Er saß im Schneidersitz auf einer Plastikfolie, die den weißen Teppich unter ihm bedeckte. Nur eine rot weiß-karierte Boxershort bedeckt seinen Körper. Sein Blick streifte über seinen ekelerregend schönen Körper, die Ausgeburt von Gesundheit. Er hielt es nicht aus, wendete seinen Blick ab.
Langsam schärfte er das Messer in seiner Hand an einem Schleifstein nach. Das Geräusch war irgendwie beruhigend, untermalte die Stille die ansonsten in seinem Zimmer herrschte.
Er fühlte sich taub, was wohl an den Schmerzmitteln lag, die er vorhin geschluckt hatte. Es waren nicht so viele um ernsthaften Schaden anzurichten, doch es waren genug um seinen Körper gefühlstot wirken zu lassen.
Das musste reichen.
Er legte den Schleifstein weg, drehte die Klinge gegen das Licht der heruntergedimmten Deckenlampe, so dass die Klinge funkelte und lächelte zufrieden. Ja, das würde wohl reichen.
Dann legte er auch das Messer weg, in eine Schale mit Apothekenalkohol zum desinfizieren und schaute noch einmal an seinem Körper herab. Er schüttelte sich, unterdrückte zwanghaft den aufwallenden Brechreiz. Einfach viel zu makellos. Er konnte einfach nicht ihm gehören, nicht ihm, dessen Seele so kaputt war. Das passte einfach nicht.
Mit einer Reißzwecke testete er an verschiedenen Stellen ob er noch etwas spürte. Sechs mal bohrte er sich dieses kleine Büroutensil in den Körper. Sechs mal spürte er nur ein leichtes Piecksen. Es funktionierte also.
Nun wurde auch die Reißzwecke ordentlich beiseite gelegt, er nahm ein längliches, rotes Tuch und versuchte es sich um den linken Oberarm zu binden. Es war deutlich schwerer als er gedacht hatte, denn es musste fest sitzen, doch auch dieses kleine Problem war schnell überwunden.
Noch einmal hält er inne, dachte nach, ließ die Ruhe auf sich einströmen. Ja, es war richtig. Alles war genau richtig, so wie es nun geschehen würde.
Er nahm das Messer wieder in die rechte Hand, nachdem die Restflüssigkeit an der Luft verdampft war, führte die Klinge langsam bis an seinen linken Arm heran.
Er hatte die Oberseite des Unterarms ausgewählt und schon vor einer halben Stunde rasiert und desinfiziert.
Als die Klinge sich leicht in seine Haut bohrt stoppte er noch einmal.
Tief durchatmen.
Stark angewinkelt schnitt er tiefer, um dann das Messer abwärts zu ziehen. Der Schnitt wurde immer länger, Blut quoll hervor, bildete einen kleinen Strom der bis zur Unterseite des Armes ran und von dort auf die Plastikfolie herunter tropfte. Nach circa fünfzehn Zentimetern stoppte er, zog die Messerspitze wieder hinaus, winkelte es andersherum an, und begann oben, einen halben Zentimeter neben dem ersten Schnitt, wieder zu schneiden. Parallel zum ersten Schnitt zog sie nun auch den Zweiten.
V-förmig würde das Ganze werden, zumindest wenn man es im Querschnitt betrachten würde. Es sollte breit sein, und dabei noch einigermaßen tief. Da war es am einfachsten auf diese Art zu schneiden.
Es schmerzte doch mehr als er gedacht hatte, die Tränen traten ihm in die Augen, die Sicht verschwamm, aber er konnte nicht einfach so aufhören. Wollte nicht einfach mittendrin aufhören. Nein, er würde das zu Ende führen.
Als auch dieser Schnitt so lang war wie der Erste, war das Meiste getan. Noch zwei Kleine fehlten. Noch saß der längliche Haut- und Fleischlappen an den beiden Enden fest.
Immer mehr Blut floss aus der Wunde, so musste er mit der Klinge tasten wo die Schnitte jeweils ihre Enden hatten, um diese nun auch noch zu verbinden.
Es war vollbracht.
Er schob die Klinge unter dieses Etwas, unter das, was mal mit seinem Körper verbunden war, Teil von ihm war, und hob es heraus.
Sofort wurde die lange Lücke, dieser winzige Futtertrog, von Blut gefüllt, das begierig aus jeder winzigen Öffnung zu strömen schien.
Er ließ den Fetzen in einen Eimer fallen, legte das Messer zurück in den Apothekenalkohol, und griff nach den frischen Kompressen die er aus dem Erste-Hilfe-Kasten des Autos genommen hatte und die vor ihm gelegen hatten. Es war mühsam sie anzulegen, doch auch das gelang.
Erschöpft sackte er in sich zusammen. Er hat es echt geschafft.
Er hat es getan.
Endlich.
Tränen des Glücks liefen über seine Wangen.
Es würde eine wunderbare Narbe werden, da war er sich sicher.


© Lorenz H. P.


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