Der falsche Held

© EINsamer wANDERER

»Du siehst mal wieder aus, als hätte dich jemand durch einen Wall aus Reißwölfen geschleift. Welcher Held war es denn heute?«

Der Helfershelfer spukte auf den Boden, um das Blut aus seinem Mund zu bekommen.

»Nicht schon wieder, Andy! Ich habe den Boden gerade frischgewischt!«, keifte der Barkeeper mit dem Spinnenkopf. Hierbei sollte angemerkt werden, dass er eine ganze Spinne als Kopf besaß und nicht nur das Haupt jenes Krabbeltieres.

»Fick dich, Humphrey.«

»Der Boss wird nicht glücklich sein, dass du schon wieder eine Lieferung verloren hast.«

»Wenn der Boss ein Problem hat, wird er es mir schon sagen«, murrte Andy.

»Wo wir doch beide wissen, wie sehr die Leute deine Superkräfte fürchten.«

»Tz. Schön wär´s. Wenn sie wirklich meine Fähigkeiten fürchten würden, würde ich den Laden schmeißen.«

»Wenn deine Kräfte nur immer so funktionieren wie bei anderen, sicherlich, dann wärst in Nullkommanichts die Nummer eins der Superschurken, aber so…«

»Es ist einfach zum Kotzen, dass meine Kräfte nur bei anderen Schurken funktionieren. Sonst hätte ich heute diesem Heldenarsch den Sauerstoff aus seiner Lunge geprügelt und das mit nur einem Schlag.«

»Ganz bestimmt. Du hättest die Atmosphäre um dich herum mit deiner Bösartigkeit vergiftet und ihm das Atmen erschwert, um ihn darauf mit deinen übermenschlichen Kräften den Kopf mit einem Faustschlag zum Platzen zu bringen wie eine überreife Melone.«

»Tz. Ja, so wie damals bei Peter. Irgendwie bereue ich es heute. Er war zwar eine Nervensäge und hat mir die Chips weggefressen, aber irgendwie… auf eine ganz seltsame, nervtötend Art, war er ein netter Kerl.«

»Er hat Koks an kleine Kinder verkauft und Nonnen in Lesbenbars zwangsprostituiert.«

»Haben wir das nicht schon mal alle gemacht?«

»Manche bestimmt, aber nicht alle. Darf es noch einen sein?«

»Diesmal einen doppelten.«

»Kommt sofort. Und, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, für einen Fünfzehnjährigen säufst du wie ein ganz großer.«

»Stimmt, du kannst dir deine Bemerkung in den Arsch schieben, mit ganz viel Zucker oben drauf.«

»Es ist immer eine Freude angehende Superschurken zu bedienen. Sie sind stets so höflich.«

»Worauf du deinen Arsch verwetten kannst«, meinte Andy und prostete ihm zu.

»Das war ironisch gemeint.«

Plötzlich wurde die Tür aufgerissen und ein hechelnder Haifischmensch stand im Türrahmen. »H-hey, Leu-Leute! Dies-dieser Bastard von-von … Puh!«

»Nun spuckt´s schon aus! Wir warten!!«

»Der Puncher! Er hat den Boss fertiggemacht!«

Ein entsetztes Raunen ging durch die Bar. »Wa-wa-wa-WAS?!«

»Das kann nicht sein!«

»Doch nicht unser Boss!«

Andy warf wütend das Glas gegen die Wand. Er hasste diesen Superhelden über alle Maßen. Er hatte seinen Vater auf den Gewissen, der einst eine große Nummer unter den Superschurken gewesen war, doch der Puncher hatte ihn einfach kalt gemacht. Nun dürstete der Teenager nach Rache.

»Wo ist er?!«

»Er ist bereits hier!«, sagte eine Stimme hinter dem Haifischmenschen im Türrahmen.

Zwei Typen wollten sich auf den Berg aus Muskeln stürzen, doch dieser gehörte nicht ihnen, sondern Andy ganz alleine. Er spürte das Aufwallen einer brennenden Finsternis in sich, die durch seinen Körper nach außen brandete und in einer ächzenden Aura der Bösartigkeit alle Beteiligten angriff. Seine Augen begannen rot zu glühen und das innere Feuer stählte seinen Leib und verlieh ihm etwas übermenschliches, wenn nicht sogar dämonisches.

Mit einer schnellen Bewegung seiner Arme konnte er seine Kontrahenten mit jeweils einem Schlag zu blutigem Brei zerschlagen, welcher von der Decke tropfte.

Das ist es, dachte er. Jetzt habe ich meine wahre Kraft und kann damit denjenigen töten, an den sich mein Hass richtet. Ich habe nur noch wenige Momente ehe ich wieder meine Macht verliere.

