Finsternis jenseits des Sturmes IV

© EINsamer wANDERER

»..., also schob er sich die unsichtbare Schrotflinte in den Mund. Die Passanten dachten immer noch, dass dies zur Show des Pantomimen gehören wurde. Selbst als er abdrückte und sein Gehirn auf die Wand hinter ihn spritzte, Knochensplitter und Blut durch die Gegend flogen, erkannten sie es zunächst alles noch als Teil einer spektakulären Darstellung. Doch als der Pantomime sich trotz allem nicht mehr rührte, erkannte man erst, welch groteskes Schauspiel sich zugetragen hatte. Weder davor noch danach hatte man je diese unsichtbare Schrotflinte auffinden können.«

    Ein seltsam flackernder Schatten trat an die Höhlenöffnung und zog einige Wörter hervor. »Bild, Menschen, Gefühle.

    Unsere Erde wird von Aliens überwacht, doch ihr Denken und auch ihre Kultur unterschied sich derart stark von unserer, dass sie nicht in der Lage waren uns auch nur ansatzweise zu verstehen. Deshalb entführten sie Menschen und zeigten ihnen Bilder. Doch ihre Bilder waren nicht mit den unseren Vergleichbar. Sie zeichneten nicht nur die Person und die Szenerie auf, sondern auch die damit einhergehenden Gefühle. So konnten sie genauestens beobachten was bei Menschen zu Gefühlsausbrüchen führte. Sie erkannten das zerstörerische Potenzial der Emotionen. Sowohl jenes das auf vorhandenen, als auch auf nicht vorhanden Gefühlsregungen basierte. Welche Ziele die Aliens verfolgten ist nicht bekannt. Die menschlichen Regungen übertrugen sich auf sie. Da ihr Wesen allerdings nicht darauf ausgelegt war diese Empfindungen zu haben, begingen sie nacheinander Selbstmord. Die Beobachter starben und seit jeher wurde die Erde von ihnen voller Furcht gemieden.«

    »Diesmal sind meine Worte: Wald, schien, durch, zu, Phantom und einst.

    Ein einsamer Wanderer schritt durch einen dunklen Wald. Es war eines jener Wälder die sich gut als Schauplatz für Schauergeschichten und Märchen geeignet hätte. Doch dieser Ort schien magisch zu sein. Schnell fühlte sich der Wanderer beobachtet. Hier und da raschelte es im Gebüsch. Hinter ihm knackte ein Ast lauthals. Ansonsten war es auch still. Kein Vogel störte die Ruhe oder ein anderer Waldbewohner. Der Wald schien tot zu sein. Schließlich erschien vor ihm die leuchtende Silhouette eines jungen Mädchens. Sie lief vor ihm davon. Je tiefer der Wanderer in die Finsternis vorstieß, desto geringer wurde die Distanz zwischen ihm und dem Phantom. Im Zentrum des Waldes stand das Mädchen nun vor ihm. Es löste sich jedoch vor seinem Augen auf und zurück blieb nur eine kleine Blume. Obwohl sie eindeutig organisch war, so schien sie aus Glas gemacht zu sein.

    Neugierig näherte sich der Wanderer der kuriosen Pflanze. Er hob ganz sacht die Blüte etwas an. Die Blume fühlte sich kühl an und war doch ziemlich beweglich. Ihre Blüte war ein Spiegel. Ein Tor zur Erinnerung des Waldes. Einst war dies ein magisches Wäldchen gewesen. Doch ein Krieg hatte ihn vernichtet. Menschen, Monster, Fabelwesen, alle hatten gegen ein mächtiges Wesens namens Dom gekämpft. Mehr wusste die Blume nicht. Sie hatte nur überlebt, weil sie so klein gewesen war. Nun war sie hier gefangen. Die Welt hatte sich von diesem Krieg schon längst erholt, doch der Wald blieb tot und würde es auch immer bleiben. Der Blume blieb nichts anderes übrig als hier zu verweilen. Sie konnte sich nur im Wald bewegen und ihn nicht verlassen. Ab und an kam ein Wanderer daher und verbrachte etwas Zeit mit ihr, doch nie länger als seine Reise durch den Wald dauerte. Sie betraten den Wald. Sie durchquerten ihn. Sie verließen ihn und kamen nie wieder. Niemand hielt an, um sie mitzunehmen. Die Blume wollte doch nur nicht mehr einsam sein.

