Frankfurt, main Revier, eine Hundegeschichte

Liebe Leser,

ich bin Engländer und kann auf eine 500jährige Familiengeschichte zurückblicken. Eine Erfolgsgeschichte, wenn ich das so sagen darf. Eine Geschichte, auf die ich sehr stolz bin.
Dieser Stolz spiegelt sich auch in meinen Schlappohren wieder.

Gestatten: Snoops. Ich bin ein Beagle und lebe im Herzen Frankfurts. Hier ist main Revier.


Main Revier teile ich mir natürlich mit vielen anderen, aber Integration in unserem Viertel scheint gelungen. Wir alle leben hier nebeneinander und miteinander.

Da gibt es Bernie, den Afghanen, der direkt ums Eck wohnt und dem ich fast jeden Abend bei meiner letzten Gassirunde begegne.
Wir grüßen uns immer und beschnuppern dann jeweils ausgiebig das Pippi des anderen. Sie können sich nicht vorstellen, was man aus Pippi alles herauslesen kann. Man erkennt nicht nur Rasse oder Geschlecht, man kann sogar die gegenwärtige Laune des anderen erschnuppern. So weiß ich, dass Bernie schon seit fast einer Woche nicht gut drauf ist.

Vorgestern hab ich ihn daraufhin angesprochen. Er teilte mir mit, dass ihm die Zustände in seinem Heimatland zu schaffen machen. Seit Jahren Krieg und Unruhen und er wäre doch so gerne einmal in seine Heimat gereist, um seine Wurzeln zu finden.
Ich sagte ihm, dass auch ich noch nie in England gewesen sei und trotzdem meine Wurzeln kenne.
Ich weiß nicht, ob ihm das Trost genug war, aber seit gestern riecht sein Pippi nicht mehr so traurig.

Mir gegenüber, nur getrennt von der U-Bahn Station, lebt mein türkischer Freund Emre. Er hat viele Jahre auf den Straßen in der Türkei mehr schlecht als recht gelebt, bevor er in ein Tierheim nach Deutschland kam.
Vor einem Jahr hat Herr Lupenrein ihn aus dem Tierheim geholt und ihm endlich ein Zuhause gegeben. Ein bequemes Körbchen und ein gefüllter Fressnapf, was will man mehr? fragte ich Emre einmal.

Eine 3-Zimmer-Wohnung im Herzen der Stadt sei schon okay aber eben nur okay, meinte er. Er habe den Geschmack von Freiheit nicht vergessen. Herr Lupenrein verzichtet während der Spaziergänge meist aufs Anleinen. Und Emre ist ihm sehr dankbar dafür. Eigentlich möchte er auch gar nicht von der Seite seines „Dosenöffners“ weichen, wäre da nicht der Geruch von Freiheit, der ihm ab und zu in die Nase steigt.
Von meinem Fensterplatz aus kann ich beobachten, wie er sich manchmal aus dem Staub macht.

Letzten Freitag sprang Emre in die U3 und ließ einen sehr erschreckten Herrn Lupenrein an der Haltestelle zurück. Dunkle Haare betonten die Blässe seines Gesichts, in dem Sorge und Anspannung sich über die Lachfältchen an Mund und Augen gelegt hatten. Er tat mir sehr leid. Ich mag ihn wirklich sehr.
Wenn Emre das Ausbüchsen nicht sein lässt, kann ich Herrn Lupenrein verstehen, wenn er doch noch zur Leine greift. Dann ist es mit der Freiheit ganz vorbei hab ich Emre gesagt.

Zehn Hausnummern weiter wohnt Joe, der Ami. Er ist ein Stafford und entgegen aller Meinungen,ein recht netter und harmloser Hund. Ich jedenfalls mag ihn sehr und sein Pippi riecht immer friedlich.
Wenn ich ehrlich bin, ist er ein großer Hosenscheißer, vorausgesetzt Hunde würden Hosen tragen.
Joe sagte mir einmal, dass es wohl schick geworden sei, in Hundeklamotten Gassi zu gehen. Fell pur war gestern, meint er. Heute ist vom Trenchcoat a la Sherlock Holmes bis zum Dirndl für den Hund so ziemlich alles erlaubt. Joe und ich sind da einer Meinung: Nix für uns!

