„Halten Sie bitte da vorne rechts, Fredo.“ Sie zog noch einmal flink ihren roten Lippenstift nach und beobachtete sich dabei akribisch in ihrem kleinen Schminkspiegelchen, während ihr Fahrer den Wagen sanft zum Stehen brachte. „Ist es hier recht Mrs. Marchetti?“, entgegnete er. „Ich danke Ihnen Fredo. Nehmen Sie sich ruhig den Rest des Abends frei, man wird mich zu Hause absetzen.“, sprach sie und warf noch einmal einen letzten kontrollierenden Blick in den Rückspiegel der Limousine. „Zu gütig Madame. Ich wünsche Ihnen einen bezaubernden Abend.“

Noch bevor Maria ihrem Fahrer ein weiteres Mal aufrichtig danken konnte, wurde ihre Tür von einem Angestellten ihres Lieblingsrestaurants geöffnet und ein gutaussehende junger Mann streckte ihr seine Hand entgegen. „Schönen guten Abend Mrs. Marchetti, man erwartet Sie bereits.“ Vorsichtig half er Ihr beim Aussteigen aus dem Wagen, was durch ihr langes Kleid einem kleinen Kunststück glich. „Ich danke Ihnen Giovanni. Wie immer sehr aufmerksam von Ihnen.“, dankte sie ihm strahlend. „Ich mache nur meinen Job Mrs. Marchetti.“

Giovanni führte sie den kurzen Weg zum Restaurant und man öffnete ihr die große Tür, deren goldene Griffe heute besonders zu glänzen schienen. Der riesige Saal war wie immer brechend voll, an den Tischen lauter Wichtige und solche, die gerne zu ihnen gehören würden. Sie erblickte den Bürgermeister, der allerdings in Begleitung einer Frau war, die er nicht geehelicht hatte. Dann war da noch der Polizeichef mit seiner Tochter und viele weitere, die in der Stadt ein gewisses Ansehen besaßen. Die meisten schmückten sich darüber hinaus mit einem eher zweifelhaften Ruf, aber das sollte sie heute nicht stören.

„Darf ich Ihnen Ihren Mantel abnehmen Mrs. Marchetti?“ Francesco kam freudestrahlend auf sie zu. „Aber gern. Sie sehen gut aus Francesco. Waren Sie mit ihrer Frau im Urlaub?“ Der Oberkellner errötete ein wenig, ging aber nicht auf ihre Frage ein. „Man erwartet Sie im VIP-Bereich Madame. Wenn Sie mir bitte folgen würden.“ Während Sie dem kleinen Italiener folgte- es hatte fast den Anschein sie würde schweben -, grüßten sie gefühlt hunderte Leute, sie schienen sich alle über ihr Erscheinen zu freuen.

Auch der Bürgermeister, Mr. Gibson, nickte ihr wohlwollend zu. Sie erwiderte mit einem breiten Lächeln und einer kurzen Handbewegung. „Da wären wir Madame.“ Francesco stoppte vor dem weinroten Vorhang, der die Lounge vom Rest des Da Vinci trennte. Noch bevor es ihr gelang, selbst den Vorhang zu öffnen, griff die Hand des kleinen Oberkellners zuvor. Er zeigte sich wie immer von seiner besten Seite und wollte seinem Gast jegliche Anstrengung verwehren.

„Guten Abend Darling.“ Maria wich mit einem Mal sämtliche Farbe aus ihrem Gesicht, ihr Magen krampfte. „Du siehst bezaubernd aus, setz dich doch. Ach und Francesco, bringen Sie mir bitte einen doppelten Scotch auf Eis und meiner Gattin einen Martini.“ Der Kellner nickte kurz und verschwand dann flink aus der Lounge. „Stimmt etwas nicht Darling? Freust du dich denn gar nicht, mich zu sehen?“, bohrte Michael weiter nach.

Er sah sie mit einem überheblichen Grinsen an. Sie wusste sofort, dass etwas ganz und gar nicht stimmte. Doch das wusste sie schon, als sie gesehen hatte, dass ihr Gatte dort rauchend saß und nicht Marti. „Oh natürlich, wie unhöflich von mir.“, Michael stand auf und zog ihr den Stuhl vom Tisch weg. Sie setze sich.

„Entschuldige, ich habe meine guten Manieren wohl zu Hause gelassen.“
Maria starrte ihren Gatten weiter unentwegt an. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Francesco kam wieder durch den schweren Vorhang gehuscht und servierte die Drinks. Auch wenn sie es ihm sonst immer mit einem Lächeln dankte, war sie gerade nicht in der Lage dazu. „Möchten die Herrschaften schon etwas zu Essen bestellen?“, auch Francesco schien etwas angespannt. „Später. Würden Sie uns bitte ein wenig allein lassen? Wir wünschen, nicht gestört zu werden.“, funkelte Michael Marchetti ihn an. „Gewiss Don.“, stammelte der Kellner. „Ich werde veranlassen, dass man sie nicht belästigt.“ Er verschwand so schnell wie er gekommen war.

