Die Eintreibung nach der Austreibung IV

© EINsamer wANDERER

»Sie müssen sich anpassen, Alex. Wenn Sie sich nicht der Gesellschaft anschließen, wird dies gewaltige negative Auswirkungen auf ihr Leben haben.«

    Alex schnalzte nur mit der Zunge. Die Frage lautete eher, für wen dies wirklich negative Auswirkungen hatte. Niemand konnte ihn kontrollieren, dazu war nur er selbst in der Lage und keine Gesellschaft und kein Gericht konnte ihn im Zaume halten.

    
Sie standen vor einem Apartmentgebäude. Vor der Tür stand ein bulliger Mann. Alex hatte schon so eine Ahnung wen er hier treffen würde.

    »Wenn sie die Freude besäßen uns zu ihrem Anführer zu bringen.«

    Der Schrank sah ihn von oben bis unten an. »Der Boss sagte schon, dass du kommen würdest. Er ist oben im dritten Stock. Ist nicht zu verfehlen. Aber sie bleibt hier.«

    »Sie gehört zu mir. Sie ist ... für euren ... Boss.«

    Der Mann grunzte, während Diane Alex schief ansah. »Ist mir neu, dass er an so etwas interessiert wäre. Aber es ist okay. Wir alle hatten schon Angst dass er schwul wäre.«

    Er ließ die beiden durch. Innerlich schüttelte Alex nur mit dem Kopf. Asexualtität hatte nichts mit Homosexualität zu tun. Wäre es so, würde es bedeuten dass Schwule keinen Sex hatten. Die Denkweise der normalen Leute mit ihren Vorurteilen würde für ihn wohl auf ewig ein Rätsel darstellen. Als der Türsteher noch einmal mit seinem Telefon den Besuch ankündigte war für Alex klar wem er gleich gegenübertreten würde. Es gab nur einen Dämon der wusste wie wichtig ein funktionierendes Kommunikationsnetzwerk war.

    Macht war wie sein Name schon aussagte der mächtigste unter den Dämonen. Seine Kraft lag in der Autorität und Art der Manipulation über die er verfügte. Während Kind etwa die Leute durch Angst und Brutalität einschüchterte, konnte Macht alle anderen Dämonen beeinflussen. Er konnte sie schwächen, ihre Kraft kanalisieren, konzentrieren und befeuern. Von ihnen war er der König. Er konnte Machtstrukturen aufbauen und war von allen der strategisch Begabteste. Nur seiner Unterstützung war es Alex gelungen so lange nichts anzustellen. Das lag vor allem daran, dass er über keinerlei Ambitionen verfügte. Er besaß Ehrgeiz, oh ja. Aber es gab nichts was in seinen Augen diesen Ehrgeiz oder eine Machtdemonstration wert war. Deshalb vermittelte er mit den Dämonen und Alex vermittelte so gut es ging mit den Menschen. Doch würde er nach all dem wiederzurückkehren wollen?

    Sie trafen im dritten Stock auf einen weiteren Türsteher, der sie einließ. Macht saß als hagerer Nerd im Wohnzimmer und gönnte sich eine Ausgabe des Comics Sandman, während vor ihm ein grobschlächtiger Flegel stand und nervös von einem Bein aufs andere hüpfte.

    »Und?«, fragte er nervös.

    Macht legte den Comic für einen Moment zur Seite und benutzte dabei seinen Zeigefinger als Lesezeichen. »Der Comic ist gut. Wirklich gut. Kein Wunder, dass Vertigo damit so groß werden konnte. Sieh dir doch einmal diesen Seitenaufbau an. Diesen Zeichenstil und die Bilddramaturgie. Von dem Handlungsaufbau ganz zu schweigen. Ein wirklich grandioser Comic. Auch wenn ich mir von Constatines Auftritt etwas mehr versprochen hatte.«

    »Das meinte ich nicht ... Sir«, fügte er kleinlaut hinzu. »Die Fotos. Bekomme ich sie?«

    Gelassen nahm Macht seine Lektüre wieder auf. »Bringe mir alle Fortsetzungen und sie gehören dir.«

    »A-aber das ist eine Stange Geld.«

    »Ist doch nicht mein Problem. Weder deine Geldnöte, noch der Betrug deiner – wohlgemerkt – Freundinnen.«

    Wutentbrannt verließ der Kerl die Wohnung. Alex wusste, dass er wiederkommen würde. Einfache Menschen waren ziemlich Willensschwach und Konfliktscheu.