Anderer Meinung ist da unser Franzose. Pierre ist eine französische Bulldogge. Geboren und aufgewachsen in einem Vorort von Paris und mit den Laufstegen dieser Welt bestens vertraut.

Auf den Ausstellungen leuchten seine Augen und verleihen seinem unproportionierten Gesicht unerwartete Schönheit. Platz 1 ist ihm deshalb meistens sicher und das öffnet ihm Tür und Tor zu den heißesten Bräuten. Überall auf der Welt nehmen Tiere gewaltige Strapazen auf sich, um den Fortbestand ihrer Art zu sichern. Über Tausende von Kilometern führen sie ihre Wanderungen. Es sind abenteuerliche Reisen voller Entbehrungen und Gefahren. Pierre bleibt dies erspart. Die Bräute kommen zu ihm ins Viertel, um sich von Monsieur Pierre beglücken zu lassen. Tja, Schwein muss man haben oder dieses Gesicht!

Aragon, ein deutscher Schäferhund und wohnt ein stückweit die Straße runter. Ihm begegne ich überwiegend samstags im Hunde- und Katzenparadies in der Liliencronstraße. Eine tiefe Freundschaft verbindet uns leider nicht.

Vielleicht hat er ein Problem damit, dass ich keinen Job habe, während er seit fast 10 Jahren im Polizeidienst tätig ist. Oder aber er denkt, dass ich neidisch auf ihn bin, weil er als Kommissar so erfolgreich ist und sein Knochen samstags immer etwas größer ausfällt als meiner. Okay, ich gestehe. Ein bisschen neidisch bin ich schon.

Meine einzige Aufgabe besteht darin, mein Frauchen glücklich zu machen und sie vor den schlimmen Dingen des Lebens zu schützen. Denken Sie jetzt bloß nicht, dies sei eine einfache Aufgabe.

Nehmen wir z.B. mal den Briefträger. Dieser erlaubt sich doch tatsächlich, immer wieder an unsere Tür zu kommen und nie weiß ich, was genau er im Schilde führt. Da ist es dann meine Aufgabe, ihm unmissverständlich zu verstehen zu geben, dass er an unserer Tür nicht erwünscht ist.
Ich belle dann, was das Zeug hält. Sicherlich denken Sie jetzt: „Was für ein guter Hund!“ doch von Frauchen ernte ich statt Dank nur ein lautes „Aus“. Können Sie das verstehen? Also ich nicht!

Wenn Frauchen traurig ist, spür ich das. Meine Aufgabe besteht dann darin, sie zu trösten.
Das heißt: Rankuscheln und sie mit meinen großen gütigen Augen anschauen. Große gütige Augen, die ihr sagen „Alles wird gut“.

Zu guter letzt führ ich dann noch Kommandos aus wie Sitz, Platz, Bleib oder Fuß um mein Frauchen stolz zu machen.
Dies ist eine meiner einfachsten Übungen, obwohl ich nicht immer Lust dazu habe.

Das unterscheidet mich wohl von Rocco. Er ist etwas ganz Besonderes, da er immer Lust hat, irgendwelche Kommandos auszuführen.
Okay, ganz sicher bin ich mir nicht, ob er immer und ich meine, wirklich immer Lust dazu hat oder ob er es sich einfach nicht leisten kann, die Kommandos zu ignorieren.

Er ist ein Labrador und bereits 4 Wochen nach seiner Geburt stand sein weiterer Lebensweg fest. Rocco ging durch eine harte Schulung, um Blindenhund zu werden, bevor er bei Frau Hagebotten im Parterre einzog.

Seit er da ist, begegne ich Frau Hagebotten nun öfters im Treppenhaus und ich sehe sie auch öfters auf der Straße. Ich glaube, sie hat viel an Lebensqualität gewonnen, seit Rocco ihr Begleiter ist. Deshalb unterteile ich Frau Hagebottens Leben in zwei Abschnitte. Das Leben vor Rocco und das Leben mit Rocco. Sie sind einfach ein gutes Team und Rocco ist ein toller Typ.

Einem weniger tollen Typen begegne ich jedes Mal, wenn mich Frauchen zum Stadtpark ausführt.