    Der einsame Wanderer verstand diese Gefühle nur zu gut. Er stand auf und ging seines Weges. Die Blume ließ er zurück, da es nicht in seiner Macht lag sie mitzunehmen. Er verließ den Wald und sah das Phantom nie wieder. Kurz darauf verstarb er in einen Moor. Doch dies ist eine andere Geschichte.«

    »Das ist ein blödes Ende für die Geschichte. Da harke ich mich lieber ein, denn ich kann es viel besser. Denn nur einige Tage darauf lief ein Kind durch den Wald. Es war unschuldiger als frischgefallener Schnee. Auch dieses Kind folgte dem Phantom bis zur Blume. Jene erzählte ihr tragisches Schicksal. Es rannte bitterlich weinend davon.«

    »Inwiefern soll dieses Ende besser sein, als meines. Zugegeben es ist emotionaler, aber-«

    »Pst! Ruhe, und hör zu! Die Blume war unendlich traurig, weil nicht einmal ein so unschuldiges Kind ihr helfen wollte. Doch schon kurze Zeit darauf, kam das Kind wieder. Diesmal allerdings schleppte es einen großen Blumentopf voller Erde vor sich her. Keuchend und ächzend kämpfte es sich bis zur Blume vor. Es zückte eine Schaufel und topfte die Pflanze ein. Glücklich lächelnd hob das Kind die Glasblume nun auf und verließ mit ihr den Wald. Für immer. Sie lebten glücklich und zufrieden bis an ihr Ende.«

    »Mir hat mein eigenes Ende besser gefallen.«

    »Meinetwegen. Ich habe der Blume Gerechtigkeit widerfahren lassen.«

    »So etwas wie Gerechtigkeit gibt es nicht.«

    »Wenn ihr erlaubt, würde ich nun gerne etwas erzählen.«

    Die beiden Schatten stritten sich noch einige Momente über ihre philosophischen Ansichten, bis der graue Schatten mit seinen Schnipseln zurückkehrte.

    »Ich bin nicht gut darin Dinge zu fangen, deshalb habe ich auch nur einen einzigen Schnipsel zu fassen bekommen. Auf ihn steht das Wort Retter. Also werde ich eine Geschichte über einen Retter erzählen.

    Es gibt eine Welt. Eine Welt die aus Tod geschaffen wurde. Es ist nicht das Jenseits, nicht wie wir es uns vorstellen. Es ist mehr eine Art Übergang. Jene die sterben landen in dieser Welt, allesamt. Dort ist ihr zweites Leben. Der Tod. Was danach kommt, weiß niemand. Sie nennen es aber Myhör. Nichtsdestotrotz ist dort alles sehr festlich geschmückt. Die Gebäude sind aus Gebeinen errichtet. Der Himmel ist stets Finster und doch gibt es ein dämmriges Licht auf Erden. Die Leute sind weder tot, noch so richtig am Leben. Sie sind untot. Undeadworld, so nenne ich diese Welt.«

    »Gibt es schon!«

    »Ruhe! Im Multiversum gibt es mehr als ein Undeadworld. Aber zurück zum Thema. Keine Welt ist frei von Schrecken und somit auch nicht von jenen die mutig genug sind sich diesen Schrecken zu stellen. Sie werden Reiter genannt. Helden die auf fahlen Rössern durch die kargen von Asche bedeckten Lande reisen und Ungeheuer erschlagen, die selbst der Tod fürchten würde.

