Es ist drückend heiß. Nicht angenehm, wie man es in einer Sauna noch empfinden mag, sondern die Form der Wärme wo der Kreislauf instinktiv auf Standby schaltet, weil er keinen Sauerstoff mehr in der Luft finden kann.
Natürlich musste es so sein. Es war ein nicht sehr großes Konzert, in einem nicht sehr gut belüfteten Keller. Dutzende Scheinwerfer, noch mehr Menschen. Alle verursachten diese Hitze. Ein dichtes Drängen von Körpern aneinander.
Doch wichtig ist nur einer dieser Körper. Er ist irgendwo zwischen allen Anderen, er ist halb nackt. Nur eine kurze Hose, Socken und Schuhe bedecken ihn, schützen ihn ein wenig vor allem um ihn herum.
Der Mensch der in diesem Körper steckt, der Mensch der dieser Körper ist, nimmt kaum noch etwas wahr. Er ist wie von Sinnen, und dennoch sind seine Sinne schärfer als jemals zuvor.
Er singt laut mit zu der Musik. Die Musik die ihn komplett einnimmt, die seine tiefsten Wünsche in eine Bahn lenkt. Sein Körper bewegt sich im Takt zu ihr, seine Stimme versucht mitzusingen.
Sein Mund ist staubtrocken. Einzig das wenige Blut aus seinen aufgeplatzten Lippen spendet ein wenig Feuchtigkeit, gibt die Kraft den Mund überhaupt noch offen zu halten.
Die Kehle dürstet nach diesen schmalen Rinnsalen von rotem Lebenssaft, lässt sich gierig von ihm benetzen.
Die Stimme versucht mitzukommen. Laut und kraftvoll scheint sie zu sein, auch wenn der Mensch dahinter eigentlich längst gebrochen ist. Er klammert sich an die Strophen, an die Wörter, ja an jede einzelne Silbe. Der letzte Halt.
Wieder knallt er gegen einen anderen Körper. Seine Muskeln schmerzen, stehen kurz davor vollkommen aufzugeben. Die Belastung nährt sich dem maximal Erträglichem, dem Ende dieser letzten großen Farce. Der letzte Akt dieses Schauspiels war angebrochen.
Schweiß bedeckte jeden Quadratmillimeter seines Körpers, gemischt mit dem Blut aus den vielen kleinen Schnittwunden die er sich von irgendwem irgendwie irgendwo zugezogen hatte.
Manche hatten ihn komisch angeguckt in der letzten Pause zwischen zwei Liedern, aber niemand hatte etwas gesagt.
Wenn etwas ganz tief in das Bewusstsein eindringt, es vollkommen einnimmt, dann wird dieser Moment zu etwas wunderbarem. Weit weg von der eigentlichen Welt, und doch niemals näher gewesen: Wenn jede kurze Berührung so gewaltig wahrgenommen wird als dauerte sie Minuten, jeder Geruch so intensiv ist als würde man ihn mit der Nase eines Hundes wahrnehmen, sich die Kontraste und Farben verstärken und vertiefen, jedes Geräusch ganz allein für sich zu stehen scheint, dann hat man den Zenit erreicht.
Und wie nach jeder Klimax kommt danach der Fall, der Sturz in das Bodenlose. Noch ein letztes mal verlangsamt sich die Zeit um einen herum, lässt einen an dem Höhepunkt dieses Momentes festhalten, ihn Kosten in seiner lieblichen Zerstörung, seiner monströsen Vernichtung.
Es wie im Film. Die Kamera hängt über diesem einem Körper und zoomt langsam immer weiter hinaus. Die Menschen weichen zurück, er ist nun der absolute Mittelpunkt. Er dreht sich vielleicht noch einmal, vielleicht auch zweimal. Es vergeht wie in Zeitlupe wenn er zusammenbricht, wenn der Mensch den Körper verlässt. Das Gesicht im Glück erstarrt, die Seele an einen anderen Ort geführt zu haben für diesen wunderbaren Moment.


© Lorenz H. P.


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