Dieser Augenblick, wenn alles perfekt ist, den gibt es nicht, dachte sich das Mädchen, als sie auf dem Hügel steht und in die Ferne blickt. Vor ihr lag die graue große Stadt, pulsierende Neontürme, Gebäude die eher verlassenen Schiffen gleichen. Aus der Ferne betrachtet könnte man meinen, dass das gelbe Kleid des Mädchens den Sonnenaufgang wiederspiegelt, So würde sich um sie eine ganz andere Welt drehen, eine Welt voller Neugier und Fröhlichkeit, doch blickt sie nur auf den Schatten der Stadt und wendet ab und zu ihren Kopf nach hinten, auf das freie Feld. moosbewachsene Steine, drei bis fünf kleine Ärmchen eines Baches und hin und wieder Büsche und Bäume, die sich wie wankende Reisende im warmen Spätsommerwind hin und her treiben lassen. Ihre Füße vergruben sich im Graß und sie stellte sich vor selbst ein Teil der Wiese und nicht der Stadt zu sein.
Sie beobachtete gerade wie sich ein Käfer auf einem Blatt sonnte, daneben steppten Grillen zu einem Streichorchester und noch ein Stockwerk höher sang eine Amsel eine Arie.

Sie stellte sich oftmals andere Welten vor, in denen sie mal bei einem Karnevalumzug der Ameisen oder bei einer großen Überfahrt der Wasserläufer teilnimmt. Dann lag sie auf dem Bauch und betrachtete, ihre kleine Welt, vergaß die graue Stadt, die Schornsteine und den Lärm krächzender Maschinen.
Normalerweise sammelte sie auf den Feldern Himbeeren für ihren Lehnsherren, doch lies sie immer die Hälfte zurück oder verteilte sie an Tiere bzw. an ihr kleines Volk.

Man munkelte sie würde sogar mit dem Wild reden und mit den anderen Lebewesen kommunizieren. Keiner wusste wo sie herkam alle kannten sie ebenfalls auch nur als das Himbeermädchen und viele Männer waren ihr verfallen, doch sie sprach kein Wort mit Ihnen und verbrachte so lange wie es nur ging, ihre Zeit in der Natur.

Eines Tages kam sie wieder spät Abends nach Hause und auch nur mit einem halben Korb Himbeeren. Der Lehnsherr war außer sich, warum es keinen Verlass auf sie gäbe und das sie ihn wohl nicht respektieren würde. Diesmal wurde er sogar handgreiflich und das Mädchen rannte weinend in die Nacht, zurück auf die jetzt blau gefärbte Wiese. Sie kniete in den hohen Graß und vor ihr erstreckte sich das Himbeerfeld. Als der Boden vor ihr schon fast unter den Tränen versank vernahm sie eine melodische Stimme.

"Liebes Kind, so weine nicht,
husch husch, so wasche dein Gesicht.
Nimm zwei, vier Beeren, wie du sie uns geschenkt,
und höre auf deine Stimme die dich lenkt."

Das Mädchen stolperte rückwärts und fiel unsanft ins Graß. Wer sprach dort und diese Melodie, ein vertrautes Summen. Ihre Augen weiten sich als sie vier faustgroße Himbeeren an dem Strauch erblickte.

"Nun nimm schon liebes Kind,
das dir das Glück auch einmal singt.
Bring sie deinem Meister zurück,
Er wird sie ehren Stück für Stück.

Das Mädchen, immer noch zögernd, rappelte sich langsam auf und pflückte wie es ihr befohlen wurde die Himbeeren.
Langsamen Schrittes ging sie zurück Richtung Stadt. Doch da erblickte sie ein kleines Rehkitz ganz alleine auf einer Böschung.
Sie wagte sich langsam voran und füttere das Kitz mit den Himbeeren. Als alle aufgegessen waren legte sich das Rehlein in Ihren Schoss. Das Mädchen schaute zu den Neonsäulen und wurde traurig, nun hatte sie wieder nichts vorzuweißen. Voller Kummer blieb sie diese Nacht auf dem Feld und schlief mit dem Jungtier im Arm ein.
Am nächsten Morgen machte sie sich wieder auf in die Stadt, dort wurde sie verspottet wie unnütz sie doch sei, welch Vertrauen doch verloren gegangen sei. Daraufhin erblickte sie ihr gelbes Kleid, es voller roter Himbeerflecken und so jagte man sie aus der Stadt doch das war dem Lehnsherr nicht genug er wollte Rache wegen dieser Unverfrorenheit. So jagten Stunden später die halbe Stadt durch die Felder auf der Suche nach ihr.

Von Weitem hörte sie das Bellen und Fauchen der wilden Meute. Sie rannte, wohin wusste sie nicht. Einfach nur rennen, weg von all dem Bösen. Auf einem Stein stand das Rehkitz und schaute ihr tief in die Augen.

"Folge mir mein Kind und schau nicht nach hinten,
die Vergangenheit wird versinken und die Zukunft binden.
Der Mensch mit dem Herz aus Liebe und nicht aus Gold,
so hat man es gelesen, so haben wir es alle gewollt.

Lange schon warte ich auf diesen Tag,
die Uhr sie tickt langsamer, Schlag um Schlag.
Der Mensch ist heute noch nicht zum lernen bereit.
Doch hast du dich selbstlos selbst befreit.

Manch einer wird es wohl niemals wissen.
Manch einer wartet darauf verbissen.
Du lebst um Augen zu öffnen, zu leben zu tanzen zu singen.
Charakter hat der Mensch um Vertrauen zu bringen.

So eile mein Kind und folge."

Die Beine des Mädchens kribbelten, sie konnte sich nicht bewegen. Es ging gar nichts. Das Keifen und Trampeln wurde lauter. Schloss die Augen und malte sich all das Grauen aus.
Auf einmal stupste sie jemand von hinten sie erschreckte sich und wirblete herum. Um sie ragten Halme wie Säulen einer Oper in den blauen Saum. Zwei haselnussbraunen Augen lugten in ihre Richtung. Das Himbeermädchen zog sich an dem Fell empor und saß auf dem Rücken des Rehkitzes.

"Von hier unten sieht die kleine Welt viel größer aus.
Doch es ist nicht die Welt, die die Ansichten verändert.
Es ist das lang vermisste Zu Hause sein. "

Das Mädchen lächelte überglücklich, und schaute den Verwirrten hinterher, welche Blind in eine Fremde Welt taumelten.


""" Es hat zwar sehr lange gedauert"""
""" Doch es ist nie zu spät für eine Geschichte"""
""" Jeder kennt sie oder lernt sie kennen"""
""" Es sind die Menschen, die da und weg sind"""


An eine sehr gute Freundin.


© S.Musil


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Beschreibung des Autors zu "Das Himbeermädchen"

Manchmal gibt es keinen Weg zurück, nur alte Begegnungen in der Zukunft.

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