Jetzt bin ich hier. An einer riesigen Schule in Sojan. Rundherum gibt es nur Bäume und keinen Rückweg. Ich muss das schaffen. Ich muss mich an diese Schule gewöhnen, wenn ich nicht zurück will!
Also los!, sage ich mir und trete lese vor das Tor, das meterhoch vor mir emporragt. Darüber steht in großen Schriftzügen „Ishimoto Academy“. Als sich das Tor langsam öffnet, stehen bestimmt 40 bis 50 Kutschen vor mir. Nacheinander fahren sie an mir vorbei und entfernen sich in verschiedene Richtungen. Ich finde es faszinierend, wie Sojaner mit der Technik doppelt so weit sind wie die Menschen und doch keine Autos haben! Aber das zeigt, wie umweltfreundlich diese Sojaner sind.
Ein groß gebauter schlanker Mann reißt mich aus meinen Gedanken. „Guten Morgen!“, begrüßt er mich freundlich und kommt auf mich zu. „Du bist Yume, richtig? Ich bin Tadashi Ishimoto, aber Ishimoto reicht auch. Ich nehme an, du wurdest bereits informiert? – Gut. Dann folg mir mal, deine Klasse wartet schon sehnsüchtig auf dich!“
Besser hätte der Tag nicht starten können! Der Direktor erscheint mir sehr nett, ich hoffe nur, dass sich meine Klasse dem anschließt.
Ishimoto zeigt mir auf dem Weg durch die Schule ein paar Fachräume, in denen ich bald Unterricht haben werde, und überreicht mir meinen Stundenplan. Ich werfe nur einen kurzen Blick darauf, aber der reicht aus, um zu wissen, dass sich jeder Menschenschüler darüber freuen würde. Wirklich nur die Fächer, die ich wollte! Und Mathe als Nebenfach!
„Der gefällt dir wohl?“, fragt mich Ishimoto mit einem Lächeln und zeigt auf den Plan.
„Ja, an meiner alten Schule konnte man sich seine Fächer nicht alle selbst aussuchen!“
„Ja, meine Schule ist auch was Besonderes!“ Er öffnet eine Tür, an der groß „Ethiksaal 3“ steht und führt mich in eine Klasse, wahrscheinlich meine zukünftige. „So, meine Lieben!“, ruft er dann. „Darf ich euch vorstellen, das Mädchen neben mir ist Yume. Ich denke, ihr werdet alle miteinander klarkommen. Falls du noch Fragen hast oder Hilfe brauchst, findest du mich in meinem Büro!“, fügt er an mich gerichtet zu und verlässt den Raum.
„Hey“, begrüße ich die Schüler und Schülerinnen schüchtern und blicke in ihre neugierigen Gesichter. Sie geben mir das Gefühl, irgendwie anders zu sein, vielleicht bin ich ja ein Alien?
Als die Klasse einstimmig „Hi!“ ruft, bin ich mir sicher, dass ich normal bin. Die Klasse scheint vom Mars zu kommen!
Der Lehrer rettet mich aus dieser blöden Situation. „Du darfst dich gern irgendwo hinsetzen, wie du siehst, ist überall Platz!“
Dankbar will ich mich in eine der letzten Reihen setzen, doch ein Mädchen, circa 18 Jahre alt, ruft mich zu sich. „Du kannst dich zu uns setzen, dann bist du nicht so alleine.“ Ich laufe froh über so eine „freundliche“ Begegnung die Treppen zu ihrer Bankreihe hoch. Die Art des Raumes erinnert mich an ein Kino, aber bestimmt viermal so groß!
Das Mädchen stellt sich mir als Mono vor. Sie stellt mir ihren Freund Remi vor und erklärt mir ein wenig das Schulsystem.
„Du bleibst die ganze Zeit im Jahrgang III, bis du die Schule wieder verlässt.“, sagt sie schließlich und ergänzt: „Das ist für Ishimoto irgendwie leichter zu vermerken.“
Remi, Mono und ich labern so viel über alles Mögliche, dass wir dem Unterricht gar nicht folgen.
Nach der ersten Stunde habe ich mit Mono Physik. Remi hat ein anderes Fach gewählt, und ich vermisse ihn fast! „Mono“, beginne ich, während wir zum Raum gehen, um Klarheit zu schaffen. „Remi ist mit dir fest zusammen, oder?“
„Ja. Magst du ihn?“ Mono scheint gar nicht böse zu sein!
„Also … nun ja“
„Du magst ihn.“
„Ja“
Mono grinst. „Keine Sorge. Ich mag ihn auch. Ich hab da volles Verständnis für! Viele Mädels stehen auf ihn. Mach dir kein schlechtes Gewissen deswegen, ich dreh dir nicht den Kopf um!“
Ein Mann kommt uns entgegen. „Den solltest du übrigens auch kennen!“, erklärt sie, als er an uns vorbei ist. „Das ist nämlich Akino Ray, bei dem hast du Physik und Tennis.“
„Tennis ist nicht so mein Ding. Ich mache eher Fussball und Reiten.“
„Hey!“, ruft Mono plötzlich. „Da haben wir ja was gemeinsam!“
Meine Freundin geht voran und nimmt weiter hinten Platz.
