Tod

© EINsamer wANDERER

Die nächsten Tage verbrachten Thomas und ich damit eine rege Korrespondenz zu führen. Wäre ich gleich am nächsten Tag ohne ein Wort in sein Leben getreten, obwohl ich gestern abgewiesen worden bin, hätte dies Verdacht erregt. Wir wussten nicht, wer noch alles von dem bedauerlichen Zustand meines Freundes wusste. Die Haushälterin hätte wissentlich oder unwissentlich Informationen weiterreichen können. Es sollte zunächst so aussehen als ob mein guter Freund versuchen würde von Zuhause aus seinen alten Tätigkeiten nachzugehen. Wir fädelten alles ein und ich machte hier und da bei einigen Arbeitern Bemerkungen über seine Instruktionen. Ich behauptete einfach, dass mein Freund aufgrund eines seelischen Leidens ausgelöst durch einen Unfall das Bett hütete. Für jeden Eingeweihten würde es so aussehen als ob er sich mit seinem Zustand abgefunden hatte.

    Während dieser Zeit schilderte mir Thomas über seine Briefe wie er die letzten zwei Jahre hier verbracht hatte. Das Geschäft ging schlecht und nur wenige trauten sich in diese verfluchte Stadt. Die meisten Leute mieden diesen Ort. Es war einfach undenkbar, dass hier mal eine Stadt wie San Francisco entstehen würde. Vermutlich würde sich in zweihundert Jahren niemand mehr an diesen Flecken Erde erinnern. Nichtsdestotrotz hatte er hier eine Frau kennengelernt die ihn liebte. Ihr Name war Therese Schulz. Ein Mädchen aus gutem Hause mit deutschen Wurzeln. Sie hatten sich zufällig auf der Straße getroffen und sich zugleich verliebt. Ich forschte über diese Frau nach. Während seiner körperlosen Zeit hatte diese Dame nie Anstalten gemacht ihn in seinem Hause aufzusuchen, was ich schon als sehr verdächtig empfand, selbst wenn es den Etiketten entsprechen sollte. Darauf beschloss ich kurzerhand mir ein Bild von dieser Dame zu machen indem ich bei ihr vorsprach. Es war ein wirklich netter Nachmittag mit allerlei Geschwätz und Kuchen. Danach schloss ich sie als Verdächtige aus. Es gab einfach zu viele Ungereimtheiten. Zum einen beschrieb mir Thomas seine angebetete als junge blonde Frau, doch die Hausherrin war schon fortgeschrittenen Alters und Brünett. Es ist mehr einem Zufall zu verdanken, dass meine Nachforschungen nicht in einer Sackgasse endeten. Als ich nämlich das Gesprächsthema auf meinen Freund Thomas lenkte, so wusste meine Gesprächspartnerin nichts darüber. Noch nicht einmal gehört hatte sie von ihm. Doch das klirren eines herunterfallenden Tabletts mit frischem Tee lenkte unser beider Aufmerksamkeit auf das Hausmädchen. Während Mrs. Schulz ihre Angestellte tadelte, sah ich sie mir genauer an. Sie war jung, blond und hatte ungefähr dieselbe Figur wie ihre Arbeitgeberin. Und dabei fiel mir ihr entsetzter Blick auf den sie hatte als ich den Namen Thomas erwähnte.

    Ich beschloss sie zu beschatten. Doch nach zwei Wochen gab ich dieses Unterfangen auf. Der Tagesablauf der Bediensteten war völlig unspektakulär. Sie arbeitete nur und ging dann in ihre eigene Unterkunft in die Stadt. Sie wohnte seltsamerweise nicht bei Mrs. Schulz. Das Wieso habe ich nie erfahren. Ich informierte Thomas über meine Entdeckung und beschrieb ihm beide Frauen sehr genau. Er identifizierte die Angestellte als seine Angebetete. Eines Abends beschlossen wir uns das Haus der jungen Frau genauer zu betrachten. Mein Freund hatte damit begonnen sich zu bandagieren. Er trug eine gefärbte Brille, damit Niemanden auffiel, dass unter den Verbänden nichts war. Dazu zog er seinen Hut tief ins Gesicht. So getarnt gingen wir beide zum Haus.

    Es war ein Kinderspiel in den Keller einzudringen. Die Tür war nicht abgeschlossen. Aber nichts und niemand auf der Welt hätte uns auf das vorbereiten können, was sich dort befand. Es war ein Mädchen mit braunen langen Haaren, mit nichts als Schmutz und Unrat bekleidet. Das hervorstechendste Merkmal war allerdings ein blindes Auge neben einen schwarzen. Als ich ihr das erste Mal ins Antlitz blickte sah ich ein Alter welches die Entstehung allen Lebens beobachtet hatte und ebenso beobachtete es den Untergang von alledem. Obwohl das Kind nicht mehr als acht Sommer zählen mochte, wirkte es doch deutlich älter als sein Körper vermuten ließ. Erst jetzt fiel mir das komplexe Pentagramm auf, in welchem sich die verhärmte Gestalt befand. Ich werde die ersten Worte dieses Kindes nie vergessen. »Montgomery McNard und Thomas Rains, welch Freude euch zu treffen.« Die Stimme klang süß und herb zugleich.