Auf dem Weg dorthin müssen wir am Haus und Hof von Schorsch, dem Boxer vorbei. Dieser probt mit einer Regelmäßigkeit den Aufstand. Meist dauert es nicht lange, bis sein Frauchen am Fenster erscheint, um sich dann ebenso lautstark über den Aufstand zu ärgern. Sie erinnert mich dann an das sprichwörtliche aufgescheuchte Huhn. Ihre Stimme ist schrill und dünn und will so gar nicht zu der großen und stark beleibten Frau passen.


Der Park ist ein angesagter Treff in der Stadt. Ideal zum Austoben. Kaum angekommen und abgeleint, lege ich gewöhnlich ein forsches Tempo vor. Das halte ich dann etwa fünf Minuten durch, bis mein Herz die Höchstfrequenz erreicht. Mit etwa fünfundzwanzig Prozent Übergewicht, dauert es meistens nicht lange, bis mir die Zunge aus dem Hals hängt.

Deshalb besinne ich mich schnell auf das, was ich am Besten kann. Ich lege mich ins Gras und halte meine Nase in den Wind. Ich möchte nämlich auf gar keinen Fall Mathildas Eintreffen im Park verpassen.

Mathilda, eine wunderschöne weiße Pudeldame, die im Nu mein Herz erobert hat. Ihr macht es nix aus, mit jemanden zusammen zu sein, dessen Body-Maß-Index Anlass für Klagegebete gibt.

Und sie liebt tatsächlich mein Bellen, dass nicht wirklich ein Bellen ist. Es ist eher ein lang gestrecktes Uuuuuuuuuuuuhhhhhhhhhh. Im Gegensatz zu allen anderen – hört sie es sehr gerne, was ich jedoch auf einen seltenen Gen-defekt zurückführe. Aber dafür liebe ich sie.


Denn eigentlich hat mein Uuuuuuuuuuuuhhhhhhhhhh nichts Musikalisches an sich. Wenn ich jedoch bedenke, was so Neues im Radio läuft, dann sollte ich vielleicht doch mit ein paar anderen Beagles eine Band gründen. Nach den „Beatles“ und den „Eagles“, die große Erfolge feierten, könnten auch wir mit etwas Glück die neuen Sterne am Rock und Pop-Himmel sein, die „Beagles“.

Immer sonntags ist im Stadtpark großes Beagletreffen. Das hat Frauchen vor geraumer Zeit so eingefädelt.
Vereinbarter Treffpunkt mit den drei anderen Beagles aus der Stadt, ist ein umgestürzter Baum, der schon Jahrzehnte im Park liegen musste. Die Rinde war verschwunden und das tote Holz hatte einen silbrigen Glanz angenommen. Wenn wir uns hier nächsten Sonntag wieder treffen, dann werde ich
das Thema „Band“ mal aufs Tablett bringen. Vielleicht werden wir ja berühmt. So berühmt wie Lassie oder zumindest so berühmt wie Aragon, der es als Polizeidiensthund bereits viermal auf die Titelseite eines Hundemagazins brachte. Lassen Sie mich kurz überlegen, wie oft ich das bisher schaffte…. Okay, nie!
Aber wie sagt ihr Menschen immer: „Sag niemals nie“.

Deshalb drücken sie mir die Daumen und achten Sie demnächst auf die Titelseiten der gängigen Hundemagazine und Tageszeitungen. Sollte Sie nämlich ein englischer Beagle aus Frankfurt anlächeln, so zögern Sie nicht mit Fanpost. Sie wissen ja, wo ich zu finden bin.

Ihr Snuuuuuuuuuhhhhhps


© P. Karl-Marx


2 Lesern gefällt dieser Text.




Beschreibung des Autors zu "Main Revier, eine Hundegeschichte"

Die Geschichte eines Beagles und seiner Freunde

Diesen Text als PDF downloaden




Kommentare zu "Main Revier, eine Hundegeschichte"

Re: Main Revier, eine Hundegeschichte

Autor: peddi   Datum: 20.03.2013 17:30 Uhr

Kommentar: Habe auch einen Beagle und beim Lesen gemerkt, wie typisch doch ein
Beagle ist. Tolle Rasse, tolle Geschichte.

Kommentar schreiben zu "Main Revier, eine Hundegeschichte"

Möchten Sie dem Autor einen Kommentar hinterlassen? Dann Loggen Sie sich ein oder Registrieren Sie sich in unserem Netzwerk.