Die Regenbogenschlange



Francesca:
Du, Marcello, ich habe kürzlich gehört wie Nonna Giulia und Nonna Rosa sich unterhalten haben. Nonna Giulia hat gesagt, dass sie die jungen Leute nicht mehr versteht, dass früher alles viel besser gewesen sei und dass man die alten Zeiten wieder einführen müsste und Nonna Rosa hat nur genickt und gesagt, das wäre sicher das Beste. Stimmt das??


Marcello:
?Nun meine Kleine, ich sehe das nicht so, auch wenn ich verstehe, was Nonna Giulia meint. Wir müssen uns verändern, neue Wege gehen und versuchen die Vergangenheit loszulassen, denn diese hindert uns daran die Gegenwart zu leben und die Zukunft zu planen. Ich persönlich bin froh, dass wir nicht mehr wie im Mittelalter leben, dass wir fliessendes Wasser haben, medizinische Versorgung, eine gute Schulbildung, Gesetze, Organisationen, die sich um Tierschutz kümmern oder auch um die Erhaltung von Lebensraum. Denn wir haben nun mal nur diesen Planeten, auf dem wir leben. Es ist wichtig, dass wir uns weiterentwickeln. Das ist der Sinn und Zweck unseres Daseins. Nur müssen wir diese Weiterentwicklung im Sinne aller Menschen mit viel Bewusstsein und Erkenntnis in einem Tempo vorantreiben, dass alle damit umgehen können. Und es ist meistens die neue Generation, die jungen Menschen, die neue Ideen bringen muss, um alte Missstände zu überwinden.?


Francesca:
?Ja meinst du damit etwa, das wir jungen, also die nächste Generation, die Welt irgendwie beeinflussen kann??


Marcello:
?Genau das, Sorella, ihr, die neue Generation, habt es in der Hand, mit euren Gedanken und mit euren Handlungen, euren Taten die Welt zu verändern, im Idealfall das Leben lebenswerter zu gestalten. Ich könnte dir dazu ein Beispiel erzählen, eine Geschichte, die ich mal gehört habe, natürlich nur, wenn du möchtest.?


Francesca:
?Natürlich möchte ich die Geschichte hören, jetzt gleich!?

Marcello (amüsiert):

?Gut, gut. Also, ich glaube, die Geschichte ging in etwa so ...?:

Es begab sich zu einer Zeit, als endlich die Wassermassen die Kontinente freigaben, Leben entstand und die ersten zaghaften Sonnenstrahlen zeigten sich am Horizont.

In dieser grauen Vorzeit, als alles noch im Halbdunkel lag, da lebten zwei Schlangenstämme. Die einen, man nannte sie die Schwarzschlangen, lagerten in der Nähe der Berge ,die anderen, der Stamm der Weissschlangen bewohnte die Ebene, nahe am Fluss.

Die beiden Schlangenclans waren auf das heftigste miteinander verfeindet. Es lag wohl daran, dass die Weissschlangen den besseren, dem Wasser nahen Lebensraum für sich gefunden hatten. Vielleicht lag es auch an einem Streit, den der Schwarzschlangenurgrossvater mit dem Weissschlangen-urgrossvater einst hatte. Der Streit, man wusste nicht mehr worum es dabei genau ging, artete in einem Kampf aus, bei dem der Weissschlangenurgrossvater sein Leben verlor. Die Nachkommenschaft der beiden Sippen hatten vergessen, warum sie eigentlich in ewigem Zwist lagen, aber es war nun mal so.

Kontakte zwischen den Sippen wurden streng vermieden Die Weissschlangenkinder durften nicht mit den Schwarzschlangenkinder spielen und umgekehrt. Zwischendurch entstanden auch heftige Kämpfe, welche oft in brutalen Scharmützeln endeten.

Niemand schien eine Veränderung dieser schlimmen Situation herbeiführen zu wollen. Und so blieb alles beim Alten ?