    »Deswegen habe ich nie einen eigenen Harem betrieben. Zu anstrengend und aufwendig.« Er klappte ein Lesezeichen ein und stand von seinem Sessel auf. »Lustig, nicht? Vor ein paar Tagen war dieser Kerl, der gerade eben raus gerannt ist, noch der Peiniger von demjenigen dessen Körper ich besetze. Ich habe nur einen Tag gebraucht um ihn gefügig zu machen. Zu deinem Glück, Alex, sind normale Menschen so langweilig. Du hingegen bist wie wir, ein Dämon. Wenn auch ein reichlich verkommener«, und hierbei zwinkerte er zweideutig. »So etwas wie ein Anti-Dämon. Kein Engel, aber auch kein echter Dämon.«

    »Ich würde gerne zum Geschäftlichen kommen. Es ist schon spät, ich bin müde und muss noch zu einem anderen Treffen.«

    »Eile mit Weile, komm, setzten wir uns beisammen auf den Boden.«

    Sie taten wie geheißen.

    »Wer sind Sie? ... Ich meine, ... ähm ... Welcher Dämon sind Sie?«, fragte Diane plötzlich.

    »Ich bin das Schwert das nie gezogen wird. Die Macht die unnütz im Inneren versauert, während Alex den Traum eines Utopia träumt.«

    »Er heißt Macht«, kürzte Alex die Vorstellung ab, bevor es noch die ganze Nacht so weiterging. Kind hüpfte freudig auf und ab, da es nun endlich zur Konfrontation kam. Alex spürte allerdings die Abwesenheit des dritten Dämons der vor jedem Kampfe in ihm brannte mit einem geradezu unheimlichen Verlangen nach Gewalt. Vielleicht war es besser, dass er nicht hier war.

    »Ich würde gerne noch einmal die Situation für alle zusammenfassen, damit wir uns bewusst werden worum es eigentlich geht«, setzte Macht an.

    »Ich bitte darum.« Eine Zusammenfassung konnte Alex für seine Argumentationskette gut gebrauchen.

    »Wir erwachten als du ein Teenager warst. Du hattest Angst vor uns und vor den Möglichkeiten die wir dir boten.«

    »Ihr wolltet meiner Familie im Schlaf die Kehlen durchschneiden, da sie dann leichter zu töten war.«

    »Wahre Worte. Zu meiner Verteidigung, damals war ich noch der schwächste von uns – nichts als pure Entschlossenheit ohne eigenen Willen – und nichts anderes als die Schlampe der anderen Dämonen, wenn ich damals überhaupt in deiner Psyche existierte. Doch du, mein Freund hast dich geweigert dem Verlangen nachzugeben. Das machte mich stärker und zu dem was ich heute bin.«

    »Komm jetzt langsam mal zum Punkt.«

    »Gemach, gemach. Wir müssen noch klären was deine Ambition damals war. Du wolltest uns domestizieren oder töten. Wenn du die Herrschaft erlangtest würdest du versuchen eine friedvolle Koexistenz mit den Menschen anzustreben oder aber du schließt dich ihnen an, wenn du uns tötest. Aber du schätzt das Leben auf deine eigene Weise. Du hältst es nicht für unschätzbar wertvoll, viel mehr kennst du seinen wahren Wert nicht. Bevor du ein Leben beendest sollte zumindest seine Bedeutung geklärt werden. Sonst laufen wir Gefahr dass die Nachteile die Vorteile überwiegen. Wir beide gehen keine unnötigen Risiken ein, so wie einige Anwesende.« Kind freute sich tierisch, da nun sein Name indirekt gefallen war. »Du hast uns bis jetzt nicht getötet. Im Gegenteil du warst uns gegenüber äußerst großzügig und milde, zumindest mehr als man es von den gewöhnlichen Menschen erwartet. Aber nichtsdestotrotz ist dein Projekt mit dem Gleichgewicht zwischen uns Monstern und den Menschen gescheitert. Du hast eine dunkle Gasse betreten einen bewaffneten Räuber brutal getötet und bist nachdem du dich gestellt hast dafür verurteilt worden. Die Menschen wissen nun was du bist. Nur der Fakt, dass sie dich nicht richtig einschätzen konnten, hat uns allen die Jahre des Friedens beschert. Im Knast haben sie an uns herumgedoktert. An Dingen die sie weder verstanden noch ermessen konnten.«

