Finsternis jenseits des Sturmes II

© EINsamer wANDERER

Es wäre keine Untertreibung gewesen diesen Schatten als vollkommen gewöhnlich und normal zu betiteln. Seine Gestalt hätte durchschnittlicher nicht sein können, aber etwas an ihm war anders. Die Schatten besaßen nur wenig Eigeninitiative. Sie warteten einfach den Sturm ab und holten sich die Schnipsel wenn die Langeweile für sie unerträglich wurde. Doch dieser hier handelte Zielstrebig. Etwas schien ihn auf der Seele zu brennen. Er sah sich noch nicht einmal die Schnipsel an, geschweige denn, dass er sie vortrug, ehe sie ein Opfer der Flammen wurden.

    »Mein Name ist Joe und dies hier ist meine Geschichte, ob ihr sie glauben wollt oder nicht. Ich gehörte einst vor langer Zeit einer Geheimorganisation namens Z.A.P. an, deren Aufgabe es war ein einziges Wesen zu beobachten und zu erforschen. Obwohl die Gestalt dieser Kreatur menschlich war und nicht weniger unauffällig hätte sein können, so besaß es doch über gottgleiche Kräfte. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen, wie sie einen Stapel Pizzas aus dem Nichts erschuf und sie mir und meinen Kollegen anbot. Der Geschmack war atemberaubend. Nicht von dieser Welt. Eines Tages verschwand es allerdings durch ein Portal in eine andere Welt. Meine Kollegin wollte die Stellung halten und Verstärkung rufen, während ich mich durch ein Seil auf die andere Seite begab. Doch das Portal war weniger wie eine Öffnung oder ein Tor, vielmehr wie ein Tunnel. Der Sog darin war so stark, dass mein Seil riss. Ich landete in einer anderen Dimension. Bis heute zweifle ich, dass ich dem Zielobjekt bis an sein Ziel gefolgt war. Vielmehr war ich in einer Zwischenwelt gelandet. Es war ein gar seltsamer Ort. Die Zeit war kein Konzept wie in meiner Welt, sondern ein Zustand wechselnder Farben. Die Sonne war ein mit vereinzelten Muskelsträngen durchzogener Katzenschädel der unentwegt den Mond anbellte. Durch die von Zuckerwatte und Möhren aufgeladene Statik veränderte sich mein Körper in den eines Zwergplaneten. Wäre das instabile Tor nicht gewesen, wäre mein Verstand in eine Supernova mit kollektivem Bewusstsein degeneriert, die das halbe Universum zerfetzt hätte. Doch so wurde ich erneut in eine fremde Welt geschleudert, in der ich nun mein Dasein als Schatten in der Finsternis friste. Mit jedem Tag werden meine Erinnerungen blasser und es fällt mir schwerer mich zu entsinnen wer oder was ich einmal war. Selbst der Geschmack von Zuckerwatte und Möhren ist nichts als ein schaler Gedanke in der Trübsal meines Geistes.«

    Die Quasselstrippe mischte sich mal wieder ein. »Wow! Voll depri, Bro. Lass mich dir ein Rätsel aufgeben. Das wird dich bestimmt aufmuntern. Ein Mann ging in den Wald, um Selbstmord zu begehen. Dort traf er auf ein menschenfressendes Ungeheuer. Was sagt der Mann?«

    »Ich weiß es nicht.«

    »Na los, komm schon. Du gibst dir ja noch nicht einmal richtig Mühe.«

    »Ich weiß es nicht.«

    »Na, er sagt: „Töte mich nicht.“ Zum Totlachen, oder?«

    Schweigen.

    »Hier steht: Hand, Werk, Licht.