Eines Tages kroch ein Weissschlangenmädchen, tieftraurig über diese schreckliche Lage, zum Fluss hinunter Es hatte endgültig genug von diesem ewigen Krieg. Am Fluss angekommen, weinte es bittere Schlangentränen. Doch plötzlich hörte es hinter sich ein Geräusch und erschrak zutiefst.

Ein Schwarzschlangenmann hatte sich genähert und hielt nun, selbst ganz erschrocken, in seinen geschmeidigen Bewegungen inne. Das Mädchen wollte die Flucht ergreifen, da aber hörte es eine Stimme.

?Nein, kriech nicht gleich weg, ich denke, wir sollten miteinander reden. Ich bin so müde von dieser langen Feindschaft und offen gestanden, wir wissen ja eigentlich gar nicht mehr, warum wir uns gegenseitig bekämpfen. Es wird Zeit, dass wir jungen Schlangen diesem Tun Einhalt gebieten und neue Wege gehen.?

?Du hast recht,? sagte da das Schlangenmädchen, ?wir können mit gutem Beispiel vorangehen und den anderen zeigen, dass Schwarzschlangen und Weissschlangen friedlich nebeneinander leben können. Wir müssen handeln, zum Wohle aller.?

So sprachen sie noch lange miteinander und suchten nach Lösungen für die Wiedervereinigung der Schlangenfamilien.

Sie merkten bald, dass sie die gleichen Gedanken hatten, die gleichen Ideen, Visionen und Träume, sie waren einander sehr zugetan.

Eine Weile trafen sie sich heimlich am Fluss und die Sympathien zueinander wuchsen von Tag zu Tag.

Dem Schlangenmann gelang es, seinen besten Freund ins Vertrauen zu ziehen. Dieser, ein Schlangenpriester, traute die beiden heimlich. Eine Weissschlangenfrau und einen Schwarzschlangenmann. Das war revolutionär, noch nie da gewesen!

Die beiden, die sich sehr liebten, wollten mit diesem Akt zeigen, dass Schwarzschlangen und Weissschlangen sehr wohl in Frieden und in Harmonie leben konnten, wenn denn der gute Wille da war.

So vergingen die Tage, die Wochen, die Monate. Die Sonne ging auf und wieder unter.

An einem milden Tag, als die Welt schon etwas heller wurde, gebar die Weissschlangenfrau ein Schlangenbaby. Und, welch Wunder, das Baby war weder weiss noch schwarz, es war auch nicht grau, nein, es schimmerte in den buntesten Farben, gelb, rot, blau, violett, grün. Die Eltern waren nicht nur ganz besonders stolz, sie sahen es als ein Zeichen einer neuen Generation von Schlangen.

Dem Schlangenpriester gelang es in der Zwischenzeit, die beiden verfeindeten Schlangenclans an einem Feuer zu versammeln, er war bekannt für seine Redegewandtheit und für sein diplomatisches Geschick. Als nun die junge Schlangenfamilie mit dem bunten Schlangenbaby ans Feuer trat, da waren alle sehr ergriffen, kein Wort war zu hören, nur ab und zu ein berührtes Schluchzen einer Weiss-, Schwarzschlangenmutter oder Grossmutter.

So wurde noch am selben Tag Frieden geschlossen und ein grosses Schlangenfest gefeiert Alle waren sehr erleichtert, dass der Kampf nun endlich vorüber war. Niemand hätte geahnt, dass die Verbindung von Schwarzschlangen und Weissschlangen eine solch bunte und wunderschöne Mischung ergibt. Das kleine Schlangenkind wurde zum Symbol der Wiedervereinigung und man nannte es liebevoll, die Regenbogenschlange.

Francesca:
?Ahh, das ist wirklich eine spannende Geschichte, jetzt weiss ich, was du gemeint hast. Wäre es vielleicht eine gute Idee, wenn ich Nonna Rosa und Nonna Giulia die Geschichte von der Regenbogenschlange erzählen würde??


Marcello:
?Aber ja doch, ich denke das wäre eine fabelhafte Idee!?


© Daniela Affolter-Mangold


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