Jetzt blickte auch Michael sie an. Lange konnte sie seinem Blick nicht standhalten und blickte beschämt auf die weiße Tischdecke. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Zeitgleich begann Michael, ein Lied zu summen. Seinen Blick wandte er dabei nicht von ihr ab. Er lächelte sie einfach an und summte sein Lied. Aber es war kein fröhliches Lächeln – es war ein Lächeln, was sie schon allzu oft gesehen hatte und sie wusste, dass er etwas Abscheuliches getan hatte.

Bedächtig trank einen großen Schluck von seinem Scotch. Während er dabei seine Hand hob, konnte Maria an seinen Fingerknöcheln die roten Blessuren erkennen. Er hatte also auch selbst Hand angelegt. Sie begann jetzt, zu schluchzen. Erst leise, weil Maria versuchte, sich zusammenzureißen, aber es gelang ihr nicht. Michael schien sich darüber zu freuen und aus seinem Summen wurde jetzt ein Gesang: „Love of my life, you've hurt me. You've broken my heart and now you leave me. Love of my life, can't you see? Bring it back, bring it back. Don't take it away from me, because you don't know what it means to me!“

Maria konnte dieses Schauspiel nicht ertragen. Tränen flossen ihr über die Wangen und das nicht, weil ihr Gatte diese Ballade leise vor sich her sang. Michael wollte gerade zur nächsten Strophe ansetze, als Maria es nicht mehr aushielt: „Michael hör bitte auf zu singen. Ich bitte dich inständig darum, lass es!“ Er hatte sie genau da, wo er sie haben wollte und machte unbehelligt weiter: „Love of my life, don't leave me. You've stolen my love, you now desert me…“

„MICHAEL,STOPP!“, schrie Maria jetzt aus voller Kehle, dass sie selbst erschreckte. Abrupt hörte er auf und setzte wieder sein schelmisches Grinsen auf, das sie so sehr hasste: „Wo ist denn dein Problem Darling? Fühlst du dich etwa schuldig?“

„Michael, wo ist Marti?“, presste Maria unter größten Anstrengungen heraus. Es war eh zu spät, irgendetwas zu leugnen. Sie kannte ihren Mann, den Don, zu gut. „Trink doch erst einmal deinen Martini, Schatz.“, sagte Michael, während er sich eine weitere Zigarette ansteckte. Sie wiederholte ihre Frage erneut, diesmal sehr eindringlich. Was sie dann hörte, hatte sie im Grunde längst gewusst.

Durch den Zigarettenqualm sprach ihr Mann: „ Mister Thompson fühlte sich heute leider nicht sehr wohl. Darum habe ich hier seine Stelle eingenommen. Er lässt schön grüßen.“ Sein gekünsteltes Lächeln war verschwunden und seine Miene war jetzt ernst.

„Das hättet ihr nicht tun dürfen! Er kann doch gar nichts...“ Sie konnte den Satz nicht zu Ende führen, denn Michael schlug mit seiner Hand so sehr auf den Tisch, dass das Geschirr in die Luft flog und unsanft scheppernd wieder hinunterrauschte. „Und wie dieser kleine Hurensohn etwas dafür kann! Niemand treibt es mit meiner Frau, ich bin in dieser Stadt der Boss!“ Seine Adern standen auf seiner Stirn hervor und seine Augen funkelten wie zwei Rubine.

In den nächsten Minuten ließ Michael Marchetti es sich nicht nehmen, seiner Gattin in allen Einzelheiten zu berichten, wie sie ihren Liebhaber, Marti Thompson, zugerichtet hatten. Hierbei zwang er sie auch, einen genauen Blick auf seine rechte Faust zu werfen, die eindeutig Abdrücke von menschlichen Zähnen aufwies. Je mehr sie weinte und sich abwendete, weitete Michael seine Erzählungen aus und genoss es, seine Frau für ihren Verrat an ihm leiden zu sehen.

Als die Tortur irgendwann ein Ende hatte fragte sie mit zittriger Stimme: „Lebt er noch?“ Ihre vom Weinen geröteten Augen flehten danach. „Da wir es ihm ersparen wollten, sein restliches Leben nichts außer Suppe zu essen, hat Pedro ihn mit den Fischen schwimmen lassen. Deinen Marti wird niemand je finden, also hör auf zu heulen du Miststück.“ Er machte Anstalten, zu gehen.

„Wohin gehst du?“, schrie sie ihm entgegen. Er ging wortlos an ihr vorbei, warf jedoch einen zerknüllten Zettel in ihren Martini. Bevor er jedoch den weinroten Vorhang durchquert hatte, drehte er sich noch einmal um und zischte: „Die Briefchen deines nächsten solltest du besser verstecken. Sonst geht es ihm auch wie unserem Mister Thompson.“

Mit zittrigen Fingern fischte sie den gelben Notizzettel aus dem Glas und entfaltete ihn. Darauf stand in verschwommener Tinte: „Morgen Abend um 8 im Da Vinci. Tisch ist reserviert. Kuss M.T.“ Sie hatte vergessen den Zettel von ihrem Nachttisch zu räumen.


© J.F.Horn


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