Er machte einen mächtigen Schritt, der den Boden berstete und ihn mit einem Mal auf seinen Feind zufliegen ließ. Gleich, gleich habe ich es geschafft!

Seine Hand ballte sich zur Faust, die dämonische Macht immer noch rauschend spürend. Nur noch ein kurzer Moment.

Mit unglaublicher Geschwindigkeit schnellte seine Faust auf den Bauch des Punchers entgegen. Es war egal wo er ihn traf, er würde durch seine Hand sterben, solange das Glück ihm hold sein mochte. Doch leider versiegte die Macht in genau jenem Augenblick als die Faust auf die stählernen Muskeln traf. Mit einem widerlichen Knacken pulverisierte Andys Schlag mit seiner Geschwindigkeit die Knochen seiner Faust. Wäre die Kraft nicht versiegt, wäre es dem Helden schlecht ergangen, doch so richtete sie bei ihm keinerlei Schaden an.

Während sich Andy am Boden vor Schmerzen krümmte, nahm er nur am Rande wahr wie alle anderen in der Bar vermöbelt wurden. Scheißhelden, die sich einfach nicht um ihren eigenen Kram kümmerten und rechtschaffene Gauner nicht in Ruhe ihre Arbeit machen ließen. So sah es für ihn aus. Als ein großer Schatten sich über ihm beugte, dachte er, dass nun sein letztes Stündlein geschlagen hätte.

»Andrew A. Anderson III., genannt Andy«, meinte der Superheld grüblerisch.

»Fick dich, Puncher!«

»Ich habe von dir gehört. Es gibt Gerüchte darüber, dass du ein kleiner Gauner bist, dessen Kräfte nur bei schlechten Menschen funktionieren.«

Andy ahnte was jetzt kam. »Fuck! Meine Hand tut schon weh, da muss mir nicht noch jemand eine verdammte Moralpredigt halten.«

»Du solltest eine berufliche Umschulung in Erwägung ziehen. Dieser Ort, diese Leute, sie wissen deine Gabe nicht zu schätzen.«

Nein, bitte, töte mich und halte mir danach eine Predigt, bitte!, dachte Andy.

»Komm in die Akademie für Helden und lass uns dir dabei helfen dein wahres Potenzial freizusetzen.«

»Leck mich, Fleischklops. Leck mich und töte mich einfach, ja?«

»Wenn du nicht willst, so steht es dir natürlich frei es nicht zu tun, aber mein Angebot bleibt bestehen. Überleg es dir.« Damit verließ der Held die Szenerie.

Anfangs dachte Andy sich, dass es da nichts zu überlegen gab, doch je mehr er darüber grübelte und sich aufregte, desto mehr reifte ein teuflischer Gedanke in seinem Hirn heran. Warum eigentlich nicht? Er wollte ein großer Superschurke werden und seine Kräfte verstehen. Wer sagte denn, dass er nicht eine Zeit lang als Held arbeiten sollte? Somit würde er von jenen trainiert und gefördert werden, die er später bekämpfen würde, ganz zu schweigen von den wertvollen Informationen die er über die angehenden Helden sammeln konnte. Und vielleicht, aber auch nur vielleicht, konnten sie ihm beibringen seine Kräfte bewusst einzusetzen. Sobald er über diese Macht in seinem Inneren verfügen würde, wäre es unmöglich ihn zu stoppen.

Am nächsten Tag trug er sich in der Akademie ein, aber seine Absichten waren gänzlich anders als die seiner Mitschüler. Die Welt würde noch sehen, wozu er in der Lage war.

 

The End


© EINsamer wANDERER


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Beschreibung des Autors zu "Der falsche Held"

Nicht jeder wird zum Helden, um Gutes zu vollbringen und nicht jeder mächtige Schurke ist automatisch in der Lage die Welt an sich zu reißen.

Der andere falsche Held (Gegenstück): https://www.schreiber-netzwerk.eu/de/2/Geschichten/102/Kurzgeschichten/68754/Der-andere-falsche-Held/

Die Hinterfragung der moralischen Identität: https://www.schreiber-netzwerk.eu/de/2/Geschichten/13/Kurze/66487/Die-Hinterfragung-der-moralischen-Identitaet/
Der alte Dunkelelf und seine Tochter: https://www.schreiber-netzwerk.eu/de/2/Geschichten/12/Fantasie/67175/Der-alte-Dunkelelf-und-seine-Tochter/
Die Helden, die böses tun müssten, um Helden zu sein: https://www.schreiber-netzwerk.eu/de/2/Geschichten/12/Fantasie/67738/Die-Helden,-die-boeses-tun-muessten,-um-Helden-zu-sein/
Auch Schurken haben ein Herz: Coming Soon
Auch Helden sind hirnlos: Coming Soon
Der Tausch der moralischen Identität: Coming Soon

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