Ich stand da und konnte es gar nicht fassen, hab ich das gerade eben alles mit angesehen? Ich weis nicht was ich jetzt machen soll. Soll ich Hilfe holen oder soll ich weiter so starr stehen und den Dingen ihren Lauf lassen? Warum bin ich diesen Weg gegangen? Ich versteh das alles nicht. Warum musste ich das alles mit ansehen? Ich weis noch vor kurzem habe ich einen Film im Kino angesehen und da war es doch gar nicht so schlimm. Es war nicht die Realität, dieses Blut und die Menschen, alles nur Show und gar nichts war Wirklichkeit. Aber hier war es kein Film, es war die Realität. Alex, mein Freund und ich waren in jedem Horrorfilm, es hat uns gereizt, die Menschen zu sehen, wie sie blutüberströmt und nach Hilfe schreiend, um Gnade vor dem Killer winseln. Wie sie von ihm weglaufen und diese Angst in ihren Augen haben. Die Angst vor dem Tod. Die Angst zu früh zu sterben. Noch nicht alles erlebt zu haben.
Genau diese Angst habe ich jetzt in den Augen dieser Menschen gesehen. Die Augen dieser Frau, sie schrieen nach Hilfe und das Mädchen, die als Beifahrerin saß, sie hatte diesen starren Blick auf den Baum gerichtet, als dieser furchtbare Unfall geschah. Ich werde es nie vergessen wie sie auf diesen Baum zu rasten und diesen furchtbaren Knall. Wie das Auto aus der Motorhaube rauchte. Ein dunkelgrauer Rauch, der die ganze Straße umhüllte und die Luft verpesstete. Wie das Auto Feuer fing und eine Mädchenstimme nach Hilfe schrie. Man konnte das Schreien nicht überhören, auch als ich mir die Ohren zu hielt. Mir kam es so vor, als ob das Geschrei des Mädchens immer lauter wurde.
Ich befahl meinen Füßen zu laufen, doch diese konnten nicht. Ich konnte nichts tun, als auf der anderen Straßenseite zu stehen und die ganze Zeit da hin zublicken. Es roch langsam nach Qualm, gemischt mit verbranntem Menschenfleisch, ich versuchte den Geruch nicht wahrzunehmen, mir die Nase zu zuhalten, doch es gelang mir nicht. Der Gestank wurde immer schlimmer.
Auf der der anderen Straßenseite sah ich, mehrere Feuerwehrleute mit einem Wasserschlauch auf den qualmenden Wagen zu rennen. Einer rief dem anderen etwas zu, ich konnte es aber nicht verstehen, da ich noch immer das Geschrei des Mädchens im Kopf hatte. Der eine Feuerwehrmann half den Schlauch zu heben und der andere Feuerwehrmann zielte mit dem Wasserschlauch auf das brennende Auto. Nach einigen Minuten war alles vorbei, das Feuer war endlich aus. Ein Feuerwehrmann ging zu dem Auto und brach die verklemmte Tür auf und holte die beiden Menschenkörper aus dem Wagen, der einem Wrack schon ähnlich sah. Ich konnte zwei halbnackte Körper auf der Straße liegen sehen. Ein Mann kam auf die beiden Körper zu und begutachtete sie genau. Dann murmelte er etwas und zeigte auf das Mädchen und auf den Krankenwagen, der nicht weit von dem Unfallort stand. Zwei Männer kamen mit einer Unfallliege und transportierten das Mädchen in den Krankenwagen.
Die Frau, die neben ihr lag, wurde auch von einer Liege transportiert, aber sie wurde von einer schwarzen Decke umhüllt. Ich nahm an, dass sie tot war.
Ein etwas älterer Mann kam auf mich zu und fragte mich: ?Haben sie den Unfall gesehen? Könnten Sie mir sagen, wie es zu dem Unfall kam?? Ich schaute kurz zu dem Unfallort und dann zu ihm und nickte leicht. Dann murmelte er noch was vor sich hin, dass ich nicht ganz verstand: Kann?..irgendwie helfen? Ich sagte nichts und blickte ihn nur an. Meine Augen glänzten und ich musste weinen. Es ist schon lange her, dass ich so geweint hatte, das letzte Mal war es, als ich 6 Jahre alt war und gespielt hatte und mir den Knöchel verstaucht hatte. Seit diesem Tag, an dem ich diesen Unfall mit angesehen habe, habe ich ständig Alpträume, von der Frau und von dem Mädchen, die ständig mich um Hilfe bitten. Sie zu retten, sie aus dem Wagen rauszuholen. Deswegen gehe ich seit dem Tag auch zu einer Psychiaterin, in der Hoffnung, dass diese Schuldgefühle irgendwann mal weg gehen und ich nicht denke, dass ich mich umbringen sollte.


© Ludmila, HN


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