Der innere Märchenerzähler und das nachlassende Gehör

© Alf Glocker

Kennt ihr ihn, denn inneren Märchenerzähler, der in uns wohnt, obwohl er ganz weit hinter dem Mond zuhause ist? Dann wisst ihr was ich meine...aber bitte nicht mit der Inneren Stimme, oder den inneren Stimmen verwechseln, die uns stets auf die Wahrheit hinweisen wollen, oder aus einem sehr fernen Nichtland zu uns sprechen, um etwas mehr als „Guten Tag“ zu sagen!

Die erste Geschichte die uns der der Märchenonkel erzählt hört sich so an...
Schlafe mein Kindlein, schlaf ein, du bist geborgen wie in Abrahams Schoß, dir kann nichts geschehen, denn der gute Geist der Welt wacht über dich und deine Eltern. Er weiß was dir blüht – Blumen über Blumen und eines Tages wirst du das große Glück kennenlernen: das Glück nicht nur am Leben zu sein, sondern das Leben zu lieben wie dich selbst, oder du wirst glauben es mehr als dich selbst zu lieben. Dann iss und trink, damit du so groß und stark wirst wie ein tapferes Schmidchen auf Zwergenjagd, oder wie ein Riese im Goldbergwerk. Dann wirst du ein Wittchen heiraten, das schöner ist als der Schnee, oder einen Prinzen bekommen, der einmal ausgesehen hat wie ein Frosch bevor du ihn an die Wand geworfen hast, damit er weiß wo eine gestandene Erbsenprinzessin den Most holt.
Dann weißt du wie man einen Suppentopf am einen Ende des Regenbogens findet, wie man ihn nach Hause schleppt um dort den Kuckuck zu füttern den du dir herbeigeflirtet, heraufgeliebt und abgebrütet hast, um Elter zu werden. Sei der Esel Pricklebrett, hol den Knüppel aus dem Sack und decke jeden Tag das Tischlein von neuem, damit das ewig Alte verträumt aus dem Wünschelbrunnen steigt und dich so oft küsst, daß du vor lauter Himmelsbläue die Wolken nicht mehr siehst. Dann bist du Kind!

Die zweite Geschichte begegnet dir in der Schule wo man dir einbläut, daß du fürs Leben und nicht für die Schule lernst. Man füllt dich mit Zahlen und Daten voll und lässt dich glauben dies sei wichtiger als die richtigen Vettern, die dir später in den Sattel helfen wo es nur geht. Der innere Märchenerzähler labert dir was von Selbstvertrauen ins Ohr, von wo aus sein Gelaber bis ins Gehirn dringt, damit du glauben sollst alles würde einmal so richtig gut werden. Später wirst du dann studiert oder etwas Brauchbares erlernt haben – aber nicht damit man dir etwas vormachen, oder dich ausbeuten kann, sondern damit du ein ganzer, toller Alltagsheld werden und sein kannst, bei dem es aussichtslos ist ihm ein X für ein U vorzumachen, denn hast es drauf!

Mit allem glaubst du umgehen zu können und unter den ständigen Einflüsterungen deines ureigensten Märchenonkels wird dir der Einstieg nicht nur in die „Materie“, sondern auch in eine intakte Gesellschaft gelingen, die für dich und alle die guten Willens sind Geborgenheit verstrahlt, dich in sich aufnimmt und nicht einfach bloß verdaut, um dich wieder auszuscheiden...und das wird sich ungefähr so anhören: Es wird sein, ein wunderbarer Webstuhl, der wie von selbst goldene Fäden zu einem fliegenden Teppich knüpft, der direkt ins Paradies der Werktätigen schwebt. Lass dich nicht von Miesmachern aus der Ruhe bringen und glaub an dich selbst, dann wirst du so großen Erfolg haben wie du auch immer anstrebst.

Die dritte Geschichte wird dich an den Rand des erfahrbaren Universums führen, denn inzwischen ist dein Märchenerzähler übergeschnappt! Er hat dir ein seltsames Gebräu gemischt und es dir als Infusion in den Blutkreislauf gemischt: Es wird dir an eine Einsamkeit vorgaukeln die du niemals beenden kannst, aber du wirst denken, daß sie durch eine Anhäufung unlösbarer Sorgen aufzulösen ist. Du sehnst dich plötzlich so stark nach anderen Körperteilen, daß du glaubst durch ihren Erhalt auch einen fügsamen Geist dazu zu bekommen, der dich in allen deinen zukünftigen Lebenslagen hält und stützt, du ihn hältst und stützt, was dir wiederum so viel Trost und Stärke verleiht wie du brauchst um die Komplotte der Schicksalsmacht heil zu überstehen.

