Die Eintreibung nach der Austreibung II

© EINsamer wANDERER

»Sie machen sehr gute Fortschritte, Alex. Wenn das so weiter geht, werden Sie bald geheilt sein.«

Alex schüttelte diese unliebsamen Gedanken beim Weitergehen ab. Jetzt war keine Zeit sich damit zu beschäftigen. Er musste ignorieren, dass diese Gasse derjenigen ziemlich ähnlich sah, in der der Mord geschehen war. Aber das durfte ihn jetzt nicht ablenken. Er hatte seine Pflicht zu erfüllen. Die Gesellschaft mochte sich noch so sehr aufspielen mit all ihrer Autorität und den Regeln, doch sie wusste nicht wie machtlos sie eigentlich war. Das es Gesetze gab würde keinen der Dämonen aufhalten. Und hier war einer, dass sagte ihm seine Intuition. Einige Menschen rannten ihm panisch entgegen. Normalerweise hasste er es offen aggressiv mit anderen zu werden, doch diesmal schien es ihm die einzige Möglichkeit des Vorankommens zu sein. Also schnappte er sich den erstbesten, packte ihn am Kragen und drückte ihn gegen die nächste Wand.

    »Was ist hier los?«, knurrte er mit tiefer Stimme.

    Erst jetzt erkannte Alex die Kluft an seinem Gegenüber. Es war ein Mitglied des Motorradclubs Big Sharks. Sie waren in der Stadt berüchtigt, auch wenn sie kaum außerhalb von Rʼlyeh-City bekannt waren. Dann arbeiteten sie lieber mit anderen Clubs zusammen. Aber nichtsdestotrotz waren diese Biker keine Weicheier und etwas hatte ihnen gehörig Angst eingejagt.

    »M-mein Kumpel Chad ist völlig durchgedreht. Zuerst wollte er einen Eisbecher mit Erdbeeren und als wir ihn auslachten fing er an wie ein kleines Kind zu lächeln und dann meinte er, dass er spielen wollte und dann und dann-«

    »Begann er damit euch bei lebendigen Leibe zu fressen«, beendete Alex. Er war hier richtig. »Danke für dieses überaus aufschlussreiche Gespräch« Nun war es nicht mehr nötig jemanden einschüchtern, weshalb Alex zu seinem alten höflicheren Schema zurückkehrte. Er ließ den Biker los und folgte der Gasse, ohne den Mann auch nur eines Blickes zu würdigen.

    Kind war zwar der Dämon mit dem niedersten Rang, aber nichtsdestotrotz war er extrem gefährlich. Auch wenn er den anderen nichts befehlen konnte, so war er doch immer der kriegerischste gewesen. Sein Psychoprofil war das eines Kindes gepaart mit dem eines wilden Tieres. Ihm ging es immer nur darum seine animalischen Bedürfnisse zu befriedigen. Er war auch der einzige Dämon der über einen Sexualtrieb und emotionales Empfinden verfügte. Darüber hinaus wollte er nur Menschen verschlingen und Spaß haben. Kind verfügte über eine sehr impulsive Persönlichkeit. Er war stets für eine Überraschung gut und improvisierte hervorragend. Wenn man aber all das düstere und bedrohliche beiseiteschob konnte man den Blick auf ein fröhliches Kind unter all dem Blut werfen. Er liebte es zu spielen und war die meiste Zeit immer gut drauf. Ein wirklich anspruchsloser Dämon der leicht zu begeistern und zufriedenzustellen war.

    Alex fand die offene Tür, die am Ende einer nach unten führenden Treppe war. Er hörte leichte Schmatzlaute. Er war hier wohl richtig. Gelassen stieg er nach unten. Es galt nun sich vollends auf das hier und jetzt zu konzentrieren. Alles andere was nicht nützlich oder im Weg war galt es auszublenden. Aber dennoch kam er nicht umher im Türrahmen vor Überraschung stehenzubleiben. Er sah einen übergewichtigen Riesen der sich auf einem Tisch an den Gedärmen eines Mannes gütlich tat. Das war wirklich nicht überraschend, da Kind schon immer auf Innereien abgefahren war. Wenigstens gab es keine Babys. Er hätte sie getötet und die Leute dann damit abgeworfen, um sie emotional zu belasten. Alles in allem war es ein für Alex zu erwartendes Bild. Aber er hätte nicht gedacht Diane und eine Fremde hier vorzufinden. Diane wirkte sichtlich verängstigt. Na toll, er hatte es doch gerade erst geschafft sie etwas zu beruhigen und jetzt musste sie mit ansehen wie jemand etwas aus ihrer Sicht völlig verstörendes tat.

    Alex lehnte sich gegen den Türrahmen und verschränkte die Arme. Nun erkannte er auch, dass die Fremde sich ebenfalls an den Leichen verging. Gleich und gleich gesellt sich halt doch gerne. »Wie ich sehe, hast du deinen Spaß.«

    Der bärtige Fleischberg drehte sich bluttriefend um. »Ah, du bist es! Warum hast du mich allein gelassen? Ich hatte solche Angst ohne dich.«

    »Ich weiß«, sagte Alex und ignorierte den Blick von Diane deren Gedanken praktisch auf ihren Gesicht geschrieben worden waren. Sie konnte nicht verstehen, warum so ein Monster Angst haben sollte.

    »Ich wollte nur einen Strawberry-Sunday und diese blöden Männer haben mich ausgelacht. Und ich-«

    »Du wusstest nicht, wie du damit umgehen solltest und ich war leider nicht da um dich zu beruhigen und dir den Rücken zu stärken.«

    »Warum hast du uns weggeworfen?«, fragte Kind traurig.

