter Schleifen herstellen. Gleichmut üben durch Schleifen knüpfen. Verbindungen herstellen, die lange schon eingeschlafen waren. Nichts einschleifen lassen. Neue Synapsen bilden. Alte wieder aufleben lassen. Die tägliche Endlosschleife leben, ohne Anfang und Ende. Ein Schleifen-Mantra beten.

Beim Gedanken ans Schleifenbinden werde ich euphorisch.
Ihr entschuldigt mich. Ich habe zu tun … ich muss meine Schürzenbändel bügeln.


© (c) mon


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