    Es war ein alter Mann mit einem langen Bart. Mit diesen Haaren und seiner Hand schmiedete er Berge. Doch er wollte ein Werk erschaffen, dass selbst die Götter ihn als einen der Ihrigen anerkennen mussten. Es galt somit sein Meisterwerk zu erschaffen, doch da war ein Schatten, der ihn stetig übertrumpfte. Der alte Mann konnte nicht sehen wer diese Gestalt war, da sie stets in Licht getaucht auf dem selbstgeschaffenen Gipfel stand. So schmiedete der Mann weiter und baute immer höher, doch egal wie sehr er sich selbst auch übertrumpfte, sein Rivale legte stets eine Schippe drauf. Nach endlosen Jahren lebten die beiden Kontrahenten in einem selbstgeschaffenen Gebirge in dem sich die Felsmassive untereinander mit ihrer Vollkommenheit brüsteten. In der Lebenssanduhr des alten Mannes befand sich am Ende jedoch nur noch ein einziges Sandkorn stellvertretend für einen letzten Tag, als er seinen letzten Berg beendet hatte und wieder geschlagen worden war. Ehe er sein langes Leben aushauchte, wollte er wissen, wer dieser ominöse Rivale war. Mit letzter Kraft erklomm er den fremden Berg. Auf dem Gipfel stand sein Schatten, im wahrsten Sinne des Wortes. Er lachte über die Torheit seines hellen Zwillings und verspottete ihn für seine Anmaßung jemals die knochige Hand nach der Göttlichkeit ausgestreckt zu haben. Denn um wahre Göttlichkeit zu erreichen müsse man kein großes Werk im herkömmlichen Sinne erschaffen. Vielmehr galt es seine inneren Dämonen zu besiegen und mit sich selbst im reinen zu sein. Nur so konnte man den Göttern gegenübertreten, denn dann stand man wirklich über den Dingen. Doch nun war der alte Narr am Ende seines Lebens angelangt und sein Schatten forderte den Preis. Er stürzte sich auf den alten Mann. Niemand weiß ob er ihn bei lebendigen Leibe fraß oder vom gewaltigsten Berg aller Zeiten warf. Doch tot bleibt tot.«

    Die Quasselstrippe mischte sich wieder ein. »Argh! Ihr könnt mich alle mal. Ignoriert mich einfach, meinetwegen. Dann erzähle ich euch mal eine Geschichte und da Superhelden aus irgendeinem Grund gerade so beliebt sind, ist dies eine Geschichte über Superhelden. Es geht hier um It-Girl und ihren Kampf gegen Orel den Chiller. Denn wisst ihr, It-Girl trat für alles ein was in einer westlichen Gesellschaft rechtens ist. Sie vertrat die Werte sich modisch in von Kinderarbeitern hergestellten Produkten zu kleiden, gemein zu denjenigen zu sein die nicht der Mode folgten und ihr Selbstwertgefühl nachhaltig zu schädigen. Mit einfachen Worten, sie ist die Heldin unserer Gesellschaft, weil sie ein egoistisches, engstirniges und selbstgerechtes Arschloch ist. Und in der anderen Ecke haben wir Orel. Da, genau da seht ihr in den Flammen. Orel steht für alles was im Westen schiefläuft. Er war zufrieden mit sich selbst und brauchte nur wenig zum Leben. Aber das war noch nicht das schlimmste. Er lebte bequem und hatte noch nicht einmal ein iPhone. Ein sozialer Außenseiter durch und durch. Doch seine größte Sünde waren die Crocs die er trug. Ich meine, welcher halbwegs modisch bewusste Mensch trägt Crocs? Bitte, verachtet ihn aus tiefstem Herzen, denn so ist es gedacht in der westlichen Gesellschaft. Eigentlich stellte Orel auch keine Bedrohung dar, doch unsere Heldin liebte es unterprivilegierten Losern in die Eier zu treten wenn sie am Boden waren. Also tat unser It-Girl so, als ob sie ein gewisses Interesse an dem armen Scheißer hätte. Er war eigentlich ganz in Ordnung, wäre er oberflächlich nicht so kacke gewesen. Mal im Ernst, seit wann zählen in einer Gesellschaft denn bitte die inneren Werte? Das ist das echte Leben, man, und nicht so ein bekackter Kindercartoon, der versucht irgendwelche Moral zu transportieren an die sich letztlich eh keine Sau hält. Habe ich nicht recht, Leute? Na, jedenfalls ging sie eine Weile mit ihm aus und behauptete später im Netz, dass er sie vergewaltigt hätte. Und da der böse Orel auch über keinerlei gesellschaftlichen Einfluss verfügte und in der Nahrungskette ganz unten stand konnte er sich auch nicht wehren. Er beging Selbstmord und It-Girl hatte wieder einmal die Welt vor schlechter Mode und den damit verbundenen schlechten Menschen gerettet. Nie hatte eine glorreichere Heldin eine Geschichte geziert, denn wir sehen uns selbst immer als die Guten an, egal wie schlimm unser Handeln in Wirklichkeit auch sein mag. Fick die Moral.