    »Komm, setzen wir uns erst einmal alle an einen Tisch.«

    Diane setzte sich neben Alex und die Fremde neben Kind. Die mexikanische Frau hatte sich eine eiserne Maske vom Tisch genommen und sie aufgesetzt. Aber Alex hatte schon mitbekommen, dass sie ebenfalls Blut im Gesicht hatte. Vermutlich war sie auch eine Menschenfresserin. »Bevor wir das Gespräch beginnen wüsste ich gerne, wer deine neue Freundin ist.«

    »Das ist Lupe. Sie ist zufällig hier des Weges gekommen.«

    Alex richtete seinen Blick auf Lupe. Sie sagte einfach: »Es freut mich die Sonne zu sehen. Ich mag diesen Teil der Nachtschwärze die du unter dem Sternenlicht suchst.«

    »Verstehe.« Sie war also auch ein Unmensch und somit auf Alex Seite des Lebens. Aber da sie bisher noch keinerlei Anstalten machte sich einzumischen war sie fürs erste neutral. »Und wieso sind Sie hier, Diana? Ich habe doch gesagt, Sie sollen im Wagen bleiben.«

    »Ich habe sie gefunden«, antwortete Kind. »Die Frau riecht gut. Hatte auch deinen Geruch an dir. Ich dachte mir, dass du mir böse wärst, wenn ich sie einfach töten würde.«

    Diese Raubtiereigenschaften waren mitunter wirklich beeindruckend und unheimlich zugleich. Aber jetzt war nicht die Zeit dafür. Es gab noch viel zu tun.

    »Ich möchte, dass du mitkommst. Was muss ich dafür tun?«

    »Warum hast du uns weggeworfen?«, wiederholte Kind seine Frage. Er wollte wohl wirklich den Grund wissen.

    Alex seufzte schwer. »Es war nicht meine Entscheidung. Die haben mich unter Drogen gesetzt und mich so lange bequatscht bis ich zusammengebrochen bin. Wir sind alle nur Menschen.«

    »Liebst du uns nicht mehr?«

    »Natürlich liebe ich euch noch. Warum wäre ich sonst hier? Ihr macht mir das Leben bloß ziemlich schwer.«

    »Ich hätte den Mann damals nicht essen sollen.« Kind schaute traurig zu Boden.

    »Nein, das ist es nicht. Du hast nur getan was deiner Natur entsprach. Jeder von euch drei hat ein Anrecht auf seinen Tribut und seine Existenz. Und du hast dein Opfer bekommen. Ich hätte einfach nicht in die Gasse gehen sollen.«

    »Aber es ist meine Schuld, dass wir eingesperrt wurden.«

    »Hey,«, er berührte sein Gegenüber zärtlich an der Wange. »Du hast mich davor gewarnt. Ich, dass heißt wir, hatten ein schlechtes Gefühl dabei in diese Gasse zu gehen, doch ich habe beschlossen es zu ignorieren. Mich trifft die Schuld. Ich war schwach, ich war dumm. Du hast gar nichts getan.«

    Kind schniefte und holte ein Taschentuch hervor um sich die Nase zu putzen.

    »Also kommen wir zum Tribut. Was möchtest du dafür haben, dass du diesen Körper verlässt und mit mir zurück in die Klinik kommst?«

    »Die hübsche Frau.«

    »Was?!«, entfuhr es Diane.

    »Vergiss es. Du weißt, dass du sie nicht bekommen kannst. Aber es war ein netter Versuch von dir.«

    »Ich will Blut und Gewalt!«

    »Ja, aber du kannst Diane hier nicht einfach töten. Immerhin bringt sie mir das Opfer und dann kannst du es durch mich erhalten. Ich meine, wie stellst du es dir vor? Dass ich im Napoleon Komplex mal eben irgendwohin gehe um die Sachen zu besorgen? Wir brauchen jemanden der die Dinge für uns holt und das ist sie hier.«

    »Gut, aber was bietest du mir an?«

    »Wie wäre es mit dem neuen Godzilla-Film?« Alex wusste um die Schwäche kleiner Jungs mit großen Dingen. Insbesondere da Kind sich mit dieser fiktionalen Figur identifizierte.

    »Deal.«

    »Na dann wollen wir mal. Hoffentlich klappt es auch.« Alex tippte dem großen Kerl auf die Stirn und fühlte wie Kind zu ihm zurückkehrte.

    Der Mann taumelte zuerst etwas mit glasigen Blick zurück, bis er schließlich klar wurde. Er sah sich um und floh schreiend vor Entsetzen vom Tatort. Die drei anderen sahen ihm nach.

    Alex wandte sich an Lupe. »Wir wollen dich nicht weiter stören. Wenn du uns entschuldigen würdest. Wir haben noch einiges zu tun. Komm, Diane, wir gehen.«

    »Wahrlich eine Nacht mit Faszination in der Luft. Der Wahnsinn läuft um und ein Mann fängt ihn in sich selbst auf, damit andere von ihm nicht betroffen werden. Die Definition eines Helden.«

    »Wenn ich eines nicht bin dann ein Held.« Die beiden gingen zurück zum Auto. Keiner drehte sich um als neue Schmatzgeräusche zu hören waren. Niemand wollte unbedingt mehr Ärger als nötig.

     

    Fortsetzung folgt...


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Beschreibung des Autors zu "Die Eintreibung nach der Austreibung II"

Teil zwei. Der erste Dämon wäre damit abgeharkt.

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