    Natürlich hatte keiner von uns beiden diese Person je gesehen und doch wirkte sie irgendwie vertraut. Das dürfte auch der Moment sein in welchem das Hausmädchen in den Raum stürmte. Ihr Reden war wirr und unzusammenhängend. An dieser Stelle werde ich mein Bestes geben um ihr Gebrabbel verständlich wiederzugeben. Sie hatte einen kleinen Bruder der an Scharlach gestorben war. Da er ihre einzige Familie gewesen war, stürzte sie dies in eine tiefe Depression. Dann kam ein junger Bursche daher mit stechend blauen Augen und weißen Strähnen im Haar. Die Augen fanden in ihrer Darstellung immer wieder Erwähnung. So sollten sie überaus furchteinflößend und dämonisch sein. Ein blaues Feuer, dass sich bis in ihre Seele einbrannte. Dieser Bursche erzählte ihr, wie sie den Tod in einen menschlichen Körper bannen könnte. Sobald dies vollbracht war, würde der gefürchtete Schnitter sich in ihrer Gewalt befinden und für physische Folter empfänglich sein, sollte er ihren Willen nicht folgen. Allerdings benötigte sie dafür einen materiellen Körper in den sie ihn zwang. Thomas war dabei so gut wie jeder andere Kandidat, den sie in ihrer Tarnung hätte auserkoren können. Sein Körper verwandelte sich in dieses Mädchen und wurde zu Tod. Sie sperrte sie in dieses Pentagramm ein, verweigerte ihr Sonnenlicht und Nahrung. Das Hausmädchen wollte nur ihren Bruder zurück. Doch Tod sprach nicht und reagierte in keinster Weise auf ihr Flehen und Wüten. Die Folter zeigte keine Wirkung. Tod blieb unbeeindruckt.

    Als ihre Geschichte endete glaubte keiner von uns dieses abstruse Ammenmärchen. Selbst wenn wir schon einiges erlebt hatten, so war es doch unmöglich den Tod in einen Keller gefangen zu halten. Allein die Vorstellung war absurd. Ich schubste das flehende Hausmädchen beiseite und zerrte die vertraute Fremde aus dem Pentagramm. Kaum dass die Gestalt ihren Standort verließ und von meiner Hand zu Thomas rüber gezogen wurde, erschlaffte der Körper des Hausmädchens. Sie war auf der Stelle tot. Das fremde Mädchen erklärte uns, dass der Zauber sie nur dort halten konnte, da dieser mit ihrem Leben verbunden war. Sollte sie sterben, würde der Zauber erlöschen, allerdings funktionierte dies auch umgekehrt. Und in meinem blinden Aktionismus hatte ich einen Teil der Kreide auf dem Boden verwischt. Genug damit Tod entkommen konnte.

    So steckte diese nun in einem menschlichen Körper fest, den sie nicht zurückgeben konnte. Mein Freund Thomas muss sich wohl oder übel mit seinem verbliebenen Körper abfinden. Die Leiche des Hausmädchens wurde gefunden und der Fall wurde schnell an Acta gelegt. Niemand will ein zweites Salem hier erleben. Was mich betrifft so ruft mich schon das nächste Abenteuer. Denn Tod sucht jenem der einen Teil ihrer Selbst in dieser Welt einfangen konnte. Wer immer dieser Bursche war, der dem Hausmädchen die Instruktionen gegeben hatte, er befindet sich immer noch unerkannt auf freiem Fuße und seine verderbliche Macht scheint unermesslich gefährlich zu sein, wenn selbst eine ruhige Person wie Tod ihn aufzuhalten sich gedrängt fühlt. Sie gestand, normalerweise einfach abzuwarten bis die Zeit für ihre eigene Pflicht reif war. Es bestand nie Eile oder böswillige Tricks um ihren Willen durchzusetzen. Der größte Teil von ihr existiert immer noch um und neben uns. Unerkannt lauert er in den Schatten auf den richtigen Zeitpunkt um unser Leben zu beenden. Somit hatte Tod nichts dagegen, dass ich ihr fürs erste eine Bleibe anbot. Ich glaube, ich werde sie adoptieren, damit die Leute nicht allzu viel Verdacht schöpfen. Ein Kind von der Straße zu adoptieren wie einen aussätzigen Hund ist doch genau das was man von einem exzentrischen Erben erwarten würde. Ich glaube ich gebe ihr den Namen Mitu.

    
The End


© EINsamer wANDERER


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Beschreibung des Autors zu "Tod"

Der zweite Teil der Geschichte.

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