    Treybohr war einer dieser Reiter. Ein noch junger Reiter, zugegeben, doch was ihm an Erfahrung fehlte machte er mit grimmiger Entschlossenheit wett. Schließlich traf er auf einen jungen Toten namens Jüliea. Der arme Kerl rannte in Heidenangst vor einem Ghul davon. Wie jedes Kind weiß, fressen Ghule Leichen. Das wäre normalerweise nicht so schlimm, wären die Bewohner dieser Welt nicht selbst Leichen. Im vollen Galopp sprang Treybohr tollkühn vom Pferd und stürzte sich auf die große Bestie. Sie war voller Zähne und Muskeln. Ihre Pranken konnten einfache Tote in Windeseile zu blutigen Fetzen zerreißen. Doch unser Held zog Myhörverachtend das Schwert. Die Runenklinge glitt schlangengleichzischend aus der Scheide und entbrannte ihren Kampfrausch in weißbläulichen Flammen. Die Strategie unseres Reiters war überaus simpel. Den Sprung vom Pferd nutzen und den Gegner mit nur einen Schlag vernichten. Sollte dieser nicht gelingen, würde er myhörieren. Selbst ein grausamer Ghul entsetzte der Kampfgeist des Kriegers. Er zögerte einen Moment. Es war jener Moment der über Tod und Myhör entschied. Das brennende Schwert zerteilte das Ungetüm. Stinkende Gedärme klatschten auf den Boden, als das Monstrum in zwei Hälften auseinanderklaffte. Die Nase rümpfend über diesen enttäuschenden Kampf steckte Treybohr die Klinge weg. Jüliea schritt ungläubig auf seinen Retter zu, der wie der Held einer epischen Sage auf ihn wirkte, mit seinen langen schlotweißen Haaren und der schwarzen Rüstung. Er war noch nicht lange tot und konnte die verschiedenen Zeichen und Runen auf den Metall nicht zuordnen. Sie waren aus Weißgold, wie es schien. Als der strenge Blick seiner stahlgrauen Augen ihn traf, war es um ihn geschehen. Er verliebte sich in jenen Mann. Eigentlich hatte Jüliea die Lande durchzogen, um einen Weg zurück ins Leben zu finden, doch bei diesem Kerl konnte er schon schwach werden. Er wollte mehr wissen, doch vor lauter Herzklopfen bekam er kein Wort heraus. Treybohr fragte nach der nächsten Siedlung, zu der er aufbrechen wollte. Vor Nervosität zitternd beschrieb Jüliea ihm den Weg. Doch er meinte, dass er mitkommen wollte. Er war sowieso aus dem Dorf geflohen, weil dort eine Horde dieser Ghule eingefallen war. Mit Freuden würde der junge Mann seinen Erretter dabei unterstützen auch noch den Rest dieser üblen Kreaturen zu beseitigen. Nickend hievte der Reiter den jungen Mann auf sein Pferd und sie beide machten sich auf den Weg ins Dorf. Dort sollte noch mehr Gemetzel auf sie warten, doch auch dies war lediglich der Anfang ihrer Reise.«

    Das Regenbogenlagerfeuer prasselte. Draußen tobte der Sturm aus Licht. Papierfetzen wurden wie Staubkörner herumgewirbelt. Die Schatten erzählten die unterschiedlichsten Geschichten. Manche scheinen wahr zu sein, andere Phantasterei. Doch es ist schwierig zu unterscheiden an diesem Ort an dem alles möglich scheint. So ist es. So war es. So wird es immer sein. Bis in alle Ewigkeit.

    
The End


© EINsamer wANDERER


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Beschreibung des Autors zu "Finsternis jenseits des Sturmes IV"

Letzter Beitrag des Prompt der Schreiberlinge. Zumindest bis der nächste Prompt wieder anliegt. Und wer weiß, vielleicht führe ich diese Anthologie dann auch weiter. Aber vorerst ist dies das Ende von all dem.
Link: https://www.deviantart.com/schreiberlinge/journal/Prompt-Es-ist-Poesie-in-Herz-Kopf-und-Nieren-785720851

Previous: https://www.schreiber-netzwerk.eu/de/2/Geschichten/13/Kurze/66925/Finsternis-jenseits-des-Sturmes-III/
First: https://www.schreiber-netzwerk.eu/de/2/Geschichten/13/Kurze/66923/Finsternis-jenseits-des-Sturmes-I/

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