Dann hörst du die Engel auf Erden singen und aus der Dunkelheit der Zeit treten wundervolle Phantasiefiguren, die allesamt ebenfalls Märchenerzähler sind. Sie flüstern dir dermaßen süße Dinge ins Öhrchen, daß du aufhörst auch nur irgendwas zu hinterfragen, nur damit du endlich den Siebten Himmel der Liebe erreichst und Vorstöße in ein Land unternimmst, das noch nie ein Mensch betreten hat. Dort kannst du erleben was es heißt fleischlich zu sein! Und alles in dir und um dich herum wird sich verändern. Du wirst in einen Taumel geraten, der vor lauter Wärme überfließt, du wirst aus dir herausgehen, oder wen hereinlassen, den du weder kennst, noch ihm mit Haut und Haaren an ihn / sie ausliefern solltest. Aber sich nicht auszuliefern wäre weit weniger schön als den Verstand zu verlieren.
Die vierte Geschichte wird dir dir zeigen wozu es gut war sich zu vergessen: „Ich bin die Wahrheit und das Leben“, wird sie zu dir sagen. Du wirst entzückt sein, wenn du es auf Händen trägst, das erste wahre Leben deines Daseins. Es wird durchdringend schreien, es wird wunderbar riechen und es wird so hilfsbedürftig aussehen, daß du gar nicht anders kannst als es in den Bund der Liebe mit aufzunehmen, der bis dahin nur aus Zwei Personen bestand. Dann übermannt oder überfrauscht dich der Stolz etwas ins Leben gerufen zu haben in dem du dich fortsetzen kannst (wie du meinst) und du wirst alle Wünsche in das hilflose Bündel hineininterpretieren, die du dir selbst nicht erfüllen konntest...

Jetzt sollen sie wahr werden – in einer Wirklichkeit, die du dir nicht mehr anders als gut werdend vorstellen kannst. Ein Wunder kommt auf dich zu! Es ist sagenhaft intelligent, begabt bis zum Gehtnichtmehr, schön wie sonstwas und nur geboren um dir eine Freude und eine Bestätigung nach der anderen zu bereiten. Dann wirst du deine Erfüllung gefunden haben...eine in der primitive Völker einen Auftrag der Götter, oder eines Gottes erblicken, der Gläubige Diener und Vollstrecker für seine Pläne braucht. Deine Bemühungen werden sich zuerst vervielfachen, bis sich, eines Tages, schemenhaft, dann immer deutlicher, der Märchenerzähler neben dir materialisiert und du wirst dir, erst schemenhaft, dann immer deutlicher, darüber klar werden, daß deine Seele geleimt worden ist. Aber du kannst, wie stets, nicht mehr zurück!

Die fünfte Geschichte schlägt dem Fass den Boden aus. Sie fängt ungefähr so an: „Er führet mich zum frischen Wasser und wenn du gleich dachtest du wandelst in einem finsteren Tal, dann fürchte dich nicht, denn du bist bei mir. Dein Stecken und Stab trösten mich. So bereite dich vor... Du hast getan was dir möglich war, wenn du dir nicht vielleicht ganz andere Märchen erzählt, nichts geglaubt hast und dich immer nur durchgesetzt hast. Bist du selbst Märchenerzähler geworden und gewesen? Hast du ein Volk, eine Nation regiert? Hast du, verdorbener Machenschaften wegen jemanden oder gar viele in einen Abgrund geführt aus dem es kein Entkommen gab, nur damit die „Geschichte“ der Menschheit ihren vorgeplanten Verlauf nahm, nimmt?

Hast du Leute ausgegrenzt, sie in hohe Posten gehoben, hast du komische Urteile gesprochen, die deine dummen Opfer nicht anzweifeln konnten weil für sie zu undurchsichtig war was du angestrebt hast?
Oder bist du einfacher Arbeiter, Bauer gewesen, der einfach nur leben wollte? Und alles weil dein Märchenerzähler vergaß dir zu sagen, daß es dieses Einfach-nur-leben-wollen einfach nicht gibt? Hast du deine ganze Zeit lang nicht kapiert wie wenig es nützt eine Pflicht zu erfüllen die dir irgendwer weisgemacht und oder auferlegt hat? Wusstest du nicht, daß es weder den Herrn noch seine Diener befriedigt etwas auf die Beine zu stellen, ohne sich dabei quasi modo damit zu befriedigen? Aufklärung scheint nicht die Aufgabe von Märchenerzählern zu sein!
Märchenerzähler wollen uns unterhalten, auf uns einreden, damit wir vergessen wie die Welt „wirklich“ aussieht. Aus vielen deiner Augen-Blicke setzt sich eine Illusion zusammen, die von anderen nicht gesehen werden kann! Zwar gibt es eine gemeinsame Wahrheit für uns alle, die aber längst nicht von allen anerkannt werden will. Ob die Erde nun eine Scheibe oder eine Kugel ist, ist Ansichtssache! Und ob die Sonne um eine Scheibe rotiert oder sich die Planeten um die Sonne drehen, ebenfalls! Die Wahrheit nach und nach herauszufinden ist unser Problem an dem wir wachsen können – doch dafür brauchen wir zunächst einmal Märchenerzähler, sonst spielen wir gar nicht erst mit... Man kann nur hoffen, daß das Gehör nicht nachlässt!


© Alf Glocker


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Kommentare zu "Der innere Märchenerzähler und das nachlassende Gehör"

Re: Der innere Märchenerzähler und das nachlassende Gehör

Autor: Sonja Soller   Datum: 09.02.2022 16:46 Uhr

Kommentar: Interessante Gedanken. Manche Märchen werden wahr, und manche wären es lieber nicht geworden!!!!!

Herzliche Grüße aus dem realistischen Norden, Sonja

Re: Der innere Märchenerzähler und das nachlassende Gehör

Autor: Alf Glocker   Datum: 09.02.2022 18:17 Uhr

Kommentar: Da hast du wirklich recht!

Herzl Grü aus dem märchenhaften Süden
Alf

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