Tom ging ins Büro. Seine Augen waren noch müde vom Vorabend, in der Kneipe schwebte der Rauch in der Luft und durchbohrte seine Lider. Selbst nach acht Stunden tiefem Schlaf war keine Besserung in Sicht.
Als er aus dem Aufzug stieg, drehten sich die Sekretärinnen nach ihm um. Das war der ganz normale Werdegang wenn Tom einen Raum betrat. Das war schon so, als er klein war und in seiner frühen Jugend lernte er, dieses Interesse gezielt einzusetzen. Und als ihm sein Vater sagte, er solle diese Zeit genießen da sich all das mit dem Alter ändern würde, sollte er im Unrecht liegen. Umso älter er wurde, desto attraktiver schien er in den Augen des anderen Geschlechts zu werden.
Er näherte sich seinem Büro, den langen Gang an Schreibtischen durchquerend, und gab Betty den Wink ihm einen Kaffee zu holen. Betty war die gute Seele in diesem Laden und er war im Nachhinein dankbar, sich damals beim Vorstellungsgespräch auf sein Bauchgefühl verlassen zu haben statt nur auf ihre Qualifizierungen zu achten. Sie verstand ihn wortlos und kannte seine Bedürfnisse. Aber vor allem kannte sie seinen Rhythmus. Doch, Betty war unverzichtbar geworden.
Er öffnete seine Tür und ließ sie hinter sich ins Schloss fallen, legte seine Aktentasche auf den Tisch und zog an den Jalousien, sodass sie den Raum ein wenig abdunkelten. Nun schien es, als kämen Kopfschmerzen hinzu. Er ließ sich in seinen Bürostuhl fallen und warf einen müden Blick in seinen Kalender. Die Termine des Tages waren übersichtlich, nach dem Mittagessen würde er seinem Chef einen Besuch abstatten um die neuen Aufträge zu besprechen. Durch Zufall hatte Tom bei einem Dinner einen neuen Kunden ans Land gezogen und das Büro brauchte dringend ein neues Konzept um Diesen zufrieden zu stellen. Die Zigarettenbranche war ihm neu und der Marlboro-Mann hatte ausgedient. Seit Tagen schon dachte er darüber nach, wie man in der heutigen Zeit dieses Produkt hätte bewerben können. Schließlich wusste jeder, wie schädlich Rauchen war.
Es klopfte und Betty kam rein. Sie stellte ihm den Kaffee und ein Glas Wasser auf den Tisch.
„Darf es noch etwas sein?“
„Danke Betty. Könnten Sie bitte den Brokowski anrufen und fragen, ob er heute Zeit für ein Brainstorming hat? Wir müssen dringend den Zigarettenkunden besprechen und ein neues Konzept entwickeln. Bitte klären Sie das sofort.“
„Wird gemacht. Ich bringe Ihnen dann gleich noch die Post rein.“
„Moment, können Sie die Post nicht auch an Fred weiter geben? Ich habe heute wirklich keinen Kopf dafür.“
„Sicher, kann ich machen. Aber da ist ein Umschlag dabei, der an Sie persönlich adressiert ist.“
„An mich? Im Büro? Hm, das klingt interessant. Bringen Sie mir den doch bitte sofort.“
Betty ging raus und kam umgehend mit dem gelben Umschlag in den Händen zurück.
„Bitte schön, der Brief.“
„Danke Betty, schließen Sie doch bitte die Tür hinter sich und klären sie das Meeting mit Herrn Brokowski.“
Der gelbe Umschlag lag leicht in seiner Hand und er drehte und wendete ihn und konnte sich einfach nicht erklären, wieso er persönliche Post ins Büro geschickt bekam. Ohne auch nur einen Gedanken an den silbernen Brieföffner zu verschwenden riss er ihn ungeduldig auf. Es kam ein einzelnes Blatt Papier zum Vorschein, darauf in Fettschrift die Worte Sie erfinden Lügen!.
„Ja!“, dachte er sich. „Ich erfinde Lügen. Würden sie nicht erfunden werden, wären es wohl keine Lügen. Und würde ich es nicht tun, gäbe es einen Anderen der sich dafür jeden Monat den prallen Scheck in die Taschen stopft.“.
Er wusste um die Sinnlosigkeit seines Jobs und an diesem Tag, ganz ausnahmsweise, trieb ihm das ein breites Grinsen ins Gesicht. Und damit waren die Kopfschmerzen wie weg geblasen.


© Sofia Pierrot


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