    »Worauf willst du hinaus?«

    »Wir beide sind zwei Teile eines größeren Ganzen, deswegen würde ich mit dir zurückkommen, wenn du mir sagst, wieso dein Plan weiterhin klappen sollte. Was sollte die Menschen davon abhalten uns wie Tiere zu jagen, einzusperren oder gar zu töten?«

    Plötzlich mischte sich Diane empört ein. »Moment Mal!«

    Mit all seiner Autorität brachte Macht sie zum Schweigen. »Schnauze, Schlampe!« Seine Zügen verzerrten sich zu einer dämonischen Maske die jeden das Fürchten lehrte. Doch das war nichts im Vergleich zu dem bedrohlichen Unterton in seiner Stimme die tiefverwurzelte tierische Instinkte in jedem Menschen ansprach und sie somit zur Unterwerfung zwang.

    Er sprach nun ruhiger weiter. »Du weißt wie sie mit uns Unmenschen umgehen. Sie sprechen uns jeglichen Funken Anstand ab und meinen dass wir alles tun würden um zu bekommen was wir wollen. Dass wir krank seien und nicht anders können. Doch du hast es widerlegt, aber keiner hat es gesehen und somit ist es offiziell nie geschehen.«

    »Mein Plan sieht folgendermaßen aus: Wir verbüßen unsere Strafe. Lassen sie glauben, dass wir einer von ihnen sind. Wir tarnen uns und halten die Füße still.«

    Macht warf verzweifelt seine Arme in die Luft. »Dein Ernst? Du willst einfach stupide weitermachen, als wäre nichts gewesen. Ohne irgendetwas zu ändern?«

    »Nein, doch wir dürfen uns von schweren Zeiten nicht unterkriegen lassen. Wir lernen daraus, verändern uns und werden so zu mehr als wir vorher noch waren.«

    »Das glaubst du doch wohl selber nicht.«

    »Doch das glaube ich. Denn es ist dieser Prozess der uns so weit gebracht hat. Erinnere dich an früher als wir uns hassten, bekämpften und mordeten. Egal wie oft ihr mich unter Druck gesetzt oder gefoltert habt, ich gab nie nach. Ich machte einfach – wie du so treffend gesagt hast – stupide weiter. Nachdem wir Frieden schlossen lernten wir uns besser kennen und nun lieben wir uns. Wir sind eins. Wir sind eine Einheit und Harmonie wird bei uns großgeschrieben. Denke an die Menschen die zwar im Einklang mit ihrer Umgebung sind, das aber nicht bei sich selbst sein können. Wir werden die Welt und uns selbst verändern, bis es klappt. Aber auf diesen Weg brauche ich euch alle. Jeden einzelnen. Also, hilfst du mir dabei?«

    Macht lachte auf. »Scheiße. Ich hätte echt nicht gedacht, dass du so ein Kaninchen aus den Hut zauberst. Okay, was soll’s. Ich habe eh nichts besseres zu tun. Also lass es uns angehen. Als Tribut fordere ich den ersten Band des Vertigo-Comics Sandman. Dann bin ich glücklich.«

    Alex berührte ihn wieder mit der Hand und nahm den Dämon in sich auf. Schweigend verließen die beiden das Apartment. Der Nerd schaute irgendwie glücklich drein als er noch nicht bei Bewusstsein war. Vermutlich hatte er zum ersten Mal in seinem Leben einen Geschmack von Macht erlebt und das Gefühl der damit verbundenen Freiheit. Zu tun und zu lassen, was ihm gefiel.

    Dieser Dämon war immer der beste Beweis gewesen. Der Mann der die Macht hat alles zu tun, hat ebenso die Macht gar nichts zu tun.

    
Fortsetzung folgt...


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