    Und beim nächsten Mal kämpft It-Girl gegen Molly das fette Vergewaltigungsopfer in Ballarina-Leggins und Toby den ehemaligen Grufti-Selbstmörder. Ihr Wichser könnt mich alle mal. Peace out.«

    »Hm. Diese Geschichte mit dem Überwesen erinnert mich an etwas. Ich glaube, ich hatte mal eine ähnliche Begegnung, wenn auch um eine Ecke herum. Ich weiß allerdings nicht, ob es wirklich meine Erinnerung ist oder ob ich sie nur von jemanden gestohlen habe. Einst stieg ein seltsames Wesen in meine Wohnung ein. Es war in Rʼlyeh-City, so wie die Affengeschichte. Vielleicht existiert der Traum doch irgendwo, ob nun real oder fiktional. Aber ich erinnere mich sehr deutlich an das Wesen. Es war ein Mensch aus Buchseiten. Jede Seite bestand aus der Haut einer anderen Kreatur. Die Worte darauf konnte ich nicht entziffern und selbst wenn, hätte ich es nicht getan. Eine instinktive Furcht über die dort geschriebenen Worte und den dahintersteckenden Sinn hielt mich davon ab, zu sehr darauf einzugehen. Doch die Gestalt schien an irgendeiner Krankheit zu leiden. Ein Pilz schien sie zu befallen zu haben und den halben Körper in einen stinkenden Zustand der Verwesung zu halten. Der Buchseitenmensch schien starke Schmerzen zu verspüren. Er erzählte mir, dass er meine Wohnung brauchte um wieder zu Kräften zu kommen. Einst wurde er von einer unglaublich starken Kreatur in ein perverses Spiel verwickelt. Da der Buchseitenmensch sich für einen Gott hielt, doch dieser Dom zeigte ihm seine Grenzen auf und wie viel größer die bloße Schöpfung war. Doch damit nicht genug, er verdammte ihn dazu als Nährboden für diesen Pilz zu dienen, damit die Schmerzen ihn immer an seine Lektion erinnern. Aber offensichtlich war er einfach nur pervers und wollte die Kreatur leiden lassen für ihre Anmaßung. Oder gab es vielleicht gar keinen Grund? Als der Buchseitenmensch mit seiner Geschichte endete ging er mit Mordabsicht auf mich zu. Doch dann tauchten drei weitere Gestalten auf und retteten mich. An die genauen Umstände kann ich mich aber leider nicht entsinnen. Tut mir leid.«

    
Fortsetzung folgt...


© EINsamer wANDERER


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Beschreibung des Autors zu "Finsternis jenseits des Sturmes II"

Der zweite Text für die Promptreihe der Schreiberlinge. Dieser Text der Beitrag für "Es ist Poesie im Schaffen".
Link: https://www.deviantart.com/schreiberlinge/journal/Prompt-Es-ist-Poesie-im-Schaffen-783691811

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