"Wenn deine Schuhe in den Startlöchern festhängen, dann starte eben Barfuß" sagte die Stimme im Off. Aber wenn ich es mir recht überlege, dann war es keine Stimme. Vielmehr war es wie das Aufflackern einer
Neonschrift, ein Gedanke nicht von mir, der begann in meinem Kopf umherzuwandern bis er sich irgendwo festsetzte, um darauf zu warten, das ich den Sinn erkennen würde. Solche Sinnsprüche kannte ich von meinen spirituellen Beratern schon von früher. Irgendwann, wenn ein Ereignis eintraf, welches mich den Sinn erkennen lassen würde, gäbe es eine Art Initialzündung in meinen Gedanken.
Das ich schon lange irgendwie 'festhing', war mir durchaus bewusst, wie ich aber den Spruch deuten sollte, wollte mir nicht in den Sinn kommen. Allerdings ließ die Situation, die mir den Sinn verdeutlichen sollte nicht lange auf sich warten. Das Ereignis war, das meine Tochter zur Furie wurde, ihren Freund aus der Wohnung prügelte und hinterher am Telefon jammerte, "Alles im Leben hat seine Konsequenz!" Seltsam, das ihr das vorher nicht bewusst war. Sie war immer noch eifersüchtig auf ihn und als sie erfuhr, das er eine neue Freundin hatte, war sie außer sich. Sie sagte, das sie nicht wisse, was sie geritten habe und nun wollte sie ihn zurück. Doch nicht genug damit waren immer noch diese Aggressionen da, von denen sie nichts wissen wollte. Ihr Freund war weg, die Aggressionen noch da, und nun richteten sie sich gegen ihre eigene Mutter. Dreimal am Tag rief sie an, jammerte und schimpfte und beschimpfte ihre Mutter, die ja nun wirklich nicht dafür konnte, die sich aber dennoch Mitschuld an dem Desaster gab, auch wenn ich ihr versuchte das auszureden.
Die Situation eskalierte immer mehr, und je schlimmer es wurde, desto häufiger mehrten sich die Anzeichen psychosomatischer Störungen, die meine Partnerin überhaupt nicht damit in Verbindung bringen wollte. An ihrer Situation waren jetzt die Hausbewohner schuld, die es auf sie abgesehen hatten. Alles reden half nichts, sie blieb bei ihrer Meinung und konnte einfach nicht erkennen, das ihre Tochter es war, die ihr solchen Schmerz zufügte.
Und plötzlich erinnerte ich mich an eine Situation, in der ich ganz genauso reagiert habe. Damals hatte ich "Das Spiel" gerade fertig geschrieben und all meine bis dahin aufgeschriebenen Bilder in ein Buch, das ich ihr zum Geburtstag schenkte. Sie erteilte mir aber damals solch eine Abfuhr, das es mir das Herz brach und ich aufhörte zu schreiben. Ich konnte sie aber nicht als Ursache ausmachen, da ich sie liebte und diese Situation nicht verstehen konnte. Aber heute, mit einem Mal wurde mir die ganze Geschichte bewusst, erinnerte ich mich an die Situation aber auch, unter welchem Einfluss sie stand. Es war ursächlich der Gleiche wie bei unserer Tochter jetzt.
Nun bekam der Spruch meiner spirituellen Berater plötzlich einen Sinn. Es ging in diesem Spruch doch wohl um die Schuhe, die in den Startlöchern festhängen. So machte ich mir als Gedanken, was es mir den Schuhen auf sich hätte. Ich malte mir aus, was es bedeutete, ohne Schuhe zu laufen und das Schuhe Schutz waren. Ja hatte ich mich so sehr geschützt, das ich nicht mehr laufen konnte? Nun, ganz offensichtlich. Ohne Schutz zu laufen, hieße also auch den Schmerz zu ertragen, wenn die Steine etwas spitzer werden. Wollte ich das? Sicher wollte ich wieder schreiben, das ich dafür vielleicht auch Schmerz ertragen müsste, wurde mir jetzt bewusst. Hatte ich doch zuvor schöne Bilder geschrieben und war ganz ehrlich auch ein wenig erpicht auf positive Resonanz, so wurde mir auch gerade durch "Das Spiel" gewusst, das es beim Schreiben nicht nur um positive Resonanz ging, sondern sich zu öffnen und vielleicht auch Kritik oder Anfeindungen ertragen zu müssen. Als ich "Das Spiel" aufarbeitete, glaubte ich noch, das was mich blockierte durch eine Änderung der Geschichte auflösen zu können, doch weit gefehlt. Diese Aufarbeitung geriet zu einem Griff ins Feuer. Der Schmerz war höllisch ohne ersichtlichen Grund. Also versuchte ich es wieder und wieder bis ich noch nicht einmal mehr in der Lage war, einen ganz normalen Brief zu verfassen. In größeren Abständen versuchte ich mich wieder im Bilderschreiben. Es wollte mir einfach nicht gelingen.
Dann kam die Zeit des Auszugs meiner Lebensgefährtin und die Zeit, in der ihre Tochter zur Furie wurde. "Wenn deine Schuhe in den Startlöchern festhängen, dann starte eben Barfuß" ging mir die ganze Zeit durch den Kopf. Die Zeichen standen auf Eskalation und ich spürte das die Lösung des Spruches kurz bevor stand. Sie hatte mittlerweile den Freund aus der Wohnung geprügelt und rief jeden Tag mindestens drei mal an, lud ihren Frust, ihre Aggressionen bei meiner Lebensgefährtin ab, die schon lange Burnout hatte und immer noch Alles abnahm auch wenn sie schon lange am Ende war. Es dauerte nicht mehr lange, bis die ersten körperlichen Symptome auftauchten, die sie aber nicht mit der Situation in Verbindung bringen wollte. Es ging soweit, das sie ins Krankenhaus musste, wo sie aber gleich wieder flüchtete. An diesem Tag fuhren wir zurück in die alte Wohnung. Sie wollte nie wieder zurück, brachte ihren Zustand nur mit der neuen Wohnung in Verbindung.
Das war der Punkt, an dem ich meinen Brief an meinen Vermieter schrieb, in dem ich mir die schriftstellerische Freiheit nahm, den unrelevanten Umstand meines Aufenthaltes ein wenig zu verändern. Aber ich hatte wieder begonnen zu schreiben. Und der Brief wurde auch gelesen, ja führte auch zu einer gütlichen Einigung. Es hätte auch ganz anders kommen können, das war mir wohl bewusst.
Was ich aus der Geschichte erkannt habe, war die bittere Wahrheit, das es die Liebsten sind, die uns solchen Schmerz zufügen können, das wir ihn verdrängen, um weitermachen zu können. Doch manchmal führt es eben dazu, das unsere Schuhe in den Startlöchern festhängen bleiben und wir nicht mehr vom Fleck kommen.
Nachtrag:
Ob ich "Das Spiel" überhaupt noch einmal nachbearbeiten werde ist äußerst fraglich und es war auch nicht gerade die Krone meiner schöpferischen Zeit. Ich denke, ich werde diese Episode in meinem Leben als schmerzhaft beendet in Erinnerung behalten und hoffe, das ich nie wieder mit den Schuhen in den Startlöchern festhängen werde, habe ich doch gelernt, das Barfuß laufen zum Leben dazu gehört.


© Karl Maria Sprachlos


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Kommentare zu "Das Spiel ist aus"

Re: Das Spiel ist aus

Autor: Leandra   Datum: 30.07.2021 13:24 Uhr

Kommentar: Fulminant, dein Text. Zack, und in meinem Kopf entstehen Bilder, die mich in eine Story reißen.

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