„Hat man Physik nicht eigentlich in den Fachräumen?“, frage ich und warte, bis sie fertig mit Auspacken ist. „Eigentlich schon.“, sagt sie dann. „Aber wenn wir keine Experimente machen, sind wir hier. Das ist sozusagen unser Theorieraum für die physikalische Naturwissenschaft.“
Plötzlich fällt mein Blick auf die Zeiten des Stundenplans, den ich auf meinem Tisch abgelegt habe. „Habt ihr keine langen Pausen?“ In meiner Stimme liegt ein wenig entsetzen.
„Wofür?“ Mono scheint kein wenig beeindruckt.
„Na, fürs Frühstück, oder um was mit Freunden zu machen!“
„Du bist eine Sojanerin! Essen kannst du in den FMP, also Fünf-Minuten-Pausen, auch. Trinken darfst du im Unterricht, und mit Freunden labern kannst du auch dann machen, wenn der Lehrer nichts merkt.“
„Sind die Lehrer denn so blöd, dass die das nicht schnallen?“, frage ich weiter.
„Jap, zumindest die meisten. Aber vielen ist es egal, was du im Unterricht machst. Solange deine Klausuren gut ausfallen, ist das egal.“
Gefällt mir!
„Und wie ist das mit Ferien?“
„Haben wir nicht.“
„Aber was ist mit Weihnachten und Ostern?“
„Klar! Wenn so was ist, haben wir manchmal auch ein paar Tage frei, wenn keine Klausuren oder so anstehen. Aber Sommerferien zum Beispiel, wie du sie sonst immer hattest, bekommst du hier nicht.“
Okay, damit habe ich nicht gerechnet! Plötzlich sehne ich mich nach meiner alten Schule, lange Pausen, Ferien!
„Dafür haben wir andere Tage.“, fährt Mono fort. „Zum Beispiel werden mal die Lehrer von den Schülern unterrichtet, oder bei den Lehrern ist Geschlechtertausch oder oder oder.“
Mein Heimweh verfliegt in diesem Moment wieder. Ein Lehrer im Rock! Fast muss ich mir ein Lachen verkneifen. „Was gibt es sonst noch alles?“, frage ich neugierig und ignoriere den Stundenbeginn. „Hm … Wir haben oft Turniere, Fußballspiele oder Reitturniere oder Schach. Wir machen oft Ritterturniere durch den Wald und so was. Für mich und ein paar Freunde geht es nächste Woche zu den Menschen.“
„Bleibt ihr da?“
„Nein!“, beruhigt Mono mich. „Die anderen besuchen ihre Familien, ich selbst muss jemanden zur Academy holen. Der Rektor hat mich gebeten, für Yuuki, die eigentlich dafür zuständig ist, einzuspringen.“
„Kann ich dann meine Familie auch besuchen?“
„Nein. Wenn du dich heute noch entscheidest, dass du hierbleiben willst, vergisst deine Familie, dass sie je eine Tochter hatten. Manche meiner Freunde sind die einzigen, bei denen das nicht der Fall war. Diese Familien denken dann, du gehst auf ein Internat ganz weit weg. Wenn du aber nicht hierbleiben willst, vergisst du alles, was mit Sojan und dieser Schule zu tun hat.“
„Also kann jeder vermutliche Mensch, dem ich auf der Straße begegne, ein Sojaner sein?“, überlegte ich laut.
„Ganz genau. Manche wissen das, manche nicht. Wenn nämlich ein Sojaner in die Menschenwelt geht, dann weiß er das ja. Aber er kann es niemandem sagen. Wenn er nach zwei Wochen nicht zum Portal zurückkehrt, bleibt er als Sojaner dort und kann nie mehr zurück. Das Schlimmste daran ist aber, dass er dann jedem Menschen erklären kann, was bzw. wer ein Sojaner ist. Passiert das, geht Sojan an die Öffentlichkeit und jeder erfährt davon. Allerdings ist Sojan nicht dumm. Falls es jemals so geschieht, brennt die ganze Stadt mit dem Wald komplett ab, sodass die Menschen nichts davon sehen oder mitnehmen können. Viele Schüler haben aus dem Grund auch so eine Angst vorm Feuer. Und das ist die Gefahr, weswegen nicht jeder einfach zu den Menschen gehen kann.“
„Ist das wahr? Sojan kann sich selbst davor retten?“
„Sojan mag eine Stadt sein, aber sie ist auch eine Stadt mit Herz. Ein Sojaner könnte die Stadt komplett brachlegen wollen, er schafft es nicht. Rate mal, warum jeder Sojaner eine besondere Fähigkeit hat, die sich untereinander unterscheiden?“
„Ähm … Um sich zu verteidigen?“
„Quatsch! Das haben wir von der Stadt sozusagen geerbt!“
Trotz Monos Geschichte hatte ich noch meine Zweifel. „Wie kann eine Stadt leben?“
„Sie lebt nicht. Sie beschützt ihre Bewohner.“
„Ich bleibe hier.“, höre ich mich plötzlich sagen. „Ich will nicht zurück nach Hause. Mein Zuhause ist jetzt hier!“


© mononk


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Beschreibung des Autors zu "Sojan - Geschichte einer Stadt"

Eine junge Schülerin kommt auf eine sehr außergewöhnliche Schule.




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